Mit diesem Post setze ich die Reihe zu den auf Deutsch erschienenen Textsammlungen der Philosophinnen-Gruppe DiOTIMA fort:
Bisher:
2. Autorität ohne Macht (JENSEITS DER GLEICHHEIT. ÜBER MACHT UND DIE WEIBLICHEN WURZELN DER AUTORITÄT)
Dieser Post beschäftigt sich mit dem kürzlich erschienenen Band: MACHT UND POLITIK SIND NICHT DASSELBE.
„Was nur für Männer geschrieben wurde,
daran können sich auch nur Männer halten.“
Heloise
Der
kürzlich auf Deutsch erschienene Sammelband „Macht und Politik sind nicht
dasselbe“ der Philosophinnen-Gruppe Diotima aus Verona knüpft an die bisherigen
Überlegungen der italienischen Feministinnen an und überprüft, wie sie sich in
der politischen Praxis auswirken. Hierbei halten die Philosophinnen an der
Methode des „Von-sich-ausgehens“ fest, was eben bedeutet, die eigene Position
und Perspektive nicht ins (blinde) Zentrum
des Verstehens und Handelns zu rücken, sondern sich von dort her in Bewegung zu setzen.
Ausgangspunkt
der Überlegungen ist die Feststellung, dass die Kämpfe um mehr Partizipation
von Frauen in den politischen Organisationen und Institutionen nicht zu
größerer Zufriedenheit der Frauen geführt haben. Tatsächlich nimmt der
Frauenanteil in den politischen Parteien nicht
zu und liegt weiterhin in allen weit unter 50%. Obwohl inzwischen in
Deutschland eine Frau Bundeskanzlerin ist, kann offenbar eine Mehrheit der
Frauen sich in dem, was öffentlich als Politik diskutiert wird, nicht
wiederfinden. Ich kann diese Haltung auch bei mir selbst beobachten. Der
Ausgangspunkt meines politischen Interesses war stets ein praktischer: Wie kann
das gemeinschaftliche Leben verbessert werden? Dagegen haben mich Parteipolitik,
Institutionen und politische Theorien stets eher gelangweilt. Immer wieder habe
ich deswegen auch ein schlechtes Gewissen empfunden, weil ich mich nicht in
Gremien eingebracht und – wie mir schien – den Mühen des alltäglichen „Politik-Geschäfts“
entzogen habe. Wo immer ich mich in der Vergangenheit jedoch überwunden habe,
in politischen Organisationen, Gewerkschaften oder Parteien mitzuarbeiten, sind
sehr schnell jene Mechanismen zum Vorschein getreten, die mich (ver-)zweifeln
ließen. Immer wieder kam es nämlich zu jener Verwechslung von Politik und Macht, wie sie
von den italienischen Philosophinnen in „Macht und Politik sind nicht dasselbe“
beschrieben wird.
Die
Diotima-Philosophinnen zeigen, dass, wo immer es zu dieser Verwechslung kommt
(nämlich das vorgeblich politische Handeln dem Machtstreben unterworfen wird
oder die Macht sich politische Argumente aneignet, um sich selbst zu erhalten), Beziehungen irreversibel
beschädigt werden. Politik verstehen die Philosophinnen der Diotima-Gruppe
konsequent als gemeinschaftliches
Handeln von Menschen und eben
nicht als abstraktes und anonymes Bezugsystem von „Ideen“ oder „Interessen“. Daher
kann von den Beziehungen nicht abgesehen werden, wenn politisch gehandelt
werden soll. Beschädigung dieser Art habe ich selbst – nicht „unschuldig“, sondern durchaus
„verstrickt“ - erlebt – und daraus meine Schlüsse gezogen: Nämlich dort keine Zeit und Arbeit mehr zu
investieren, wo der Unterschied zwischen Macht und Politik nicht mehr gesehen wird und die Gefahr besteht, dass ich selbst ihn aus den Augen verliere. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der immer
wieder betont werdem muss, ist die Auflösung der Trennung von Privatem und
Öffentlichem als Voraussetzung eines feministischen politischen Denkens. Die Sorge
für den Körper, die Nahrung, das Alltagsleben, die Begleitung in Krankheit und
Tod sind politische Themen. Eine Pseudo-Politik, die diese Aspekte als
nachrangig oder als Privatsache behandelt, ist daher als Politik gar nicht ernst zu nehmen.
Die
Texte des Bandes entwickeln den Begriff des Politischen aus einem Spannungsfeld
zwischen Hannah Arendts „Vita Activa“ und Michel Foucaults Analysen der Macht.
Den Diotima-Philosophinnen geht es dabei weder um eine Übernahme dieser
Theorien noch um ihre Widerlegung. Sie denken die dort erarbeiteten Ideen
vielmehr kritisch weiter. Hannah Arendt hatte von der „Ohnmacht der Macht“ gesprochen,
die sich darin offenbare, dass wirklich politisches Handeln sich gerade der
Macht entziehe, die zwar die Mittel habe, zu verhindern und zu unterdrücken,
aber nicht zu gestalten. Luisa Muraro knüpft an diesen
Faden an: „Die Politik kann die Macht nicht für ihre Ziele einsetzen, als ob sie
ein Mittel wäre.“ Denn die Logik der Macht wird immer dazu führen, sich über
die Freiheit der anderen hinwegzusetzen, „ohne an der notwendigen Vermittlung
zu arbeiten“. Wo immer Politik mit Macht identifiziert wird, geht die
Möglichkeit „Politik zu machen“ verloren. Denn wer nicht mehr an
der Vermittlung arbeitet, sondern allein an der Durchsetzung, vergibt die Chance,
das gemeinschaftliche Leben tatsächlich mit den anderen gestaltend zu
verändern. Deshalb, so stellt Muraro fest, habe der sogenannte
„Staatsfeminismus“ auch so viel Verwirrung erzeugt, da er darauf abgezielt
habe, die „Gleichheit zwischen den Geschlechtern“ zu organisieren, also
Teilhabe an der Macht. Diese Verwechslung von Macht und Politik habe notwendig
zu einer „Komplizenschaft“ mit der Macht geführt.
Muraro
setzt dagegen auf eine „symbolische Unabhängigkeit“ von der Macht, die es zu
gestalten und zu erhalten gelte. Sie verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf die
berühmte Interpretation des Römerbriefes durch Karl Barth. Muraro deutet Barths
Interpretation Paulus´ so: „Der Irrtum der Revolutionäre (also derer, die gegen
die Macht mit Mitteln der Macht aufbegehren) besteht also darin, dass sie
meinen...siegen zu müssen.“ Statt das „Spiel um
die Macht“ weiterzuführen und mit Politik zu verwechseln, komme es darauf an,
in das „Spiel der Beziehungen“ einzutreten. Muraro knüpft damit an eine Lesart
des Neuen Testamentes an, die Karl Barth vorangetrieben hat. Dieses Verfahren, so meint Muraro, könne ein
feministisches Denken sich zu eigen machen. Diana
Sartori greift den Gedankengang in einem anderen Text auf: Es gehe darum, dem ewigen Kreislauf der Ablösung der einen Macht durch die andere zu entkommen; der unablässigen Wiederholung des symbolischen Vatermords in
den gewaltsamen Revolutionen. Mich erinnerten diese Passagen an Georg Büchners
Fatalismus-Brief, der mit ähnlichem Zweifel und noch mehr Verzweiflung aus männlicher Perspektive auf die Geschichte der
Revolutionen schaut.
Wie
Muraro bezieht sich auch Sartori auf Hannah Arendt, insbesondere auf Arendts Rückbesinnung
auf die Bedingtheit des Menschen, seine Nativität (Gebürtigkeit). Diese Rückbesinnung
ermögliche es, das Gefängnis zu verlassen, dass sich durch das Denken von der
Politik als etwas „Künstlichem“, also der Politik als „Staatswesen“ ergeben
habe. Stattdessen sei ein Politikbegriff zurückzugewinnen, der dieser „eisernen
Logik“ entkomme und damit auch der „ohnmächtigen Macht“. Diese vom Feminismus
aufgegriffene Vorstellung von Politik sei, so führt Sartori aus, häufig
kritisiert worden, weil sie angeblich die Bedeutung des instrumentellen
Handelns der Macht in der Politik unterschätze. Sartori entwirft zur
Entkräftung dieser Kritik eine „Landkarte der Indizien“, eine Phänomenologie
der Begriffe, die politisch oder als
Machtinstrumente gebraucht werden können: Zwecke, Ende, Objekte, Ideale, Orte,
Zeiten, Fähigkeiten, Rationalität, Ontologie, Praxis, Grenzen, Recht und
Rechte, Wirksamkeit und Vorhersehbarkeit, Subjekt, Tugenden, Körper,
Sexualität, Begehren, Ängste, Empfinden, Genuss, leidenschaftliche
Anhänglichkeit. Sartori zeigt auf, wie im Gefolge Foucaults alle diese Begriffe dem Denken der Macht unterworfen wurden. Sartori zeichnet dabei detailliert das Potential des Foucaultschen Denkens nach, die
Spuren der Macht in uns selbst aufzufinden. Jedoch richtet sich ihre Arbeit
darauf, dieses Denken zu überschreiten, in dem die Subjektwerdung nicht mehr als etwas
begriffen wird, das sich ausschließlich in Machtverhältnissen vollzieht,
sondern auch in Beziehungen, die dem „klaustrophobischen Dispositiv der Macht“
entkommen können, weil sie nicht darauf ausgerichtet sind, in Besitz zu
nehmen. Sartori beschreibt diese Beziehungen im Bild der „mütterlichen
Bindung“. Es wäre ein Missverständnis dieses symbolische Bild mit einer
konkreten Mutter-Kind-Beziehung zu verwechseln, die immer auch von Machtspielen
geprägt sein wird. Ebenso falsch ist es jedoch aus Sicht der
Diotima-Philosophinnen, alle Beziehungen auf Machtspiele zu reduzieren. In den geglückten Beziehungen steckt zugleich das Potential, Freiheit anders zu denken, denn
als Ablösung, als Revolte, als symbolischen „Vater—oder Muttermord“, sondern
sie in der Beziehung zum anderen
Menschen zu erfahren, als die Freiheit, sich gemeinsam zu entwickeln, auch
voneinander zu lösen, ohne sich - symbolisch oder tatsächlich - vernichten zu müssen. (Auch der „späte“
Foucault hat im Übrigen in den Vorlesungen, in seinen Überlegungen zum lokalen
politischen Handeln und in den Überlegungen zum „diätischen“ Lebensentwurf –
eine Rückbesinnung, wenn man so will, auf die Tugendlehren - eine Wende
vollzogen, wenn auch in eine andere Richtung.)
Die Diotima-Philosophinnen wären missverstanden, wenn man glaubte, sie wollten den Zusammenhang von Macht und Politik leugnen oder eine Analyse verhindern, die sichtbar mache, wie die Macht sich in unsere Körper und Denkweisen einschreibt. Vielmehr wollen sie dieser etwas an die Seite zu stellen, was jenseits der Macht existiert und überhaupt erst eine Öffnung auf etwas Neues hin ermöglicht. Hierzu, so schreibt Sartori, sei es notwendig, zu begreifen, dass „der Ausschluss der Frauen und der Ausschluss der Sphäre dieser Beziehungen“ aus der politischen Philosophie eine „metapolitische Vorbedingung“ dieses Denkens gewesen sei, um zur Identifizierung von Macht und Politik zu gelangen.
Die Diotima-Philosophinnen wären missverstanden, wenn man glaubte, sie wollten den Zusammenhang von Macht und Politik leugnen oder eine Analyse verhindern, die sichtbar mache, wie die Macht sich in unsere Körper und Denkweisen einschreibt. Vielmehr wollen sie dieser etwas an die Seite zu stellen, was jenseits der Macht existiert und überhaupt erst eine Öffnung auf etwas Neues hin ermöglicht. Hierzu, so schreibt Sartori, sei es notwendig, zu begreifen, dass „der Ausschluss der Frauen und der Ausschluss der Sphäre dieser Beziehungen“ aus der politischen Philosophie eine „metapolitische Vorbedingung“ dieses Denkens gewesen sei, um zur Identifizierung von Macht und Politik zu gelangen.
Im
Anschluss an diese grundlegenden Texte erzählen einige Frauen in „Macht und
Politik sind nicht dasselbe“ von konkreten politischen Auseinandersetzungen,
den Möglichkeiten und Risiken, die sich in einer politischen Arbeit eröffnen,
die sich auf dieses Denken stützt. Giannina Longobardi berichtet über die
Dienstvorschrift im Schulwesen, die pädagogisches Handeln zu verhindern
versucht; Fulvia Bandoli setzt sich mit ihrer 30jährigen Erfahrung in
politischen Parteien auseinander; Antonella Cunico zeigt, wie aus einer Bürgerbewegung
gegen einen Luftwaffenstützpunkt eine Bewegung werden kann, die eine
Neugestaltung der Stadt vorantreibt; Cristina Faccincani stellt Fälle aus ihrer
psychoanalytischen Praxis vor.
Chiara Zamboni schließt noch einmal den Kreis, indem sie darlegt „Was ich von Michel Foucault gelernt habe“: nämlich zu verstehen, was Macht ist und dass es Macht nur dagibt, wo es auch die Idee der Freiheit gibt. Ihre Schlussfolgerungen fasst Zamboni im Bild eines Vergleiches zwischen Schach und Dame-Spiel zusammen. Die Analyse des Schach gleiche einer Analyse der Machtbeziehungen, in der jeder Spieler eine unterschiedliche Rolle und unterschiedliche. festgelegte Spielzüge zur Verfügung habe. Das Dame-Spiel aber „unterlaufe“ diese Struktur, indem die Spielenden gleich und frei beweglich sind. Politik und Macht agieren auf einem Spielfeld, auf dem beide Spiele gleichzeitig gespielt werden: das Machtspiel und die Politik. Es komme nun darauf an, sich selbst und andere darin zu schulen, nicht jeden Zug, den eine Figur mache oder den man selbst mache, als einen des Schachspielers zu interpretieren: „Die Politik profitiert am stärksten vom Unvorhergesehenen und von zufälligen Ereignissen.“ Am Ende des Textes von Zamboni steht der vielleicht wichtigste Hinweis: „Doch trotz der Bedeutung von Beziehung für die Politik dürfen wir die Politik keineswegs auf Beziehungen reduzieren.“ Das ist (auch das deckt sich mit meinen Erfahrungen und denen vieler anderer Frauen, mit denen ich mich unterhalten habe) eine große Gefahr. Beziehungen sind notwendige Bedingungen, um Politik zu machen. Sie selbst sind noch keine Politik. Es geht bei der Politik um die Veränderung der Welt und der Beziehungen. Das kann auch heißen, bestimmte Beziehungen hinter sich zu lassen.
Chiara Zamboni schließt noch einmal den Kreis, indem sie darlegt „Was ich von Michel Foucault gelernt habe“: nämlich zu verstehen, was Macht ist und dass es Macht nur dagibt, wo es auch die Idee der Freiheit gibt. Ihre Schlussfolgerungen fasst Zamboni im Bild eines Vergleiches zwischen Schach und Dame-Spiel zusammen. Die Analyse des Schach gleiche einer Analyse der Machtbeziehungen, in der jeder Spieler eine unterschiedliche Rolle und unterschiedliche. festgelegte Spielzüge zur Verfügung habe. Das Dame-Spiel aber „unterlaufe“ diese Struktur, indem die Spielenden gleich und frei beweglich sind. Politik und Macht agieren auf einem Spielfeld, auf dem beide Spiele gleichzeitig gespielt werden: das Machtspiel und die Politik. Es komme nun darauf an, sich selbst und andere darin zu schulen, nicht jeden Zug, den eine Figur mache oder den man selbst mache, als einen des Schachspielers zu interpretieren: „Die Politik profitiert am stärksten vom Unvorhergesehenen und von zufälligen Ereignissen.“ Am Ende des Textes von Zamboni steht der vielleicht wichtigste Hinweis: „Doch trotz der Bedeutung von Beziehung für die Politik dürfen wir die Politik keineswegs auf Beziehungen reduzieren.“ Das ist (auch das deckt sich mit meinen Erfahrungen und denen vieler anderer Frauen, mit denen ich mich unterhalten habe) eine große Gefahr. Beziehungen sind notwendige Bedingungen, um Politik zu machen. Sie selbst sind noch keine Politik. Es geht bei der Politik um die Veränderung der Welt und der Beziehungen. Das kann auch heißen, bestimmte Beziehungen hinter sich zu lassen.
Im
letzten Textes des Bandes von Annarosa Buttarelli wird eine Geschichte
politischer Frauen erzählt von Heloise über Hildegard und Marina del Goleto bis
zu afrikanischen Frauen heute. Das „wir“ dieses Textes, das so
unterschiedliche Weisen "Frau zu sein" – in verschiedenen Zeiten und Situationen-
einfach miteinander verbindet, hat mich bisweilen irritiert. Schön aber waren
die Zitate zu lesen, die auf je eigene Weise
ein Bewusstsein weiblicher Souveränität zeigten.
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