Vicenza vom Monte Berici |
Wir
trafen sie an diesem Tag immer wieder: eine ältere Dame mit goldblondiertem
Stufenhaarschnitt, der immer ein wenig durchgeblasen wirkt, obwohl kein
Lüftchen wehte, was ihr eine Frische verlieh, die die tiefen Falten im Gesicht
und am Hals nicht vertreiben konnten, weil sie auch so beschwingt einher
schritt auf ihren halbhohen Sandalen und in ihrem gerüschten, dunkelblauen
Kleid, dass ihr Rock trotz der Windstille fröhlich bauschte. Bella figura machte sie und hatte sie, obgleich sie nicht schlank
war, sondern bestenfalls vollschlank, aber mit Taille und Rundung, wo sie
hingehören. So kam sie den Corso Palladio hinunter, als wir das Auto in der
Hitze auf der Piazza Mazzeotti abgestellt hatten und enttäuscht feststellen mussten,
dass nicht nur das Teatro Olimpico und die im von Palladio erbauten Palazzo Chiericati untergebrachte städtische Pinakothek geschlossen hatten. Denn es war
Montag – und daran hätten wir denken können, hatten wir aber nicht. Es blieb
uns also nichts anderes übrig, als die Stadt Palladios, als Vicenza, von der
Gasse aus zu bewundern, statt uns im Inneren der Räume von der so vielgerühmten
Proportionalität des palladianischen Stils zu überzeugen.
Die
blaue Dame querte auch die Piazza dei Signori, das prachtvolle Zentrum der
Stadt, wo Palladio den Palazzo della Ragione mit einer doppelstöckigen
Marmorloggia einkleidete, die nun „Basilica“ genannt wird. Grün leuchtet das
gewölbte Dach unter dem rosa-weißen Marmor. (Auch Goethe war 1786 begeistert: "Es ist nicht möglich, den Eindruck zu beschreiben, den die ´Basilica´ von Palladio macht.") Die „Basilica“ wird seit nunmehr fünf Jahren renoviert, wie ich
eine Dame ihren Gästen erläutern hörte, und erst im Oktober 2012 werden auch die
Bürger Vicenzas wieder einen Blick hinein werfen können, wenn sie mit einer
großen Ausstellung wiedereröffnet wird: „Raffaello verso Picasso. Storie die sguardi volti e figure“. Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser also vom 6.
Oktober 2012 bis zum 20. Januar 2013 zufällig in Venetien sein, lassen Sie sich
diese Gelegenheit nicht entgehen.
Vicenza
ist schön, wer könnte das leugnen, auch und wegen Palladio, der unauffällig
seitlich neben seiner „Basilica“ auf einem Podest steht und den Finger
bedeutsam oder nachdenklich ans Kinn legt. Auf der Piazza dei Signori dagegen
stehen auf hohen Säulen gleichrangig neben einander der venezianische Löwe und
der Erlöser mit einer von unten winzig aussehenden Weltkugel in der Hand. Da
haben wir ihn wieder: Den Konflikt zwischen weltlicher Macht, Vernunft und Gier
nach Tauschwerten (wie sehr gerade auch diese untereinander in Wettstreit
liegen mögen) und göttlichem Willen, Glauben und dem Begehren nach ewiger
und bedingungsloser Liebe (wie
wohl auch diese sich häufig zu wütender Intoleranz vereinigen). Dieser Konflikt
prägt hier allem seinen Stempel auf – und mich beschleicht der Verdacht, er
habe sich auch uns eingeprägt tief in die Eingeweide hinein, wo wir uns nicht
anders verstehen als aus diesem Widerspruch her und über die einander in uns
widerstreitenden Verlangen, die sich daraus ergeben. Doch --- ich lese, ich
lese nicht nur weiter in diesen Tagen in David Graebers faszinierendem Buch
über 5000 Jahre Schulden, sondern parallel dazu in den Schriften der
Diotima-Gruppe zu „Macht und Politik“. Jenseits dieses Konflikts und unseres
Verständnisses davon eröffnen sich aus der Perspektive der scheinbar Ohnmächtigen,
der Gebürtigkeit statt der Schöpfung, der Kultur des Gebrauchs statt des
Tausches, einer Ökonomie des Schenkens statt der Mangelverwaltung neue
Einsichten und Aussichten. Ich bin noch nicht soweit, das ausformulieren zu
können, noch habe ich auch die beiden Bücher nicht bis ans Ende gelesen.
Wir
trafen die Blondine wieder, lächelnd und trotz der Hitze perfekt geschminkt, im
Self Service Restaurant Righetti am Domplatz, wo für kleines Geld ein guter
Mittagstisch geboten wird, den vor allem Einheimische nutzen. Hinterm Dom starrte
ich durch ein Schaufenster wie gebannt auf Artdeco-Kommoden, -Lampen und -Sitzbänke, die unmittelbare Erinnerungen an die von mir so geliebten
Hollywood-Komödien der 30er Jahre, die Tanzfilme mit Fred Astarie und Ginger
Rogers weckten und an die Malerin
Tamara de Lempicka. Der Laden heißt Artdeco Galuchat. Zurück schlenderten wir
durch die Stadt, vorbei an den von Palladio erbauten Palästen, in deren
Innenhöfen malerische Schöne in Nischen stehen oder kämpferische Keulenträger,
immer mit Standbein- Spielbein-Eleganz ausgeführt, wie sie auch vom Dach eines
Hauses flott herabschauen zu viert, das gegenüber der Kirche San Lorenzo steht.
Unsere Blondine haben wir zuletzt verloren, als wir uns von der Hitze des Tages
ein wenig ausruhten im Parco Querini, wo vom Hügel im See ein einsamer Tempel
die Schatten suchenden Sommergäste grüßt, die sich vor den hier freilaufenden Hähnen, die drohend krähen,
in Schutz bringen müssen.
Schön! Ich finde, die blaue Dame und (mindestens) ein streitbarer Hahn könnten Ihre Reiseerzählungen auch weiterhin begleiten ...
AntwortenLöschenHerzliche Grüße aus Paris!
Phyllis
Ich werde nach ihnen Ausschau halten, nach beiden!
AntwortenLöschenAch, Paris....
Herzliche Grüße
Melusine