Mittwoch, 2. Mai 2012

TAG DER ARBEIT (mit Guido Rohm und Seraphe) "There´s no such thing as a free lunch."


Auf dem Weg in die osthessische Provinz überholte uns auf der B40, jener Verlängerung der immer noch unvollendeten A66, die die Katholikenhochburg Fulda fast mit dem Rest der Welt verbindet, eine gelbe Corvette. Morel behauptete, er habe Rohm am Steuer gesehen, doch ich glaubte ihm nicht. Guido Rohm, wie Sie wissen, liebe Leser:innen, ist ein von uns geschätzter Krimiautor (Blut ist ein Fluss, Blutschneise, Die Sorgen der Killer), der aber leider, wie viele seiner Kolleg:innen zu übermäßigem Konsum von bewusstseinserweiternden Drogen neigt, um seine manisch-depressiven Schübe in den Griff zu bekommen. Der Preis für jedes Werk, das seine Energien unmittelbar aus dem Leben schöpft, ist hoch, so auch bei Rohm. Sie, liebe Leser:innen, erinnern sich sicher an jenes gescheiterte Unternehmen, zu dem Rohm uns einst überredet hatte (Stichworte: Deutsche Raucherliga, Casino Melusine) und das nur durch Morels beherztes Eingreifen und meine bescheiden Lügenkünste ein halbwegs glimpfliches Ende nahm. 

Ich hatte also durchaus gute Gründe, nicht daran zu glauben, dass Rohm es in der Zwischenzeit zu einer Corvette gebracht haben könnte. „Er schreibt“, sagte ich, „hast du schon mal von jemandem gehört, der schreibt und reich wird?“ Morel zählte ein paar US-amerikanische Autoren auf, die mit geradezu unanständigen Vorschusszahlungen für noch ungeschriebene Romane versehen werden. „Na gut“, sagte ich, „ aber die halten sich auch an die Grundregeln für verständliche Texte mit Spannungsbogen, wie sie ihnen in den Creative Writing Workshops der Universitäten eingetrichtert werden.“ „Origineller Einstieg, klarer Plot, Identifikationsangebot.“ Morel begann zu zweifeln. Vielleicht hatte er sich doch getäuscht. „Oder das war die Corvette von Guidos neuem Verleger.“ Morels Gesicht wurde zum Fragezeichen. „Ich hab da so Gerüchte gehört.“ Mehr wollte ich nicht sagen, obwohl Morel nachbohrte. Es waren tatsächlich nur Gerüchte und die Hälfte von dem, was Leute in Chats auf Facebook behaupten, ist genau so glaubwürdig wie das, was in der Provinz im Eingangsbereich von Schlecker-Märkten erzählte wurde, bevor sie alle schlossen.

Tatsächlich parkte die Corvette vor Rohms Wohnturm und Morel klemmte unseren verbeulten Skoda, den wir gleich 1992 als Solidaritätsgeste an die tschechische Heimat gekauft hatten, dahinter. Nicht nur Rohms Mobilitätsmuster hatte sich offensichtlich verändert, auch der Wohnturm strahlte sonnengelb im Maienglanz, frisch getüncht und ausgestattet mit einer aufwendigen Eichenholzschnitzerei des Rohmschen Familienwappens über dem Eingangstor. Vom First wehte eine Fahne, die auf gelbem Grund ein tiefrotes Herz zeigte, aus dem drei Pfeilspitzen nach Süden, Westen, Osten stießen, von denen wohlgeformte Blutstropfen herabhingen. Ich blieb sitzen und atmete ein paar Mal tief durch. „Wollen wir wirklich?“, fragte Morel. Es ging ihm offenbar ähnlich. „Das sind unsere Freunde. So oder so.“ Ich dachte an Seraphe. Wir mussten uns der Situation stellen und sei es nur um ihretwillen. „Er ist offenbar doch zu Geld gekommen“, konnte sich Morel eine überflüssige Bemerkung nicht verkneifen, bevor auch er ausstieg.

Wir mussten nicht klingeln. Seraphe erwartete uns schon hinter dem noch ganz frisch nach Holzschutzmittel riechenden Eingangstor, das ebenfalls eine Neuanschaffung war, oben und unten beschlagen mit schwarzen Eisengeflechten, Meisterwerken osthessischer Schmiedekunst. „Er ist oben. Lasst euch bitte nichts anmerken.“ Jetzt sah wahrscheinlich ich  wie ein einziges Fragezeichen aus der Bluse, gerade so wie vorhin noch Morel unter seinem kecken Hütchen. „Wir haben einen Vertrag. Sensationell. Ein Vorschuss...“ Seraphe flüsterte mir die Summe hinter vorgehaltener Hand zu, immer wieder über die Schulter spähend, dass wir auch von keinen neugierigen Nachbarohr belauscht wurden. Dreißig Meter von uns entfernt hinterm Gartenzaun warf ein Bierschmerbauch im Unterhemd seinen Grill an. Die leisen Worte Seraphes jedoch konnte er unmöglich hören. Ich dachte, ich hätte mich verhört. Doch Seraphe nickte in meinen ungläubigen Blick. „Kommt hoch.“ Wir klettern die enge Stiege hinauf, die auf die Plattform führte, von der aus Rohm sein osthessisches Reich überschaut und regiert. Denn so bot er sich unseren Blicken dar, der ehemalige Krimiautor Guido Rohm: Er thronte, anders kann man sein Sitzgehabe nicht nennen, auf einem mit purpurnem Samt ausgeschlagenen schweren Sessel, die schlanken Beine in grünglänzenden Strumpfhosen steckend (Beachten Sie: Komplementärkontrast!), darüber ein gelbes Jopperl, auf das dasselbe Wappen gestickt war, wie es unten über der Tür prangte. Neben seinem Thron lehnte eine AK-47.

Seraphe zupfte mich am Arm: „Ungeladen. Keine Bange. Reine Attrappe.“ Das beruhigte mich. Rohm breitete derweil die Arme aus und winkte mit der Hand Morel an sich heran. „Komm an mein Herz, Morel, mein Bester.“, rief er. „Ich verdanke dir viel.“ Rohm, stellte sich heraus, war durch die vielen positiven Besprechungen ins Visier eines multinationalen Medienkonzerns geraten. „Mit Büchern, also schlicht gedruckten Büchern, zwischen zwei Pappdeckeln, meine ich, geben die sich nicht ab. Die denken in ganz anderen Maßstäben. Da wird jedes Projekt von Anfang an multimedial geplant: Booklet, Ebook, Computer-Game für PC und Konsole, Trailer auf youtube, mit Option für einen 3D-Film.“ „Er musste zu einer Schulung nach Conneticut.“, sagte Seraphe. Guido kicherte. „Ratet mal, wen ich da getroffen habe?“ „Guttenberg.“, rief ich vorlaut und hatte natürlich recht. Die Pointe wenigstens hatte ich Rohm verdorben.

Es war der reine Wahnsinn. Rohm kletterte von seinem Thron, wir wanderten einmal rund um den Rauschenberg, damit er uns die ganze Geschichte von A-Z und mit allen Details und Namen erzählen konnte, die ich hier leider nicht wiedergeben kann, weil sie zu viele vertrauliche Informationen enthält über noch lebende und scheintote Autor:innen, Politkergattinnen, Redemanuskripte und Lieblingshunde. Rohm jedenfalls ist ein gemachter Mann. Doch auch in seinem Fall bestätigt sich, was Morels Motto ist: „There´s no such thing as a free lunch.“ Der Konzern hat Regeln. Autoren müssen leben, was sie schreiben. (Soweit sich das machen lässt, ohne ihr organisches Leben unmittelbar zu gefährden.)  „The game is the game.“, wiederholte Rohm mehrere Mal, von Seraphes Seufzern begleitet. Die Marketingabteilung hat auf der Basis einer internationalen Studie die Ingredienzen des nächsten multimedialen Events ermittelt: Eine SciFi-Mischung mit Mittelalteranklängen und martialisch-nostalgischem Schusswaffengebrauch aus Kalte Kriegs-Zeiten, plus flotte Autos, versteht sich. Rohm selbst verkörpert eine zentrale Figur des von ihm geschaffenen Universums. Die spezifischen, durch den Unfall bei einem Punk-Gen-Garagen-Experiment entstandenen, Superkräfte des Guidonauten allerdings darf ich Ihnen an dieser Stelle noch nicht verraten.

„Wie diese Scheiß-Strümpfe jucken“, kratzte sich Rohm im Schritt, während wir das leckere, von Seraphe zubereitete Abendmahl aus Lendchen im Speckmantel mit Reis genossen. „Und das ist ja noch nicht mal das Schlimmste. Guckt euch um, guckt mich an. Peinlich. Einfach peinlich.“ Wir konnten das nicht leugnen, versuchten aber Rohm von den vielen Vorteilen seiner neuen Lage zu überzeugen. Trotzdem konnten wir nicht verhindern, dass er am Ende des Mahls in einen Weinkrampf ausbrach. Seraphe winkte uns mit der Hand zum Abschied, während sie ihn in den Schlaf zu wiegen suchte.

Nachdenklich blieb Morel drunten einen Moment vor unserem schäbigen Skoda stehen, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte. Im Abenddämmer leuchtete die Corvette. Hinter Rohms Wohnturm ging blaßrot die Sonne unter. Es roch nach frisch gemähtem Gras. „Ich möchte nicht mit ihm tauschen.“, sagte Morel. Dann fuhren wir heim. Er braucht uns jetzt dachte ich, er braucht jetzt echte Freunde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen