Ein Beitrag von Morel
Gleich zwei Texte von Guido Rohm hat der noch junge,
engagierte Evolver-Verlag zu einem Buch gebunden. Die blutrünstigen,
comicartigen Cover versprechen einem ein billiges, leicht zynisches Vergnügen,
wie es frühere Generation einmal in den Spätvorstellungen kleiner, schäbiger
Bahnhofskinos erleben durften. Auch dort wurden ja gerne Double-Features
gezeigt: Zombies und Surfer, Menschenfresser und Frauen im Gefängnis. Daran
orientiert sich also Guido Rohms neues Werk in der Anmutung, was aber schon die
erste falsche Spur ist, die dieser raffinierte Autor mit seinen neuen Texten
legt. Denn es ist natürlich keine B-Literatur, die wir hier bekommen, wie immer
geht Rohm aufs Ganze. Wer das nicht glaubt, möge das auf intelligente Weise
verspielte Vorwort des Film-und Gesellschaftskritikers Georg Seeßlen lesen.
Alle Romane und Erzählungen Rohms durchzieht der
Gegensatz zwischen Tätern und Opfern. Ambivalenz ist seinem Personal fremd
(durch die Hintertür der ständigen Perspektivwechsel kommt sie aber wieder
herein). Auch die zwei in einem Band vereinten Texte nehmen sehr
unterschiedliche Perspektiven auf die Welt ein. In Fleischwölfe geht es um eine Familie, die nach dem Abwurf einer Atombombe und der darauf folgenden
Zerstörung der Vegetation sich dem Kannibalismus verschrieben hat. Ihrer
Nahrung lauern sie am Rande einer selten befahrenen Autobahn auf. Das B-Movie,
das einem das Cover verspricht, würde nun davon erzählen, wie eine unschuldige
Familie in die Fänge dieser degenerierten Barbaren gerät. Je nach Zynismus des
Regisseurs kämen dann nur die Sympathischsten, die Dümmsten oder gar niemand
frei. Rohm nennt Fleischwölfe Roman
zum Film, weil es ihm im Kern aber gar nicht um das Ereignis geht, sondern um
seine Verarbeitung. Denn nach ihrer Entdeckung wird die Geschichte der
Kannibalen verfilmt, der Film skandalisiert, der Filmskandal vom
Kulturfernsehen problematisiert und schließlich sogar die Entstehung von Film
und Skandal dokumentiert. Dabei beginnt das Buch im Zentrum des Bösen mit einem
Monolog des Sohns der Kannibalen, der ein Kind zweier Opfer entdeckt, das er
mit Einverständnis des Vaters als Haustier halten möchte. Dieser Monolog ist
sprachlich so brillant (gestaltet in einer degenerierten, atomverseuchten
Kindersprache), dass man sich später manchmal wünscht, Rohm hätte diese
Perspektive beibehalten (das muss ihm auch so gegangen sein, denn der
Kannibalenjunge taucht als einer der wenigen Protagonisten dieses
personenreichen Textes noch ein zweites Mal auf). Aber diese Sprache wird in
der medialen Verwurstung und Ausbeutung, um die es nun in den folgenden
Kapiteln geht, zum Schweigen gebracht. Zu Wort kommen abgebrühte
Horrorvideofreaks, abgestumpfte Polizisten, bemühte Gefängniswärter und ein
ahnungsloser Kulturjournalist, der auch aus dem Autor Guido Rohm nichts
Verwertbares herauskitzeln kann. Diese Mediensatire ist also böse, kalt und
immer komisch. Sie verliert aber nicht aus dem Auge, dass dieser Medienapparat
tatsächliche Opfer für Unterhaltungszwecke verwertet. Die eigentlichen
Kannibalen leben nicht in der Wüste, sondern bedienen die Schalthebel unserer
Bewusstseinsindustrie (für Vorwortschreiber Seeßlen die Blödmaschinen).
Nach diesem Blick auf die Täter müssen wir das Buch auf
den Kopf drehen und wenden, damit die andere Seite der Geschichte zur Geltung
kommt. In der Noirvelle nämlich
stehen die Opfer im Mittelpunkt – Frauen, die von ihren Vätern missbraucht, von
ihren Männer misshandelt und von ihren Söhnen missachtet werden. Wie eine
Mischung aus Fassbinder-Melodram und Elfriede-Jelinek-Theaterstück geht es um
zwei Frauen, die auf rätselhafte Weise verschwinden und in einer anderen Welt
wieder auftauchen. Die eine Sonja wird als pornographisches Model von ihrem
Mann als Kapital behandelt, in das er in Form von Schönheitsoperationen
investiert. Gleichzeitig sehnt sie sich nach seiner Liebe, für die er sich aber
andere Frauen aussucht. Sonja ist die sichtbare Frau im Tageslicht. Mit der
zweiten Frau Susie, beginnt Noirvelle – beim Versteckspielen haben die andern
Kinder sie absichtlich nicht gefunden. Wie Sonja wurde sie als Kind
missbraucht, aber sie geht einen anderen Weg: den der Frau, die zu haben ist,
sich selbst zum Objekt macht, endlich gefunden werden will. Und dann von einem Mann
geheiratet wird, der sie als Hausfrau im Eigenheim versteckt und so lange
ausbeutet, bis ihre Sexualität sich in Spülmittel aufgelöst hat. Susie ist die
unsichtbare Frau, die nur noch ein Loch im Dunkel des nächtlichen Schlafzimmers
ist. Als Susie ihr Gegenbild Sonja in der Zeitung entdeckt, deutet sich für sie
eine Lösung an, die auf die Überwindung der Einsamkeit hinausläuft. Das
Verschwinden aus der Männerwelt, um an dem Ort aufzutauchen, wo die Literatur
entsteht. Und um die geht es Rohm
letztendlich: eine Sprache zu finden, die sich nicht so einfach zum üblichen
Medienquatsch verwursten lässt. Mediensatire und Melodram, das ist das
Double-Feature, in das Guido Rohm mit seinem neuen Buch einlädt – wer dieser
Einladung folgt, muss sich auf einen Film einstellen, der länger nachwirkt als
eine Tüte Popcorn.
Guido Rohm: Fleischwölfe - 0. Eine Noirvelle. Evolver Verlag, € 14,00
Guido Rohm: Fleischwölfe - 0. Eine Noirvelle. Evolver Verlag, € 14,00
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