Montag, 18. Juni 2012

AUTORITÄRE VERHÄLTNISSE: Warum alle Literatur politisch ist


Es wird sich in Zucht und guter Ordnung gehalten hinter den Schleiern, alleweil, hier und da, die Worte wuchern und die Sätze quellen. Denn: Es geht darum, die Autorschaft zu retten, indem sich der Autor (maskulin) vor neugierigen Blicken versteckt. Keiner geht von sich und seinen Verhältnissen aus, denn ein jeder kann alles und alle sein und schreiben, wenn er´s kann. Das ist bloß eine Frage von Talent und Handwerk. Es gibt nur gute und schlechte Literatur. Die literarische Figur will aber kein Avatar sein. Ich bin, was ich sein will, aber es gibt mich nicht, schreit das postmoderne Selbstbewusstsein und weiß: „Ich ist ein Text.“

Der auktoriale Erzähler hat sich verabschiedet durch die Hintertür und tritt von vorne wieder ein: das ganze Haus zu Bruch. Es ist ein neuer, böser Gott aufgetaucht, dem seine Welt ein Spielzeugkasten ist, den er umeinander wirft, wie es ihm gefällt. "Heute, hier morgen da", singt er beschwingt. Aber wehe, Kindchen, wehe, du nimmst ihn nicht ernst, sondern selbst für eine Spielfigur, die sich bloß angepasst hat an den marktkonformen Optimierungszwang und die allumfassende Mobilität. Dann wirst Du keinen finden, der schneller eine beleidigte Schnute zieht und auf seine Rechte auf dem Throne der Hochkultur pocht als er, der postmoderne Autor ohne Autorität.

Er ist ziemlich leicht zu erkennen, dieser unsympathische Sonderling, der vielleicht die Sprache beherrscht, aber dem ganz bestimmt kein gutes Leben im aristotelischen Sinne gelingt. Daraus, nämlich, aus seiner Verweigerung in menschlichen Beziehungen Verantwortung zu übernehmen und seiner Unfähigkeit sich mit anderen zu solidarisieren, zieht er einen nicht geringen Teil jener Achtung, die er sich selber entgegen bringt, wie der Verachtung, mit der er den Rest der Welt überzieht. Er träumt sich als ein einsamen Ritter in düster schimmernder Rüstung gegen den Untergang der Hochkultur. Wir müssen leider einräumen, dass der Marionettenspieler durchaus auch mit Vagina auftritt und Lippenstift. Seine Merkmale sind: Publikumsverachtung, Humorlosigkeit und Distinktionszwang. Er kennt eigentlich nur Leute, die dämlicher sind als er – und macht lediglich bei der Handvoll begeisterter Groupies (männlich/weiblich), die er um sich versammelt, eine huldvolle Ausnahme von seiner Menschenfeindlichkeit. Gleichwohl bleibt es ihm unverständlich, warum umgekehrt ihn die Menschheit nicht liebt.

Nur keine Missverständnisse: Wir brauchen weder eine neue Selbstfindungsliteratur, die um aufgeblasene Egos kreist, noch traditionalistische Erzählgötter, die uns die Welt als Roman erklären. Von sich auszugehen, heißt eben nicht, sich als autonomes Subjekt zu inszenieren, sondern diese Fata Morgana aufzugeben, um sich in seinen Bindungen und Fesseln zu erfahren. Es heißt die Grenzen des eigenen Wahrnehmungsvermögens schreibend zu erkunden, nichts für „natürlich“ oder gegeben zu nehmen, aber alles als bestimmt. In dieser Bestimmtheit erfahre ich mich und meinen Körper; von hier gehe ich aus, aber das heißt nicht, dass ich nicht woanders hinkommen kann, schreibend, denkend, liebend. Darum geht es ja auch: Grenzen zu überschreiten, was aber nicht dasselbe ist, wie sie zu leugnen.

Nur in dem Wahnsystem, indem Texte miteinander reden, statt Menschen schreiben und lesen, kann es eine Literatur geben, die nicht politisch ist. Wo aber gelesen wird und geschrieben von menschlichen Wesen, die sich aufeinander beziehen wollen und müssen, findet Politik statt. Es ist politisch, wie wir lieben und Sex haben, uns ernähren, Kinder aufziehen, Arbeiten nachgehen, den Tausch- und den Gebrauchswert von Dingen bestimmen und unsere Gemeinschaften organisieren.  Und daher ist es auch politisch, wie darüber geschrieben wird, welche Bilder sich dafür finden lassen, wie viel Wiedererkennungs- und wie viel Widerstandspotential sie enthalten.

Es wird von den Türhütern des Qualitätsimperiums (vulgo: Besitzstandwahrer kulturellen Kapitals) die Forderung nach einer Verantwortung von Autorinnen und Autoren für ihr Handeln (das eben Schreiben ist), gerne als „moralisierend“ verworfen. Wer solche Forderung erhebt, hat sich eh schon als Kunstbanause geoutet. Ich sehe das anders: Wer seine Verantwortung für das Geschriebene an „den Text“ abtritt, verhält sich schlicht feige. Auch mir kann der auktoriale Erzähler gestohlen bleiben. Er soll sich aus dem Staub machen, statt Marionetten-Göttlein hinter den Wolken zu spielen. Wer schreibt, was gelesen werden soll, liefert sich aus und muss sich  auch stellen. Nicht allmächtig zu sein, ist nicht gleichbedeutend mit Ohnmacht. Wer sich aber als ohnmächtig inszeniert, hat offenbar Gründe. Es liegt nahe, dabei an jene zu denken, aus denen im 19. Jahrhundert so manches Fräulein sich seufzend fallen ließ.

35 Kommentare:

  1. Nach dieser Lektüre überkommt mich große Lust, mich einer kleinen hysterischen Ohnmacht hinzugeben. Und bitte kein Riechsalz, bevor sich alle feigen Moralisten beiderlei Geschlechts aus dem Raum gedrückt haben ; )

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  2. Hysterische Anfälle aller Art genießen meine unbedingte Sympathie. Die Hysterikerin verschleiert sich ja nicht, außer sie führt einen Schleiertanz auf.

    (Moralist/in ist ja so ziemlich das gemeinste Schimpfwort, seit den "Blumen des Bösen". Der Witz ist aber, dass all die Anti-Moralisten und Tabu-Brecher ganz dumm da stünden ohne die. All die lustigen Provokationen verpufften im Nichts.)

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  4. Ja, spannende Frage, Lu, - und sehr politisch, wenn man nämlich unter Politik alle Praktiken begreift, die gesellschaftliches Leben gestalten - warum du von diesem Post, mirnichtsdirnichts auf heterosexuelle Zweierbeziehungen kommst. Daran lassen sich zweifellos Strukturen zeigen, die auf die Abhängigkeit scheinbar individueller Objektwahl- und Abwahlstrategien verweisen. Das Politische an der Sache wäre nämlich deine "Optik" und welche Sehhilfen du kennst und/oder benutzt. Das es Jenseits davon noch etwas gibt und Literatur darauf verweisen kann - ich würde es vielleicht nicht "Temperament" nennen - ist wichtig und eben auch eine politische "Aufgabe" von Literatur und Kunst - die Grenzen des Politischen sichtbar zu machen.

    Zweierbeziehungen (aber auch Dreiecksgeschichten usw.) leben von Projektionen (du nennst "idyllisieren"), genau. Was diese Projektionen auslöst - das ist das Politische! Davon kann man erzählen. Aber auch, selbstverständlich, von der Sehnsucht aus diesem Spiegelkabinett der Projektionen zu entkommen.

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  5. du ich halte keiner näheren erörterung zur zeit stand, deshalb löschte ich so rasch mein vorausgelaufenes post ( diese spontaneität, hm )
    also da war meinerseits nichts böswilliges.

    die frage wäre kürzlichst hier in meinem umfeld folgende gewesen : da trennte sich eine relativ junge frau von einem relativ jungen mann ... was denselbigen in akute suizidale gefährdung trieb ... ob ich da positiv eingreifen könnte ? - und ich wieder mal feststellen musste, dass meine eigene erfahrung mit trennung letztlich so individuell ist, dass da irgendwie nichts konstruktives dazuzustellen war in all der akuten sorge.

    ich tendiere dazu, zu idealisieren und anhand dessen mein leben zu messen, zu verändern.
    ( oder auf so etwas wie einen idealpartner anzusprechen, gar zu warten ) - ohne jedoch so etwas wie eine zweierkiste voraus- oder grundidyllisieren zu müssen.
    wohl ein glattes paradox.
    ( allerdings hatte ich nur beziehungen unter der verabredeten bezeichnung "offene beziehung" )
    sorry, aber ich hab zur zeit so gut wie keine konzentrationsfähigkeit.

    nun, mir blieb dem jungen mann nichts anderes übrig als zu sagen, als dass er vielleicht seine optik mal verändern sollte ( und weder etwas allzu symbiotisches in einer beziehung suchen zu wollen noch womöglich einem bürgerlichen, konditionierten ideal aufsitzen zu müssen )

    ein wirklich kläglicher versuch.

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    1. Eine Beschreibung, dessen, was sein kann, aber auch eine Analyse oder sogar eine Idealisierung, eine utopische Projektion, also alles, was Literatur kann - können ja am Ende nie direkt in einem konkreten Einzelfall "helfen".
      Das, was - meiner Erfahrung nach - an Liebesprojektionen so wehtut, ist ja, dass sie zwar Projektionen sind, aber die Objekte, auf die sie sich richten, gerade wegen der Besonderheit dieser Art von Projektion nicht austauschbar sind. Dass man halt nicht sagen kann: Wenn der mich nicht will, dann projiziere ich meine Sehnsüchte eben auf einen, der besser "passt". Weil aber die Objekte - jenseits der Projektion des Anderen - auch Subjekte mit eigenen Projektionen sind, kommt es zu Verzerrungen. Unauflöslich, unvermeidlich.

      Es ist ja in Liebesdingen nichts unsinniger als die Frage: "Warum liebst du mich?" oder "Warum liebst du mich nicht?" Wüsste man das, könnte man sich eine goldene Nase verdienen und ElitePartner stünde dumm da. Die Art aber, wie einer sich seine Projektionen "gestaltet", die kann man vielleicht auf lange Sicht mindestens "modifizieren", also so verändern, dass man nicht zwangsläufig immer auf den selben Typ hereinfällt, der einem wehtut. Aber vielleicht kann man das auch nicht. Vielleicht ist etwas anderes nötig: Nämlich sich von der kulturellen Prägung zu befreien, den Sinn des Lebens (oder einen großen Teil davon) in Zweier-Beziehungen zu suchen. Man könnte auch andere Liebesformen mehr wertschätzen und sich dadurch Spielräume erobern. Aber: Es wird immer so sein, dass Liebe weh tut. Politisch daran ist nur, wie Machtverhältnisse Liebesverhältnisse durchkreuzen und verändern. Das kann man - vielleicht - aussieben. Vielleicht.

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  7. „Es gibt nur gute und schlechte Literatur.“ So ist es.

    Und ab den Sätzen darauf – ich spitze es in polemischer Absicht zu – geraten die Ebenen fließend: Sind die literarische Figur, die zum Avatar wird, und das postmoderne Selbstbewußtsein nun ein und dasselbe, wie es die Abfolge nahelegt? Das (postmoderne) Selbstbewußtsein resp. das Subjekt, welches ein Buch über die Dissoziation des Subjekts schreibt, ist, so scheint es mir, ein anderes als das Wesen, welches in diesem Buch vorkommt. Spätestens beim Vorschuß fürs Honorar und am Bankautomaten besteht das (postmoderne) Autorin- oder Autor-Subjekt darauf, höchstselbstidentisch zu sein. (Egal ob Männlein oder Weiblein oder jenseits aller Dualismen) Alles andere wäre Postmoderne für Kinder. Und vögeln ist kein Text – soweit ginge wohl nicht einmal Derrida. Das Schreiben über vögeln (und auch über Vögel) aber schon.

    „Wer seine Verantwortung für das Geschriebene an ‚den Text‘ abtritt, verhält sich schlicht feige.“ Auf die eigenwillige Verkoppelung von Moral und Ästhetik gehe ich nicht ein, weil es zu weit führt. In der Komposition und in der Konstruktionsleistung, die eine oder einer an einem Text erbringt, da treten Autorin/Autor gar nichts an den Text ab, sondern sie beschäftigen sich mit eben diesem Text. Man kann auch sagen: Sie unterhalten zu ihm eine Beziehung. Die Verantwortung für das Geschriebene besteht darin, einen Text, ein Kunstwerk durchzuarbeiten, zu konstruieren, zu bauen. Insofern würde ich diese Verantwortung als eine Weise der Arbeit ansehen. Befindet sich dieser Text in der Öffentlichkeit, so ist der Autor draußen. Es gibt dann einen Text, und im Idealfall, sofern der Autor lebt, kann man ihm Fragen stellen. Manche beantworten solche Fragen, andere nicht. Wie das in der Empirie so ist.

    Der Begriff der Verantwortung ist ein sehr großer Begriff. Mir ist es im Grunde lieber, daß Subjekte, soweit es in ihrer Möglichkeit steht, verantwortlich handeln, anstatt diese Begriffe wie Monstranzen vor sich herzutragen. Diese ganze grün-bürgerlich-schwarze Verantwortungsethik ist eine ziemlich fiese Strategie zur Individualisierung von Problemen. Mit Literatur hat das nur am Rande etwas zu tun, sondern mehr mit gesellschaftlichen Mechanismen.

    Zudem: die unterschiedlichen Bereiche von Verantwortung würde ich auseinander analysieren: Die literarische Arbeit/Konstruktion ist eine andere als die Verantwortung für Menschen. Verantwortung ist auf einer sehr persönlichen Ebene angesiedelt. In bezug auf Gesellschaft greifen andere Begriffe besser: Z.B. der der Struktur. Ich bin nicht verantwortlich für die kapitalistische Gesellschaft, sondern ich bin ein Teil von ihr. (Dieses Moment kann ich literarisch gestalten.)

    Und auch das, was Du vertrittst, ist am Ende ein textuell-ethisches Spiel.

    Die Ethik des Textes ist seine Ästhetik.

    Ein Text ist immer mehr als seine Autorin oder sein Autor. Ein Text übersteigt das narzißtische oder phantasmagorische Subjekt, welches sich und seine Bezüge so wichtig nimmt.

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    1. Ja. Volle Zustimmung, sonst wird das noch eine Endlosschleife ;-) Lassen wir das die Texte miteinander besprechen, falls da noch was unklar ist.

      Also, ja: Manche Menschen sprechen mit Texten. Prinz Charles spricht mit Bäumen. Dem glaube ich das auch.

      Auch, ja: "Die Ethik des Texte ist seine Ästhetik." - Das ist goldig, wie "der Text" hier sogar eine Ethik hat. Ich freu mich schon drauf, wenn die Texte ihre Grundrechte miteinander aushandeln.

      Uch, und: Ja, ich spiele "textuell-ethisch", gerne. Ich spiele eh gerne, auch Scrabbel. Die Monstranz habe ich immer direkt daneben stehen, damit ich sie gleich wieder mitnehmen kann.

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    2. Eine etwas schwache Entgegnung, die ich als Kapitulation werte.

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    3. Genau.

      Ich lasse jetzt allen Texten Gerechtigkeit widerfahren. Sogar denen, in denen Derrida, Hegel, Adorno oder sonst so einer erwähnt wird. Das ist gerecht und großzügig. Das ist die Gerechtigkeit, an die ich glaube: Man soll nicht kriegen, was man verdient, sondern was man braucht.

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    4. Wie schade. Jetzt wo ich endlich Zeit habe, ist die Diskussion beendet. Dabei hätte ich so gerne behauptet, daß alle Literatur zwar nicht politisch, dafür aber göttlich ist. ;-)

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  8. melusine, ich musste einen weiteren kommentar von mir löschen.
    bekomme irgendwie null präzision hin zur zeit.
    sorry.

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  9. Wer über die Kriterien verfügt, die Spreu vom Weizen, d.h. die gute von der schlechten Literatur zu trennen, indem und eben weil er vollständig von sich absieht, kann hier Urteile fällen (Falls er es über sich bringen kann, sich auf so kindische Spiele einzulassen, wovon aber nicht auszugehen ist. Ich gebe mich da keinen Illusionen hin.):

    Gute und schlechte Literatur: Hier

    (Bei Gelegenheit werde ich über die Bescheidenheit des weißen Mannes, dem es gelingt, so vollkommen von sich abzusehen, dass allgemein gültige Sätze möglich werden, die in keiner Weise mehr an seinen beschränkten Horizont gebunden sind, schreiben. Darin ist er allen anderen seit Jahrhunderten überlegen, in diesem Vermögen, den blinden Fleck auszublenden, durch eine allumfassende Draufsicht von ganz OBEN.)

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  10. Es geht nicht um eine Perspektive, die über allen Dingen schwebt. Und es gibt auch keinen Text an sich, der rein aus sich heraus verstanden wird, sondern Texte sind in Strukturen, in Gesellschaft eingebettet und sie werden von (präformierten) Subjekten sowohl geschrieben als auch gelesen. Das alles ist in einer Lektüre mitzulesen. Die Frage bleibt, in welcher Gewichtung das alles gesehen wird. Um die Subjekte, die lesen, in den Blick zu nehmen, muß ich die Ebene des Textes verlassen. Rezeptionsforschung ist etwas anders als ästhetische Kritik. Sie stehen sich zugleich aber auch nicht völlig unvermittelt gegenüber.

    Die reine Immanenz einer rein hermeneutischen Lektüre ist eine Illusion und Ideologie zugleich, denn das Kunstwerk ist beides: autonom und fait social in einem, und dies hat eben auch Einfluß auf die ästhetische Kritik. Die Wahrheit des Kunstwerkes ist an (s)einen Zeitkern gebunden. Und insofern hängt Literatur zugleich am Komplex der Macht und eben auch an Strukturen, die wesentlich patriarchal geprägt sind. Andererseits existiert eine Binnenstruktur des Werkes, welche freilich nichtals Heiliger Geist über den Dingen schwebt. Sondern vielmehr vermittelt sich in dieser Binnenstruktur Gesellschaftliches mit innerästhetischen Fragen und Aspekten: der Frage nach der Form z.B. Dieses Gesellschaftliche im Text ereignet sich durch den Text und durch das komponierende Subjekt hindurch innerhalb der Bearbeitung des Materials: so z. B. in der Konstruktion durch die Komponistin, den Komponisten. Dieses Material samt seiner Formung ist gesellschaftlich vermittelt. Bei einer ästhetischen Kritik sichte ich diese Komplexion und die Konstruktion des Kunstwerkes. Was mir der Künstler nun sagen wollte oder nicht sagen will ist nebensächlich. Das mag für den Künstler kränkend sein, doch irgendwann ist jede Künstlerin, jeder Künstler einmal tot und dann tun diese Dinge weniger weh. Bei den meisten Texten ist das ja sowieso schon der Fall: Keiner mehr da, denn man fragen könnte und der als schreibendes Subjekt in Betracht käme. Ich habe einen Text, eine Epoche, in der er geschrieben wurde, zuweilen gibt es sogar eine Autorin, einen Autor, die einen Namen, ein oder mehrere Geschlechter haben.

    Ob Grass nun in Danzig lebte oder nicht, ist für den Leser nebenrangig, allenfalls für den Positivisten aus den literaturwissenschaftlichen Seminaren von Bedeutung. Ob Kleist oder Kafka beim Schreiben eher Verdauungs- oder Frauenprobleme hatten? Wir wissen es nicht. Nicht Kleist ist politisch (der ist vielmehr tot), sondern Kleists Text. Allenfalls da, wo wir direkte Zeugnisse von ihm haben, können wir ihn politisch behandeln. Und diese Zeugnisse sind?: Richtig geraten: Texte. Diese Texte stehen in der Geschichte, in einem bestimmten gesellschaftlichen Rahmen, wurden von einem Mann, von einer Frau, von einem Greis, von einer Jungfrau geschreibe. Und alles dies schlägt sich in gewisser Weise in dem Text nieder. Manches davon läßt sich (meist über Dokumente, also: andere Texte) eruieren, anderes nicht mehr. Bei Kleists Äußerungen handelt es sich um eine Vielzahl von Briefen. Daß es Bezüge zwischen seinen Briefen und seinen Theater- und Prosastücken gibt, würde kaum einer bestreiten. Nur erschöpft sich die Lektüre der „Penthesilea“ eben nicht in dem biographischen Moment. Alle diese Dinge bedeuten eben gerade nicht, den Text bloß hermeneutisch und in Immanenz zu nehmen. Sondern vielmehr eröffnet sich anhand dieses Kleisttextes ein Feld des Schreibens: zwischen Antike, Goethezeit, männlich-weiblichen Bestimmungen und einem Griechentum diesseits der (winckelmannschen) Klassik, den Napoleonischen Kriegen und vielem mehr.

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  11. Weiterhin: Eine bestimmte Form der bürgerlichen Kunst ist an eine bürgerliche Epoche gebunden.

    Auch schrieb ich nirgend, daß es verboten sei auf die Produktionsbedingungen von Literatur und auf die medialen Formen zu sehen. Nur sind diese Dinge derart komplex, daß sie sich nicht in einem Aufwasch werden erledigen lassen und schon gar nicht im Modus ein zu eins. Gerade wo sich diese Ebenen innerhalb eines Textes, der ja immer ein Text ist, der in einer Zeit steht, verschränken, da wird es interessant. Und alle diese Komponenten nimmt eine gute Lektüre in den Blick.

    Nein, es muß niemand Ulysses gelesen haben und wer sich bei der Lektüre langweilt, der soll das halt, solange dabei nicht generalisierende Aussagen im Sinne literarischer Kritik über den Ulysses gemacht werden. „Das gefällt mir nicht!“ ist erlaubt und geht in Ordnung, aber es bedeutet das kein Argument gegen ein Buch. Sonst sind wir nämlich auf der Ebene von Genovas Sicht auf Kleist. Siehe dazu auch den Aphorismus Lichtenbergs vom Kopf und dem Buch, die zusammenstoßen …

    Ebenso kann man sich bei seiner eignen Lektüre nach der Weise des eigenen Lesens befragen und darüber schreiben. Und wenn man es gut, gewitzt, tricky oder sexy macht, entsteht daraus sogar ein guter Text, für den die Bezeichnung Essay eine treffende ist. Aber selbst dieser Text über eine persönliche Art des Lesens ragt am Ende über die Verfasserin oder Verfasser hinaus. Oder stehst Du neben jedem Leser und erzählst und erläuterst Du jedem Deinen Text?

    Solche Sätze aus dem Hause patriarchaler Herrschaftsformen schreibt der mächtige weiße privilegierte Mann der mächtigen weißen, heterosexuellen bürgerlichen Frau mit ihrem privilegierten Blick, die das Glück hat, Bücher lesen zu dürfen, und die nicht bei Lidl an der Kasse sitzen muß. (Soviel zu den Positionen, die immer mitzudenken sind.)

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    1. Und wie steht´s jetzt mit der guten und schlechten Literatur, die die literarische Kritik (anders als das Geschmacksurteil) zweifelsfrei erkennt? Die Kritik bei der Arbeit zu sehen bzw. ihre Verfahren und Ergebnisse am Beispiel (siehe oben - und nicht irgendein anderes aus der Schublade, bitte, darauf lege ich keinen Wert!) kennenzulernen, würde mich ja mehr interessieren.

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  12. Du kannst gerne irgend welche Stöckchen hinhalten wie im Zirkus. Wer darüber springen will, der soll es machen. Nein: auf Schubladen lege auch ich keinen Wert, und deshalb übe ich hier ja massiv meine Kritik an eben diesem Denken:

    Es lassen sich literarische Texte, die ein komplexes Gebilde darstellen, nicht aus dem Zusammenhang gerissen lesen, wenn man lediglich die ersten zwei oder drei Sätze wahrnimmt. Eine gehaltvolle Kritik läßt sich nur schreiben, wenn es ein ganzes Buch dazu gibt. Von einer Sinfonie höre ich mir auch nicht den ersten Satz an und gebe darüber ein ästhetisches Urteil ab. Was Du da an Lektüre betreibst, hat einen gewissen Unterhaltungswert, man könnte auch von der Harpe-Kerkelingisierung der Literatur sprechen: Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten.

    Eine Zeile wie „Ein Stück Draht, krumm“ bspw. als Anfang eines Gedichtes gibt keinerlei Auskunft über das Gedicht, aus dem diese Zeile stammt, und sagt nichts über dessen Qualität aus. Allenfalls, daß es zu einer Zeit spielen muß, als es bereits Draht gab. Also ab dem 19. Jhd.

    Wir können aber gerne jeder für sich über ein Buch je einen Essay schreiben. Such Dir eines aus, es sollte aber nicht mehr als 400 bis 500 Seiten umfassen, weil ich im Moment an anderen Projekten sitze und nur begrenzt Zeit habe. (Oder besser noch: jeder sucht sich eines aus, und dann schreiben wir zu zwei Büchern etwas.) Dann macht jeder von uns einen Text dazu. Am besten ist es ein Buch, das weder ich noch Du vorher gelesen haben. Damit nicht die oder der eine vorher die Kritik der oder des anderen liest, stellen wir sie zur selben Zeit in unsere Blogs.

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    1. Nein,dass geht ebenso wenig, wie mein Stöckchen für dich. Denn ich werde n i e eine Kritik schreiben. Das interessiert mich nicht. Ich schreibe Empfehlungen, also pure Geschmacksurteile und ich verstehe sie auch rein als solche. Die nächste Empfehlung, die ich schreiben will, ist zu Jana Volkmanns: Schwimmhäute.

      Was "gute oder schlechte Literatur" ist, dafür fehlen mir die Maßstäbe. Ich weiß, was mir gefällt, und habe dafür Gründe. Sie sind aber nicht allgemeingültig, sondern eben meine - beruhend auf meiner privilegierten Situation als weiße Frau mit Promotion in Geisteswissenschaften, sicherer, gut bezahlter Arbeitsstelle, heterosexueller Partnerschaft und Familie ;-). Trotzdem (oder deswegen?) interessiere ich mich z.B. sehr für afrikanische und lesbische Literatur, dagegen habe ich mit persischer Literatur (soweit ich da bisher Leseausflüge unternommen habe) Probleme.

      Schade ist es aber doch, dass du nicht magst. Ich hätte gedacht, dass man wenigstens die schlechte Literatur gleich erkennen kann ;-). Das wäre mir in dem einem Fall eine echte Genugtuung gewesen, weil ich das Buch soooo ermüdend gefunden habe (und nicht nur dieses, sondern ALlES, was ich von diesem Autor gelesen habe. Da ich selbst aber keine Verrisse schreibe, hätte ich dafür gern das Blog geöffnet. Ah, wie hinterhältig...)

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  13. Dann schreiben (und lesen) wir in der Tat anders. Denn mir ist es im Grunde schnurzegal, ob jemand sich das liest oder anschaut, worüber ich schreibe. Ich sehe in meinem Text, in meinem Schreiben von bloßen Empfindungen und Empfehlungen ab. Empfinden kann ich, wenn ich eine Frau berühre, Wein trinke oder Drogen probiere.

    Was ich empfinde, geht niemanden etwas an, und ich gebe das auch nicht preis. Oder wenn doch, dann in einer Form, die nicht mehr zuzuordnen ist oder indem ich lüge oder erfinde.

    Was nicht bedeutet, daß in meinen Text keine Subjektivität einfließt. Und wie ich es schon schrieb: gerade in der äußersten subjektiven Regung scheint zugleich das objektive Moment auf.

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  14. Es muß im zweiten Satz natürlich heißen: "ob jemand das liest oder sich anschaut, ..." Schade, daß man in den meisten Blogs nicht nachträglich korrigieren kann.

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  15. Von Empfindungen war nicht die Rede. Ich schreibe auch nicht: "Als ich das las, hatte ich eine Hitzewallung...." Aber ich gehe von mir aus und ich brauche das nicht zu verstecken, um "objektive Momente" hervorzubringen, nach denen ich nicht strebe, weder lesend noch schreibend. Aus deiner Perspektive gibt es eine Kritik, die von Schreibenden und Lesenden absehen kann - oder zumindest Formen finden kann, die deren Standpunkt "verstellen" und - daher? - diese "objektiven Momente" aufscheinen lässt. Auf solche Momente richtet sich mein Begehren nicht.
    Es ist, aus meiner Sicht eher das "Gespräch" (wie z.B. auch Stephen Greenblatt seine Arbeit mit Texten nennt), das eine Überschreitung der Selbstbezüglichkeit ermöglicht. Dagegen ist alle Theorie, die keinen Dialog in Gang setzen, sondern Wahrheit produzieren will, letztlich - für mich - immer vor allem Selbstbeschreibung des Autors/der Autorin und deren Weltsicht.
    -- Es gibt sehr unterschiedliche Bezugspunkte, denke ich, von denen her eine/r liest. Dass und warum man sich die ausgesucht hat, ist ein interessanter Aspekt. Ich habe von Susan Sontag, Stephen Greenblatt, mit kritischer Distanz von Gadamer und Gottfried Böhm, vor allem aber von Svetlana Alpers und Ronald Paulson sowie von Christina von Braun mehr lernen können als von Adorno, Foucault oder Derrida, zum Beispiel, um auch mal ein bisschen namedropping zu betreiben.)

    Ich denke, dass diese Diskussion letztlich nicht weiterführt, wenn es darum gehen soll, den anderen von "Wahrheiten" zu überzeugen. Mir geht es darum nicht. Ich habe eine Lesart und ich weiß, dass es andere gibt, viele, die ich spannend finde. Keine ist für mich der anderen überlegen. Die "Kritik", die dir vorschwebt, kann lesenswert sein, aber sie hat anderen Lesarten aus meiner Sicht nichts voraus. Deshalb ist dein Vorschlag, ohne dass wir ihn unmittelbar umsetzen müssen, sicher der einzige der wirklich weiterführt: Konkrete Lektüre und deren Darstellung. Dabei kann man voneinander lernen. Dagegen ist der Streit um abstrakte Kategorien für jemanden wie mich müßig.

    Literatur ist für mich ein Gespräch in einem besonderen Medium, das war auch Thema des Post. Diese Lesart hat nämlich Folgen: dass alle Literatur politisch ist, nicht in dem Sinne, dass sie "politische" Themen behandelt oder Statements vertritt, sondern dass sie Handlung in Gesellschaft ist. Außerdem ging es um eine Polemik gegen einen bestimmten Typus sich selbst "postmodern" nennender Autor:innen, die ihre Autorschaft verleugnen, aber dennoch (oder gerade deshalb?) sich selbst als Autor:in zur kulturpessimistischen Held:in im Untergangskampf stilisieren. Diesen Typus gibt es und er dominiert bestimmte Diskurse. Ich finde ihn abstoßend, gerade weil er sich selbst als literarische Figur inszeniert, aber auf keinen Fall mit einer virtuellen Kreditkarte in SIM City zufrieden wäre oder auch nur mit Leser:innen, die ihn oder sie tatsächlich als eine literarische Figur behandelten und nicht als höchst bedeutende:n Produzent:in von Hochkultur. Für mich ist gegenwärtig Literatur spannend, in der Autor:innen die Autorität des Autors aufgeben, aber nicht, indem sie sich unkenntlich machen, sondern indem sie sich radikal durchlässig machen. Wie das konkret geschieht/geschehen kann, ist sehr unterschiedlich. Momentan berührt mich am meisten das Schreiben Alice Munros.

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  16. Nachtrag: Ein interessantes Phänomen entwickelt sich parallel "hinter den Kulissen" - nämlich, dass jemand - ein Autor - , an den ich beim Schreiben dieses Posts gar nicht gedacht hatte (vor allem, weil ich kein Werk von dem gelesen habe), die Beschreibung von "postmodernen Autor:innen", wie sie hier stattfindet, unmittelbar auf sich bezieht. Witzig ist das vor allem deshalb, weil besagter Autor keineswegs "Diskurse dominiert". Dass er sich hier wieder erkennt, wenn auch falsch verstanden fühlt - naja, dass betrachte ich in gewisser Weise als Lob.

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  17. Jeder lernt etwas von anderen, sofern sie offen sind: von anderen Philosophinnen und Philosophen, von Autorinnen und Autoren. Und jede(r) stammt aus einem bestimmten Umfeld, kommt von einem theoretischen Referenzrahmen hier – sogar die, welche meinen, selbst zu denken. Und neue Autorinnen und Autoren kennenzulernen und diese kritisch zu lesen, bedeutet (zuweilen) ein Vergnügen.

    Man kann diesen Umgang mit Texten Gespräch nennen. Mir mißfällt der Begriff, weil mir darin zu sehr jenes hermeneutisch-gadamersche Moment sowie ein Aspekt des Kommunikativen aufscheint, der nicht recht passen will angesichts des Heterogenen und des Nicht-Sinnes; angesichts dessen, was sich der Kommunikation entzieht.

    Objektive Momente sind diese Momente im Denken allein deshalb, weil Deine Reflexionen, wie auch immer sie geartet sein mögen, durch einen Gegenstand, mithin ein Objekt, vermittelt sind.

    Wenn es Dir nicht um Wahrheiten geht, dann hast Du sicherlich nichts dagegen, wenn ich Dich widerlege und Dir widerspreche. Dann verstehe ich aber nicht, weshalb Du mir so vehement widersprichst, wenn Du für Deinen Text keine Form von Wahrheit annimmst, keinen Wahrheitswert ansetzt.

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    1. Weil mich das Gespräch interessiert (und sonst nichts) - und dieser Gestus der "Wahrheitssetzung" mir natürlich sehr, sehr vertraut ist und mich stört. Das weckt den Widerspruchsgeist, nicht weil ich eine Wahrheit verkünden will, sondern weil ich schlicht jedem bestreite, dass er über eine verfügt (nicht weil er "noch" nicht so weit ist, sondern weil es sie einfach gar nicht gibt. Es gibt nur Standpunkte und Blickweisen.)

      Über diesen Graben können wir daher nicht springen und werden uns endlos im Kreis drehen: Ich kenne keine "objektiven Momente" und ich vermisse sie nicht. Mir gefällt der Begriff "Gespräch" gerade aus den Gründen, aus denen du ihn ablehnst. Ich schätze Gadamer auch durchaus immer noch mehr als z.B. Adorno und habe von ihm und seinem Schüler Gottfried Böhm, bei dem ich studiert habe, sehr, sehr viel gelernt.

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    2. Die Blickweise, dass 2x2 = 3,9 sei, konnte sich in der Mathematik nicht durchsetzen.

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    3. Deshalb ist die Mathematik für die empirischen Wissenschaften auch nur eine Hilfswissenschaft.

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    4. Genau. Deshalb kann in den empirischen Wissenschaften auch 2x2 durchaus 3,9 sein, da der Wert "4" nur ein unverbindliches Hilfsangebot darstellt.

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  18. Du weißt aber schon, wie leicht die Argumente des Relativismus zu widerlegen sind?

    Wenn Du eine Wahrheit bestreitest, so wirst Du sie widerlegen müssen. Und damit ist dann Deine Argumentation auf der Stufe des gegenwärtigen Bewußtseins eine Wahrheit, solange bis sie widerlegt ist.

    Interessant in diesem Rahmen wäre allerdings diese Form des Perspektivismus, wie man ihn bei Nietzsche findet. Dieser Position ist einiges abzugewinnen. Am Ende ist dieser Disput zwischen Wahrheit und Perspektive auch einer zwischen Dialektik und jenem Moment, an dem die Dialektik aussetzt.

    Ach, ich vergaß: Theorie. Die langweilt Dich ja.

    Wenn Du keine objektiven Momente kennst, dann wirst Du übrigens in Fragen der Ethik und der Gesellschaftstheorie einige Schwierigkeiten bekommen. Den Satz: "Du sollst nicht töten" wirst Du in einer säkularen Weise der Begründung nicht subjektiv und relativ setzen können, sondern er besitzt Objektivität und einen allgemeinverbindlichen Anspruch auf Wahrheit. (Oder mit Habermas: er siedelt in der Sphäre normativer Richtigkeit.)

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  19. "Wenn Du eine Wahrheit bestreitest, so wirst Du sie widerlegen müssen." - Der Satz ist - aus meiner Perspektive - natürlich widersinnig. Denn ich kann ja gar keine "Wahrheit" bestreiten oder widerlegen. Es gibt sie einfach nicht. Es gibt deinen Standpunkt. Den teile ich nicht. "Die Stufe des gegenwärtigen Bewusstseins" - das ist auch so eine Formulierung, die mich zu Lachen bringt. Diese ganze Idee mit dem "Widerlegen", also die ganze "Dialektik", die bleibt mir fremd und hilft mir nicht beim Verstehen. Ich sagte es ja schon: die Hermeneutik ist für mich gewinnbringender. (Wenn man überhaupt solche Theorien oder Namen für Theorien braucht.).
    Aber - wie gesagt - ich glaube nicht an die "Wahrheit" der Hermeneutik. Ich benutze sie, wenn sie mir passt. Wie alle Theorien.

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    1. Als die Theorie, man könne Schinken aus Luft herstellen, widerlegt war, hatte man ein wahrhaftiges Mittel gegen den Hunger gefunden. Diejenigen aber, welche weiterhin den Standpunkt der ätherischen Würste vertraten, nahmen ab. Am Ende waren sie so dünn wie der Punkt, auf dem sie standen, und fielen tot um.

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    2. Wie wunderbar, dass daheim, wo ich herkomme, die Wurst ganz ohne Theorie gekocht, abgefüllt und geräuchert wurde. Ungeduldig wie ich bin (und hungrig) hätte ich nicht warten mögen, bis die Theoretiker einander widerlegt hätten oder nicht. (Aber sicher haben wir uns auch manchmal den Magen verdorben, weil uns die rechte Wurst-Theorie fehlte. Mehr als die hätte mir jedoch die Vielfalt der Würste gefehlt, wenn man sich hätte einigen müssen auf unwiderlegbare Wurst-Theorien.).

      Der Schinken ist - im Vergleich zur Wurst - ja fast eine unideologische Angelegenheit.
      Aber wer weiß, kommt ein Theoretiker daher, wird der Schinken plötzlich aus Luft gemacht. Das ist zu befürchten.
      (Vorsicht: Jetzt wird´s empirisch!)

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  20. "Wer seine Verantwortung für das Geschriebene an 'den Text' abtritt, verhält sich schlicht feige", sagte der Kerkermeister, und drehte den Schlüssel zu der Zelle um, in welcher der Marquis deSade saß.

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  21. Ja, ich habe so eine sadistische Ader. Stimmt genau. Und ich praktiziere sie am liebsten an Theoretikern. --- Um so unbegreiflicher, werter Nörgler, wieso Sie sich mit soviel ignoranter, undialektischer und - glauben Sie mir! - völlig unbelehrbarer Dummheit und philosophischer Ungelehrtheit wie der meinen überhaupt abgeben. Das ist widersinnig. Ich gehöre genau zu jenen Deppen, die Sie mit Mißachtung strafen sollten.

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  22. Was Autorität sein könnte, jenseits "autoritärer Verhältnisse", in denen von "festen Standpunkten" aus die Welt vermessen und beurteilt wird, der blinde Fleck, von dem her geschaut wird, aber unter keinen Umständen ins Blickfeld geraten darf, wird in diesen beiden Posts versucht zu umreißen:
    Gehorsam und Liebe
    Die Quelle der Autorität (Diana Sartori über Hannah Arendt)

    Ich schreibe das hierunter, weil ich an den Zugriffen sehe, dass dieser Post noch immer recht häufig aufgerufen wird. Über die Texte der Veroneser Philosophinnen-Gruppe Diotima werde ich demnächst noch ausführlicher schreiben.

    Dieser Disput wurde - das fiel mir auf, als ich jetzt von einem anderen Ausgangspunkt herkommend über
    Perspektive
    nachdachte - schon eingeführt:

    Der blinde Fleck des Diskursanalytikers

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