Mittwoch, 15. August 2012

INZEST UND MASTURBATION (oder: STURM der Feuilletonisten)


Da ist das Skandälchen. Der Autor von „Im Sturm“ ist kein Schwede mit typischem Namen (Per Johannson), sondern ein gequälter (?) Ex-FAZler (jetzt bei der Süddeutschen Zeitung). Der Fischer-Verlag hat einen Bestseller-verdächtigen Schweden-Krimi (passendes Cover: düsterer nordischer Wald) auf den Markt geworfen und im Klappentext die fiktive Biographie eines mittelalten Schweden abgedruckt, wie schon einige erfolgreich auf dem deutschen Krimimarkt platziert wurden. Im Roman ist das Opfer der Chefredakteur einer deutschlandweiten Tageszeitung, der Sätze von sich geben soll, die an Frank Schirrmacher erinnern. Ein geschickter Coup, zweifellos. Wer fragt sich da nicht: Was will der Schwede vom deutschen Feuilleton? Ein Berliner Literaturwissenschaftler, der über Gespenster und  Kapital raunt (Jospeh Vogl) kommt auch vor. Wie offenbar geplant, läuft die Inzestmaschine an: Man kennt sich, man liebt sich, man fickt sich, man hasst sich, man pisst sich an – im deutschen Feuilleton. Per Johannson, sagt der Verlag schelmisch, eijeijei, ist das Pseudonym eines  Autorenduos. Alles Lüge, enttarnen die Detektive, es war Thomas Steinfeld, der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung. Der gibt´s auch zu, denn der Gag war ja mit Sicherheit so geplant. Wahrscheinlich steigert das die Verkaufszahlen. Marketing funktioniert so. Manche allerdings wenden sich angeekelt oder gelangweilt ab. Der Morel und ich zum Beispiel würden das Buch nicht lesen. Ungerührt ließen wir das geniale Werk auf dem Stapel neben der Bezahltheke im Bücherkaufhaus liegen. Weg mit dem Konjunktiv: Wir lassen so was ohne das geringste Bedauern und Interesse liegen! Der Grund ist simpel: Wir gehören nicht zur inzestuösen Familie des deutschen „Literaturbetriebs“ und wir haben wenig Interesse an öffentlicher Masturbation im keimfreien Schaukasten.

(Den Vergleich dieses Marketingmanövers mit den Pseudonymen anderer Autor_innen in der Geschichte der Literatur – Gregor Keuschnig zum Beispiel erwähnt gar Kurt Tucholsky – finde ich unangebracht. Ein Pseudonym ist eine Tarnung, keine Täuschung. Oft wird es so gewählt, dass jede/r ohne Weiteres erkennen kann, dass es sich um einen fiktiven Namen handelt. Oder es wird ein Spiel der Identitäten entfacht, in das die Leserin hineingezogen wird. Das Pseudonym setzt eine Leerstelle an die Stelle des Autor/der Autorin. Jede kann sich dahinter vorstellen und hineinlesen, was sie mag: Ungewissheit. Täuschung ist es, wenn jemand aus Marketing-Gründen eine fiktive "passende" Biographie für den Autor erfindet, die auf "Enthüllung" geradezu anlegt ist. Thomas Steinhaus hat zusätzlich zum Modell „Schwedenkrimi“ im Roman offenbar seine „Enttarnung“ durch Fährten provoziert, um  - was ja auch gut geklappt hat - vom „Skandal" zu profitieren.  Das funktioniert. Ich finde es öde. Aber ich gucke auch nicht gerne anderen beim Masturbieren zu. Es gibt jedoch bestimmt dafür ein Publikum. Wir leben in einer freien Gesellschaft, wo jede lesen kann, was sie will. Zum Glück.)

11 Kommentare:

  1. Zweifellos. Gekonnt. Manche wird´s interessieren. Manche langweilen. Manche werden´s lesen, manche nicht. So ist das halt. Ich lese eh keine Bücher, in denen Feuilletonisten vorkommen. Das mag nicht verwundern, denn ich lese auch keine Feuilletons. Andererseits: Ich lese Bücher über Pelzzuchtfarmer, obwohl ich keinen Pelz trage. Ich habe eben keine Prinzipien.

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  2. Sie haben, liebe Melusine, ganz recht, so läuft die PR-Maschine der großen Jungs, aber interessant ist das nicht. Der eine oder die andere kann sich vielleicht noch an den krachtschen Skandal mit seinem "Roman" Imperium erinnern, da gab es auch nur Sieger, bis hin zu Denis Scheck und Konsorten. http://nwschlinkert.de/2012/03/26/denis-scheck-faehrt-rad-mit-christian-kracht/
    Manche scheinen so etwas nötig zu haben, um oben zu bleiben. Mit meiner Lese- und Schreibwirklichkeit haben solche High-Society-Spiele allerdings nichts zu tun.

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  3. Na ja, als "High Society" würde ich die Feuilletonisten nicht bezeichnen. Sie sind eher die Hof-Narren der Holtzbrincks, Springers, DuMonts etc. Und es ist wie in jeder Branche: Wenn man nur noch seinesgleichen kennt, wird man doof. Das ist unter Lehrer_inn_en so, bei Ärzt_inn_en, Jurist_inn_en oder Metzger_inn_en. Wer seine kleine Welt für die Welt hält, schränkt sich selber ein. Was ich schon ein wenig bös an dieser Sache finde, ist die Publikumsverachtung, die daraus spricht. Aber auch das hat in Deutschland eine lange Tradition: Das unbedingte Distinktionsstreben der selbsternannten "hohen Literaten" (man erkennt sie häufig an einem bestimmten Zug um den Mund) vom sogenannten "Schund" und als dessen Umkehrung so eine herablassende Geste wie diese, die man vielleicht so übersetzen könnte: Wer Schweden-Krimis liest, will doch verarscht werden. (In den 80er Jahren besuchte ich einmal mit einem Seminar einen Fernsehsender. Da wimmelte es von Geisteswissenschaftler auf hoch bezahlten Stellen, die über das Fernsehen lästerten und ihr Publikum beschimpften, um so das schlechte Programm zu rechtfertigen, das sie machten. Daran erinnert mich das ein wenig. Man ist sich eigentlich zu gut "für so was", also für seine eigenen Leser_innen. Weil die halt so blöd sind, muss man ihnen so kommen.)

    (Ich lese übrigens sehr gerne und häufig Krimis, sogar manche aus Schweden ;-) Zum Beispiel die von Ake Edvardson. )

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    1. Ich hätte "High Society" natürlich in Anführungszeichen setzen müssen! Das mit den "Berufskrankheiten", bedingt durch Unterseinesgleichensein, ist mir schon früh im Leben aufgefallen, so wollte ich nicht werden, sondern immer in bunter Gesellschaft leben. Das mache ich heute noch so, wenngleich einem das auch auf die Füße fallen kann, denn man gehört ja dann nirgendwo richtig dazu und wird eben auch nicht berücksichtigt, wenn es um Aufträge oder Stellen geht. Dafür werde ich dann auch mal gelobt für meine große Bandbreite. Ich bereue es aber natürlich trotzdem nicht, nicht steckengeblieben zu sein.
      Das mit der Publikumsverachtung habe ich übrigens beim Fernsehen (WDR, da habe ich mal als Kabelaffe gearbeitet und ne Menge Einblicke gewonnen) auch so erlebt, die Menschen wollen angeblich verarscht werden, so daß dann nach und nach das Niveau auch entsprechend geworden ist und den mal vorhandenen Zielen des Fernsehens Hohn spricht.
      Ich lese übrigens keine modernen Krimis, sehe aber gerne auf DVD die geniale Serie 'Der Kommissar', denn damals hatte man oft noch den Anspruch, Unterhaltung mit Zeitkritik auf höchstem Niveau zu verbinden. Jaja, die alten Zeiten ;-)

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  4. Och, ich sehne mich nicht unbedingt nach denen zurück, den alten Zeiten. Da gab´s auch ziemlich gruselige Sachen. Und es gibt auch jetzt tolle Serien. Halt selten aus Deutschland. (Woran das wohl liegt? Vielleicht auch daran, dass die Verachtung für das "Unterhaltsame" so tief sitzt?) Ich warte immer noch auf die 4. Staffel von "The Wire", die ich bestellt habe.

    Dominik Graf hat übrigens seine Carte blanche im Frankfurter Filmmuseum genutzt, um zwei Kommissar-Folgen vorführen zu lassen: DIE SCHRECKLICHEN und PARKPLATZHYÄNEN. Ich hoffe sehr, dass ich mindesten einen von beiden sehen kann (denn ich bin ziemlich sicher, dass ich die Fernsehen noch nie gesehen habe. Aber auf Ihrer DVD müssten sie ja drauf sein. Beide unter der Regie eines Exil-Tschechen gedreht: Zbynek Brynych. Graf verspricht "psychedelische Kamerafahrten in Hinterhöfe". Jep!

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    1. DIE SCHRECKLICHEN habe ich gestern erst gesehen!
      Natürlich aber war früher vieles schrecklich, wenn auch meist nicht so schrecklich wie die titelgebenden SCHRECKLICHEN, doch das Frühere ist eben vergangen und man pickt sich heute, in der Zukunft, die herausragenden Sachen einfach raus. Tja, Serien, die guck ich auch gerne, THE MENTALIST, MAD MAN, BOARDWALK EMPIRE, DEADWOOD und natürlich TWIN PEAKS. Eben Unterhaltung mit Niveau für Menschen mit Ansprüchen. Gegen ein Serienerlebnis ist ein Spielfilm wie eine Kurzgeschichte gegenüber einem Roman.

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    2. Drei dieser Serien kenne ich. Auf die nächste MAD MAN-Staffel warte ich. BOARDWALK EMPIRE und DEADWOOD habe ich (noch) nicht gesehen. Vielleicht kann man die Serien mit Kurzgeschichten/Erzählungen vergleichen. Mir scheint bei den Serien der Zusammenhang zum Roman enger. Schließlich sind viele Romane als Kolportage-Romane entstanden, die nach dem Prinzip der Serie verfuhren (Balzac, Dostojewski u.a.) . "Klassische" Kurzgeschichten à la Hemingway gibt es ja kaum noch - oder ich kriege nichts davon mit. "Perfekte" Erzählungen (wie die von Alice Munro) sind für mich als Leserin eher bedeutsamer als Romane (Von denen viele - gerade der neueren - mich eher langweilen, z.T. weil sie so sehr konstruiert, am theoretischen Reißbrett entworfen wirken, so kalkuliert und sowohl thematisch als auch formal bestimmte Erwartungen des "gehobenen" Feuilletons bedienen, dem eben serviert wird, was es - auf dem gehobenen Niveau seiner in den 80er Jahren erworbenen geisteswissenschaftlichen Bildung, Postmoderne, Strukturalismus und so... - a l s kunstvoll versteht.) Gefallen haben mir zuletzt die Erzählungen von Jana Volkmann "Schwimmhäute", "The best stories" von Alice Munro, Jennifer Egans "A visit from goon squad", "Dein Name" von Navid Kermani, "Der Maler und das Mädchen" von Margriet de Moor, "Die Schmerzmacherin" von Marlene Streeruwitz; also zwei Bände mit Erzählungen, zwei sehr unkonventionelle Roman, für die diese Gattungsbezeichnung vielleicht gar nicht mehr passt, und nur zwei "richtige" Romane. Reingelesen habe ich in einige Neuerscheinungen unter dem Label "Roman", die ich aber rasch wieder beiseite gelegt habe. (Ich bin froh, dass ich nur lesen muss, was ich lesen will.) Romane lese ich vor allem alte; gerade hatte ich sehr viel zu lachen mit "Erna. Kein Roman", von Charlotte von Ahlefeld, das ist wirklich unglaublich! (werde ich in Material verwandeln, irgendwann). Eine Hierarchie der Gattungen halte ich eher für antiquiert. Aber ich gebe zu (so hat es mir auch eine Literaturagentin erklärt): In Deutschland gibt es keinen Markt für Prosa, die nicht unter dem Label "Roman" firmiert. Es gibt kaum mehr Zeitungen oder Zeitschriften, die - wie der "New Yorker" - Erzählungen abdrucken. Und Verlage bestehen gleichfalls darauf, jede längere Erzählung in einen "Roman" umzubenennen, notfalls wird die Schriftgröße erhöht ;-). Das liegt vielleicht auch an dieser sonderbaren und im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern geradezu grotesken Sturheit, mit der an der Dichotomie von hoher und niederer Literatur festgehalten wird. Es muss im protestantisch geprägten Deutschland die Anstrengung, der Schweiß erkennbar sein, der im Werk steckt, sonst gilt´s nicht. Wehe, es kommt ein bisschen spielerisch daher...Aber zu klagen gibt´s nichts, finde ich: Es fehlt mir keineswegs an Freude bereitendem Lesestoff.

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    3. Es gibt sicher mehr gute Literatur, als man je wird lesen können, vor allem, wenn man sich von den vorgegebenen Richtungen löst, auch was die Herkunft angeht. Das gehypte Neue ist auch mir oft zu konstruiert und marktorientiert, ich les' rein und langweile mich – überall berufslose Ichs, die in der Weltgeschichte rumfuhrwerken! Allerdings habe ich die Spiegel-Bestsellerliste ohnehin noch nie im Leben beachtet. Ein Gegenmittel ist, aber das wissen Sie ja, selbst einen Roman zu schreiben http://nwschlinkert.de/2012/08/17/dem-roman-seine-ueberarbeitung-vi/ , der den eigenen Ansprüchen genügen soll, bzw. muß. Im Moment lese ich den Roman 'Der Antichrist' (Rütten und Loening, Berlin 1974 / Антихрист. 1970) von Emilijan Stanew, den man vielleicht auch eine lange Erzählung nennen könnte, so wie ja auch Adalbert Stifter seinem 'Nachsommer' den Untertitel "Eine Erzählung" verpaßte, ganz passend, wie ich finde. In den neuen Ausgaben des Nachsommer steht trotzdem "Roman", auch wenn ohnehin kein Durchschnitts-Leser Stifter liest – insofern hat die Literaturagentin wohl sicher recht.

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    4. Das Männer-Magazin für "gehobene" Ansprüche (SPIEGEl) lese ich nicht, hat es eine Bestsellerliste??? ;-).

      Emilijan Stanew kenne ich (noch) nicht. Mein Kindle ist jedoch sowieso noch voll mit ungelesenen Meisterwerken (alte kann man sich ja massenweise kostenlos runterladen), allein der Casanova wird ja mindestens einen Monat Lesezeit beanspruchen. Stifters "Nachsommer" muss ich jetzt aber wirklich mal lesen (der ist auch auf dem Kindle) - der BenHuRum empfiehlt mir das schon seit Jahren.

      Zu dem "Nicht-dazu-Gehören" wollte ich noch sagen: Es stimmt zwar, dass das nicht karrierefördernd ist, wenn man sich aus den Netzwerken heraushält, die sich in den Berufsgruppen bilden. Aber die Lebenszeit ist begrenzt. Wer sie darein investiert, hat in der Regel keine Zeit mehr für Freunde und Freundinnen, mit denen man keine Zweckbündnisse unterhält, sondern die man einfach lieb hat. Ich möchte auf keinen Fall nur Beziehungen unterhalten, die nach dem Prinzip: "Eine Hand wäscht die andere" funktionieren oder wo taktische Überlegungen immer mit hineinspielen ("Kann mir die nützen?").

      Sie schreiben ja offenbar einen historischen Roman? Das ist ein Wagnis (weil es ja auch demgegenüber diese ganzen Vorurteile gibt, das historische Romane out seien und nur noch als Trivialliteratur möglich) - und ich bin gespannt.

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    5. Ja, in der Tat, ich schreibe einen historischen Roman, weil der Stoff historisch ist, also aus einer Zeit stammt, an die sich kein Lebender erinnert. Der Ruf historischer Romane ist schlecht, das stimmt, aber schließlich gab es ja irgendwann ganz plötzlich auch anspruchsvolle Krimis, das jedenfalls wurde behauptet. (Ob das wirklich stimmt? Kann ich leider nicht beurteilen.) Allerdings wird der historische Roman auch in Schriftstellerkreisen nicht gerne gesehen, da ist man dann auch gleich ein Außerirdischer unter lauter Gegenwartsanalysten. Aber egal, ich mach mein Ding, schließlich bleibt mir auch nichts anderes übrig.

      Das Käseblatt für Lehrer und andere Möchtegernintellektuelle lese ich übrigens auch nicht, außer manchmal online die Glossen – die Lebenszeit ist eben, wie Sie ganz richtig sagten, begrenzt, und tatsächlich habe ich auch einige Freunde aus den Augen verloren, bzw. als Freunde verloren, als die sich ihrer Karriere voll und ganz widmeten. Wenn das der Preis ist, dann ist er zu hoch.

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