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Sie erinnerte sich, wie der Vater mit einer Kasperlfigur und einem Krokodil zu ihrem Geburtstag ein Stück aufführte,
wie die sich schlugen mit aufgerollten Zeitungen, wie die anderen Mädchen
schrieen und lachten, während sie still dabei saß und wartete, dass es vorüber
ging. Dem Vater standen, als das letzte Kind abgeholt worden war, Tränen in den
Augen. „Und du lachst nicht?“ Sie hatte nicht gewusst, worüber sie hätte lachen
sollen, es war doch traurig gewesen, wie lächerlich er sich machte, fand sie.
Ihre Sturheit war nicht als Protest gemeint gewesen gegen ihn, den sie gern hatte,
denn er war weich und zärtlich zu ihr, jedenfalls da noch. Es gab eine Kluft
zwischen ihr und den anderen, die lachten und brüllten und sich aufeinander
warfen, die nichts überwinden konnte, die sie nur zu tarnen
lernte. Sie wollte gern den Kopf an Vaters Brust legen, sich in seine Armbeuge
schmiegen und ruhen. Da wäre es doch gut gewesen, so, für sie beide, aber er
wollte noch etwas anderes von ihr, seinem Kind, das sie nicht geben konnte,
dessen Fehlen sie aber früh schon als Vorwurf fühlte, der ihre ganze Existenz
in Frage stellte.
„Wenn ich gewusst hätte, wie es ist
mit ihr...“ Sie hätte nicht sagen können, wann sie das gehört hatte, doch es
war noch vor dem Umzug nach **** gewesen. Da hatten sie in der Küche gestanden,
die Mutter und der Vater, mit Weingläsern in der Hand und der Vater hatte der
Mutter unter den Rock gegriffen und die hatte gegiggelt und gesagt: „Nicht vor
dem Kind...“, denn sie hatte sie gesehen, wie sie in der Tür gestanden war, in
ihrem Schlafanzug. Der Vater hatte sich herumgedreht und sie angeschaut. Dann
hatte er sich wieder zur Mutter gewandt und gesagt: „Nee, nicht noch so
eines...“. Die Mutter hatte betrunken geschwankt und die Zunge des Vaters war über
ihren Hals und zwischen ihre Brüste geglitten und er hatte was mit seinen Händen zwischen ihren
Beinen gemacht, dass sie aufschrie. „Geh in dein Zimmer.“, hatte er zu ihr
gesagt, ohne sich noch einmal herumzudrehen und sie war gegangen. Danach war er
immer freundlich zu ihr geblieben und kalt.
Als sie nach **** zogen, war es
zwischen den Eltern schon anders, noch immer fielen sie gelegentlich
übereinander her, bis sie sich zurückzog in ihr Zimmer, doch die Mutter hatte
begonnen oft in den Süden zu reisen und der Vater hatte sich, wie er es nannte,
beim „Klassenfeind“ verdingt, wofür ihn die Mutter verachtete, aber „das Geld
nimmst du gern“, schrie der Vater die dann an, bis sie ihre Koffer packte und
in den C4 warf neben die Staffelei, um in das Haus in St. Ambroise zu fahren,
das, wie der Vater nicht aufhörte, ihr beim Abendessen ohne die Mutter zu
erklären, bezahlt war von dem Geld, für das er sich erniedrigte, das aber die
Mutter ausgab, um sich „künstlerisch zu befreien“, „die verlogene Scheiß-Emanze“,
wie er schrie, wenn er getrunken hatte. Aber meistens hörte er ruhig und
traurig seine Musik, wenn die weg war oder quatschte sie voll mit
Selbsterklärungen und Selbstmitleid. Sie hörte ihm, auf seinem Schoß sitzend
zu, mit weit aufgerissenen blauen Augen und sagte: „Ja. Du. Armer. Du. Ja. Hab dich lieb. Ja. Du
Armer.“, bis er sie ins Bett schickte, um sich richtig zu besaufen.
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(Typoskript, S. 179/180)
(Typoskript, S. 179/180)
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