Sie
waren alle in Venedig, die Schriftsteller:innen, Maler:innen, Philosoph:innen,
Sammler:innen und Melancholiker:innen, die meisten mehrfach. Ein wenig
unverständlich bleibt das. Warum sich dieser Stadt aussetzen, der gegenüber
doch nur alles, was noch gedacht, gemalt, geschrieben werden kann, als lahme
Wiederholung, sparsamer Aufguss, verdruckstes Gemurmel erscheint? Hier
wird einem nichts erspart und es gibt nichts zu sparen: Raus damit oder ab
dafür! Venedig ist gnadenlos: bunt, willig, verroht, offen, torkelnd,
schmuddelig, geil und schön.
Das
letzte ist so ein blöder Satz, wie man (bzw. Frau) den halt schreibt , wenn sie
verschwitzt durch die Gassen gestolpert ist, ahnungslos und sprachlos, ein
bisschen erschöpft durch so viel üppige Schauwerte, denen sie nichts
entgegenzusetzen hat, keine Sprachakrobatik und keine nordische Kühle, die ihr
aber fremd bleiben, aufdringlich schön und beschwerlich füllig.
Alle
waren schon da und alle haben sich ausgelassen über den und im „Salon der Welt“, wie Eva Demski ihre
wunderbare kleine Sammlung von Geschichten über Venedig nennt. Jede Geschichte
trägt im Titel einen Namen, prominent oder nicht, Mensch oder Tier, „mit“ dem
oder der Demski Venedig erkundet. Meine liebste ist diejenige „Mit Annuziata X.“,
einer ledigen Ladenbesitzerin, die mitten im ärgsten Touristengewimmel einen
Haushaltswarenladen von ihren Eltern übernimmt, in dem zu Anfang, als Demski
sie zu ersten Mal trifft, altmodische Küchenutensilien angeboten werden und
venezianische Lichter, von denen Demski eins ums andere Mal eines kauft, um es
Freunden zu schenken. Im Laufe der Jahre verwandelt sich der Laden. Die Autorin erzählt nun aber nicht die vielfach gelesene
Geschichte eines traurigen Niedergangs alter Ladenkultur, sondern wie fröhlich
Annunziata den elterlichen Laden mit nutzlosem Krimskrams anfüllt, statt mit
nützlichen Haushaltswaren und der nordischen Puristin zum Trotz die
venezianischen Glaslampen bald in vielen bunten Farben anbietet, statt auf dem
traditionellen Weiß zu bestehen: „Sie liebte dieses neue Zeug in ihrem Laden,
es war völlig nutzlos, also Symbol wahrhaft guten Lebens. Ich glaube, dass sie
sich endlichem diesem Teil der Welt, der vollgestopften Gasse des
allerinnersten, allerfeinsten Venedig zugehörig fühlte. Sie hatte sich Zeit
gelassen und schaute nicht mehr in ihren Ladenhimmel, in dem Mama und Papa
nichts mehr zu sagen hatten und ratlos an ihren grau gewordenen Trauerfloren
schwebten, während sich zu ihren Füßen ein Meer bunter Keramik ausbreitete.“
Mit
Sara Copia Sullam durchstreift Demski das jüdische Viertel, das erste Ghetto
Europas, „1516 installiert, nicht aus besonders freundlichen Gründen, aber
sternenweit entfernt von der barbarischen Willkür, die wir in unserem
Jahrhundert mit dem Namen Ghetto verbinden.“ Sara Copia Sullam war „Dichterin, Philosophin, Theologin“ im
16. Jahrhundert, eine - wie die Chronisten berichten - wohl sehr schöne und -
wie ihre Briefwechsel belegen – sehr kluge und gebildete Frau. „Das Ghetto“,
schreibt Demski, „ist ein karger Ort, aber in ihm fliegen noch mehr Geschichten
durch die Luft als im übrigen Venedig. Und auch beim nächsten Besuch wird es
wieder seine Eingänge verbergen, und man wird aufs neue nach ihnen suchen.“
(Für uns allerdings wird es der erste Besuch sein und wir dürfen hoffen,
eingelassen zu werden und eine der Geschichten zu fangen, die dort herumwehen).
Auch
Ludwig Thomas Käsebiers ließen sich Venedig nicht entgehen – und Demski stellt
treffend fest: „Ludwig Thomas Urlauberfamilie Mathilde, Wilhelm und Lilly
Käsebier verreisen unverdrossen und enthusiastisch, und wir brauchen uns gar
nicht über sie zu erheben – wir sind alle Käsebiers. Besonders in Venedig.“ Den
Rundgang mit den Käsebiers setzt Demski parallel zu einem eigenen mit
männlichem Begleiter – und stellt so „die unüberbrückbaren Gegensätze im
männlichen und weiblichen Denken und Fühlen schmerzlich“ in den Mittelpunkt
dieses Kapitels. Der Herr beobachtet begeistert, wie im abgelassenen Kanal die
Kabel freigelegt werden und fotografiert drauflos, um den seltenen Anblick
festzuhalten. Die Frau indes findet, „dass dieses Bild etwas Schamloses hat,
als würde man eine berühmte gealterte Schönheit beim Arzt photographieren.“ Der
Mann ist sicher, dass es die Linie 2 gibt, weil sie Plan steht – und kennt
einen Elektroingenieur, der in Venedig studiert hat: „Es gibt auch eine
Normalität hier, das kannst du dir wohl nicht vorstellen. Ich bin nicht blöde,
sagt die Frau. Es gibt Stadtflucht und Arbeitslosigkeit, das weiß ich auch. Du
weißt ja nicht einmal, welche Arbeit sie hier los sind, sagt der Mann
friedlich.“ Venedig, hält Mathilde Käsebier zum Abschied fest „war ein
Traum!!!“ und Eva Demski antwortet: „Ach, es ist wahr, Mathilde Käsebier. Wir
haben uns verstanden.“
Unbedingt,
habe ich nach der Lektüre von Demskis „Salon der Welt“ entschieden, müssen wir
beim nächsten Besuch in Venedig nicht nur ins jüdische Viertel, sondern auch
auf den Campo San Fantin, wo sie „Mit Guiseppe Verdi“ war. Es sei dies,
berichtet Demski, bis zum Jahr 1996 ihr Lieblingsplatz in Venedig gewesen,
„weil die klugen Vorfahren auf ihm alles zusammengeführt hatten, was der Mensch
braucht: eine Kirche, eine Taverne, ein Hotel und die Oper.“ Im Hotel Fenice, das sie so warm
empfiehlt, werden wir Tagesausflügler allerdings nicht absteigen, aber möglicherweise
setzen wir uns stattdessen zum
Geist des längst verstorbenen Dichters Christian Derschau in Harry´s Bar und
vielleicht, vielleicht treffen wir auch auf ein paar ergraute, faltige Damen,
die uns ihre frisch erworbenen Karnevalsmasken vorführen. (Doch die Jahreszeit,
fällt mir ein, ist nicht danach.)
Auch
Krimi-Autor:innen lieben Venedig, eventuell weil ein Klischee von vornherein
ins Wasser fällt, nämlich das Herumfahren in Autos, die amerikanische Übersetzung
des Genres ins Roadmovie und stattdessen die Rückkehr zum alten, englischen
Salon-Who´s dunnit? möglich und sogar nötig wird: Hier bleibt alles in der
Lagune. Demski erwähnt nicht die Bestseller-Autorin Donna Leon, deren
Feinschmecker-Detektiv Brunetti Morel so auf die Nerven geht (mir nicht),
sondern die große Muriel Spark: „Meisterhaft schürft Muriel Spark die glatten
Oberflächen ihrer Geschichten auf, schält immer neue Untergründe hervor, ohne
je wirklich auf einen verlässlichen Kern von Wahrheit oder gar Gerechtigkeit zu
kommen. Was wie eine banale Eifersuchtschoreographie beginnt, erweist sich als
tiefverästeltes Gewirr aus Besatzungszeit und Kollaboration, Feigheit und
Habgier. Auf dem scheinbar unveränderbaren Hintergrund des Campo Santa Maria
Formosa leuchten die Farben menschlicher Niedertracht besonders intensiv.“
Außerdem
gibt es ein Kapitel zu Thomas Mann, dessen morbider Held Aschenbach sich im
„eintönigen Dunst der Raumeswüste“ verlor und so sonderbare und verschwurbelte
Sätze ausgrübelte wie: “Am Vollkommenen zu ruhen ist die Sehnsucht dessen, der
sich um das Vortreffliche bemüht.“ Da kriege ich Durst und kratze meine
Mückenstiche. Der „Tod in Venedig“, wird zwei Kapitel weiter „Mit Joseph
Brodsky“ von Demski dargelegt, findet aber nicht statt. Freundin Sophie, die
sich umbringen will in der Lagunenstadt, bleibt am Leben. Sophie, erzählt
Demski, „ist eine jener sehr schönen Frauen, die schon früh vor dem Spiegel auf
Spurensuche gehen und ihre Liebhaber dadurch verschrecken, das sie etwas
Gewesenes anbeten sollen und nicht das, was da ist. So krochen die Männer nach
kurzer und ehrlicher Anstrengungszeit aus Sophies Leben, lang blieb keiner mir
ihr zusammen und keiner lernte sie wirklich kennen: eine ausgesprochen
freundliche Person, die gern und ausgezeichnet kochte und auch lachen konnte,
wenn es ihr gelang, ihre Schönheit für kurze Zeit zu vergessen.“ Die
verfallende Schönheit Venedigs rettet Sophie, die in der Stadt ihren
Lebensüberdruss gespiegelt findet.
Zum
Schluss darf selbstverständlich der Klassiker nicht fehlen: Kommst du nach
Italien, Wanderer, war er schon da - unser aller Goethe, der 1786 schrieb: „Von
Venedig ist alles gesagt und gedruckt, was man sagen kann, darum weniges, wie
es mir entgegenkommt.“ Mit dieser Erlaubnis und dem Dichterfürsten nimmt Demski
in dem kleinen Band Abschied von der Stadt der türkis schimmernden, stinkenden
Kanäle.
Wir
haben Venedig hinter und noch vor uns... „Wie oft wird man kommen müssen, um
eines Tages mit schöner Gleichgültigkeit über die ganze bröckelige Pracht
wegschauen zu können?“
Ach, sie sind zu beneiden und finden trotz erschöpfender Eindrücke auch noch Zeit für so gelungene Buchbesprechungen. Beim jüdischen Ghetto fiel mir eine Lektüre von vor zwanzig Jahren wieder ein, das meiste längst vergessen, aber ein wirklich sehr profundes und empfehlenswertes Buch zum Thema Ghetto und Juden in Venedig:
AntwortenLöschenRiccardo Calimani: Die Kaufleute von Venedig. Die Geschichte der Juden in der Löwenrepublik. dtv 1990
Darin ist auch von einem Briefwechsel der Dichterin Sara Coppio Sullam die Rede. Sie korrespondierte vier Jahre lang mit dem Edelmann Ansaldo Cebà, ohne ihm jemals persönlich zu begegnen. Damals angestrichen aber nicht weiter verfolgt.
Einen Gruß aus der drückenden Sommerhitze hier.
Morgen früh will ich mir im kühlen Wohnzimmer die Lesung von Leopold Federmair beim Bachmannpreis ansehen. Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger
Ja, wir sind zu beneiden - bis auf die Mückenstiche, die unsere Körper überziehen. Bösartige, beinahe unsichtbare Biester, die ein ekliges Gift absondern, das zu ganz fetten Placken führt...Davon aber erzählt frau in den Reiseberichten natürlich nichts, denn es geht ja eben darum, die daheim Gebliebenen neidisch zu machen ;-). Danke für den Tipp. Das Buch interessiert mich sehr. Ich habe über Sara Coppio Sullam zum ersten Mal bei Eva Demski gelesen.
AntwortenLöschenUnd die Zeit: Wir machen ja nicht jeden Tag Ausflüge. Vorgestern waren wir eine ganzen Tag faul auf der Gartenliege...Ich komme jedenfalls hier dazu endlich mal ganz viel "am Stück zu lesen", was sehr schön ist.
Herzliche Grüße (auch von Morel)
Melusine