„Dem
Zweifel Raum geben“ – was eine Platitüde sein kann, wird durch die „MOUNTAINS
OF DISBELIEF“ von Thomas Hartmann in der Weißfrauen Diakoniekirche zur sinnlichen Erfahrung: Wie sich Zweifel, Unglaube, Suchbewegung Raum nehmen, aber auch der Möglichkeit
zu glauben und glücklich zu finden, Raum lassen. Der sakrale Kirchenraum wird
durch die Installation in einer Weise genutzt, die sein Potential erst entfaltet, wie er umgekehrt auf das säkulare Kunstwerk wirkt, es gleichsam in die Höhe
zieht, ohne dass hier dem Hang zur Erhabenheit nachgegeben würde. Was sich
oben unter dem Empore verdichtet, die von Thomas Hartmann sogenannten „Eskapisten-Kugeln“, wirkt zu leicht und zu fragil, um Ewigkeitssehnsüchte und absolute
Wahrheitsansprüche zu bedienen.
Doch ebenso wenig ist es schlicht kindlicher Ballon-Kitsch. Es eröffnet, wie so
viele andere Details dieser Installation, Zwischenräume, ein Mehr an Möglichkeiten
der Positionierung. Das setzte sich bei allen Betrachtern, die ich beobachten konnte, in Bewegung um: sich
in unterschiedliche Stellungen bringen, durchgehen, reingehen, raufgehen,
eintreten, zur Seite treten.
So
sprachen wir gestern, bei der Finissage zu „MOUNTAINS OF DISBELIEF“. Auch über
den Unterschied zwischen Beliebigkeit und Kontingenz, Weisen des Umgangs mit
ikonographischem Material und darüber, wie das spezifische Material Pappe
diesen Ansatz definiert, der vorläufige, keine endgültigen Antworten
produziert, Haltung und Halt verschafft, doch stets anfällig bleibt. Selbst
dies ist zur realen Erfahrung mit den „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ geworden, die
durch die Luftfeuchtigkeit der letzten Tage und Wochen am äußersten Ende zum
Einsturz gebracht wurden; auch das kubistisch-holistische Porträt des Dr. Burg aus der Asservaten-Kammer
des Städel fiel von der Wand der Raucherecke. Kurator Thomas Kober erzählte von
seinem Schrecken, als er die Kirche aufschloss und des Malheurs ansichtig
wurde. Sollte man den Verfall als Teil des Werks, dessen Hinfälligkeit
offensichtlich war und ist, dokumentieren? Thomas Hartmann entschied sich für eine
Zwischenlösung, denn der pure Abfall erschien ihm zu trist. Er baute neu und ähnlich,
doch im Detail anders auf. Als stabilisierender Faktor wurden die Sitzkartons
vom Kirchentag eingefügt. Das hat keine symbolische Bedeutung, denke ich. Wie überhaupt
diese künstlerische Arbeit nicht auf Symbolik, sondern auf die Allegorie setzt, auf Ähnlichkeit
statt Identität, auf Assoziationen statt Festschreibungen, auf Beziehung statt Autonomie.
Auch Iris
von Blütenblätter war gestern da, die vorher die Jeff Koons-Ausstellung im Liebig-Haus
besichtigt hatte und viele Zusammenhänge erkannte. Am Nachmittag hatte sich
noch Phyllis Kiehl (Tainted Talents) zu uns beiden ans Mainufer gesellt. Auch da sprachen wir über Kunst und Koons, über die
Jugend von heute und unsere eigene. Koons Arbeiten sind umstritten, gerade die
bürgerliche Presse, die im Wirtschaftsteil des jeweiligen Publikationsorgans
kein anderes als ein warenförmiges Verhältnis zu allem und jedem sich
vorzustellen vermag, beklagt heftig, wie das Kunstwerk in der Koonschen Fabrik zur bloßen
Ware werde. Mich interessiert das Thema: der „Künstler als Unternehmer“ (Svetlana Alpers), wie etwa – mit
unterschiedlichen Konzeptionen – Rubens und Rembrandt es waren, aber auch noch
William Hogarth - gegen jene Fiktion des „autonomen Künstlers“ der Moderne, die
seither und offenbar (trotz Warhol et.al.) bis heute prägend ist. Mein
eigenes Verhältnis dazu ist ambivalent. Ich werde die Koons-Ausstellung auf
jeden Fall noch anschauen.
Es
war ein schöner Tag, mit vielen erhellenden Gesprächen, die meine eigene Sicht
erweiterten und veränderten. Ich habe oben über die „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ in
der Gegenwart geschrieben und noch gilt das auch. Heute und morgen sind sie
noch zu sehen in der Weißfrauen Diakoniekirche von 12.00 – 16.00 Uhr. Dann
werden sie Vergangenheit sein. Fotos können die sinnliche Erfahrung nicht
ersetzen, die sich vor und in dem Werk einstellte. Auch das ist ein Teil dieser künstlerischen
Arbeit: dass sie kein dauerhaftes Werk produziert, sondern sich immer wieder
neu aus den Teilen und der Beziehung zum jeweiligen Ausstellungsraum ergeben
wird. (Nichtsdestotrotz sind Einzelteile der Installation auch käuflich zu
erwerben. „So kommerziell bin ich dann schon“, sagte Thomas Hartmann gestern Abend. Die
Glocke, die von der Empore herabhängt, ist bereits verkauft. Vielleicht hat jemand auch
den richtigen Ort für die Laokoon-Gruppe, das Porträt Dr. Bergs oder die
schwarze Schildkröte...) Ich bin gespannt, wo und wie Thomas Hartmann seine
Pappen das nächste Mal aufbaut. Noch einmal wurde mir an diesem Abend klar, wie
sich durch die bildende Kunst Erfahrung und Erkenntnis eröffnen, die im Medium
der Sprache, in der Logik des Logos, überhaupt nicht möglich sind.
„Als Betrachter vollziehen wir eine
optische Synthese, deren Pointe darin besteht, das Dargestellte dem Auge
darzubieten. Bevor das Bild etwas sagt, das man auch in Worte fassen könnte,
ist es ein Akt des Zeigens, der visuellen Entfaltung. In ihm verbinden sich die
unterschiedlichsten Elemente der äußeren oder inneren Welt, bilden sich
Interferenzen, Schichtungen, Kollisionen aus. Was sich da ereignet, ist das
Spiel einer offenen Verbindung, in dem sich Begriffe, Wortfetzen, Zeichen,
Gesichter, Organe, Geräte, Farben, Gesten etc. aufeinander beziehen. Die
Heterogenität, das oftmals Disparate fällt auf und die überraschenden Verknüpfungen...Entgrenzungen,
die Aufhebung von Zensuren zugunsten affektiver Lizenzen, die Legitimität des
Begehrens – hier wird es Ereignis.“
Verwandte Beiträge
"MOUNTAINS OF DISBELIEF" (Vernissage)
Liebe Melusine,
AntwortenLöschendas war wirklich ein schöner Tag gestern, hab drüben bei mir auch gerade einen kurzen Eindruck geschrieben. Bin noch ganz voll und stumm, auch wegen der persönlichen Bezüge, über die wir gestern noch sprachen, es wirkt nach. Grüß Thomas von mir, bin froh, dass ich seine Installation sehen konnte.
Liebe Grüße, Iris
Liebe Iris, die Grüße an Thomas richte ich gern aus. Wenn du magst, schreib mal - im Blog oder auch per Mail - was Dir noch eingefallen ist zu seiner Installation. Das interessiert mich sehr.
AntwortenLöschenGanz herzliche Grüße
Melusine
Liebe Melusine (und lieber Thomas!),
Löschenich mach's einfach hier an dieser Stelle: Was mir eingefallen ist zur Installation - ein paar Gedanken hab ich schon geäußert, jetzt vielleicht etwas sortierter:
Mein erster Eindruck war: Wie riesig! Was für eine Arbeit darin steckt!
Das Erfassen von Details kam dann Stück für Stück, die Entdeckung der zahllosen Perspektiven, die man einnehmen kann, wie man sich selbst quasi einfügen kann, um teilzuhaben und Teil zu werden.
Es gab viele kleine Details, die mich schmunzeln ließen, auch Dank der ganz offenbar erlaubten Assoziations- und Deutungsfreiheit. Denn wer könnte anderen mehr Deutungsfreiheit zugestehen als einer, der Festgeschriebenes anzweifelt?
Da wirkte bei mir auch Jeff Koons nach und sein Streben, dem Betrachter Selbstbewusstsein zu schenken. (Zitat: "Für sich genommen hat Ästhetik etwas sehr Diskriminierendes: Sie bringt Menschen dazu, zu glauben, sie wären nicht gut genug, Kunst richtig zu betrachten. Sie glauben dann, Kunst wäre zu hoch für sie.")
Zurück von den Details zur Gesamtheit war es für mich dann doch letztere, die den größten Eindruck hinterlassen hat: Das Raumgreifende, das dem Zweifel Erlaubnis und Bedeutung gibt. Das Zerbrechliche aber auch und durch die Wahl des Materials Gewalt-, aber nicht Machtlose. Das Deuten auf die Wunden, die der/das Bezweifelte trägt und zufügt, erfolgt nicht von oben herab, sondern im gleichzeitigen Offenlegen der eigenen Verletzbarkeit.
Es ist aber nicht nur zerbrechlich, sondern auch biegsam und kann die Richtung ändern (z.B. nach einem Teilzusammenbruch teilverändert wieder zusammengefügt werden ;-)).
Es erinnerte mich im Nachhinein an die Graswurzelbewegung, das sanfte Eindringen in Bestehendes, Unhinterfragtes, um letztlich sowohl darüber als auch über den eigenen Zweifel hinauszuwachsen, vielleicht sogar gemeinsam oder aber sich lösend, in jedem Falle wird es dann leichter und bunt (die Ballons).
Von Bedeutung fand ich deshalb, dass die Zweifel mitten im Angezweifelten installiert wurden - die "Mountains of Disbelief" also in einem Kirchenraum und dort die Wände durchdringend (nicht umstürzend) - und damit einerseits sich selbst ernst nahmen, zum anderen aber auch die Auseinandersetzung suchten und zwar auf Augenhöhe, mit Selbstbewusstsein und Respekt.
Zum Material kam mir - auch ausgehend von der Überlegung, als wir vor Ort darüber sprachen, wie es wäre, dem Ganzen Stabilität zu verleihen durch Füllen der Hohlräume (Ausgießen, Stahlstangen ...?) - der Gedanke, dass genau dieses Hohle, Luftige ein wesentlicher Gegenpol ist zum massiven Gold und Stein der Kirchen, zur massiven Behauptung eines Wahrheitsanspruchs. Ein Hohlraum ist ja nicht leer, er beinhaltet Luft (Atem! Hier musste ich auch an Jeff Koons denken und seine Aufblastiere, die für ihn u.a. Einatmen symbolisieren.), er bietet die Möglichkeit, gefüllt zu werden, kann aber auch durchfließen lassen, und er ist Resonanzraum.
Diese Installation macht den Betrachter behutsam, weil sie selbst behutsam ist, und erhebt ihn, weil sie sich selbst erhebt.
Ich habe die "Mountains of Disbelief" sehr aus meinem eigenen Hintergrund, meiner Erfahrung mit Kirche betrachtet, hatte aber keinen Moment den Eindruck, dies nicht tun zu dürfen, oder damit dem Kunstwerk nicht "gerecht" zu werden. Zu einem wesentlichen Teil liegt darin für mich die Glaubwürdigkeit dieser Installation.
Bin wirklich froh, dass ich sie sehen konnte!
Herzliche Grüße, Iris
Schade, ich habe es noch nicht geschafft, hinzugehen. Vielleicht morgen. S***** und D***** haben ganz begeistert davon erzählt. Liebe Grüße Sanne
AntwortenLöschenBist du in Ffm morgen?
AntwortenLöschen