Verdachtsmomente
Michael Jackson and Bubbles (Banality) 1988 |
Jeff Koons steht unter Verdacht: oberflächlich, effekthascherisch, geschäftstüchtig.
Koons hat sein Privatleben öffentlich gemacht und ikonographisch
ausgeschlachtet. Er hat die Klatschspalten der Yellow Press mit Skandalen
beliefert und sich um sein Kind einen hässlichen Sorgerechts mit dessen Mutter
geliefert. Auch mir war Jeff Koons verdächtig, deswegen und aus anderen
Gründen. Ich kannte nur Fotographien seiner Arbeiten und sie schienen mir
plump, schrill und auftrumpfend, zu simpel, zu billig, zu kitschig. Das waren
sonderbare Reflexe, andererseits, richtete sich doch seit den frühen 80er
Jahren meine Skepsis eher gegen die kontinentaleuropäische Dichotomie von hoher
und niederer Kunst, die Fiktion des autonomen Künstlersubjekts und den
Gegensatz von Kunst und Handwerk bzw. von Kunst und Unternehmertum. (Svetlana Alpers „Rembrandt. Der
Künstler als Unternehmer“ war eine der für meine eigenen kunsthistorischen
Arbeiten folgenreichsten Studien.) Koons, so denke ich rückblickend, hätte mir
„gelegen“ kommen müssen, setzte seine Konzeption doch genau an jenen Punkten
an, auf die sich mein Interesse richtete: die medialen Voraussetzungen der künstlerischen Produktion, die Werkstatt als Ort kollektiven Schaffens,
ein eklektizistischer Umgang mit der
Tradition, die Betonung der Materials und
der Oberfläche, die soziale
Verankerung der Werke im öffentlichen Raum. Dennoch stört mich offenbar
damals etwas an der öffentlichen (Selbst-)Repräsentation des Künstlers Jeff
Koons und seines Werkes. Rückblickend nehme ich an, dass es vor allem die extrovertierte
Darstellung der Liebesbeziehung mit Ilona Staller (Cicciolina) war, die ich aus
einer Position heraus, die die Trennung von öffentlichem und privatem Raum noch
als Fortschritt interpretierte, als selbstverletzend empfand. Tatsächlich habe
ich in den vergangenen Jahren meine Einstellung zu dieser Frage, nicht zuletzt
durch die Erfahrung des Bloggens verändert.
Während mir auch damals schon bewusst war, dass die Inszenierung des „Privaten“
als privat (auf die das „bürgerliche“ Zeitalter ab 1800 in seiner
Selbstwahrnehmung und –darstellung setzte) selber repräsentativ war und ist
(und damit auch Machtverhältnisse und Relevanzbehauptungen abbildet
und reproduziert), habe ich erst später erkannt, welches Potential in der
Ausstellung des sogenannten „Privaten“ und in der unverstellten Repräsentanz des
Sexuellen liegt. Die Besetzung des Sexuellen und seiner Veröffentlichung mit
Scham erzeugt einerseits die ungeheure Aufladung jeder Andeutung der Repräsentanz
der Sexualität in der Kunst und andererseits verstärkt und rechtfertigt es den
Ausschluss von Frauen (als Symbolen dieser Repräsentanz) aus dem öffentlichen
Raum. Meine Kritik damals richtete sich gleichermaßen gegen Habermas´ Unterscheidung von „repräsentativer“ und „bürgerlicher“ Öffentlichkeit, weil
durch diese Entgegensetzung die
Repräsentationsmodi der bürgerlichen Öffentlichkeit als quasi-„natürliche“ gar
nicht mehr in den Blick genommen werden konnten (die Inszenierung von
Fleiß, Leistungswillen, sexueller
Enthaltsamkeit, Zurücknahme der Körperlichkeit und als deren Kehrseite die
Pornographisierung der Kunst), wie gegen die Vorstellung Foucaults von
einer „reinen Repräsentation“, in der das darstellende Subjekt nur noch als
Effekt der Repräsentation erscheint. Die (Selbst-)Inszenierungen Koons (die
Serie „Made in Heaven“) habe ich damals als eine solche Form
„effekthascherischer“ Inszenierung verstanden, die sich zur pseudo-„reinen“
Geste aufschwingt, um sich selbst – scheinhaft – verschwinden zu lassen, gerade
um desto ungenierter die Früchte des „Star-Kultes“ genießen zu können. Diese
Kritik, so sehe ich es rückblickend, war jedoch selbst nicht frei von kruder
Schamhaftigkeit und pseudo-moralischer Neid-Kultur.
Diese
Affekte, die ich selbstkritisch bei mir im Rückblick wahrnehmen kann, finde ich
auch in der aktuellen Kritik (z.B. hier: oder hier:) an den beiden Ausstellung zum Werk von Jeff Koons
in Frankfurt wieder. Es geht, wo über Jeff Koons gestritten wird, immer um diese
Gegensätze: Körper und Geld, Sex und Markt, Kitsch und Kunst. Meine eigene
Position zu Koons Arbeiten habe ich sofort revidiert, als ich 2008 auf dem Dach
des New Yorker Metropolitan Museums seine Arbeiten im Original gesehen habe.
Was auf Fotografien möglicherweise kitschig aussehen konnte, erwies sich in der
unmittelbaren Begegnung als ungeheuer eindrucksvoll. Die Leichtigkeit, der
Glanz, die Unberührbarkeit der Objekte „On the roof“ im Kontrast zu ihrer
materialen Schwere und Größe wirkte überwältigend.
Oberflächlichkeit und Glanz
Die
Materialien seiner Objekte (in „On the Roof“ war es Edelstahl) sind für Koons
von entscheidender Bedeutung. Es geht ihm bei vielen dieser Arbeiten offenbar darum,
eine größtmögliche Transparenz des Materials zu erzeugen, also dessen Qualität
an die Grenze zu treiben, einen, wenn man so will, „falschen Glanz“ der
Oberfläche zu erzeugen. Die Überschreitung der Grenzen von „hoher und niederer
Kunst“, ein sozialer Ausgleich durch das „Material als Agenten“ (wie Monika
Wagner im Katalog zur Frankfurter Ausstellung im Liebig-Haus schreibt), wird
dabei immer wieder angestrebt. In Frankfurt steht man als einem der ersten
Objekte der Gruppe „Michael Jackson and Bubbles“ gegenüber, die aus glasiertem
Porzellan gefertigt ist, einem Stoff der üblicherweise edelsten Objekten
vorbehalten ist. Koons verwendet ihn für die Serie „Banality“ und lässt aus ihm
lebensgroße Skulpturen von Popstars und Comicfiguren fertigen. Koons Arbeiten
konfrontieren die Betrachterin auf diese Weise immer wieder mit dem Kontrast
zwischen Materialwert und Kunstwert. Zugleich streben die glänzenden
Oberflächen nach einer optischen „Dematerialisierung“ (Monika Wagner). Im
Inneren des beinahe durchscheinenden Materials aber wird kein zu
verinnerlichendes Ideal sichtbar, sondern das Ideal ist die Oberfläche, die zum Glänzen gebracht wird.
Bourgeois Bust - Jeff and Ilona (1991) |
Statt Scham: Repräsentanz des
Erotomanen und Kultivierung der Sexualität
Die
Objekte aus der Serie „Made in Heaven“ aus den 90er Jahren, die Jeff und Ilona
in vielfältigen sexuellen Posen zeigen, sehe ich heute mit ganz anderen Augen.
Indem Koons sich selbst ins Bild setzt, repräsentiert er sich nämlich gerade
nicht im Blick auf den Körper der Frau, sondern überschreitet diese Position
(die Pornographisierung der Kunst) an der entscheidenden Stelle. Er kann das –
und das ist ein wichtiger Punkt, der zweifellos von nicht geringer
Bedeutung auch für einige Affekte des (männlich dominierten) Kunstbetriebs
gegen Koons Arbeit ist -, weil er ein schöner Mann ist, der seinen eigenen Körper
als Bild der Schönheit anschaulich macht. Koons muss sich nicht hinter der
Staffelei oder dem Kameraauge verbergen, um seine Idee von Schönheit und
Sexualität am Körper einer Frau vorzuführen, sondern kann sich mit seinem Körper inszenieren. Das
setzt voraus, dass die Anstrengung unternommen wurde, den eigenen Körper als
Objekt zu betrachten und zu bearbeiten, eine Anstrengung, der sich männliche
Künstler eher selten unterziehen und in unserer Kultur auch nicht unterziehen
müssen, denn sie finden ein reichhaltiges ikonographisches Vokabular vor, das
ihnen erlaubt, sich selbst und ihre Sexualität über die Darstellung des
weiblichen Körpers auszudrücken. Mit „Made in Heaven“ inszeniert Koons sich und
die Frau, die er liebt, als Skulpturen der Spätrenaissance und knüpft an ein
erotisches Empfinden an, das seine Spannung nicht aus der Schamhaftigkeit
bezieht, sondern aus der Kultivierung der Sexualität. Diese Kultivierung feiern
die „Made in Heaven“-Darstellungen. Sie zeigen einen Künstler, der sich nicht
repräsentiert, indem er zeigt, wie er Kunst produziert, sondern indem er sich
als Erotomanen anschauen lässt. Die Schönheit und das Potential dieser
Skulpturen ist mir erst im Liebig-Haus so recht bewusst geworden, wo sie in
einen Dialog mit den sie umgebenden antiken und klassizistischen Skulpturen
treten.
Raum: Glücksfall Liebig-Haus/Witz statt
Ironie
Schon
in New York wurde mir klar, wie wichtig für Jeff Koons der Raum ist, in dem
seine Skulpturen gesehen werden. Seine Ausstellungen seither setzen die
Arbeiten jeweils in Beziehung zu diesen Räumen und lassen sie aus diesem Dialog
in neue Erscheinungsformen eintreten. Das Frankfurter Liebig-Haus ist ein
Glücksfall für Jeff Koons, meine ich, wie Jeff Koons Bereitschaft, an diesem
Ort eine Retrospektive seines Schaffens vorzustellen, ein Glücksfall für das
Haus ist. Erst hier wird unmittelbar sichtbar, dass Koons Arbeiten
niemals bloß auf zeitgenössische Massen- und Popkultur rekurriert haben,
sondern immer schon auf vielfältige Weise sich bezogen auf die europäische und
asiatische Kunstgeschichte, mit deren Repertoire sie – im besten Sinne des
Wortes – „spielen“. Jeff Koons Umgang mit dem Vokabular dieser Bildersprache
ist dabei, wie ich meine, keineswegs „ironisch“ (weder im Sinne eines
„uneigentlichen Sprechens“, noch im Sinne einer „romantischen Ironie“ der
Illusionsbrechung), sondern witzig – in der vielfältigen Bedeutung dieses
Wortes: Wenn man vom „Witz an der Sache“ spricht, meint man ja den „Kern“, das
„Eigentliche“. Das „Eigentliche“ des bildenden Kunstwerks in diesem Sinne wäre
im Werk Koons die sichtbare Oberfläche, die nichts verbirgt, sondern eben das
Wesentliche ist, was gesehen werden kann. Die polierte Fläche der stählernen,
bunten Objekte bringt den Glanz hervor, dessen ganze „Ambivalenz“ (Walter
Grasskamp im Katalog) aufscheint: optische Attraktivität und Unberührbarkeit.
Koons Arbeiten sind aber auch witzig in dem Sinne, dass sie „Esprit“ haben,
also auf geistreiche Weise mit dem Material der Kunstgeschichte umgehen, es
nutzen und in neue Bezüge stellen, eine Ästhetik entwickeln, die nirgends und
überall „beheimatet“ sein kann, die der Betrachterin die Möglichkeit geben,
sich selbst neu zu „verorten“. Zugleich trifft Koons Arbeiten, die manchem als
„kitschig“ erscheinen mögen, auch jener Vorbehalt gegen den Witz, der ihn für
belanglos und albern hält. Der Witz – im alltagsgebräuchlichen Sinne –
kann ein ernstes Problem treffen, aber er scheut sich nicht davor „populär“ zu
sein.
Schauen
Sie sich diese Ausstellungen im Frankfurter Liebig-Haus und in der Schirn an (noch bis 23. September 2012).
Katalog: The Painter and the Sculptor (hrsg. von Max Hollein), € 39,80 (im Buchhandel: € 49,80)
(Liebe Iris, du siehst, Morel und ich haben deine Begeisterung sofort geteilt. Wäre wunderbar, wenn du noch einmal kämst, um die Ausstellung in der Schirn mit mir/uns anzuschauen.)
Liebe Melusine, Dein Artikel ist um so vieles besser als z.B. dieser unsägliche aus der FAZ, der herablassend-ironisch daherkommt und meiner Ansicht nach vieles einfach übersieht. Was soll's: Ich war begeistert, und es freut mich, dass Ihr es ebenso seid. Ich habe fest vor, den Teil in der Schirn auch noch anzusehen und fände es sehr schön, das mit Dir/ Euch tun zu können. Ich melde mich rechtzeitig.
AntwortenLöschen(Hattest Du eigentlich gesehen, dass ich noch etwas zu den "Mountains of Disbelief" geschrieben hatte, als Kommentar unter Deinem Finissage-Artikel? Du hattest ja drum gebeten, und es sollte auch an Thomas gerichtet sein. Würde nur gerne wissen, ob es angekommen ist, da es sich mit Deiner Abreise in den überschnitten hat. :-))
Liebe Iris, ich habe deinen Kommentar zu "Mountains of Disbelief" tatsächlich erst jetzt entdeckt; das überschnitt sich tatsächlich mit unserer Reise und ist dann "untergegangen". Entschuldige! Heute habe ich aber mit Thomas gesprochen, der es gleich damals gelesen und sich sehr darüber gefreut und sich und seine Arbeit gut verstanden gefühlt hat.
AntwortenLöschenDu drückst in dem Kommentar vieles aus, was ich auch beim Betrachten der Installation empfunden habe, aber auch vieles, was anders für mich ist, jedoch nicht gegensätzlich. Ich glaube, dass ist auch eine der großen Stärken dieser Arbeit, dass sie keine Gegensätze produziert, sondern "Perspektiven", wie du schreibst. Über das "Füllen" der Rohre, des Stecksystems habe ich auch nachgedacht und ich empfinde es wie du.
Thomas steht der Arbeit von Jeff Koons kritischer gegenüber als ich, auch darüber haben wir heute gesprochen. Vor allem den Gemälden, auf die ich mich mit dem obigen Text aber auch nicht beziehe. Er fand, der FAZ-Artikel werfe einige wichtige Fragen auf. Tatsächlich "bedienen " Koons Arbeiten einen bestimmten Markt und auch eine bestimmte, dreiste Lust zu Reichtum gekommener Leute, diesen auszustellen. Andererseits spricht für mich aus dem Artikel der Hochmut des "alten Kapitals" gegenüber den "Neureichen" und die Position, das Museum sei ein Ort, an dem das "Bürgertum seine Ästhetik immer wieder neu verhandelt" findet ich zugleich erhellend und entlarvend. Denn natürlich steckt in dieser Formulierung nicht nur ein kulturpolitischer Konservativismus, sondern auch der Versuch der Ausgrenzungen (gegenüber den "Neureichen" ebenso wie gegenüber dem "Pöbel" und seiner "Pop-Kultur"). Schlimmer noch (oder dümmer?) finde ich aber die Gleichsetzung von Kunst mit Ästhetik. So kommt es in dem Artikel auch dazu, dass die Arbeiten von Koons mit seinen - tatsächlich fragwürdigen? - Äußerungen zur Ästhetik identifiziert werden. Bildende Kunst drückt sich aber gerade nicht in Worten aus und es ist keineswegs erforderlich, dass ein bildender Künstler eine "Ästhetik" hat oder mündlich oder gar schriftlich darlegen kann. Ein visuelles Verstehen hat eben ganz andere Voraussetzungen als eines durch Text und Schrift, ist aber keineswegs weniger "wertvoll" oder "wahr".
Ganz herzliche Grüße, ich hoffe, das klappt mit einem gemeinsamen Besuch der Schirn.
Freut mich, dass Thomas es gelesen hatte, das war mir wichtig.
AntwortenLöschenUnd auf Koons in der Schirn bin ich echt gespannt, auch auf den Austausch unserer Eindrücke.