Wir
haben genug von Venetien. Genug Mückenstiche und genug Hitze, genug gute Weine
und genug tiefen Schlaf, genug dramatische Bilder und blauen Himmel, genug radfahrende Nonnen und schläfrige
Mönche, genug Lavendelduft und Feigensüße, genug rosa und blau beschleifte
Gartenzäune (die von der Geburt eines Kindes zeugen), genug geschlossene
Fensterläden und genug selbstgemachte Marmeladen.
Gestern
führte uns das Tomtom über steile Hügel und durch tiefe Täler zur Benediktiner
Abtei Santa Maria Assunta von Praglia. Die Sonne brannte auf das Autoblech
nieder, dass man sich beim Aussteigen vorsehen musste, nicht gegen die Türe zu
stoßen, um keine Brandstreifen zur Verzierung der Mückenstiche zu erhalten. Wir
sahen in der Abtei, um es gleich vorweg zu nehmen, keine Dame in Blau, sondern
eine in Gelb, die aber ansonsten eine Schwester unserer flotten Frau aus
Vicenza hätte sein können, nur dass es ihr nicht gelungen war, ihren Haaren so
einen frischen Touch zu verleihen. Die ihren, gleichfalls blond und nur am Ansatz
leicht ergraut, hingen ein wenig strähnig herab unter dem gelben Band, mit dem
sie die vor einem nur imaginären Wind, der nicht wehte, aus dem Gesicht hielt.
Sie war, wie sich herausstellte, eine pensionierte französische
Englischlehrerin (und daher eher keine leibliche Schwester der Dame in Blau aus Vicenza).
Von ihrer Profession erfuhren wir, als um 15.30 Uhr pünktlich die Pforten zur
Abtei geöffnet wurden und ein leicht phlegmatischer Priester
im dichten schwarzen Gewand und dunklen Sandalen von Birkenstock die kleine
Gruppe um sich versammelte, die um Einlass gebeten hatte. Nun stellte sich
heraus, dass hier vier Deutschsprachige, vier Französischsprachige und eine
Engländerin warteten, doch – beeilte sich unser Priester mit dem rundlichen
Gesicht zu versichern – die Führung sei selbstverständlich: „Sole italiano.“
Für einen winzigen Augenblick stahl sich in seine ansonsten ausdruckslose Miene
ein Lächeln, das zu interpretieren nicht leicht war: Schadenfreude,
Verlegenheit, Amüsement? Der Moment verging. Die englische Dame, in grellbuntem
Hippierock, den sie möglicherweise aus ihrer lang vergangenen Jugend
konserviert hatte, mit apfelgrünem Stirnband, seufzte entsetzt: „English? No
English, anglese?“ Da nahm sich die Englischlehrerin ihrer an und übersetzte,
während unser Führer vor uns her schlurfte, was in dem kleinen Faltblatt
(dreisprachig) geschrieben stand, das am Eingang auslag. Auch sie, die
Französin nämlich, verstand kein Italienisch. Ihre Begleiter indes gaben sich
den Anschein, als ob sie verstünden und nickten beifällig, wenn unser noch gar
nicht so alter Mönch seine kurzen Erklärungen abgab, wiederholten auch
gelegentlich andächtig ein Wort oder einen Namen: „Foresteria“, „giardino
all´italiano“, „Zelotti“. Schnell aber stellte ich fest, dass alle diese Worte
und Namen in der Broschüre standen, die auch sie in Händen hielten und auf die
sie gelegentlich verstohlen einen Blick warfen, wenn der Benediktiner mit dem
Rücken zu uns in den nächsten Kreuzgang schlurfte. Deren hat die Abtei
sogar drei: den „rustikalen“, um den herum die Gästeabteilung sich befindet
(wer mag, kann nämlich bei den Benediktinern eine Auszeit nehmen von der Hektik
des modernen Lebens), einen botantischen, in dessen Innenhof sich der
italienische Garten befindet und den Dachkreuzgang im ersten Stock, der
Mittelpunkt des klösterlichen Lebens sein soll und wo uns auch tatsächlich zwei
weitere Mönche begegneten und ein knappes Lächeln schenkten. Von hier aus
gelangt man zur Loggia, zum Refektorium, zum Kapitelsaal, zur Bibliothek und
zur Klosterkirche. Von der Loggia aus hat man einen wunderbaren Blick über die
Gärten und Bienenstöcke der Mönche in die Euganeischen Berge. Unser Führer
entledigte sich seiner Aufgabe, uns durch diese, seine Lebenswelt zu führen, in
weniger als zwanzig Minuten, so dass unser Eindruck flüchtig blieb.
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Der Garten, aus dessen Erzeugnissen die Wundercreme erstellt wird |
Den
Mangel an Lebensfreude und innerer Beteiligung, den dieser jüngere Herr trotz
seiner offenkundigen Berufung auszustrahlen schien, wusste indes in der Sala de
Touristi sein Mitbruder auszugleichen,
der geschäftig und freudig die mönchischen Produkte verkaufte. Wir erstanden
einen Brotaufstrich aus Kastanien, Traubensaft, Wein und eine kleine Dose
Lavendelcreme, die gegen Insektenstiche helfen sollte, wie wir einem
beiliegenden Faltblatt entnahmen. Und siehe da – sie wirkte Wunder. Gleich am
Abend zapfte eine venetianische Mücke mir wieder einmal Blut ab und spritzte
ihr Blutgerinnungsmittel in meine Arme. Doch dieses Mal war ich vorbereitet und
behandelte die Wunde sofort mit der benediktinischen Salbe. Des Nachts juckte
die Stelle nicht und am Morgen ist der Einstich kaum mehr zu sehen. Allerdings
ist Morel von der Wirksamkeit des Mittels weniger überzeugt und ich muss
einräumen, dass die Kraft der Suggestion bei mir schon mehr als einmal zur
Wunderheilung gereicht hat.
Wir
können nie genug kriegen: Sonne, Licht, Farben, Kunst, Lektüre, Zeit. Wir
hatten all das, zwei schöne Wochen, viele Eindrücke.
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