Im
Jahre 1987 verschwand er spurlos. Sein Markenzeichen waren karierte Shorts mit
Bügelfalten und seltsame Pullunder á
la Hans-Dietrich Genscher. Dabei kategorisierte er sich selbst als Links-Hegelianer
und traf sich mit seinen treuen Sektenanhängern im Morgengrauen zur Lektüre der
„Phänomenologie des Geistes“. Sie könnten pro Tag nicht mehr als eine halbe
Seite schaffen, so dicht sei der Text, ließen sie sich vernehmen. Die Seminare
störte er mit endlosen, unverständlichen Monologen, während wir über die Bezugsquelle
für seine Hosen spekulierten, die erst mehr als 20 Jahre später für einen
Sommer modisch werden sollten. Nach seinem Verschwinden ging das Gerücht, er
sei mit diversen Kassen durchgebrannt, darunter die des MSB Spartakus, Sektion
Germanistik. Andere sprachen davon, er habe sich rechtzeitig in die DDR
abgesetzt, weil seine Tarnung aufgeflogen sei. Am glaubwürdigsten erschien noch
die Erzählung, die von einer Bankbürgschaft handelte, die er treuherzig gegeben und nun nicht habe einlösen können. Sein verbissener Hegelianismus und
seine krude Redeweise wurden als Unterhaltungsfaktor noch eine Weile im Seminar vermisst.
Ich
besorgte mir auch mal die „Phänomenologie“, las mich bis Seite 251 durch. Doch da war Schluss: „Die sittliche Welt, das menschliche
und göttliche Gesetz, der Mann und das Weib.“ Ich merkte: Das geht mich nix an, wie
sich da der eine in der anderen zu erkennen glaubt, von der er nicht mal den
Hauch einer blöden Ahnung hat. Am Ende von all dem Gerede muss der gute Familienvater, der
dereinst ein Brüderlein vom Schwesterlein war, verlassen daheim bleiben, dachte
ich: „Denn: So sprach die Frau Mama: Ich geh aus und du bleibst da.“ Das Bewusstsein, das hier so
krampfhaft in der Dunkelkammer des
Geschlechts angeknipst werden sollte, hatte im Irrlicht des Spiegels nämlich nichts
als seine eigene, hilflose Geste der sogenannten Reflexion wieder gefunden. Eine Frau, die dessen Schwester sicher nicht hätte sein mögen, blieb dazu einfach nichts zu sagen. Nur ein
gutmütiges und herzhaftes Lachen im Kreise der Freundinnen war der heroischen Anstrengung vergönnt.
Der
Weltgeist, hörten wir wiederum gerüchteweise, als er 1989 um die Häuser zog, sei auch in einer Seitenstraße der Karl-Marx-Allee aufgetaucht, wo F. gesehen worden sein sollte, wie er fabrikneue Kalaschnikows aus einem
Kofferraum verkaufte. „Das glaub ich nicht.“, hatte ich damals behauptet. Doch
nun, mehr als 20 Jahre später, ist der F. aus dem kosmischen Nichts wieder erschienen wie ein Komet. „Komm runter“, ruft
der B., „damit du siehst, dass der F. kein Waffenhändler geworden ist.“ „Was?
Wer? Der F.? Wieso denn der?“ „Schau auf der zweiten Seite vom Wirtschaftsteil,
wo die Leserbriefe stehen. Unverkennbar, das hat der F. geschrieben. Der Name
stimmt ja auch.“ Ich suche fieberhaft den Wirtschaftsteil. Ganz unten sind die
Leserbriefe abgedruckt. Da steht der Name vom F. mit dem Zusatz: "aus Bad Neuenahr". „Bad
Neuenahr?“ „Keine Ahnung“, sagt der B. Ich lese: „Die armseligen Denunzianten Hegels,
getragen von ihrem hysterischen Unbehagen an der Dialektik und getrieben von
den Ahnungen ihres kritischen Vermögens, haben sich schon lange ihren
Platz in Presse, Funk und Fernsehen erobert. Die Perfidie mit der die
geistlosen Montierer ihre Beziehungsreichtümer den Lesern zum Fraß hinwerfen,
ist immer wieder bemerkenswert. In summa indes wirkt das alles mehr als
abgedroschen.“ „Das ist der F., ganz klar.“, sage ich und muss laut lachen. Der B. freut sich auch über dieses unerwartete Lebenszeichen: „Unverkennbar der F.“ „Aber ein
Beweis ist das nicht, dass er kein Waffenhändler ist.“
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Zu den bisherigen Texten der Serie "Auto.Logik.Lüge.Libido":
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sehr schön, auch wenn ich weder f. noch b. kenne. so scheint mir trotzdem die gäbe es mehrfach, auch heute noch.
AntwortenLöschenEs gibt sie ja auch nicht "real". Die "Auto.Logik.Lüge.Libido"-Serie hat zwar immer autobiographische Anknüpfungspunkte, aber ist nicht "realistisch". Die "Ich"-Erzählerin ist auch nicht mit mir identisch, obwohl ich oft mir ihr sympathisiere :-). (Auch hier!)
AntwortenLöschenIch kenne den auch, den F. Hihi.
AntwortenLöschenAutobiographische Fiktionen, schreibst Du...Kann sein. Die Hosen erkenn ich aber wieder! ;-)
AntwortenLöschenRatzfatz die FAZ aus dem Papiermüll gezogen - da ist er! In echt und Farbe (wenn du googlest)! Ehrlich, ich hab gedacht, der lebt nicht mehr.
E. Slim
@Slim Ein bisschen verfremdet habe ich es doch. ("Morgengrauen", "Denunzianten" und so...) Grüß Dich!
AntwortenLöschenIch finde jetzt, wo man den Leserbrief quasi nachrecherchieren (zum Glück nicht online) kann, wär´s doch fair, noch mal ganz klar drauf hinzuweisen, dass a) das alles fiktiv ist, obwohl du die "Wirklichkeit" beleihst und b) der F. selbstverständlich nie Kalaschnikows verkauft hat oder Stasi-Agent war.
AntwortenLöschenDiese Hosen allerdings könnte man nicht erfinden, aber auf die war er auch echt stolz.
LG Vergissmeinnicht :-)
Das müsste doch eigentlich jeder und jedem klar sein, oder? Alle diese Texte sind fiktiv, wenn sie auch autobiographischen "Grund" haben. (Ich habe das ja auch im Geleitwort ganz klar vom "Tagebuch" abgegrenzt.)
AntwortenLöschenDein Unbehagen verstehe ich aber gut. Bei fast allen anderen Texten, die ich zu dieser Serie geschrieben habe, sind die Beteiligten sehr viel "ferner" und häufig haben sich die Figuren und Handlungen aus verschiedenen autobiographischen Erfahrungen und Ereignissen zusammengesetzt. Dieser Text hier ist sehr schnell und spontan entstanden, nachdem der Leserbrief vor ein paar Tagen aufgetaucht war. Da fehlt die Distanz und auch die Verfremdung doch.
Ich würde dran arbeiten, wenn ich an diesen Texten noch einmal arbeite ;-) (Um was damit zu tun???)