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Fortsetzung zu: "Ich küsse mein Leben in dich". Die Martenehen (Folge 15)
"Warum
haben Sie mir nicht gesagt, dass es ein Sarg ist?“, fragte Heilmann. Der Teufel
zuckte zusammen. Heilmann streifte ihn mit einem Seitenblick. Wie
satt ich das habe, dachte er. Der Teufel sollte schlank und durchtrainiert sein,
hellwach und ein wenig arrogant, kein jovialer Fettwanst. Der Dicke legte ihm
beschwichtigend die Hand auf den Unterarm. Sie war feucht. Der Teufel schwitzte
auch noch. Es war widerlich. „Ich bitte Sie“, flüsterte der Dicke, „Sie haben
doch nicht wirklich an die Sache mit dem Fegefeuer geglaubt?“ „Was?“, schnaubte
Heilmann. „Sie scheinen anzunehmen, ich müsse gegen die Hitze immun sein.“
Es war tatsächlich grässlich warm in der Halle, wo sich die Luft zwischen den
Plastikplanen staute. Heilmann fühlte, wie sich unter seinen Achseln und an der
Gürtellinie die Nässe sammelte. Unwillkürlich rümpfte er die Nase. „Und
jetzt?“ Er sah auf Almuth hinab. Das heißt: auf die Puppe, die Almuth glich.
„Das fragen Sie mich?“ „Wen sonst?“ Der Teufel zog ein großes, weißes Taschentuch
aus einer Seitentasche seiner Soutane und wischte sich die Stirn. „Es ist ihr
Opfer, Heilmann. Sie müssen es bringen.“ „Dann wird mein Sohn leben?“ „Was Sie
so nennen.“ Heilmann wandte sich scharf um. Er packte den falschen Priester am
Kragen. „Was soll das heißen?“ Die feisten Finger legten sich um seine
Handgelenke und senkten langsam seine Hände hinab. Die Puppen starrten unverwandt
und ungerührt. Diese Verzögerung beunruhigte sie nicht.
Der
korpulente Mann gab mit dem kleinen Finger seiner rechten Hand ein beinahe
unsichtbares Zeichen. Heilmann wunderte sich später stets, dass er es überhaupt
bemerkt hatte. Nichts geschah. Der Teufel wiederholte sich. Es war still. Kein
Trommelwirbel in der Luft, keine Ankündigung eines Showmasters, kein Kichern
aus dem Publikum, nicht einmal ein Atemgeräusch ging von den Tribünen aus. Es
war still und Heilmann hörte.
Den
Wehgesang der Melusine. Deren Füße bluteten im salzigen Wasser aus. Sie klagte
ihr Leid durch die Wellen, sie sang ihre Sehnsucht an gegen den Sturm: „“Wie
ich dich liebe, dich nur begehre, an dir vergehe, mich dir ergebe, mich durch
dich fülle, von dir empfange, deine Brut, die Feuer atmet, deine Brut, die mich
versengt, deine Brut, an der ich hafte, deine Brut, die mich entstellt.“
Heilmann
fühlte das Messer in seinen Händen, den kalten Stahl auf seiner schweißigen
Haut. „Er ist auch dein Sohn.“ Hatte er das geschrien? Der Dicke hat in der
untersten Reihe Platz genommen und schaute ihn unbeteiligt an. „Was?“ Heilmann
fuchtelte mit dem Messer herum. Der Dicke zuckte nicht einmal die Achseln.
„Soll. Ich.“ Heilmann fluchte lautlos. Es war still, atemlos still. Nur sein
eigenes Schnauben durch die Nüstern war zu hören. Ich bin kein Menschenmann. Almuth blieb regungslos liegen. Das
heißt: Die Puppe, die aussah wie Almuth. Er musste sich das klar machen. Das Ganze
war eine schäbige Inszenierung. Er
könnte der Puppe mit einem Schnitt den Kopf abtrennen und nichts wäre
geschehen, als dass eine Plastikhülle vom Tisch rollen würde.
„Die
Sterblichen saugen uns aus. Geliebt habe ich einen solchen, Söhne geboren und
alles verloren. Wieder und wieder und wieder. Du zogst durch die Zeiten, Heil-Mann,
ungerührt. Sahst meine Leiden. Vergaßt sie mit mir. Du denkst, ich wüsste nichts.
Du hast mich geborgen. Mal um Mal. Noch meine Asche aus der See. Und ließest
mir wieder Flossen wachsen, den Schwanz, die schuppige Haut. Wie weh die Füße
sind, wenn sie erscheinen...Es gibt kein Bewusstsein, das keinen Teufel kennt.
Heil-Mann. Du hast dir den deinen erfunden, wie ich dich erschuf.“
Sie
sang nicht mehr aus dem fernen Meer; sie saß neben dem Teufel auf der Tribüne und
deklamierte wie eine Burgschauspielerin. Mit den wunden Füßen plätscherte sie
in einem Fußbad. Heilmann stieg ganz leicht der Geruch der waldigen Essenzen in
die Nase: Eichenrinde und Wacholder. Es war der reinste Hohn. „Wo kommst du denn her?“ Er flüsterte
wie ein Schauspieler auf der Bühne, der seinen Text vergessen hat. Sie sprach
so leise, als sei sie seine Souffleuse: „Glaubtest du im Ernst, du könntest
mich einsperren, Heilmann?“ „Du hast gebüßt. Dafür. Und mehr.“ Sie plätscherte
heftiger mit den Füßen. „Immer. Wie du es vorsahst. Jetzt bist du dran. Nach
tausend Jahren.“
Plötzlich
stand er neben ihr, setzte die Messerspitze unter ihr Kinn. Sie sah ihn mit
großen Augen an, von unten herauf ließ sie die Wimpern kokett klimpern. Er
zitterte vor Wut, das Messer ritzte ein wenig ihren Hals, nicht tief genug für
Blut. „Wo keines ist, kann auch keines sprudeln.“ Sie lachte leise. Er ließ das
Messer an ihrem Hals hinunter gleiten, sah wie die seitlichen Muskeln spannten,
während sie sich mühte ruhig zu atmen, den Bauch tief einziehend, wenn sie
ausatmete mit einem sanften Hauch, den sie in sein Gesicht blies. Sie roch nach
Meer und Algen, jedoch nicht unangenehm. Er tippte mit der Messerspitze
zwischen ihr Dekolleté und drückte den weißen Stoff ihres schulterfreien
Oberteils ein wenig hinunter. Sie zog den Bauch tiefer ein, aber ließ seinen
Blick nicht los. Ihre Augen leuchteten grün. „Waren sie nicht blau? Zuletzt?“,
fragte er. „In Rom“, erwiderte sie, „in Rom waren sie blau.“ „Und dort, wo mein
Sohn lebte.“ „Auch dort, ja.“ Er legte mit dem Messer ihrer linke Brust frei.
Sie seufzte. „Sie sieht echt aus.“ Er schaute zu den Puppen hin, die links und
rechts von ihr saßen mit ihren stilisierten Brüsten. „Sie ist echt.“ Sie sahen
sich an. Eine Ewigkeit lang. Eine Träne löste sich aus ihrem linken Auge. Es
war jetzt braun mit einem hellen honigfarbenen Ring um die Iris. Er fühlte, wie
sich auch in seinen Augen die Feuchtigkeit sammelte. Er wandte sich ab und trat
wieder hinunter neben die im Boden eingelassene Bahre, auf der seine Frau lag,
die Mutter seines Sohnes, Almuth, die nicht Almuth war, sondern eine Puppe, die
Almuth glich. „Weil du kein Mann bist.“ Hasserfüllt hatte sie den Satz
herausgeschrien, der ihn in den Rücken traf. Er fuhr herum. „Warum nicht?“
„Kein Mann für mich.“ Das klang kleinlaut. Sie hatte den Blick gesenkt. „Den
Schoß kann ich dir nicht öffnen.“ Er folgte ihrem Blick. Ins Fußbad schlug sie
mit der Flosse.
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