Sonntag, 29. Juli 2012

BLOSS GESTELLT ("Wir lieben uns, aber quälen uns bis aufs Blut.")


Quelle:
http://www.science-et-magie.com/GUIDEMYST/melusine.htm



"Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass es ein Sarg ist?“, fragte Heilmann. Der Teufel zuckte zusammen. Heilmann streifte ihn mit einem Seitenblick. Wie satt ich das habe, dachte er. Der Teufel sollte schlank und durchtrainiert sein, hellwach und ein wenig arrogant, kein jovialer Fettwanst. Der Dicke legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Unterarm. Sie war feucht. Der Teufel schwitzte auch noch. Es war widerlich. „Ich bitte Sie“, flüsterte der Dicke, „Sie haben doch nicht wirklich an die Sache mit dem Fegefeuer geglaubt?“ „Was?“, schnaubte Heilmann. „Sie scheinen anzunehmen, ich müsse gegen die Hitze immun sein.“ Es war tatsächlich grässlich warm in der Halle, wo sich die Luft zwischen den Plastikplanen staute. Heilmann fühlte, wie sich unter seinen Achseln und an der Gürtellinie die Nässe sammelte. Unwillkürlich rümpfte er die Nase. „Und jetzt?“ Er sah auf Almuth hinab. Das heißt: auf die Puppe, die Almuth glich. „Das fragen Sie mich?“ „Wen sonst?“ Der Teufel zog ein großes, weißes Taschentuch aus einer Seitentasche seiner Soutane und wischte sich die Stirn. „Es ist ihr Opfer, Heilmann. Sie müssen es bringen.“ „Dann wird mein Sohn leben?“ „Was Sie so nennen.“ Heilmann wandte sich scharf um. Er packte den falschen Priester am Kragen. „Was soll das heißen?“ Die feisten Finger legten sich um seine Handgelenke und senkten langsam seine Hände hinab. Die Puppen starrten unverwandt und ungerührt. Diese Verzögerung beunruhigte sie nicht.

Der korpulente Mann gab mit dem kleinen Finger seiner rechten Hand ein beinahe unsichtbares Zeichen. Heilmann wunderte sich später stets, dass er es überhaupt bemerkt hatte. Nichts geschah. Der Teufel wiederholte sich. Es war still. Kein Trommelwirbel in der Luft, keine Ankündigung eines Showmasters, kein Kichern aus dem Publikum, nicht einmal ein Atemgeräusch ging von den Tribünen aus. Es war still und Heilmann hörte.

Den Wehgesang der Melusine. Deren Füße bluteten im salzigen Wasser aus. Sie klagte ihr Leid durch die Wellen, sie sang ihre Sehnsucht an gegen den Sturm: „“Wie ich dich liebe, dich nur begehre, an dir vergehe, mich dir ergebe, mich durch dich fülle, von dir empfange, deine Brut, die Feuer atmet, deine Brut, die mich versengt, deine Brut, an der ich hafte, deine Brut, die mich entstellt.“

Heilmann fühlte das Messer in seinen Händen, den kalten Stahl auf seiner schweißigen Haut. „Er ist auch dein Sohn.“ Hatte er das geschrien? Der Dicke hat in der untersten Reihe Platz genommen und schaute ihn unbeteiligt an. „Was?“ Heilmann fuchtelte mit dem Messer herum. Der Dicke zuckte nicht einmal die Achseln. „Soll. Ich.“ Heilmann fluchte lautlos. Es war still, atemlos still. Nur sein eigenes Schnauben durch die Nüstern war zu hören. Ich bin kein Menschenmann. Almuth blieb regungslos liegen. Das heißt: Die Puppe, die aussah wie Almuth. Er musste sich das klar machen. Das Ganze war eine schäbige Inszenierung.  Er könnte der Puppe mit einem Schnitt den Kopf abtrennen und nichts wäre geschehen, als dass eine Plastikhülle vom Tisch rollen würde.

„Die Sterblichen saugen uns aus. Geliebt habe ich einen solchen, Söhne geboren und alles verloren. Wieder und wieder und wieder. Du zogst durch die Zeiten, Heil-Mann, ungerührt. Sahst meine Leiden. Vergaßt sie mit mir. Du denkst, ich wüsste nichts. Du hast mich geborgen. Mal um Mal. Noch meine Asche aus der See. Und ließest mir wieder Flossen wachsen, den Schwanz, die schuppige Haut. Wie weh die Füße sind, wenn sie erscheinen...Es gibt kein Bewusstsein, das keinen Teufel kennt. Heil-Mann. Du hast dir den deinen erfunden, wie ich dich erschuf.“

Sie sang nicht mehr aus dem fernen Meer; sie saß neben dem Teufel auf der Tribüne und deklamierte wie eine Burgschauspielerin. Mit den wunden Füßen plätscherte sie in einem Fußbad. Heilmann stieg ganz leicht der Geruch der waldigen Essenzen in die Nase: Eichenrinde und  Wacholder. Es war der reinste Hohn. „Wo kommst du denn her?“ Er flüsterte wie ein Schauspieler auf der Bühne, der seinen Text vergessen hat. Sie sprach so leise, als sei sie seine Souffleuse: „Glaubtest du im Ernst, du könntest mich einsperren, Heilmann?“ „Du hast gebüßt. Dafür. Und mehr.“ Sie plätscherte heftiger mit den Füßen. „Immer. Wie du es vorsahst. Jetzt bist du dran. Nach tausend Jahren.“

Plötzlich stand er neben ihr, setzte die Messerspitze unter ihr Kinn. Sie sah ihn mit großen Augen an, von unten herauf ließ sie die Wimpern kokett klimpern. Er zitterte vor Wut, das Messer ritzte ein wenig ihren Hals, nicht tief genug für Blut. „Wo keines ist, kann auch keines sprudeln.“ Sie lachte leise. Er ließ das Messer an ihrem Hals hinunter gleiten, sah wie die seitlichen Muskeln spannten, während sie sich mühte ruhig zu atmen, den Bauch tief einziehend, wenn sie ausatmete mit einem sanften Hauch, den sie in sein Gesicht blies. Sie roch nach Meer und Algen, jedoch nicht unangenehm. Er tippte mit der Messerspitze zwischen ihr Dekolleté und drückte den weißen Stoff ihres schulterfreien Oberteils ein wenig hinunter. Sie zog den Bauch tiefer ein, aber ließ seinen Blick nicht los. Ihre Augen leuchteten grün. „Waren sie nicht blau? Zuletzt?“, fragte er. „In Rom“, erwiderte sie, „in Rom waren sie blau.“ „Und dort, wo mein Sohn lebte.“ „Auch dort, ja.“ Er legte mit dem Messer ihrer linke Brust frei. Sie seufzte. „Sie sieht echt aus.“ Er schaute zu den Puppen hin, die links und rechts von ihr saßen mit ihren stilisierten Brüsten. „Sie ist echt.“ Sie sahen sich an. Eine Ewigkeit lang. Eine Träne löste sich aus ihrem linken Auge. Es war jetzt braun mit einem hellen honigfarbenen Ring um die Iris. Er fühlte, wie sich auch in seinen Augen die Feuchtigkeit sammelte. Er wandte sich ab und trat wieder hinunter neben die im Boden eingelassene Bahre, auf der seine Frau lag, die Mutter seines Sohnes, Almuth, die nicht Almuth war, sondern eine Puppe, die Almuth glich. „Weil du kein Mann bist.“ Hasserfüllt hatte sie den Satz herausgeschrien, der ihn in den Rücken traf. Er fuhr herum. „Warum nicht?“ „Kein Mann für mich.“ Das klang kleinlaut. Sie hatte den Blick gesenkt. „Den Schoß kann ich dir nicht öffnen.“ Er folgte ihrem Blick. Ins Fußbad schlug sie mit der Flosse.  

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