Auszug aus dem letzten Kapitel von PUNK PYGMALION
Was hatten sie sich dabei gedacht?
Sie konnte es nicht mehr sagen. Sie hatte sich durch diese Briefe gemeint
gefühlt, wie sonst durch keine und keinen zuvor. Vielleicht hatte sie auch
gehofft, dass die Andere sich wehren würde, dass es zum Ausbruch käme gegen die
übergriffige Verwendung ihres Namens. Doch das war ausgeblieben. Die wartete,
dessen war sie sicher, genauso ungeduldig wie sie auf die Briefe aus Dänemark.
Doch gab sie es nie zu. Sie sprachen nicht darüber, jedenfalls konnte sie sich
jetzt, mehr als ein Vierteljahrhundert später, nicht mehr daran erinnern. Nie
hatte die gefragt, was sie dem geschrieben habe, nie hatte sie wirklich
erzählt, was sie in Berlin erlebt hatte mit dem und warum sie sich dafür
schämte. Das kam erst heraus, nachdem sie die im Herbst 2010 dazu verleitet
hatte, die alten Briefe zu veröffentlichen. Die hatte das offenbar witzig
gefunden, den schrillen Punk von damals auszustellen, an den sie sich angeblich
kaum mehr erinnern konnte. Das war aber eine leicht durchschaubare Lüge
gewesen, denn wenige Wochen zuvor hatte die in ihrem Blog „Der dänische
Steinmetz“ eingestellt. Und noch einige Wochen davor hatte sie im
Schaufenster einer Galerie in Mitte zufällig die Skulptur des „rough guys“
gesehen und dann dessen Sohn kennengelernt. Es war in diesem Spätsommer 2010 gewesen, als habe sich alles verschworen, damit sie sich erinnern musste an den
Sommer 1984, an das bleiche Gesicht mit den aufgerissenen Augen und der Blutspur
am Mund, das sie hatte vergessen wollen und auch vergessen hatte, an die große Liebe und den ungeheuren Hass,
daran dass sie einmal einen anderen hatte fühlen können, sich ausliefern und
annehmen, und daran, dass alles Lüge gewesen war und Verrat, damals schon.
You look like a photograph of yourself
taken from far far away, and I don´t know what to do
and I don´t know what to say, but
Fuck you and your untouchable face.
Fuck you for existing in the first place.
(Typoskript, S. 191)
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