Auf dem Weg in die osthessische Provinz überholte uns auf
der B40, jener Verlängerung der immer noch unvollendeten A66, die die
Katholikenhochburg Fulda fast mit dem Rest der Welt verbindet, eine gelbe Corvette.
Morel behauptete, er habe Rohm am Steuer gesehen, doch ich glaubte ihm nicht.
Guido Rohm, wie Sie wissen, liebe Leser:innen, ist ein von uns geschätzter Krimiautor (Blut ist ein Fluss, Blutschneise, Die Sorgen der Killer), der aber leider, wie viele seiner Kolleg:innen zu übermäßigem Konsum
von bewusstseinserweiternden Drogen neigt, um seine manisch-depressiven Schübe
in den Griff zu bekommen. Der Preis für jedes Werk, das seine Energien
unmittelbar aus dem Leben schöpft, ist hoch, so auch bei Rohm. Sie, liebe Leser:innen, erinnern sich sicher an jenes gescheiterte
Unternehmen, zu dem Rohm uns einst überredet hatte (Stichworte: Deutsche Raucherliga, Casino Melusine) und das nur durch Morels beherztes Eingreifen und meine
bescheiden Lügenkünste ein halbwegs glimpfliches Ende nahm.
Ich hatte also
durchaus gute Gründe, nicht daran zu glauben,
dass Rohm es in der Zwischenzeit zu einer Corvette gebracht haben könnte. „Er
schreibt“, sagte ich, „hast du schon mal von jemandem gehört, der schreibt und
reich wird?“ Morel zählte ein paar US-amerikanische Autoren auf, die mit
geradezu unanständigen Vorschusszahlungen für noch ungeschriebene Romane versehen
werden. „Na gut“, sagte ich, „ aber die halten sich auch an die Grundregeln für
verständliche Texte mit Spannungsbogen, wie sie ihnen in den Creative Writing
Workshops der Universitäten eingetrichtert werden.“ „Origineller Einstieg,
klarer Plot, Identifikationsangebot.“ Morel begann zu zweifeln. Vielleicht hatte
er sich doch getäuscht. „Oder das war die Corvette von Guidos neuem Verleger.“
Morels Gesicht wurde zum Fragezeichen. „Ich hab da so Gerüchte gehört.“ Mehr
wollte ich nicht sagen, obwohl Morel nachbohrte. Es waren tatsächlich nur
Gerüchte und die Hälfte von dem, was Leute in Chats auf Facebook behaupten, ist genau
so glaubwürdig wie das, was in der Provinz im Eingangsbereich von Schlecker-Märkten erzählte
wurde, bevor sie alle schlossen.
Tatsächlich parkte die Corvette vor Rohms Wohnturm und Morel
klemmte unseren verbeulten Skoda, den wir gleich 1992 als Solidaritätsgeste an
die tschechische Heimat gekauft hatten, dahinter. Nicht nur Rohms
Mobilitätsmuster hatte sich offensichtlich verändert, auch der Wohnturm
strahlte sonnengelb im Maienglanz, frisch getüncht und ausgestattet mit einer
aufwendigen Eichenholzschnitzerei des Rohmschen Familienwappens über dem
Eingangstor. Vom First wehte eine Fahne, die auf gelbem Grund ein tiefrotes
Herz zeigte, aus dem drei Pfeilspitzen nach Süden, Westen, Osten stießen, von
denen wohlgeformte Blutstropfen herabhingen. Ich blieb sitzen und atmete ein paar Mal tief durch. „Wollen wir wirklich?“, fragte Morel. Es ging ihm offenbar ähnlich.
„Das sind unsere Freunde. So oder so.“ Ich dachte an Seraphe. Wir mussten uns
der Situation stellen und sei es nur um ihretwillen. „Er ist offenbar doch zu
Geld gekommen“, konnte sich Morel eine überflüssige Bemerkung nicht
verkneifen, bevor auch er ausstieg.
Wir mussten nicht klingeln. Seraphe erwartete uns schon
hinter dem noch ganz frisch nach Holzschutzmittel riechenden Eingangstor, das
ebenfalls eine Neuanschaffung war, oben und unten beschlagen mit schwarzen Eisengeflechten, Meisterwerken osthessischer Schmiedekunst. „Er ist oben. Lasst euch bitte nichts anmerken.“
Jetzt sah wahrscheinlich ich wie ein einziges Fragezeichen aus der Bluse,
gerade so wie vorhin noch Morel unter seinem kecken Hütchen. „Wir haben einen
Vertrag. Sensationell. Ein Vorschuss...“ Seraphe flüsterte mir die Summe hinter
vorgehaltener Hand zu, immer wieder über die Schulter spähend, dass wir auch
von keinen neugierigen Nachbarohr belauscht wurden. Dreißig Meter von uns
entfernt hinterm Gartenzaun warf ein Bierschmerbauch im Unterhemd seinen Grill
an. Die leisen Worte Seraphes jedoch konnte er unmöglich hören. Ich dachte, ich
hätte mich verhört. Doch Seraphe nickte in meinen ungläubigen Blick. „Kommt
hoch.“ Wir klettern die enge Stiege hinauf, die auf die Plattform führte, von der
aus Rohm sein osthessisches Reich überschaut und regiert. Denn so bot er
sich unseren Blicken dar, der ehemalige Krimiautor Guido Rohm: Er thronte,
anders kann man sein Sitzgehabe nicht nennen, auf einem mit purpurnem Samt
ausgeschlagenen schweren Sessel, die schlanken Beine in grünglänzenden
Strumpfhosen steckend (Beachten Sie: Komplementärkontrast!),
darüber ein gelbes Jopperl, auf das dasselbe Wappen gestickt war, wie es unten
über der Tür prangte. Neben seinem Thron lehnte eine AK-47.
Seraphe zupfte mich am Arm: „Ungeladen. Keine Bange. Reine
Attrappe.“ Das beruhigte mich. Rohm breitete derweil die Arme aus und winkte
mit der Hand Morel an sich heran. „Komm an mein Herz, Morel, mein Bester.“,
rief er. „Ich verdanke dir viel.“ Rohm, stellte sich heraus, war durch die
vielen positiven Besprechungen ins Visier eines multinationalen Medienkonzerns
geraten. „Mit Büchern, also schlicht gedruckten Büchern, zwischen zwei
Pappdeckeln, meine ich, geben die sich nicht ab. Die denken in ganz anderen
Maßstäben. Da wird jedes Projekt von Anfang an multimedial geplant: Booklet,
Ebook, Computer-Game für PC und Konsole, Trailer auf youtube, mit Option für
einen 3D-Film.“ „Er musste zu einer Schulung nach Conneticut.“, sagte Seraphe.
Guido kicherte. „Ratet mal, wen ich da getroffen habe?“ „Guttenberg.“, rief ich
vorlaut und hatte natürlich recht. Die Pointe wenigstens hatte ich Rohm verdorben.
Es war der reine Wahnsinn. Rohm kletterte von seinem Thron,
wir wanderten einmal rund um den Rauschenberg, damit er uns die ganze
Geschichte von A-Z und mit allen Details und Namen erzählen konnte, die ich
hier leider nicht wiedergeben kann, weil sie zu viele vertrauliche
Informationen enthält über noch lebende und scheintote Autor:innen,
Politkergattinnen, Redemanuskripte und Lieblingshunde. Rohm jedenfalls ist ein
gemachter Mann. Doch auch in seinem Fall bestätigt sich, was Morels Motto ist:
„There´s no such thing as a free lunch.“ Der Konzern hat Regeln. Autoren müssen
leben, was sie schreiben. (Soweit sich das machen lässt, ohne ihr organisches
Leben unmittelbar zu gefährden.)
„The game is the game.“, wiederholte Rohm mehrere Mal, von Seraphes
Seufzern begleitet. Die Marketingabteilung hat auf der Basis einer
internationalen Studie die Ingredienzen des nächsten multimedialen Events
ermittelt: Eine SciFi-Mischung mit Mittelalteranklängen und
martialisch-nostalgischem Schusswaffengebrauch aus Kalte Kriegs-Zeiten, plus
flotte Autos, versteht sich. Rohm selbst verkörpert eine zentrale Figur des
von ihm geschaffenen Universums. Die spezifischen, durch den Unfall bei einem
Punk-Gen-Garagen-Experiment entstandenen, Superkräfte des Guidonauten
allerdings darf ich Ihnen an dieser Stelle noch nicht verraten.
„Wie diese Scheiß-Strümpfe jucken“, kratzte sich Rohm im Schritt,
während wir das leckere, von Seraphe zubereitete Abendmahl aus Lendchen im
Speckmantel mit Reis genossen. „Und das ist ja
noch nicht mal das Schlimmste. Guckt euch um, guckt mich an. Peinlich. Einfach
peinlich.“ Wir konnten das nicht leugnen, versuchten aber Rohm von den vielen
Vorteilen seiner neuen Lage zu überzeugen. Trotzdem konnten wir nicht
verhindern, dass er am Ende des Mahls in einen Weinkrampf ausbrach. Seraphe
winkte uns mit der Hand zum Abschied, während sie ihn in den Schlaf zu wiegen
suchte.
Nachdenklich blieb Morel drunten einen Moment vor unserem
schäbigen Skoda stehen, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte. Im
Abenddämmer leuchtete die Corvette. Hinter Rohms Wohnturm ging blaßrot
die Sonne unter. Es roch nach frisch gemähtem Gras. „Ich möchte nicht mit ihm
tauschen.“, sagte Morel. Dann fuhren wir heim. Er braucht uns jetzt dachte ich, er braucht jetzt echte Freunde.
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