Freitag, 21. September 2012

Höchstsensibler Totschläger


Ich habe dieses natürliche Talent, mich mit Wut aus jedem Tief zu puschen. Da profitiert auch die Immunabwehr enorm davon.  Das hier eignet sich hervorragend: In der Frankfurter Rundschau von gestern textet ein Herr Peter Michalzik entzückt über einen Theater-Abend zu dem „Fall Marie Trintignant“. Die Schauspielerin wurde von ihrem Lebenspartner aus Eifersucht zu Tode geprügelt. Michalzik über den Totschläger: „Bertrand Cantat war jedenfalls kein rockiger Raufbold, eher ein Höchstsensibler. ...Der Fall bewegte nicht nur ganz Frankreich. Er musste notgedrungen etwas Unaufgeklärtes behalten. Denn im Innersten ist er eine Frage an die Liebe: Liebte Bertrand Marie so sehr, dass er sie umbrachte? War diese Liebe so leidenschaftlich, dass sie das Ende in sich trug? Feierte in dieser Beziehung und in ihrem tragischen Ende die große romantische, bedingungslose Liebe noch einmal Wiederauferstehung, feierte sie vielleicht sogar ihr letztes Fest?“

Nein, das habe ich nicht erfunden. Das ist ein wörtliches Zitat. Nein, Herr Michalzik muss nicht befürchten, von einem Lynch-Mob aufgebrachter Frauen auf die Straße gezerrt und zu Tode geprügelt zu werden, um am eigenen Leib die Herrlichkeit dieser unaufklärbaren Liebesfähigkeit zu erfahren. Herr Michalzik,  fürchte ich, der Arme, wird wahrscheinlich - wie die meisten Männer -  von niemandem so sehr geliebt. Es werden durch diesen freimütig in einem "renommierten" Presseorgan publizierten Text auch keine Gefühle so heftig verletzt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten wäre. Nein, es erwägt niemand eine solche Meinungsäußerung zu verbieten. Auch ich nicht. Denn ich trete dafür ein, dass auch der widerlichste Schwachsinn veröffentlicht werden darf. Weil auch Idioten dieses Grundrecht in Anspruch nehmen, weiß frau wenigstens, mit wem sie es zu tun hat: höchstsensiblen Menschen-Männern, die noch in der Zertrümmerung der Nase der Frau den Ausdruck tiefster Zuneigung zu erkennen vermögen.

*** (Gegen die falsche Identifizierung mit der Eifersucht muss sich die Liebe immer wieder wehren. Für die Liebenden - auch Marie Trintignant wird von Einigen weniger "romantisch" und dennoch unbedingt geliebt worden sein - ist diese Gleichsetzung jedoch kaum zu ertragen. Eifersucht, meine ich, ist in jedem Fall ein niedriger Beweggrund - und daher ein Mordmerkmal. Denn der Eifersüchtige leugnet radikal die Menschenwürde der Anderen, die er "besitzen" will. Das gilt selbstverständlich auch, wenn sie ihn in Besitz nehmen will.)

19 Kommentare:

  1. Nicht zu fassen!
    Der Versuch, zum Täter und seinen Motiven vorzudringen, Verständnis für den Menschen zu haben, nicht zuletzt, um daraus etwas über den Menschen als solchen zu lernen, ist das eine, etwas ganz anderes aber der Versuch, in der eigentlichen Tat noch das Gute, gar "ein Fest" (unglaublich!) zu sehen, womöglich noch mit Rechtfertigungsintention. Ich benutze nie das Wort abscheulich, aber hier kommt es mir sofort in den Sinn.
    Und das Schlimmste ist - das sehe ich wie Du - diese absolut fehlerhafte und missbräuchliche Verwendung des Begriffs Liebe.

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    1. Genau das Letztere empört mich so. Natürlich kann man genau hinschauen, was jemanden zu so einer Tat treibt. Aber das ist eben nicht "die Liebe", sondern eine schreckliche Verwechslung von Liebe mit Besitzenwollen oder auch eine furchtbare Überforderung, ein ungeheuer gekränktes Ego... Mich hat zum Beispiel bei der Lektüre von Keri Hulmes Roman "Bone people" erschüttert, wie nah mir die Figur des Schlägers emotional plötzlich war. Aber in diesem Roman sind die Schläge eben nicht Ausdruck der Liebe des (Zieh-)Vaters zu dem Kind, sondern Ausdruck seiner Überforderung, des Scheitern der Liebe. Liebe und Eifersucht schließen sich nicht aus. Aber sie gehören auch nicht zwingend zusammen, wie mancher einem weiß machen will. Die Eifersucht drückt nicht aus, wie tief die Liebe ist, sondern wie bedürftig und verletzlich der Eifersüchtige.

      Eine Lesart wie die oben verstellt aber für alle, die das Opfer einer solchen Tat geliebt haben, den Weg, dem Täter mit Verständnis zu begegnen und ihm möglicherweise auch vergeben zu können. Denn seine Tat als Ausdruck der Tiefe seiner Liebe anzuerkennen, ist wirklich zu viel und vor allem das Falsche verlangt. Ich denke sogar, dass eine solche Deutung der Tat auch dem Täter selbst den Weg verstellt, Vergebung zu erlangen (Ich meine das durchaus in christlichem Sinne.)

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    2. Genau: Verständnis für den Täter zu zeigen und nachvollziehen zu können, wie es zu seiner Tat kam, bedeutet nicht, ihn von der Verantwortung und den zu tragenden Konsequenzen (Strafe, Wiedergutmachung) zu befreien. Das wird leider häufig vermischt und ist ja auch nicht einfach zu trennen, vor allem nicht für die Betroffenen.
      Interessant finde ich da Deinen Aspekt, dass eine Beschönigung oder gar Verherrlichung der Tat auch dem Täter selbst schadet. Die Verleugnung seiner Schuld oder Verantwortung kann den Täter nicht befreien in dem Sinne wie es Einsicht, Reue, Bekenntnis, Buße, Besserungsabsicht können. Ob aber Vergebung im christlichen Sinne (meinst Du die göttliche Vergebung?) nur dem Einsichtigen gewährt wird? Das ist für mich eine offene Frage.

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    3. Ich meinte es im Sinne der "teuren Gnade", von der Bonhoeffer gesprochen hat. Jener Gnade, in der nur ist, wer die eigene Sünde "erkennt". Aus einer christlichen Perspektive ist der Täter dieser Gnade - wie wir alle - bedürftig. Sich das Verbrechen als "Liebe" auszulegen, hindert ihn auf dem Weg zur Gnade.

      In weniger drastischem Sinne gilt das für jede/n: Denn wir alle neigen dazu uns die Übergriffe auf und in die Leben der anderen als Zuneigung "gutzuschreiben". Vor allem als Mutter kann ich ein Lied davon singen....

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  2. Die Romantisierung, von der Novalis sprach, ist das sicher nicht! Natürlich ist das pennälerhafter, kitschig-schwülstiger Schwachsinn, was der Herr Michalzik da schreibt, vor allem, da er ja sicher nicht tauschen will mit der "glücklich" Ermordeten. Vielleicht schreibt der Herr M. sonst Opernkritiken und liebt seinen Otello, dessen Opfer Desdemona allerdings wohl auch nicht froh war, aus "Leidenschaft" und "Liebe" ermordet zu werden. Doch da gibt es wenigstens Musik dabei!
    (Die männlichen Opfer weiblicher Eifersucht sollten aber, selbst wenn das nicht verharmlost und verkitscht wird, eben so wenig vergessen werden wie die weiblichen weiblicher und die männlichen männlicher Eifersucht, wo wir schon mal dabei sind.)
    Eifersucht bleibt jedenfalls so oder so eine Krankheit und ist nicht zu romantisieren.

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    1. Natürlich gibt es auch weibliche Eifersucht, wer wollte und könnte das leugnen. Gewalttätig können auch Frauen werden aus Eifersucht, doch in unserer Gesellschaft sind es ganz überwiegend Männer, die aus Eifersucht zuschlagen oder morden. Ich glaube nicht, dass das biologistisch begründet ist (Trieb, Testosteron oder so), sondern einfach daran liegt, dass kulturell für Männer die Untreue einer Frau nicht nur eine narzisstische Kränkung ist, weil sie nicht (mehr) geliebt werden, sondern eine gleichsam "öffentliche" Kränkung, die an der "Ehre", also an der männlichen Identität mehr als kratzt. Eine "betrogene" Frau kann mit Mitleid rechnen (vor allem von anderen Frauen), ein "betrogener" Mann muss mit Häme rechnen (auch von anderen Männern).

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    2. Ihrer Analyse ist nicht zu widersprechen, das sehe ich auch so. Mich hat es seit je her gewundert, wie schnell das Selbstvertrauen futsch ist und versucht wird, sein "Recht" mit aggressiven Mitteln und auf der Grundlage vermeintlichen Besitzanspruchs wieder zu erlangen. Dabei wäre es so einfach für Männer, sich zu solidarisieren, denn welchem Mann ist die Frau nicht schon mal "fremdgegangen", entweder real oder wenigsten in den eigenen Angstträumen, denn natürlich spielen auch Verlustängste eine Rolle. Das Krankhafte an der Eifersucht zeigt sich aber in dem Umstand, daß es dafür überhaupt keinen realen Grund braucht, die Vorstellung allein reicht manchen Idioten ja schon, um völlig auszurasten. (Gibt's da nicht was von ratiopharm?) Wenn der Herr M. daraus romantischen Schwulst macht, so zeigt das aber, daß er der Realität womöglich keine Bedeutung beimißt und in einer rosafarbenen Märchenwelt lebt, es sei denn, er mag die Realität wie sie ist und die Kunst, wie sie für ihn zu sein hat.

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    3. Isaak Babel verartztete eine von ihrem Mann zusammen geschlagene Frau. Der Mann war geflüchtet.
      "So ein Schwein" sagte ein anwesender Bauer.
      "Kein Schein", antwortete ein anderer, "ein Reaktionär."

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  3. Hmmm, hats die FR aus Scham gekickt? ich finde es derzeit nicht...kann mich deswegen speziell dazu nicht äußern.

    Zu mordenden Männern/mordenden Frauen:

    Eine von mir sehr geschätzte Kriminologin, Dr. Nahlah Saimeh, hat den Unterschied mordender Männer und (der wenigen!) mordenden Frauen - ich rede jetzt von Beziehungstaten - einmal treffend so auf den Punkt gebracht: Frauen morden (wenn sie, sehr selten, denn einmal morden), um sich zu trennen, Männer paradoxerweise, damit die Frauen bleiben (=symbolisch bleiben, niemand anderem mehr "gehören" können, für immer an mich, den Täter, gebunden bleiben). man könnte auch sagen: Männer morden aus Angst vor Kontrollverlust, Frauen, um Kontrolle über sich wiederzugewinnen. Ingrid van Bergen dürfte somit eine Ausnahme sein. http://de.wikipedia.org/wiki/Ingrid_van_Bergen

    Ergänzend sage ich: Es hat auch viel mit Infantilismus zu tun: Eine Frau ist eine Sache, ein Ding, und wenn ich das Spielzeug schon nicht haben kann, mach ichs kaputt, damits auch niemand anderer "kriegt".

    Männer, die, und sei es vordergründig "im Affekt" (das ist viel seltener, als uns die Anwälte glauben machen wollen!) Frauen ermorden, weil sie trennung= Kontrollverlust fürchten, sind natürlich auf ihre Art klägliche Würstchen. Aber darf man das wirklich so sagen? Aggro-Männer, Alpha-Tierchen bis zum Abwinken, und erst wenn die Sach scheep gangen iss ist groß Fausti Wehklag angesagt.

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    1. Ich konnte es online auch nicht finden, sondern habe es aus der Print-Ausgabe, aus dem lokalen Kulturteil. Ansonsten hätte ich drauf verlinkt. Meistens komme ich gar nicht so weit beim Lesen des "Blättchens", aber da ich derzeit "das Bett hüte" (was für ein lustiger Ausdruck), habe ich die FR mal gründlich von vorne nach hinten durchgelesen. Da stieß mir das auf.

      Das Eine ist hier der einzelne Mann, der sehr abstoßend wirken kann, auch als "Würstchen", vielleicht (Naja, das denkt meinereiner still für sich ja eh recht häufig über so Y-Chromosomen-Träger; ich muss da sehr aufpassen, grad auch als Mutter von zwei Söhnen, diese Mischung aus Mitleid und Abwertung führt nur allzu schnell zur Entmündigung. Mich rettet da im Speziellen immer nur, dass ich sie soooo schön finde ;-) ).

      Das Andere ist ein (noch) herrschendes Männlichkeitskonzept, dem im Grunde alle Männer ausgeliefert sind, auch dann wenn sie sich davon absetzen wollen. Denn Rechtfertigungsdruck kriegt immer noch in der Männer-Runde eher der Mann, der seine Eifersucht als Fehler begreift (der "Schwächling") , als derjenige, der sie auslebt. Oder eben der Mann, der seine beruflichen Pläne nicht über die familiären Pflichten stellt oder derjenige, der zurücksteckt...usw. Damit will ich keineswegs - wie ja hoffentlich offensichtlich ist - männliche Gewalt gegen Frauen entschuldigen oder gar rechtfertigen. Sie hat aber Gründe, die nicht ausschließlich in der moralischen Verworfenheit oder geistigen Armseligkeit des einzelnen Mannes zu suchen sind.

      Bei den Jugendlichen, mit denen ich arbeite, kann ich erleben, wie die Lebensentwürfe von Frauen sich auf Räume ausdehnen, die vor Jahrzehnten noch rein "männlich" waren, während die jungen Männer ihre Räume kaum ausweiten. Darin steckt viel Tragik. Denn für viele Männer wird die Beziehung zu "ihrer" Frau die einzige starke emotionale Bindung, die sie eingehen. Und schon stecken sie in der Falle: Die Frau als Subjekt soll sie "freiwillig" lieben, aber sie wird "als Objekt" geliebt, dessen freier Wille nicht respektiert werden kann, wenn der Mann die Achtung vor sich selbst behalten und die der anderen Männer behalten will. Ein doppelter Verlust, wenn sie geht: Der Verlust der Liebe und der "Ehre". Und niemand da, der nahe genug ist, dass man(n) sich ausheulen kann... (nicht als "Opfer" übrigens, sondern einfach weil es wehtut, verlassen zu werden).

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  4. "Denn Rechtfertigungsdruck kriegt immer noch in der Männer-Runde eher der Mann, der seine Eifersucht als Fehler begreift (der "Schwächling") , als derjenige, der sie auslebt. Oder eben der Mann, der seine beruflichen Pläne nicht über die familiären Pflichten stellt oder derjenige, der zurücksteckt...usw. Damit will ich keineswegs - wie ja hoffentlich offensichtlich ist - männliche Gewalt gegen Frauen entschuldigen oder gar rechtfertigen."

    dazu später mehr, dazu müsste ich jetzt doch einiges nachschlagen. Vorab schon mal soviel: Verfolgst Du auch die Presse über Taten, in denen die jeweiligen Täter (arbeitslos geworden, Haus in der Zwangsversteigerung, massive narzisstische Kränkung) nicht nur sich selber umbringen, sondern immer wieder vorher noch Frau und Kinder? Wie nennen die das?

    "Familientragödie"

    Der verlogenste Begriff, den Gerichtsreporter äußern können. Herrje, es ist Mord!

    Mir missbehagt auch der Begriff "erweiterter Suizid"...

    Mal sehen, ob mir dazu was einfällt.

    "Das Andere ist ein (noch) herrschendes Männlichkeitskonzept, dem im Grunde alle Männer ausgeliefert sind, auch dann wenn sie sich davon absetzen wollen."

    Nun, das gilt für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für Männer. Übrigens: Es ist in der Tat manches mal nicht so einfach als Mann, einerseits dem feministischen Grundrauschen ausgeliefert zu sein, und andererseits will Frau dann eben doch keinen "Looser", keinen "Schlaffie", sondern "nen richtigen Mann". ;-) Inzwischen lach ich drüber, in meinen 20er Jahren haben mich diese double binds geärgert.

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    1. Diese Begriffe müssen tatsächlich einer scharfen Kritik unterzogen werden: "Familientragödie" und "erweiterter Selbstmord". Darüber hatte ich mal ein langes Gespräch mit einem Polizisten, den ich zu einem Seminar eingeladen hatte, den das genauso ärgerte wie mich.

      Ich "höre" kein "feministisches Grundrauschen", sondern lebe immer noch in einer patriarchalisch dominierten Gesellschaft. Frauen sind natürlich - wie Männer - von diesen überkommenen Konzepten geprägt. Allerdings haben viele von ihnen eben ihr eigenes erweitert - und das könnten und sollten Männer auch tun. Leider hocken die Jungs aber vor ihren Konsolen und zelebrieren unaufhörlich weiter den harten gepanzerten Typen, der sich "im Kampf" durchsetzt.

      Es gibt aber Hoffnung, weil es welche geben muss und ich grundsätzlich entschieden gegen Negativität und Pessimismus bin: Mein eigener Sohn beweist es - siehe Hier: Mensch, Männer, wehr euch! Es ist aber so: Ich glaube, dass Jungen und junge Männer für diese Erweiterung ihrer Sicht gute und stabile Beziehungen zu erwachsenen Männern brauchen. Ganz altmodisch: Vorbilder. Frauen und ihre Sicht auf Männer können da nur bedingt wirken. Genauso wie umgekehrt sich Frauen davon lösen mussten und müssen, sich nur im Blick der Männer zu erkennen. (Ich glaube ja, dass sie das in der Realität - im Gegensatz zur schriftlich und in der Malerei fixierten Tradition - immer schon getan haben: sich über die Beziehung zu anderen Frauen zu definieren). Ganz plakativ gesprochen: Jungs brauchen Väter, aber nicht "irgendwelche" Väter, sondern solche, die "Männlichkeit" reflektieren und erweitern, die ihnen zeigen, wie "gute Beziehungen" unter und von Männern gestaltet werden können.

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    2. Na, ich frage mich doch, woher denn das Bild kommt von der Frau, die keinen "Schlaffie" haben will. Ich glaube, das ist reichlich schwarz-weiß gezeichnet und bisweilen dann auch eine willkommene Entschuldigung für manche Männer, keine neuen Wege zu gehen, sondern sich nach gescheiterten Anpassungsversuchen wieder zurückzuziehen auf die Macho-Nummer. (Überhaupt: Anpassungsversuche! Dahinter steckt ja immer die Frage "Wie soll ich sein, damit Du mich liebst?" und damit eine tiefe Unsicherheit auf Seiten der Männer. Auch schön ausgedrückt in dem Satz "Das war dann auf einmal auch wieder nicht richtig!") Ich bezweifle auch nicht, dass es die Frauen tatsächlich gibt, die nach einem "ganzen Mann" schreien (was auch immer man darunter zu verstehen hat) - es mögen solche sein, die ihr Leben gern etwas unselbständiger leben wollen und jemanden suchen, der ihnen sagt, wo es lang geht. Ist ja auch so schön bequem.

      Letztlich glaube ich aber, dass Beziehungen auf Augenhöhe gewünscht sind und dass dort, wo man sich erwachsen begegnet, weder "Schlaffies" noch Kerle mit dicker Hose, weder Püppchen, Luxusweibchen noch stählerne Mannweiber gefragt sind. Da geht es einfach um Menschlichkeit, um Integrität und Persönlichkeit, und davon muss sich weder ein Mann noch eine Frau bedroht fühlen, wenn er oder sie selbst innerlich ganz ist.

      Und genau da liegt wohl der Hase im Pfeffer. Ich glaube, viele Menschen erwarten von ihren Partnerschaften die Kompensation eigener Schwächen, Verlustängste, Neurosen und die totale Fürsorge. Je schwächer der Mann sich in einem solchen Gefüge fühlt, um so mehr trommelt er sich auf die Brust oder der eigenen Frau auf den Schädel, weil das nunmal zu der gesellschaftlich akzeptierten Männerrolle passt. Je schwächer sich die Frau fühlt, umso stärker betont sie ihr eigenes Leiden, wird ansprüchlich und möglicherweise kontrollierend. So sind sie leider noch, die gängigen Rollenbilder, und wir alle sind doof genug, uns in diese Schemata pressen zu lassen, anstatt unsere ganze Handlungs- und Gefühlsfreiheit als Menschen auszukosten. Am tollsten finde ich dann noch, wenn das Thema mal wieder die Biologistenfront auf den Plan ruft, die dann skandiert, das müsse so sein, weil es natürlich sei uns schon immer so war.

      Liebe Melusine, ich stimme mit Ihnen voll und ganz überein, was die Vorbilder betrifft. Wenn ein Junge lernen will, was es bedeutet, ein Mann zu sein, dann braucht er einen Vater, der gern ein Mann ist und der es wagt, in seinem Männlich-Sein das ganze Spektrum menschlicher Gefühle zu akzeptieren. Die "typisch männlichen" Ecken und Kanten ebenso wie vermeintlich "weibliche" Gefühle.

      Ich danke Ihnen für die Denkanstöße, auf die ich übrigens bei Herrn Stubenzweig hingewiesen wurde.

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    3. Herzlichen Dank für den Kommentar. Die Rollenstereotype zu verlassen, ist in der Tat schwer. Es ist sicherlich noch schwerer, wenn Kinder (Jungen oder Mädchen) von Vater oder Mutter verlassen wurden (was nicht identisch ist mit der Trennung der Eltern, obwohl das oft verwechselt wird). Öfter als von der Mutter allerdings werden immer noch Kinder von ihren Vätern verlassen (Auch wenn diese formal "Familienoberhäupter" bleiben, können sie in der Familie völlig abwesend sein). Meiner Erfahrung nach fällt es Männern und Frauen, die keine positive Beziehung zum eigenen Vater oder zur eigenen Mutter aufbauen konnten, oft sehr schwer, gute Beziehungen aufzubauen. Bei Frauen ist es nicht anders. Eine Freundin wählt immer wieder (fast scheint es zwanghaft) Männer, die sie herabsetzen und kontrollieren. Es gibt aber auch Wege aus den festgefahrenen Mustern. Mein Vater hat seine Vaterrolle ganz anders interpretiert als sein eigener Vater. Warum und wie das gelingt oder misslingt, ist nicht immer leicht zu begreifen. Die Spur, die ich überall finde, ist: Liebe. Wer bedingungslose Liebe (aber nicht diese pseudo-"romantische", die das Geliebte besitzen will) nicht erfahren hat, dem fällt es sehr viel schwerer, sich hinauszubewegen aus den Mustern. Freiheit zur Veränderung entsteht, so habe ich es erlebt und kann es bei anderen beobachten, aus gelingenden Beziehungen. Unfreiheit entsteht aus Beziehungen, die auf Gewalt und Macht beruhen. Keine besonders originelle Erkenntnis ;-)

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    4. Liebe Sturmfrau, erst nachdem ich diese Antwort auf Ihren Kommentar geschrieben hatte, habe ich ein wenig in Ihrem Blog gelesen, vor allem jenen Post über die Geburtstagsgrüße der Eltern und Ihre Entscheidung, den Kontakt weiter zu verweigern. Da dachte ich drüber nach, diese Antwort zu löschen. Aber dann habe ich mich doch anders entschieden. ---Es gibt sicher Beziehungen, die man beenden muss, weil sie einem nur schaden. Meine eigene Erfahrung sagt mir, dass es wichtig sein kann, dabei konsequent zu bleiben, auch wenn es Schuldgefühle verursacht. Auch meine Beziehung zu den Eltern ist nicht immer spannungsfrei gewesen, ohne jedoch jemals so angespannt und schmerzhaft zu werden, wie Sie es beschreiben. Vielleicht ist es von diesem Privileg her (ein sehr geliebtes Kind gewesen zu sein) schwierig für mich Ihre Haltung zu begreifen. Es fällt mir leichter, wenn ich an Freundschaften/Bekanntschaften oder an berufliche Beziehungen denke, wo ich ähnlich radikal gebrochen habe - und mir das sehr gut getan hat. Wenn eine Beziehung nur destruktiv wirkt, muss man sie beenden. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Kraft, die Sie dafür aufbringen, in etwas Konstruktives umwandeln können.

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  5. Es ist gut, dass Sie's nicht gelöscht haben, denn was Sie schreiben, stimmt doch genau - meine eigene Geschichte spiegelt das nur. Denn wenn Sie von abwesenden Vätern schreiben, dann kommt mir das bekannt vor. Trotz physischer Anwesenheit war auch mein Vater wenig präsent, und das ließ mich hungrig nach seiner Liebe zurück, was er dann wiederum perfekt auszunutzen verstand. Das prägte auch mein Männerbild. Aber das ist eine andere Geschichte.

    Ähnliche Erfahrungen wie Ihre Freundin habe ich auch gemacht - man rennt eben so lang gegen dieselbe Wand, bis man begreift, dass man die Beziehung zu den Eltern nicht nachträglich und stellvertretend kitten, verbessern oder retten kann. Aber es ist möglich, aus dieser qualvollen Endlosschleife auszusteigen, wie Sie es ja auch beschreiben. Dem muss auf die eine oder andere Art eine Bewusstwerdung vorangehen, aber viele Menschen schaffen genau das auch. Die Chance auf Veränderung keimt immer dort, wo man als der Mensch geliebt wird, der man ist. Zugleich glaube ich, dass man unbedingt auch trauern muss um die misslungene oder doch zumindest mangelhafte Eltern-Kind-Beziehung, sonst kann man sie nicht loslassen.

    Herzlichen Dank für Ihre guten Wünsche. Ich stelle erstaunt fest, dass mich der Kontaktabbruch zu den Eltern erheblich weniger Kraft kostet als die Aufrechterhaltung der Beziehung es tat. Das ist, als hätte ich einen zu schweren Mantel abgelegt. Erst dann kam die Freiheit, wirklich konstruktiv zu sein und lebendige, ehrliche und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen zu knüpfen. Es war nötig, beinahe wie eine zweite Geburt. Wissen Sie, Eltern sind eigentlich immer fehlerhaft, weil sie Menschen sind, und es gibt Fehler, die man verzeihen kann. Aber es gibt auch Erlebnisse, die derart an der eigenen Integrität sägen, dass es lebensnotwendig ist, sich zu trennen. Sonst gibt man die eigene Würde dran, man stellt sich selbst als Menschen zum Ausverkauf. Warum also nicht den Kontakt kappen? Bei Bekannten, Freunden oder Kollegen macht man es ja auch, wenn Beziehungen einseitig, auszehrend, gewalttätig werden.

    Jetzt aber genug von mir, das Thema war ja prinzipiell ein etwas anderes.

    Ich möchte anmerken, wie sehr erfrischend und angenehm ich Ihre Perspektive auf Frauen- und Männerrollen finde. Man sucht insgesamt oft vergeblich nach dem Blick auf die Männer, die allgemein als die Mächtigen erlebt werden, die am längeren Hebel sitzen. Das mag rein äußerlich sicher so sein, aber es wird selten diskutiert, wie hoch die Kosten für diese Rollenaufteilung auch für Männer sind und wie schwierig es ist, die Muster zu durchbrechen. Ich selbst fände es wenig erstrebenswert, mich als Workaholic für eine Firma lang zu machen und total verwerten zu lassen, aber es ist für mich auch leichter, ein solches reines Funktionieren zu verweigern, weil es mein Rollenbild nicht in diesem Maß erfordert. Dafür haben wir Frauen natürlich andere Probleme. Aber die Männer prinzipiell als besser dastehend zu sehen und als die Gewinner in dieser Rechnung, das verkennt die Realität. Wir haben wohl noch viel zu lernen, und es wäre sinnvoll, wenn wir uns alle dabei vorrangig als Menschen begriffen. Die Fragestellung ist dann: Was fehlt ihm als Mann zum würdigen Menschsein? Was fehlt ihr als Frau zum würdigen Menschsein? Damit distanzierte man sich dann auch von der unsäglichen Aufteilung, die mit Bewertungen des "Männlichen" oder des "Weiblichen" als gut oder schlecht, als perfekt oder defizitär arbeiten muss. Es gibt einfach viel mehr, was wir gemeinsam haben, als was uns trennt.

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    1. Die Wertung des sozialen Geschlechts und die Hierarchisierung lehne ich auch ab, so oder so rum. Dennoch gilt für mich nicht, wie mir mal jemand schrieb: Zuerst sei man Mensch und dann erst Mann oder Frau. Mein Geschlecht kann ich von meiner "Menschlichkeit" nicht trennen; ich bin a l s Frau Mensch (oder gar nicht ;-) ). Was das bedeutet: als Frau Mensch zu sein, ist jedoch nicht feststehend, sondern veränderlich durch die Beziehungen, die ich eingehe oder abbreche, durch das Umfeld, indem ich mich bewege und die Veränderungen "der Gesellschaft", die möglich werden.

      Die Denkrichtung, der ich am ehesten zugehörig fühle, ist der "Differenzfeminismus". Antje Schrupp erklärt das so: Differenzfeminismus Hier in meinem Blog stehen die Texte zum Thema unter dem Label "Diotima", dem Namen, den sich eine italienische Philosophinnengruppe gegeben hat.

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  6. Ich gestehe, dass ich mich mit dieser Strömung noch nicht ausführlicher auseinandergesetzt habe, wenngleich sie mir nicht komplett unbekannt war und natürlich einige Ideen, wie sie da gedacht werden, auch mir schon in den Sinn kamen. Ich habe nun den Text von Schrupp gelesen und ebenfalls einige andere (Diotima bei Ihnen und einiges an Rezensionen) und kann Ihnen an dieser Stelle dazu nur sagen, dass mir persönlich an dem Konzept so einiges nicht behagt. Was genau es nun ist, das muss ich erst noch herausfinden, und ich werde darüber bei mir zuhause einen Beitrag verfassen, zumal das Thema von Trennung und Gemeinsamkeit schon länger in mir arbeitet. Dazu also ein andermal gern mehr.

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    1. Da bin ich gespannt drauf! Selbst setze ich mich grade - wieder mal - mit Queer-Theory-Thesen - auseinander, was ein Konzept ist, das mir intuitiv seit je "nicht behagt" (ich schätze Butler u.a. für viele Denk-Impulse sehr, kann aber mit dem ganzen Konzept, das aus dem Dekonstruktivismus hergeleitet ist, wenig anfangen. An Foucault mag ich aber trotzdem und vor allem - ich lese grade bei ihm noch mal nach - wie häufig er seine Aussagen mit Formulierungen einleitet wie: "ich gehe davon..." oder "daher kann man annehmen...". Das ist vorsichtig und sehr anders als so mancher seiner - deutschen - Apologeten daher kommt.). Herzliche Grüße - ich freue mich auf Ihre Kritik.

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