Freitag, 8. Juni 2012

PUNK PYGMALION (37): Little fury things


Fortsetzung des Brief- und Blogromans PUNK PYGMALION (Folge 1- 37: Hier.) 

„Ja“, schreibt Lars, „du hast recht: Ich will es hinter mich bringen. Wenn wir uns am Samstag sehen, will ich mit Emmi fertig sein. Wie ihr Ex-Mann will ich sagen können: ´Ich bin sie los.´. Der Bilder-Zyklus ist abgeschlossen. Die Galerie plant die Ausstellung für den Spätsommer. Dann sollte auch dein Roman zum Ende kommen. Spätestens.“ Er hat gut reden beziehungsweise malen. Er hat einen Weg gefunden, Emmi zu erledigen. Wie aber soll mir das gelingen? Auch seine Beiträge können nicht auflösen, was zwischen Emmi und mir ungeklärt bleibt. Sie verweigert sich, ließ mich meine Projektionen entwerfen, war ein weiße Blatt, auf das ich schreiben konnte. Im Grunde sehne ich mich, wie sie, nach einem Happy End.

Lars schickte mir drei weitere Skizzen:


HIRTEN (Fohrde bei Brandenburg, April 2011)

Sie steht zwischen den Blöcken in der Halle, deren Boden plötzlich ergrünt ist, weil sie gesagt hat: „Sie sind wie riesige Schafe.“ Da sehe ich es auch. Vaters wuchtige, verwundete Steine weiden hier nebeneinander versöhnt. Die ganze Gewalt, mit der er sie aus dem widerspenstigen Gestein herausarbeiten wollte, wird von der Herde, die ich geschaffen habe, absorbiert. Weil sie nicht länger vereinzelt sind, sondern viele geworden unter meinen Händen, können sie sich erholen. „Sie brauchen Pflege“, sagt sie und streicht einem über den Rücken. „Pfleger“, antworte ich und vor meinen Augen erstehen die Hirten aus Draht und Papier, zierlich und zwingend, deren Berührungen wohl tun. Ich werde meinen Vater niemals anfassen können, aber ich werde seine Wut aus Stein durch zerbrechliche, mutige Gestalten besänftigen, seine Schmerzen lindern durch zärtliche Finger, sein Leid in Liebe verwandeln mit der Zuwendung meiner Hirten. „Knie dich hin“, sage ich zu ihr, „werde sein Schaf.“ Und sie lässt sich auf alle Viere nieder und grast. „Ich will dein Hirte sein.“



IM SPIEGEL (Berlin, Mai 2011)

Auf Knien hat sie gestanden. Dabei hatte ich keinerlei Verdacht. Ich wusste nichts, aber sie muss geglaubt haben, ich wolle sie demütigen, damit sie auspackt. Die Frau, in die ich mich versenkt habe und aus der ich getrunken habe, hat schon mein Vater gefickt. Ich will primitiv und böse sein, ich will ihr die Faust unter die Nase und in den Bauch schlagen, aber stattdessen lasse ich mich von ihr vor den Spiegel setzen im Flur unserer Ein-Zimmer-Wohnung, die ein Zuhause war und jetzt keines mehr ist. „Ich will hier raus“, habe ich sie angeschrien, aber sie muss mir erst noch meinen Vater zeigen. Sie schneidet meine Haare, sie färbt sie dunkel, sie zupft sie in die Höhe. Sie bringt schwarze Springerstiefel mit roten Bändeln, sie schneidet mir Löcher in die Hose und fädelt einen Nietengürtel ein. Sie fährt mit Kajalstift über meine Augenbrauen bis mein Blick düster ist und grimmig genug. „Du bist er. Du kannst er sein.“ Ich ziehe sie auf meinen Schoß und schaue ihr im Spiegel in die blauen Kinderaugen. „Was willst du von mir?“



Then I read about all those who believe all of your lies
Sunlight brights the rage in your eyes


SÜDEN (St. Ambroise, Juni 2011)

Ich habe sie auf den Stein gelegt und ihren Schoß geöffnet. Sie ist unfruchtbar und vertrocknet. Sie hat mich hergelockt, damit ich mein Vater werde, weil sie sich rächen will an ihm und mir, denn ich bin das Kind, das er ihr nicht gemacht hat. Sie kann nicht gebären und hat nichts zu geben. Sie ist ein Steinblock, den er gehauen hat, aber dem er kein Leben einhauchen konnte. Die Hitze lässt mich kalt, unter der ich sie zurücklassen werde. Sie wirft sich auf den Boden, sie heult und fleht, als wäre sie eine Frau. Sie kann nicht sagen, schluchzt sie, was aus meinem Vater wurde. Zum ersten Mal, seit wir unterwegs nach Süden sind, glaube ich ihr. Sie hat mir nichts mehr zu sagen und ich will sie nicht mehr sehen. Ich lasse sie zurück als die Statue, in die sie sich verwandelt hat.


„Das ist das letzte Bild, das ich von ihr gemalt habe. Du hast es gesehen. Frag mich nicht: Ich weiß nicht, wohin sie fuhr von St. Ambroise aus. Ich fuhr zurück nach Berlin, löste die Wohnung auf, mietete das Atelier, in dem wir beide uns getroffen haben, und hörte nie mehr von ihr.“ Es ist ihm egal, das verstehe ich, was aus ihr wurde. Ich weiß, wohin sie ging, obwohl sie Proxy-Server benutzte, wenn sie mir Mails schrieb von dort. Noch ein halbes Jahr lang schrieb sie mir, drängte mich,  Ansgars Briefe zu veröffentlichen, vor allem die letzten aus Barcelona. Aber ich ließ mir Zeit, obwohl ich ahnte, wie wichtig das für sie war. Auch ich wollte mich rächen. Seit Dezember aber kam keine Mail mehr von ihr, kein Lebenszeichen, von nirgendwo her. Für Reue ist es zu spät.


Dinosaur Jr.: Little Fury Things

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