Montag, 30. Juli 2012

JEDER KANN EINE FRAU SEIN! (Über Philosophie lachen)

"Der obszöne Witz entsteht, laut Freud, aus der Zote. Die Zote will die Frau zum Geschlechtsverkehr bewegen. Der Widerstand, den die züchtig kultivierte Frau einer solchen verbalen Attacke entgegensetzt, zwingt zu einer Verschiebung, zur Bildung des Witzes. Er hat das Begehren und die begehrte Frau zum Inhalt, richtet sich aber an einen Dritten, einen anderen Mann. Im Lachen zeigt der andere an, dass er den Triebwunsch ´verstanden´ hat. Dieses Verstehen ist letztlich ein körperliches. Und der körperlichen Reaktion des Lachens ist es zu verdanken, dass der geäußerte Triebwunsch eine gewissen Befriedigung erfährt, der Witzeerzähler kann, indem er andere zum Lachen bringt, selbst lachen. Es geht also bei der Verschiebung und dem Geschlechtswechsel des Adressaten um eine von der Lust im Geschlechtsverkehr unterschiedene, eigene Form der Lust.

Der kultivierten Frau, die sich dem sexuell Erregenden der Zote verschließt, ist durchaus der moderne Wissenschaftler vergleichbar. Auch er muss sich der gleichsam obszönen Anmutung, einer Wahrnehmung der Liebe zu folgen, um zu einer Erkenntnis zu gelangen, verschließen. Bei der weiblichen Leserin findet der Philosoph hingegen eine Echo. Nietzsche ist ein Philosoph der Frauen, auch wenn der Plan eines Symphilosophierens mit Lou Salomé scheiterte, auch wenn er sich abstoßend über Frauen äußerte. Denn ebensowenig, wie der Wissenschaftler erwartet, dass der Zuhörer sexuell mit ihm verkehrt, erwartet Nietzsches Schrift die Hingabe der Frau in der liebenden Wahrnehmung, um sie noch einmal anstelle des Mannes in die philosophische Erkenntnisbewegung hineinzuziehen. Seine Schrift erwartet vielmehr auf die Mitteilung des Dramas abendländisch männlicher Erkenntniskultur eine dem Lachen vergleichbare Reaktion. Die Frau lässt sich von dem Philosophen nicht zur Erkenntnis führen, sondern sie wird des Erkenntnispotentials in ihrer eigenen liebenden Wahrnehmung der männlichen Kultur inne, so wie der Lachende Dritte seiner Triebpotenz."


(Heide Schlüpmann: Abendröthe der Subjektphilosophie, Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt 1998)


Lou Salomé, Paul Reed, Friedrich Nietzsche 1882




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2 Kommentare:

  1. Oh, damit bin ich sehr einverstanden. Ich halte wenig davon, Nietzsche positivistisch zu lesen. Ich möchte ihn gerne polemisch verstanden wissen. Und dann können seine zunächst dümmlichen Aussagen über Frauen eben als ein: solange so etwas nicht lächelnd abgetan werden kann, solange haben die Frauen aus ihrem Denken noch nichts großes gemacht! verstanden werden. Vielleicht nicht die beste Deutung.

    Zumindest weiß ich aber jetzt, warum ich nicht die Triebwünsche meiner Geschlechtsgenossen verstehe: ich konnte noch nie über Zoten lachen.

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  2. Es gibt, denke ich, kein "Denken der Frauen", aus dem "sie" etwas "Großes" machen können/sollen. Die "Größen" der Geistesgeschichte sind ohnehin nie meine Lieblinge gewesen ;-). Ich verstehe Schlüpmann hier auch nicht so, als ginge es bei der Reaktion um ein "lächelndes Abtun". Das wäre ja eine Wiederholung der Formen von Abwertung durch "Überlegenheitsgesten", die man schon zu Genüge kennt (und die eben den Diskurs, wie er in Philosophieseminaren stattfindet so unendlich öde macht). Ihr geht es (man versteht das vielleicht tatsächlich zur Gänze nur, wenn man den Kontext kennt) um die körperliche Reaktion des Lachens: ein unkontrolliertes Blubbern im Unterleib, das hochtreibt und explodiert.

    (Ich mag manchmal Zoten. Und manchmal nicht. Es kommt auch hier - wie meistens - nicht allein auf den ´Text´ an, sondern auf den Kontext! Meistens lässt sich aus dem Kontet erkennen, ob die Zote jemand "reißt", der sich selbst verletzbar macht, oder jemand, der sich hinter einem Panzer verstecken will. Der "Panzer" wirkt abstoßend; das Versteckspiel kindisch und mitleiderregend.)

    Ach, ich komme nicht von Schlüpmann los momentan, obwohl ich "eigentlich" an ganz etwas Anderem arbeite.

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