Auszug aus PUNK PYGMALION, Teil III "Emmi"
Schon der Umzug nach Kreuzberg im
Herbst 2009, den ihr Mann forciert hatte, weil Kreuzberg jetzt „in“ war, schick
und repräsentativ, hatte die Ehe gefährdet, die sie nur eingegangen war, um
sich zu betäuben. Es war ein langer Weg gewesen zu diesem Anwalt, der sich als
vollkommenes Gegenteil qualifizierte zu dem Mann, von dem sie noch immer
träumte. Sie hatte es wieder und
wieder versucht, den Geliebten lebendig zu machen, in dem sie sich an die Versager
vergab, die Wütenden, deren Begehren sie verwandeln konnte, wie sie ihnen so
vollständig das Gefühl gab, rückhaltlos an sie zu glauben. Sie konnte das,
gerade weil sie an keinen und nichts glaubte. Es war im Grunde lachhaft gewesen, wie stur sie sich immer wieder diesen
Tagträumern und Zukurzgekommenen an den Hals geworfen hatte, während die
Andere, die eine jugendliche Verbal-Radikale gewesen war, sich eingerichtet
hatte in einem bürgerlichen Leben mit Mann, Kindern, Haus, Krediten und
Sommerurlauben. Sie dagegen hatte sich immer wieder eingelassen auf haltlose
Beziehungen, weil sie sich selbst wertlos gewesen war. Sie hatte romantische
Liebe gespielt, ein ums andere Mal, das Feuer entzündet und beobachtet, wie ein
anderer sich verbrannte an ihrer Hingabe. Wenn er ausgebrannt war, hatte sie
ihn liegen lassen und war weiter gezogen, sich einen Neuen zu suchen. Mit dem
Anwalt hatte sie zur Ruhe kommen wollen. Den zufrieden zu stellen, kostete sie
wenig Kraft. Er war so dürftig und so wenig bedürftig gewesen, dass sie kaum Energie auf ihn verschwenden musste.
Doch mit dem Umzug nach Kreuzberg waren unter den
Eisenbahnviadukten, wenn die Züge über ihr ratterten, Erinnerungen
aufgestiegen, die ihre gar nicht sein konnten. Trotzdem trafen sie sie in die
Eingeweide, harte Schläge in den Unterleib, gegen die Arme, die sie über dem
Kopf schützend verschränkte. Er hatte sie gewollt. Er hatte sie gehasst. So.
Auch der Anwalt war zum Agenten dieses Schicksals geworden, dass sie dessen Sohn
in die Arme trieb, damit sie das noch einmal fühlte: Liebe. Hass. Liebe. Ich
liebe dich, weil du mich hassen wirst.
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