Freitag, 15. Juni 2012

KASPERLTHEATER (Auszug aus "EMMI")


 Auszug aus dem letzten Kapitel zu PUNK PYGMALION

III. EMMI

(Ich werde dieses Kapitel, das ca. 40 Seiten lang ist, nicht ganz im Blog einstellen, sondern nur Auszüge daraus, an denen ich gerade arbeite.)


...
Sie erinnerte sich, wie der Vater mit einer Kasperlfigur und einem Krokodil zu ihrem Geburtstag ein Stück aufführte, wie die sich schlugen mit aufgerollten Zeitungen, wie die anderen Mädchen schrieen und lachten, während sie still dabei saß und wartete, dass es vorüber ging. Dem Vater standen, als das letzte Kind abgeholt worden war, Tränen in den Augen. „Und du lachst nicht?“ Sie hatte nicht gewusst, worüber sie hätte lachen sollen, es war doch traurig gewesen, wie lächerlich er sich machte, fand sie. Ihre Sturheit war nicht als Protest gemeint gewesen gegen ihn, den sie gern hatte, denn er war weich und zärtlich zu ihr, jedenfalls da noch. Es gab eine Kluft zwischen ihr und den anderen, die lachten und brüllten und sich aufeinander warfen, die nichts überwinden konnte, die sie nur zu tarnen lernte. Sie wollte gern den Kopf an Vaters Brust legen, sich in seine Armbeuge schmiegen und ruhen. Da wäre es doch gut gewesen, so, für sie beide, aber er wollte noch etwas anderes von ihr, seinem Kind, das sie nicht geben konnte, dessen Fehlen sie aber früh schon als Vorwurf fühlte, der ihre ganze Existenz in Frage stellte.

„Wenn ich gewusst hätte, wie es ist mit ihr...“ Sie hätte nicht sagen können, wann sie das gehört hatte, doch es war noch vor dem Umzug nach **** gewesen. Da hatten sie in der Küche gestanden, die Mutter und der Vater, mit Weingläsern in der Hand und der Vater hatte der Mutter unter den Rock gegriffen und die hatte gegiggelt und gesagt: „Nicht vor dem Kind...“, denn sie hatte sie gesehen, wie sie in der Tür gestanden war, in ihrem Schlafanzug. Der Vater hatte sich herumgedreht und sie angeschaut. Dann hatte er sich wieder zur Mutter gewandt und gesagt: „Nee, nicht noch so eines...“. Die Mutter hatte betrunken geschwankt und die Zunge des Vaters war über ihren Hals und zwischen ihre Brüste  geglitten und er hatte was mit seinen Händen zwischen ihren Beinen gemacht, dass sie aufschrie. „Geh in dein Zimmer.“, hatte er zu ihr gesagt, ohne sich noch einmal herumzudrehen und sie war gegangen. Danach war er immer freundlich zu ihr geblieben und kalt.

Als sie nach **** zogen, war es zwischen den Eltern schon anders, noch immer fielen sie gelegentlich übereinander her, bis sie sich zurückzog in ihr Zimmer, doch die Mutter hatte begonnen oft in den Süden zu reisen und der Vater hatte sich, wie er es nannte, beim „Klassenfeind“ verdingt, wofür ihn die Mutter verachtete, aber „das Geld nimmst du gern“, schrie der Vater die dann an, bis sie ihre Koffer packte und in den C4 warf neben die Staffelei, um in das Haus in St. Ambroise zu fahren, das, wie der Vater nicht aufhörte, ihr beim Abendessen ohne die Mutter zu erklären, bezahlt war von dem Geld, für das er sich erniedrigte, das aber die Mutter ausgab, um sich „künstlerisch zu befreien“, „die verlogene Scheiß-Emanze“, wie er schrie, wenn er getrunken hatte. Aber meistens hörte er ruhig und traurig seine Musik, wenn die weg war oder quatschte sie voll mit Selbsterklärungen und Selbstmitleid. Sie hörte ihm, auf seinem Schoß sitzend zu, mit weit aufgerissenen blauen Augen und sagte: „Ja. Du. Armer. Du. Ja. Hab dich lieb. Ja. Du Armer.“, bis er sie ins Bett schickte, um sich richtig zu besaufen.
...
(Typoskript, S. 179/180)

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