Donnerstag, 28. Juni 2012

DRACHENSCHWIMMRINGE (oder was sonst? - Zur Finissage von "MOUNTAINS OF DISBELIEF")


„Dem Zweifel Raum geben“ – was eine Platitüde sein kann, wird durch die „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ von Thomas Hartmann in der Weißfrauen Diakoniekirche zur  sinnlichen Erfahrung: Wie sich Zweifel, Unglaube, Suchbewegung Raum nehmen, aber auch der Möglichkeit zu glauben und glücklich zu finden, Raum lassen. Der sakrale Kirchenraum wird durch die Installation in einer Weise genutzt, die sein Potential erst entfaltet, wie er umgekehrt auf das säkulare Kunstwerk wirkt, es gleichsam in die Höhe zieht, ohne dass hier dem Hang zur Erhabenheit nachgegeben würde. Was sich oben unter dem Empore verdichtet, die von Thomas Hartmann sogenannten „Eskapisten-Kugeln“, wirkt zu leicht und zu fragil, um Ewigkeitssehnsüchte und absolute Wahrheitsansprüche  zu bedienen. Doch ebenso wenig ist es schlicht kindlicher Ballon-Kitsch. Es eröffnet, wie so viele andere Details dieser Installation, Zwischenräume, ein Mehr an Möglichkeiten der Positionierung. Das setzte sich bei allen Betrachtern, die ich beobachten konnte, in Bewegung um: sich in unterschiedliche Stellungen bringen, durchgehen, reingehen, raufgehen, eintreten, zur Seite treten.

So sprachen wir gestern, bei der Finissage zu „MOUNTAINS OF DISBELIEF“. Auch über den Unterschied zwischen Beliebigkeit und Kontingenz, Weisen des Umgangs mit ikonographischem Material und darüber, wie das spezifische Material Pappe diesen Ansatz definiert, der vorläufige, keine endgültigen Antworten produziert, Haltung und Halt verschafft, doch stets anfällig bleibt. Selbst dies ist zur realen Erfahrung mit den „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ geworden, die durch die Luftfeuchtigkeit der letzten Tage und Wochen am äußersten Ende zum Einsturz gebracht wurden; auch das kubistisch-holistische Porträt  des Dr. Burg aus der Asservaten-Kammer des Städel fiel von der Wand der Raucherecke. Kurator Thomas Kober erzählte von seinem Schrecken, als er die Kirche aufschloss und des Malheurs ansichtig wurde. Sollte man den Verfall als Teil des Werks, dessen Hinfälligkeit offensichtlich war und ist, dokumentieren? Thomas Hartmann entschied sich für eine Zwischenlösung, denn der pure Abfall erschien ihm zu trist. Er baute neu und ähnlich, doch im Detail anders auf. Als stabilisierender Faktor wurden die Sitzkartons vom Kirchentag eingefügt. Das hat keine symbolische Bedeutung, denke ich. Wie überhaupt diese künstlerische Arbeit nicht auf Symbolik, sondern auf die Allegorie setzt, auf Ähnlichkeit statt Identität,  auf Assoziationen statt Festschreibungen, auf Beziehung statt Autonomie.

Auch Iris von Blütenblätter war gestern da, die vorher die Jeff Koons-Ausstellung im Liebig-Haus besichtigt hatte und viele Zusammenhänge erkannte. Am Nachmittag hatte sich noch Phyllis Kiehl  (Tainted Talents) zu uns beiden ans Mainufer gesellt. Auch da sprachen wir über Kunst und Koons, über die Jugend von heute und unsere eigene. Koons Arbeiten sind umstritten, gerade die bürgerliche Presse, die im Wirtschaftsteil des jeweiligen Publikationsorgans kein anderes als ein warenförmiges Verhältnis zu allem und jedem sich vorzustellen vermag, beklagt heftig, wie das Kunstwerk in der Koonschen Fabrik zur bloßen Ware werde. Mich interessiert das Thema: der „Künstler als Unternehmer“ (Svetlana Alpers), wie etwa – mit unterschiedlichen Konzeptionen – Rubens und Rembrandt es waren, aber auch noch William Hogarth - gegen jene Fiktion des „autonomen Künstlers“ der Moderne, die seither und offenbar (trotz Warhol et.al.) bis heute prägend ist. Mein eigenes Verhältnis dazu ist ambivalent. Ich werde die Koons-Ausstellung auf jeden Fall noch anschauen.

Es war ein schöner Tag, mit vielen erhellenden Gesprächen, die meine eigene Sicht erweiterten und veränderten. Ich habe oben über die „MOUNTAINS OF DISBELIEF“ in der Gegenwart geschrieben und noch gilt das auch. Heute und morgen sind sie noch zu sehen in der Weißfrauen Diakoniekirche von 12.00 – 16.00 Uhr. Dann werden sie Vergangenheit sein. Fotos können die sinnliche Erfahrung nicht ersetzen, die sich vor und in dem Werk einstellte. Auch das ist ein Teil dieser künstlerischen Arbeit: dass sie kein dauerhaftes Werk produziert, sondern sich immer wieder neu aus den Teilen und der Beziehung zum jeweiligen Ausstellungsraum ergeben wird. (Nichtsdestotrotz sind Einzelteile der Installation auch käuflich zu erwerben. „So kommerziell bin ich dann schon“, sagte Thomas Hartmann gestern Abend. Die Glocke, die von der Empore herabhängt, ist bereits verkauft. Vielleicht hat jemand auch den richtigen Ort für die Laokoon-Gruppe, das Porträt Dr. Bergs oder die schwarze Schildkröte...) Ich bin gespannt, wo und wie Thomas Hartmann seine Pappen das nächste Mal aufbaut. Noch einmal wurde mir an diesem Abend klar, wie sich durch die bildende Kunst Erfahrung und Erkenntnis eröffnen, die im Medium der Sprache, in der Logik des Logos, überhaupt nicht möglich sind.

„Als Betrachter vollziehen wir eine optische Synthese, deren Pointe darin besteht, das Dargestellte dem Auge darzubieten. Bevor das Bild etwas sagt, das man auch in Worte fassen könnte, ist es ein Akt des Zeigens, der visuellen Entfaltung. In ihm verbinden sich die unterschiedlichsten Elemente der äußeren oder inneren Welt, bilden sich Interferenzen, Schichtungen, Kollisionen aus. Was sich da ereignet, ist das Spiel einer offenen Verbindung, in dem sich Begriffe, Wortfetzen, Zeichen, Gesichter, Organe, Geräte, Farben, Gesten etc. aufeinander beziehen. Die Heterogenität, das oftmals Disparate fällt auf und die überraschenden Verknüpfungen...Entgrenzungen, die Aufhebung von Zensuren zugunsten affektiver Lizenzen, die Legitimität des Begehrens – hier wird es Ereignis.“

(Gottfried Böhm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin University Press, 2007)




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5 Kommentare:

  1. Liebe Melusine,
    das war wirklich ein schöner Tag gestern, hab drüben bei mir auch gerade einen kurzen Eindruck geschrieben. Bin noch ganz voll und stumm, auch wegen der persönlichen Bezüge, über die wir gestern noch sprachen, es wirkt nach. Grüß Thomas von mir, bin froh, dass ich seine Installation sehen konnte.
    Liebe Grüße, Iris

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  2. Liebe Iris, die Grüße an Thomas richte ich gern aus. Wenn du magst, schreib mal - im Blog oder auch per Mail - was Dir noch eingefallen ist zu seiner Installation. Das interessiert mich sehr.
    Ganz herzliche Grüße
    Melusine

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    1. Liebe Melusine (und lieber Thomas!),
      ich mach's einfach hier an dieser Stelle: Was mir eingefallen ist zur Installation - ein paar Gedanken hab ich schon geäußert, jetzt vielleicht etwas sortierter:
      Mein erster Eindruck war: Wie riesig! Was für eine Arbeit darin steckt!
      Das Erfassen von Details kam dann Stück für Stück, die Entdeckung der zahllosen Perspektiven, die man einnehmen kann, wie man sich selbst quasi einfügen kann, um teilzuhaben und Teil zu werden.
      Es gab viele kleine Details, die mich schmunzeln ließen, auch Dank der ganz offenbar erlaubten Assoziations- und Deutungsfreiheit. Denn wer könnte anderen mehr Deutungsfreiheit zugestehen als einer, der Festgeschriebenes anzweifelt?
      Da wirkte bei mir auch Jeff Koons nach und sein Streben, dem Betrachter Selbstbewusstsein zu schenken. (Zitat: "Für sich genommen hat Ästhetik etwas sehr Diskriminierendes: Sie bringt Menschen dazu, zu glauben, sie wären nicht gut genug, Kunst richtig zu betrachten. Sie glauben dann, Kunst wäre zu hoch für sie.")
      Zurück von den Details zur Gesamtheit war es für mich dann doch letztere, die den größten Eindruck hinterlassen hat: Das Raumgreifende, das dem Zweifel Erlaubnis und Bedeutung gibt. Das Zerbrechliche aber auch und durch die Wahl des Materials Gewalt-, aber nicht Machtlose. Das Deuten auf die Wunden, die der/das Bezweifelte trägt und zufügt, erfolgt nicht von oben herab, sondern im gleichzeitigen Offenlegen der eigenen Verletzbarkeit.
      Es ist aber nicht nur zerbrechlich, sondern auch biegsam und kann die Richtung ändern (z.B. nach einem Teilzusammenbruch teilverändert wieder zusammengefügt werden ;-)).
      Es erinnerte mich im Nachhinein an die Graswurzelbewegung, das sanfte Eindringen in Bestehendes, Unhinterfragtes, um letztlich sowohl darüber als auch über den eigenen Zweifel hinauszuwachsen, vielleicht sogar gemeinsam oder aber sich lösend, in jedem Falle wird es dann leichter und bunt (die Ballons).
      Von Bedeutung fand ich deshalb, dass die Zweifel mitten im Angezweifelten installiert wurden - die "Mountains of Disbelief" also in einem Kirchenraum und dort die Wände durchdringend (nicht umstürzend) - und damit einerseits sich selbst ernst nahmen, zum anderen aber auch die Auseinandersetzung suchten und zwar auf Augenhöhe, mit Selbstbewusstsein und Respekt.
      Zum Material kam mir - auch ausgehend von der Überlegung, als wir vor Ort darüber sprachen, wie es wäre, dem Ganzen Stabilität zu verleihen durch Füllen der Hohlräume (Ausgießen, Stahlstangen ...?) - der Gedanke, dass genau dieses Hohle, Luftige ein wesentlicher Gegenpol ist zum massiven Gold und Stein der Kirchen, zur massiven Behauptung eines Wahrheitsanspruchs. Ein Hohlraum ist ja nicht leer, er beinhaltet Luft (Atem! Hier musste ich auch an Jeff Koons denken und seine Aufblastiere, die für ihn u.a. Einatmen symbolisieren.), er bietet die Möglichkeit, gefüllt zu werden, kann aber auch durchfließen lassen, und er ist Resonanzraum.
      Diese Installation macht den Betrachter behutsam, weil sie selbst behutsam ist, und erhebt ihn, weil sie sich selbst erhebt.
      Ich habe die "Mountains of Disbelief" sehr aus meinem eigenen Hintergrund, meiner Erfahrung mit Kirche betrachtet, hatte aber keinen Moment den Eindruck, dies nicht tun zu dürfen, oder damit dem Kunstwerk nicht "gerecht" zu werden. Zu einem wesentlichen Teil liegt darin für mich die Glaubwürdigkeit dieser Installation.
      Bin wirklich froh, dass ich sie sehen konnte!
      Herzliche Grüße, Iris

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  3. Schade, ich habe es noch nicht geschafft, hinzugehen. Vielleicht morgen. S***** und D***** haben ganz begeistert davon erzählt. Liebe Grüße Sanne

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