Freitag, 13. Juli 2012

SANTA MARIA ASSUNTA/PRAGLIA: Der schlurfige Mönche und die Wundersalbe


Wir haben genug von Venetien. Genug Mückenstiche und genug Hitze, genug gute Weine und genug tiefen Schlaf, genug dramatische Bilder und blauen Himmel, genug  radfahrende Nonnen und schläfrige Mönche, genug Lavendelduft und Feigensüße, genug rosa und blau beschleifte Gartenzäune (die von der Geburt eines Kindes zeugen), genug geschlossene Fensterläden und genug selbstgemachte Marmeladen.

Gestern führte uns das Tomtom über steile Hügel und durch tiefe Täler zur Benediktiner Abtei Santa Maria Assunta von Praglia. Die Sonne brannte auf das Autoblech nieder, dass man sich beim Aussteigen vorsehen musste, nicht gegen die Türe zu stoßen, um keine Brandstreifen zur Verzierung der Mückenstiche zu erhalten. Wir sahen in der Abtei, um es gleich vorweg zu nehmen, keine Dame in Blau, sondern eine in Gelb, die aber ansonsten eine Schwester unserer flotten Frau aus Vicenza hätte sein können, nur dass es ihr nicht gelungen war, ihren Haaren so einen frischen Touch zu verleihen. Die ihren, gleichfalls blond und nur am Ansatz leicht ergraut, hingen ein wenig strähnig herab unter dem gelben Band, mit dem sie die vor einem nur imaginären Wind, der nicht wehte, aus dem Gesicht hielt. Sie war, wie sich herausstellte, eine pensionierte französische Englischlehrerin (und daher eher keine leibliche Schwester der Dame in Blau aus Vicenza). Von ihrer Profession erfuhren wir, als um 15.30 Uhr pünktlich die Pforten zur Abtei geöffnet wurden und ein leicht phlegmatischer Priester im dichten schwarzen Gewand und dunklen Sandalen von Birkenstock die kleine Gruppe um sich versammelte, die um Einlass gebeten hatte. Nun stellte sich heraus, dass hier vier Deutschsprachige, vier Französischsprachige und eine Engländerin warteten, doch – beeilte sich unser Priester mit dem rundlichen Gesicht zu versichern – die Führung sei selbstverständlich: „Sole italiano.“ Für einen winzigen Augenblick stahl sich in seine ansonsten ausdruckslose Miene ein Lächeln, das zu interpretieren nicht leicht war: Schadenfreude, Verlegenheit, Amüsement? Der Moment verging. Die englische Dame, in grellbuntem Hippierock, den sie möglicherweise aus ihrer lang vergangenen Jugend konserviert hatte, mit apfelgrünem Stirnband, seufzte entsetzt: „English? No English, anglese?“ Da nahm sich die Englischlehrerin ihrer an und übersetzte, während unser Führer vor uns her schlurfte, was in dem kleinen Faltblatt (dreisprachig) geschrieben stand, das am Eingang auslag. Auch sie, die Französin nämlich, verstand kein Italienisch. Ihre Begleiter indes gaben sich den Anschein, als ob sie verstünden und nickten beifällig, wenn unser noch gar nicht so alter Mönch seine kurzen Erklärungen abgab, wiederholten auch gelegentlich andächtig ein Wort oder einen Namen: „Foresteria“, „giardino all´italiano“, „Zelotti“. Schnell aber stellte ich fest, dass alle diese Worte und Namen in der Broschüre standen, die auch sie in Händen hielten und auf die sie gelegentlich verstohlen einen Blick warfen, wenn der Benediktiner mit dem Rücken zu uns in den nächsten Kreuzgang schlurfte. Deren hat die Abtei sogar drei: den „rustikalen“, um den herum die Gästeabteilung sich befindet (wer mag, kann nämlich bei den Benediktinern eine Auszeit nehmen von der Hektik des modernen Lebens), einen botantischen, in dessen Innenhof sich der italienische Garten befindet und den Dachkreuzgang im ersten Stock, der Mittelpunkt des klösterlichen Lebens sein soll und wo uns auch tatsächlich zwei weitere Mönche begegneten und ein knappes Lächeln schenkten. Von hier aus gelangt man zur Loggia, zum Refektorium, zum Kapitelsaal, zur Bibliothek und zur Klosterkirche. Von der Loggia aus hat man einen wunderbaren Blick über die Gärten und Bienenstöcke der Mönche in die Euganeischen Berge. Unser Führer entledigte sich seiner Aufgabe, uns durch diese, seine Lebenswelt zu führen, in weniger als zwanzig Minuten, so dass unser Eindruck flüchtig blieb.

Der Garten, aus dessen Erzeugnissen die Wundercreme erstellt wird
Den Mangel an Lebensfreude und innerer Beteiligung, den dieser jüngere Herr trotz seiner offenkundigen Berufung auszustrahlen schien, wusste indes in der Sala de Touristi  sein Mitbruder auszugleichen, der geschäftig und freudig die mönchischen Produkte verkaufte. Wir erstanden einen Brotaufstrich aus Kastanien, Traubensaft, Wein und eine kleine Dose Lavendelcreme, die gegen Insektenstiche helfen sollte, wie wir einem beiliegenden Faltblatt entnahmen. Und siehe da – sie wirkte Wunder. Gleich am Abend zapfte eine venetianische Mücke mir wieder einmal Blut ab und spritzte ihr Blutgerinnungsmittel in meine Arme. Doch dieses Mal war ich vorbereitet und behandelte die Wunde sofort mit der benediktinischen Salbe. Des Nachts juckte die Stelle nicht und am Morgen ist der Einstich kaum mehr zu sehen. Allerdings ist Morel von der Wirksamkeit des Mittels weniger überzeugt und ich muss einräumen, dass die Kraft der Suggestion bei mir schon mehr als einmal zur Wunderheilung gereicht hat.

Wir können nie genug kriegen: Sonne, Licht, Farben, Kunst, Lektüre, Zeit. Wir hatten all das, zwei schöne Wochen, viele Eindrücke. 

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