Donnerstag, 24. Mai 2012

UNLUSTIG (Primitive Zurückweisung der Ansprüche des Qualitätsmanagements)


TRIGGERWARNUNG!


Alles erscheint mir unlustig grad. Ich platze beim kleinsten Anlass. Ich schmeiße den Rucksack vom Amazing die Treppe runter, weil ich drüber gestolpert bin. Mir sind eigentlich alle zuwider und am liebsten täte ich eine Fresse polieren - mir gefällt´s, das genau so zu sagen, nämlich derb und altmodisch zugleich - und dabei jucken mir die Faustknöchel, mit denen ich zuschlagen täte, bis ein Knochen krachte. Leider kann ich mir das zugehörige und zu zertrümmernde Gesicht nicht ganz so plastisch vorstellen. Alle sind für gewaltfreie Zonen  (außer mir, na klar!) und überall wird schön (!) gewaltvoll dahergeredet, gedisst, gebasht und niedergemacht, was das Zeug hält und grundsätzlich kann sich keine/r, sage ich Euch, verdammt, beleidigter und gekränkter fühlen als ich durch die  selbstgerechte Dummheit und verrohte Verkommenheit der Besitzstandwahrer,  durch hohle religiöse Selbstbefriedigung und onanierenden Rassismus von jugendlichen Salafisten und Fernseh-B-Starlets, durch hirnlose, schwanzbesitzende Anti-Feministen und vollpfostige BrutaloPCFeministinnen und vor allem gegen alle  dauernd irgendwie von irgendwem Getriggerten und Angepissten.  Ich bin AUCH total getriggert durch die und ihr Gejammer und Gezeter, durch Fundamentalismus, Betroffenheit und Relevanzgeschwafel. 

Die Wahrheit über mich, wie ich hier sitze und heute wieder mal gesagt bekam, wie wir so seien, wir „kleinen Blonden“, ist selbstverständlich, dass ich nie nicht irgendjemanden schlage und sogar meistens noch lächele, schön dämlich daher grinse, wenn ich so´ne Wut in mir toben spüre. Ich zerstöre ja ausschließlich Sachen, gegen die ich mit dem Fuß trete bis der Mittelfußknochen bricht (und selbstverständlich die Nerven meiner Liebsten, die auch, - was wirklich verwerflich ist.)

Außerdem will ich aber noch loswerden (hier!,  zum Schutze meiner Liebsten), wie sehr mir das ganze Qualitätsmanagement auf die Nerven geht und dass ich mir von niemandem vorschreiben lasse, wen und wessen Grundüberzeugungen, religiöse Weltanschauungen oder literarische Qualitätsurteile ich hochachten soll oder wessen Bücher ich lesen muss und dass ich meine Sympathien und Aufmerksamkeiten genau so verteile, wie es mir passt. Was mir regelmäßig aufstößt, dass sich die ganze Säuerlichkeit in meinem Rachen zusammen zieht, bis ich richtig sauer bin, ist das Relevanz-Gerede (zu ideologie-kritischen Zeiten nannten wir das im Literaturbereich "Kanonisierung" und stellten fest: mit Qualität hat es nur bedingt zu tun). 

Bei mir verflüchtigt sich halt, weil ich so schlicht und primitiv bin, die Leselust, wenn auf dem Cover eines Buches der Name einer Person prangt, deren außerliterarische Äußerungen ich strohdumm finde. Ich habe mit viel Glück noch ein paar Jahrzehnte vor mir und muss gestehen, dass ich den ganzen Shakespeare noch kein zweites Mal gelesen, dass ich Homer nur in Auszügen kenne, dass das Werk Hildegard von Bingens von mir noch gar nicht rezipiert wurde und ich mindestens noch einmal Karoline von Günderodes, Bettina Brentanos, Jane Austens, Virginia Woolfs, Janet Frames, Elfriede Jelineks und Ingeborg Bachmanns Gesamtwerk lesen möchte, außerdem die „Ästhetik des Widerstands“ und „Jahrestage“, den ganzen Henry James und vielleicht auch Thomas Pynchon, jedenfalls  alle Neuerscheinungen von Marlene Streeruwitz, auf keinen Fall aber auch nur ein halbes Buch von – zum Beispiel -  Martin Walser oder Peter Handke, Thea Dorn oder Karen Duve. Damit treffe ich kein Qualitätsurteil; ich sorge nur dafür, dass ich ein bisschen Spaß habe beim Lesen. Die ganze Dummheit von vor mehr als 10 Jahren Verschiedenen ist eh verjährt. Da wächst sacht das Gras des Vergessens drüber und das Werk, wenn´s eins ist, bleibt.

Bei den Lebenden aber, so sie in öffentliche Debatten eingreifen, stößt mich offen und selbstbewusst zur Schau gestellte Doofheit ab. Ja, so bin ich, so kleinlich - und trotzdem wächst der Stapel ungelesener Bücher neben meinem Bett, wo zu Beispiel sich jetzt befinden: Helmut Krasser: UC, Edward St. Aubyn: Mothers Milk, Mohammed Hanif: A case of exploding Mangos, Thomas Hardy: Woodlanders, Anthony Trollope: Phineas Finn, Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels, Elizabeth Gaskell: Wives and Daugthers, Vikram Seth: Verwandte Stimmen, Brigitte Kronauer: Kleider der Frauen, Chantalle Pelletier: Goat Song, Jeannette Walls: The Glass Castle, Henry James: The Spoils of Poynton, Jhumpa Lahiri: Unaccustomed Earth, Edith Wharton: Ethan Frome, Chimamanda Ngozi Adiche: Half of a Yellow Sun, und auf dem Kindle noch immer ungelesen: Marlene Streeruwitz: Die Schmerzmacherin u.v.m. Die Treppe runter im untersten Regalfach im Wohnzimmer stapeln sich (vors kaum mehr benutzte Lexikon geklemmt) noch mal so viele ungelesene Werke, die ebenso dringlich noch vor meinem Ableben gelesen werden müssen. Es ist keines dabei von einem lebenden Autor, einer lebenden Autorin, die rassistische Sprüche klopft, der albern giggelt, die ganze Kohorten beschimpft oder der sexistische Zoten erzählt und sich dabei auf die Schenkel klopft. Solche Leute schreiben vielleicht ästhetisch sehr anspruchsvolle Werke. Ich lese die nicht. Warum auch? Es gibt genug andere, die auch gut schreiben können. Gute Literatur, auch wenn´s manche nicht wahr haben wollen, ist aus internationaler und überhistorischer Sicht keine Mangelware. Das ist ja das Schöne! 

Ja, die Relevanz, die Bedeutung, -  die Größten... sind vielleicht bei meiner Auswahl nicht alle dabei. Vielleicht doch. Das Leben ist kurz. Es will gelesen werden. Und gelebt. Lustvoll.

Mir ist unlustig grad. Das kommt alles bloß vom Internet. Wäre ich mal beim wertvollen Buch geblieben...

5 Kommentare:

  1. Liebe Melusine,

    wohnten Sie nebenan, ich hätte Ihnen längst die Boxbirne rübergebracht. Der kann man so richtig auf die Fresse hauen! Vielleicht aber sollte ich sie selber wieder aufstellen (ist so'n Ding mit einem mit Wasser auffüllbaren Ständer), denn die von Ihnen beschriebene Gemütsverfassung ist teilbar, ohne deswegen weniger zu werden.

    Mannometer, Sie haben ja eine Menge ungelesener Bücher! Zum Glück fehlt mir das Geld für solche Stapel, außerdem kann ich nur Bücher deutscher Sprache lesen, im Moment zum zweiten Mal "Der Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil, der längste Essay der Welt. Ich lese überhaupt gerne auch zwei Mal im Abstand von 10, 20 oder auch 25 Jahren, aber das kann man naturgemäß nicht ewig so machen. Bei "Der Idiot", beim "Ulysses", beim "Zauberberg" und bei vielen Beckett-Texten hat sich das gelohnt, bei vielen anderen wird es sich noch lohnen, bei Franz Werfel (Stern der Ungeborenen), bei Achim von Arnim (Die Kronenwächter) usw. Natürlich haben Sie trotzdem recht, wenn Sie sagen, gute Literatur sei aus internationaler und überhistorischer Sicht keine Mangelware – so ist es. Sich auf das vermeintlich Aktuelle einengen, ja einschwören zu lassen, ist dagegen wirklich kurzsichtig, auch wenn man ja auch im Hier und Jetzt auf der Suche ist nach Jetzigem, obwohl ich von denen fast nur solche lese, die ich persönlich kenne, dies aber auch nur dann, wenn mir der Text gefällt. Wahrscheinlich bin ich da etwas eigen mit meinen Ansichten, der ein oder andere fühlt sich da gerne auch mal vor den Kopf gestoßen (Boxbirne!) oder nicht recht gewürdigt – was soll man dazu sagen, da kannste machen nix. Im Mann ohne Eigenschaften sinnt die Hauptperson Ulrich übrigens öfter darüber nach, ob man nicht leben müsse wie eine Figur in einem Buch; wäre zu überlegen, wenn es sich denn um eine Leseratte handelte.

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    1. Lieber Norbert,

      die Birne könnte ich wohl brauchen, besonders wenn meine heiß läuft.

      Die ungelesenen Bücher stapeln sich. Und ich hab nicht mal alles aufgezählt, fand ich dann selber ein wenig dicke. Man muss aber dazu wissen, dass hier 2 + 2 halbe Leser:innen leben. Viel wandert auch von der einen Seite des Bettes auf die andere, nämlich meine, wenn es "drüben" ausgelesen ist. Und manchmal sogar was aus den Zimmern der jungen Herrschaften, die selten, aber doch sagen: "Das musst du lesen, Mama!" Was ich dann tue. Da stapelt sich dann bei mir, derweil ich selbst auch noch einiges dazu lege. Und wer mich kennt, der schenkt: Bücher. Grade lese ich und schon lange dran: "Mein Name" von Navid Kermani, ausgelesen habe ich: Leander Sukovs "Ahab" (wie und was ich drüber schreibe, darüber denke ich noch nach). "Replay" von Benjamin Stein, "Death comes to Pemberley" von P.D. James, den von Morel empfohlenen Roman "A visit from goon squad" von Jennifer Egan und Eva Demsiks Reiseerzählungen zum "Rheingau". Dazwischen lese ich, wie Sie, vieles wieder und wieder und wieder.

      Die Frau L. hat heute übrigens in einem Interview in der Rundschau noch einmal nachgelegt. Nur das Lesen von haptisch erfahrbaren gedruckten Büchern ist eine geistige Bereicherung, meint sie. Alles andere führt zum Gedächtnisverlust. Und Qualität kann es nur geben, wo es einem schwer gemacht wird, man also zu leiden hat, bis man an die Sache kommt (Das ist sehr lutherisch gedacht, in der Tat. - Es kommt kein Reicher mit ererbter Bibliothek ins Qualitäts-Himmelreich. Das gefällt mir dann wieder. Ha!)

      Herzliche Grüße
      Melusine

      (Als ich Ihren Link auf Grassens neuerlichen Versuch zu dichten sah, glaubte ich zunächst auch es sei ein Fake. Scheint aber wirklich "echt" zu sein).

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    2. Liebe Melusine,

      ja, die Frau L.! Die hat's schwer. Ich kann mir Sachen immer dann am besten merken, wenn ich mal selbst darüber geschrieben, also eigene Worte dafür gefunden habe. Daß Kunst weh tun muß ist dagegen natürlich eine ausgemachte Sache, sonst wären die Sitze im Theater nicht so, wie sie sind. Den Ahab von Sukov las ich übrigens letztens auch http://nwschlinkert.de/2012/05/16/warten-auf-ahab-oder-stadt-liebe-tod-von-leander-sukov/

      Dann viel Spaß beim Fähnchenschwenken, herzliche Grüße,
      Norbert

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  2. Nee, das kommt nicht vom Internet.... das liegt an Merkur, der läuft rückwärts. :-)

    Ich wünsche Ihnen nicht nur schöne Pfingsten, sondern auch viel Sonne auf die Nase!

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    1. Vielen Dank! Ihnen auch!
      (Morgen feiern wir erst mal mit den "Freunden des schlechten Geschmacks" das Lied für Baku. Fähnchen schwenken inbegriffen!)

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