Mittwoch, 27. Juni 2012

KEIN KLIMASCHUTZ (über Jana Volkmanns Erzählband: SCHWIMMHÄUTE)


Sie ist jung (1983 geboren) und rothaarig.* Sie schreibt Erzählungen. Sie gehört zum Berliner Autor:inn:en-Duo schamlos harmlos. Ihre Stimme habe ich noch nicht gehört, weil ich den Erzählband auf meinen Kindle heruntergeladen habe, statt die Druckausgabe mit CD (beides vom Verlag  periplanetazu kaufen. Vielleicht lohnt sich das. Mir haben diese erotischen, verwegenen und traurigen Geschichten auch so gefallen. Es war der Titel dieses Debütbandes von Jana Volkmann "SCHWIMMHÄUTE", der (wie von einer melusinesken Wasserfrau auch nicht anders zu erwarten) mich verführte.


Man kann die Metapher „Schwimmhäute“ so und so verstehen: Als  Metamorphose zu einer urtümlichen Bewegungsform, die schwerelos leicht in die Tiefe führt oder als Teil einer Entmenschlichung, die mit dem Verlust des Bewusstseins verbunden ist. Wer "schwimmt", kann sich wie „ein Fisch im Wasser“ bewegen oder einfach nicht wissen, wo es  lang geht. Beide Deutungen schließen sich nicht aus, sondern werten denselben Vorgang anders. Sich treiben zu lassen, kann befreiend sein oder beängstigend, je nachdem ob man die Aufgabe der Kontrolle als Lust erfährt oder als Angst. Oder als beides. Wie eigentlich immer. Um diese Ambivalenzen zwischen Lust und Angst, Hingabe und Aufgabe, Gewalt und Gier bewegen sich diese Erzählungen Volkmanns, die radikal von einer weiblichen Psyche her gedacht sind, ob diese als „ich“ auftritt oder sich als „sie“ beobachtet. 

Sie und ich
Die erste Erzählung trägt den Titel „Cécile auf Reisen“, und erzählt von einer Frau, die „viel herumgekommen“ ist. Ihre Koffer begleiten sie auf das anonyme Hotelzimmer, das sie für diese Nacht bezieht. Was sie wirklich braucht aber, hat sie im Mantel: Geld und Scheckkarte. Ihr Ausweis ist in den Saum gerutscht. Sie hat ein altes Buch bei sich und ein wenig ererbten Schmuck. Doch sie hebt keine Erinnerungen mehr auf. Im Hotelzimmer raunen die Stimmen derer, die früher einmal hier waren. Es bleibt ihr nirgendwo Raum für eigene Erinnerungen. Sie legt sich schlafen, bevor sie entscheidet, wie sie den Identitätsnachweis morgen aus dem Saum lösen wird. In „Last Train Gone“ schreibt eine Ich-Erzählerin an an einen „lieben Martin“. „Ich“ erzählt Martin, wie sie ihn kennengelernt habe in einem Café. „Hilflos, traurig, bemüht“ habe er auf sie gewirkt und dennoch in ihr „hochfrequente Flügelschläge“ ausgelöst, obwohl sie ihn für einen „Idioten, einen Wichtigtuer“ gehalten habe. Sie erzählt ihm, was er selbst erlebt hat, aus der Perspektive, die ihm fremd ist und bleiben  muss. Sie habe „ihr Programm“ durchgezogen und sei mit ihm gegangen, schreibt sie. Der Sex sei nicht schlecht gewesen, wenn auch „nicht die Erfüllung, aber ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Vorliebe fürs Harte und Unbarmherzige nicht von jedem gleichermaßen geschätzt wird.“ Die Briefschreiberin verlässt Berlin und Martin: „ich werde denken, dass du mir eh nicht bös bist wegen allem, und selbst wenn, werde ich es nie erfahren.“ Dennoch bittet sie, ganz am Schluss, um „ein Andenken, etwas von dir“. Ob sie oder „ich“, diese Frauen hängen an toten Gegenstände, Erinnerungsstücken, Fetischen, während sie gegenüber Menschen taub werden oder bleiben, gerade, weil sie so genau hinschauen, so viel wahrnehmen und in sich eindringen lassen.

Heiß, kalt, (zu) trocken, feucht
Trotz des Titels spielen diese Geschichten nicht in erotischen Feuchtgebieten, an Wasserstellen, in Ozeanen. Nässe ist Schweiß, allenfalls, in der „schweren Hitze“, wie es in der Geschichte „Sommerkind“ heißt. Der Schweiß bedeckt ein Narbengewebe auf K.´s Bauch. K. findet ein Vogeljunges und hegt es. Zum Schluss aber verschließt sie die Schublade und hört noch „ein zaghaftes Kratzen und Fiepen, dann wurde es stumm und kalt.“ K. hat ein Kind geboren und sie ekelt sich vor sich selbst und ihrem vernarbten Leib. Als man in „Große Fische, kleine Fische“ doch mal zu einem See kommt in diesen „Schwimmhäute“-Erzählungen, ist es „wie in einer anderen Welt.“  Die „Ich-Erzählerin“ geht auf Geheiß des Anderen ins Wasser, wo sie die Algen umschlingen, als er sie untertaucht. „Dich und mich gibt es doch nicht, wenn ich unter Wasser bin und du nicht.“ Es ist immer zu heiß, zu kalt, zu trocken, zu feucht in diesen Geschichten, es herrscht ein unwirtliches Klima, überall. Um sich anzupassen in diesen Ökosystemen, für die sie nicht geschaffen sind, wachsen den Protagonistinnen Schwimmhäute, aber sie werden nicht schwimmen. Sie tauchen ab. Und: Sie werden nicht nass. Sie bleiben trocken - von innen.

Drinnen und Draußen
Draußen im Schnee werden einer die Beine taub und kalt, bis sie verschwinden, abgesägt, abgefressen, man weiß es nicht. Den verstümmelten Körper fährt ein Leichenwagen davon. Drinnen ist es auch nicht sicherer. In der gruseligsten und titelgebenden Geschichte des Bandes "Schwimmhäute" wird Nummer 156 von einem Unbekannten in einem feuchten Kellerloch gefangen gehalten, misshandelt, verwandelt in ein Tier, das aus einer "Ritze" kriecht. Am Ende, nachdem ihr Schwimmhäute gewachsen und wieder verschwunden sind, wird sie frei- oder ausgesetzt. Zum Schlafen, heißt es über sie, die "heute anders heißt", "geht sie manchmal in den Keller."  Überall bleiben sie gefangen, die Frauen, von denen hier erzählt wird und sind „allein mit ihrem Sturm“. Sie schneiden sich in die Haut und hüllen sich in warme Mäntel, aber weder können sie sich durchlässig machen noch dem Eindringen des Anderen widerstehen. Sie sind drinnen und draußen und nirgendwo richtig.

„Sie wird die Wohnung nicht verlassen und nichts machen können, dass es in ihr strahlt. Ein Irrlicht und ein Leuchtturm, das will sie ihm sein, ein lockendes Licht, ein Gleißen und vielleicht einmal ein ganzes Sonnensystem , in dem der eine so starr um den anderen kreist, dass es nur helle Tage und schwarze Nächte gibt und dazwischen nicht.“


Was bedeutet es also, "radikal von einer weiblichen Psyche her" zu schreiben? Bei Jana Volkmann heißt es, aus einem Selbst heraus, dessen Körperempfinden mit der Angst und dem Zwang verbunden ist, sich öffnen zu müssen, das Andere einlassen zu müssen, um Lust und sich zu fühlen. Die unerfüllte Sehnsucht aber richtet sich darauf, dass der richtige Abstand gehalten werden kann. 

(Fast am Ende des 26 Geschichten umfassenden Bandes erschrak ich bis in die Herzspitze, als ich in meinem Kindle „umblätterte“: "Die Nereidenfabrik“, las ich, und dachte, eine habe mir die „Fabrik der Engel“ aus dem Zyklus „Ich küsse mein Leben in dich. Die Martenehen“ gestohlen. Doch so ist mit der Urheberei: Wir bedienen uns alle aus denselben „Stoffen".)


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* Es spricht viel dafür, dass diese Daten in Jana Volkmanns Fall nicht die einer literarischen Figur sind, die sich als Autorin ausgibt, sondern tatsächlich zu einer Frau aus Fleisch und Blut gehören, die schreibt und liest. (Nur für diejenigen, denen das wichtig ist.)

2 Kommentare:

  1. Klingt spannend, werde ich mir auch runter laden. In zwei Wochen beginnt endlich mein Urlaub.
    By the way: Lass dich von den "Herrchen" (in den Kommentaren) nicht ärgern. Nimm dir ein Beispiel an Antje. ;-). So muss frau mit denen umgehen! Bis bald.

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  2. Den Band zu lesen lohnt sich wirklich. Du hast völlig recht. Es verläuft in allen Details wie nach dem Lehrbuch ;-) Darüber hatten wir ja schon bei der FB im kleinen Kreis gesprochen, als das anläßlich des Fauser-Textes anfing.

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