Donnerstag, 5. Juli 2012

VENEDIG - "Treasure Island", Märtyrer und Phalli


„Es sei silbern und gold, blei-, kupfer- und messingfarben, das Wasser, heißt es, und wenn mit Zinn und Nickel die Metallfarben so gut wie aufgebraucht sind, halten willig die Meerestiere her: schuppen-, austern- und muschelfarben sei es, weiß wie ein Fischbauch, perlmutt- und schneckenschimmernd.“

(Eva Demski: Venedig. Salon der Welt, 2006)

Wer von Land aus nach Venedig kommt, muss durch Mestre, eine Industriestadt, wie sie hässlicher und – vermutlich – effektiver nicht sein kann. Venedig, las ich, verlor in den letzten Jahrzehnten einen guten Teil seiner Einwohnerschaft ans Festland. Man lebt nicht gern mit der Familie im Museum, offenbar, wo es pittoresk ausschaut, aber die Wände schimmeln und die Modernisierung der sanitären Einrichtungen ein Vermögen kostet. Venedig, so heißt es, wurde übernommen von reichen Ausländern, die sich in den Palästen ihre Zweit- bis Viertwohnsitze einrichteten. Es gibt aber, konnten wir uns am Ende unseres ersten Tages in Venedig überzeugen, noch Viertel und Ecken, wo junge Studenten mit schmucker Haartracht in stillen Gassen den Schlüssel ins Schloss einer alten und buntbemalten Türe stecken, um unters Dach in ihre Wohnungen zu klettern, wo alte Männer mit bloßem Oberkörper sich aus dem Fenster lehnen und Frauen mit schweren Einkaufstaschen aus dem Minimercato treten. Am späten Nachmittag schlenderten wir durch Dorsoduro, die Gegend um San Sebastiano, die ruhig und verschlafen wirkt.

"Treasure Island", oben
Vorher allerdings waren wir – wie fast alle Touristen wohl – vom Piazzale Roma aus mit dem Vaporetto zum Markusplatz gestartet, hatten uns durch die Massen gekämpft, um die Einrüstung des Platzes zu beschauen, wo auf riesigen Transparenten für vor den Toren Mestres liegende Factory Outlets geworben wurde. Vor San Marco hatte sich schon eine lange Schlange  gebildet, in die wir uns in der Hitze nicht einreihen wollten. So blieben uns auch diesmal die goldenen Schätze verborgen. In den verwinkelten Gassen hinter dem Platz aber erblickten wir die Möglichkeit unsere letzten 1000€ vor dem Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung in „Treasure Island“ zu investieren, das zu eben diesem Preis in einer gerollten (!) Holz gebundenen Ausgabe angeboten wurde. Kein kunstvollst gebundener Klassiker war hier unter 300€ zu  haben. Bei  uns daheim stehen die Bücher jedoch in Ikea-Regalen, wo sich derartige Schmuckstücke eher kurios ausmachen würden, weswegen wir von einem Kauf absahen, auch weil wir die Hoffnung auf den Bestand des Euro in 2013 und darüber hinaus noch nicht gänzlich aufgegeben haben und daher noch nicht alles in Sachwerte stecken.

Carpaccio: Kreuzigung und Apotheose
der 10.000 Märtyrer am Berg Ararat
Recht leer war es zu unserer Überraschung in der Galleria dell´Academia, wo wir daher anders als in den Uffizien oder im Louvre tatsächlich Gelegenheit hatten, uns auf die großartigen Kunstwerke einzulassen, die hier ausgestellt werden. Die Galleria wird zur Zeit renoviert, finanziert von der US-amerikanischen „Save Venice Inc.“, wie ich nicht versäumen möchte zu erwähnen. Im zweiten Saal überraschte und faszinierte mich ein Gemälde von Vittore Carpaccio „Kreuzigung und Apotheose der 10.000 Märtyrer am Berg Ararat“. Die Gekreuzigten hängen in den Bäumen, aber über ihnen öffnet sich schon, einem Raumschiff gleich, der Himmel.  Wundervoll auch die grellen Farben und expressiven Gesten, mit denen Tintoretto zwei Säle weiter das Leben des Heiligen Marcus, darstellte, dessen Gebeine sich die Venetier gestohlen haben, um ihrer aufstrebenden Welthandelsmetropole die nötige Würde zu verleihen. Besonders beeindruckte mich das Gemälde „Il sogno di San Marco“.  Jacopo Robusti , wie Tintoretto eigentlich hieß, war auch der bemerkenswerte Vater einer hochbegabten Tochter, der Malerin Marietta Robusti, die er förderte. Zu ihrer Zeit war Marietta Robusti eine viel gefragte und geschätzte Porträtmalerin in Venedig. Die Kunstgeschichte allerdings hat ihr Andenken, wie das der meisten Künstlerinnen, nicht bewahrt. Ihre Gemälde wurden anderen, männlichen Malern zugeschrieben und ihr Name geriet in Vergessenheit.

Da ich den Tag nutzen will, werde ich hier nicht all die Gemälde beschreiben und würdigen können, die mich in der Galleria dell´Academia bewegten. Nur eines möchte ich noch erwähnen, das Morel und mich gleichermaßen erstaunte: Ein „Festmahl des Simon“ von Bernardo Strozzi, das in seiner naturalistischen Darstellung der Feiernden unmittelbare Erinnerungen an beinahe zeitgleich entstandenen Gruppenbildnisse der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, beispielsweise eines Frans Hals, weckte. Wer nach Venedig kommt, sollte die Gelegenheit jedenfalls nutzen und die vergleichsweise wenig überlaufene Galleria aufsuchen, obwohl die Stadt selbst mit ihren vielen Ein- und Ausblicken auf Wasserwege und Brückenköpfe jedes Gemälde zu übertreffen scheint.

Pegeen Vail-Guggenheim: o.T.
Später besuchten wir noch den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande, wo Peggy Guggenheim dreißig Jahre mit ihren geliebten Hunden lebte und Kunst sammelte. Was ich nicht wusste: Guggenheims Tochter Pegeen Vail war Malerin. In einem kleinen Raum sind einige ihrer scheinbar naiven und zugleich erotisch aufgeladenen, farbenfrohen Gemälde ausgestellt, für die ich mir gern mehr Zeit genommen hätte. Zum Canal Grande hin steht, wie zu Peggy Guggenheims Lebzeiten, der „Engel der Zitadelle“, eine Reiterfigur von Marino Marini, die ihren erigierten Penis zum Wasser hinstreckt. Eva Demski schreibt: „Der Präfekt von Venetien, der am Canale gegenüber residierte, hat sich provoziert gefühlt. Peggy, die nicht nur am Geld eine ganz unverstellte Freude hatte, fand ihren Engel der Zitadelle, wie Marini sein Werk genannt hatte, im Profil am schönsten und linste nachmittagelang aus ihren Salonfenstern, um den Leuten beim Sich-Aufregen zuzuschauen...Mit gelegentlichen Misshelligkeiten ging sie sehr souverän um: ´Wenn die Nonnen kamen, um sich vom Patriarchen, der an bestimmten Feiertagen in einem Motorboot an meinem Haus vorbeifuhr, segnen zu lassen, so nahm ich dem Reiter den Phallus ab und verbarg ihn in einer Lade. (Anm.: Marinie hatte ihn in weiser Voraussicht zum Abschrauben herstellen lassen!) Das tat ich auch an manchen Tagen, wenn ich prüde Besucher zu empfangen hatte, aber gelegentlich vergaß ich es und geriet angesichts des Phallus in arge Verlegenheit. In solchen Fällen blieb nicht anderes übrig, als ihn zu ignorieren. Eine Legende begann in Venedig zu kursieren, dass ich mehrere Phallen von verschiedener Größe – sozusagen Ersatzteile – hätte, von denen ich zu verschiedenen Gelegenheiten Gebrauch machte.“ (Eva Demski: Venedig. Salon der Welt, insel tb 2006)

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