"Here was a woman about the year 1800 writing without hate, without bitterness, without fear, without protest, without preaching. That was how Shakespeare wrote."
(Viriginia Woolf über Jane Austen in "A Room of Own´s Own")
Hilary Mantel hat den Booker-Prize ein zweites Mal gewonnen für die Fortsetzung "Bringing up the bodies" zu dem Roman "Wolf Hall", den ich vor einigen Wochen gelesen und Ihnen sofort zur Lektüre empfohlen habe. Ich lese normalerweise keine Neuerscheinungen; ich versuche jedem Hype um ein Werk aus dem Weg zu gehen. Doch "Bringing up the bodies" hatte ich mir gleich auf den Kindle geladen. Auf diese Fortsetzung kann ich nicht länger warten!
Hinter meiner Abwehr gegen die Empfehlungen des Feuilletons steckt selbstverständlich auch ein dummer Dünkel, aus dem heraus ich mich getrost als "eine Unabhängige" denken mag, die mit dem ganzen "Betrieb" nix zu schaffen hat. Was in meinem Fall ja unbedingt stimmt, aber durchaus auch im Sinne des Fuchs auslegt werden könnte, dem die Trauben zu hoch hängen. Das ist nämlich auch wahr, dass ich mich überall und jederzeit davor drücke, mich einem Wettbewerb zu stellen. Ich werde gern gelobt und sogar gelegentlich getadelt, um zu lernen, aber ich mag mich nicht in Situationen bringen, in denen es um Gewinnen oder Verlieren geht. Dahinter steckt Feigheit, na klar, aber ich schmeichle mir, das es auch eine aufrichtige Scheu ist, das Eigene (oder das "Selbst") nur dann gelten lassen zu können, wenn es sich gegen das Andere behauptet. Ich habe einen tiefen Widerwillen gegen solche Setzungen, in allen Bereichen, ob es um die "Professionalisierung" der Pädagogik und Didaktik geht ("Arbeitsgruppe zur Harmonisierung der Anforderungen"), um literarische "Qualitätskriterien" oder Gattungshierarchien ("Der Roman ist die Königs-Gattung."), spielt da eigentlich keine Rolle. Mich prägt weiterhin ein in den späten Achtzigern erworbenes Misstrauen gegen das Denken in Oppositionen (wahr/falsch, fortschrittlich/rückschrittlich) und ein meinem Temperament geschuldetes optimistisches Vertrauen in die Möglichkeiten der Kontingenz und Vielfalt statt in ein starres Ursache/Wirkungs-Prinzip. So lese ich auch. Ich scanne die Literatur, aber auch die philosophischen, ökonomischen, didaktischen und pädagogischen Fachtexte auf dieses Virus hin: das Missionarische, den Verkündigungsmythos, den Name dropping-Beglaubigungsgestus. Damit will ich mich nicht infizieren.
Vielleicht liegt hier auch eine Ursache für die sich häufenden Plagiatsvorwürfe gegenüber geisteswissenschaftlichen Doktorand_inn_en. (Im naturwissenschaftlichen Bereich, sagen mir Freunde, sei es im Grunde nicht besser. Nur werde hier nicht vor allem abgeschrieben, sondern Versuchsreihen und - ergebnisse manipuliert. Das prüfe in der Regel auch keiner nach, wenn es nicht um eine sensationelle oder umstrittene Entdeckung gehe.) Das Selberdenken ist in den Geisteswissenschaft, meine ich, systematisch (als "Verwissenschaftlichung") abgeschafft worden. Anerkannt wird und wurde nicht eine eigene Idee, sondern das Begriffe-Jonglieren und der "Denk-Schulen"-Jargon. In der Literaturwissenschaft sollten daher nicht literarische Texte "verstanden" und ausgelegt, sondern Derrida "angewandt" werden, in der Soziologie ging es nicht mehr darum, die Gesellschaft zu begreifen, sondern Luhmanns Texte, in der Philosophie stritt man nicht über Weltverständnis, sondern verkämpfte sich bei der Auslegung eines Adorno-Textes. (Das sind selbstverständlich nur Beispiele. Denk- und Begriffe-Schulen gibt es viele und sie funktionieren im akademischen Betrieb alle nach demselben Schema. Über die Qualität und Anschlussfähigkeit der Theoretiker, mit denen ihre Apologeten so umgehen, ist damit noch gar nichts gesagt.) Und so weiter und so weiter... Mir haben immer am meisten diejenigen imponiert, die sich aus diesen Richtungsstreits heraushielten, sich ihrem Gegenstand verpflichteten (den Kunstwerken, den literarischen Werken, den gesellschaftlichen Fragestellungen), ohne sich dauernd auf Vor-Denker (die weibliche Form darf ich getrost weg lassen, die wurden eh nicht berücksichtigt) abstützen zu müssen, sondern diese souverän "benutzten", aber ebenso souverän beiseite legten. Nichts hat mich mehr gelangweilt als die Idee (und ihre Ausführung), man müsse einen Gedankengang/eine Studie/eine Theorie entweder "widerlegen" oder ihr "folgen". (Am besten dann noch, ohne ihre Aussagen an ihrem Gegenstand - also empirisch - zu überprüfen, sondern an anderen Auslegungen des Gegenstandes durch berühmte Konkurrenz-Vor-Denker.) Ich glaube, Kunstgeschichte wurde auch deshalb mein "Lieblingsfach", weil an der Fakultät, an der ich lernte, die Kunstwerke im Mittelpunkt standen und alle Theorien immer nur ihrem Verständnis "dienten" (also einem Zweck unterworfen waren und nicht selbst "Geltung" hatten oder behaupten konnten).
Eigenartig und auch ein wenig beunruhigend ist die Wahrnehmung, dass ich diese Souveränität selten bei Menschen erlebt habe, deren Habitus nicht "bürgerlich" war. Dieser Habitus bezieht sich auf so scheinbar banale Dinge wie den alltäglichen Umgang mit Geld (Vermeidung von Statussymbolen, Großzügigkeit in kleinen Dingen, Sparsamkeit im Großen), den Erhalt langjähriger Beziehungen (nennen Sie es ruhig Treue), die Schaffung eines behaglichen Umfeldes zum Wohnen und Arbeiten, die Unauffälligkeit der äußeren Erscheinung (also eine sorgfältige Repräsentation der scheinbaren Nicht-Repräsentation, wenn man so will). Vielleicht, überlege ich, kann sich diese gelassene Souveränität, die das Fremde nicht ertragen muss, sondern es als Bereicherung erfährt, nur aus der Fähigkeit zur Affirmation, aus einem Einverständnis mit (Teilen) der Tradition entwickeln, aus der Möglichkeit, einen Ort zu haben oder sich schaffen, von dem eine oder einer ausgehen kann. Ich beobachte, dass Menschen, die aus "gestörten Familienverhältnissen" (was immer das im Einzelnen sein mag, mit denen aber in jedem Fall ein tiefes Gefühl der Verunsicherung und des Verlassenseins verbunden ist), diese Souveränität selten besitzen oder sie oft nur um den Preis einer Überanpassung an Gruppen-Identitäten (die dann zu Ausgrenzungsanstrengungen beinahe zwingen; ich kann davon ein eigenes Lied singen als sogenannte "Aufsteigerin" aus dem Arbeitermilieu) vortäuschen können. Es ist dies eine Form des Ausschlusses und der Benachteiligung, über die Pierre Bourdieu ("Die feinen Unterschiede") viel nachgedacht hat. Ihre Wirkung ist subtil, aber durchschlagend. Das ist traurig, aber nicht hoffnungslos. Denn es gibt den Zufall und die Möglichkeit, sich zu öffnen, durchlässig zu werden, aus neuen Beziehungen Orte entstehen zu lassen, die ein solcher Ausgangspunkt werden können. Die Familie ist nur eine Möglichkeit. Für mich war es tragfähiges Modell, um mich durch die Stürme zu tragen. Für andere kann es etwas anderes sein oder werden. (Im Sinn behalten sollte man aber, dass dieser Ort der "blinde Fleck" ist, den man nicht sieht, wenn man losgeht. Das fällt leichter, wenn man begreift, dass dies kein Ort ist oder sein kann, von dem alle herkommen oder ausgehen sollten. Und später einmal kann man sich rumdrehen...)
Aus Wut kann man Funken schlagen, um Energie zu gewinnen. Aber diese Energie muss sich in etwas anderes verwandeln, damit Güte entstehen kann (im doppelten Wortsinn), egal auf welchem Gebiet menschlicher Schöpfung.
Deine Abneigung gegen die Empfehlungen des Feuilletons kann ich gut verstehen und teile sie komplett. Alles, was mit missionarischem Eifer angepriesen wird - nein danke. Ich wähle und entdecke am liebsten selbst und intuitiv.
AntwortenLöschenDazu und zum zweiten Absatz, in dem es um die Literatur zur Literatur (zur Kunst insgesamt, zur Philosophie etc.) geht, fällt mir immer Doris Lessing ein, ich hatte sie mal zitiert: http://iris-bluetenblaetter.blogspot.de/2011/09/doris-lessing-es-gibt-nur-eine-art.html
Und zum dritten Absatz: Diese Beobachtung der fehlenden Souveränität mache ich ebenfalls, vielleicht bedarf es tatsächlich dieses einen verlässlichen Ortes, um sich die Einsamkeit einer ganz und gar eigenen Meinung erlauben zu können, einfach so, ohne Kalkül. Sicher bin ich nicht. Ich glaubte lange Zeit, diesen Ort in mir gefunden zu haben, aber es mag sein, dass das Pendel sich noch im - einem früheren Erleben entgegengesetzten - Extrem befindet.
So ging es mir auch bei den Schallplatten. Jungs (große und kleine :- ) ) wollen einem da ja auch auf diesem Gebiet immer was "empfehlen" und dazu ein wenig "belehren" (Stichwort: Relevanz!). Aber ich habe mir gerne einfach was nach den Covern ausgesucht - und dabei manch tolle Entdeckung gemacht.
AntwortenLöschenSchönes Zitat von Doris Lessing. Als ich der Akademie den Rücken gekehrt hatte, machte mir Lesen wieder viel mehr Freude. Und auch das Schreiben über meine Leseerfahrungen (ohne den ganzen Anmerkungsapparat und die dauernde Beglaubigung durch die "großen Namen", fast alles Männer übrigens!)
Mit der Souveränität ist es sehr schwierig. Mir fehlt sie aus vielen Gründen: weil ich aus einer anderen "Klasse" komme als diejenige, in der ich mich jetzt bewege, weil ich eine Frau bin, die sich ein einer patriarchalen Kultur aufhält, wo bestimmte Frauenbilder existieren, die vieles von dem, was ich bin, nicht zulassen, weil ich - wie die meisten - "dazu" gehören wollte (und manchmal auch noch will), weil ich mich mit den falschen Bildern (z.B. von Mutterschaft) sehr stark identifiziere oder identifiziert habe, weil ich nicht ohne Empörung und Wut auf die Mechanismen schauen kann, mit denen Frauen entmündigt und Arbeiter, Kleinbürger, Migranten erniedrigt und ausgegrenzt werden aus den (bildungs-)bürgerlichen Schichten (Dabei haben sich in meinem Umfeld vor allem auch politische Linke immer sehr hervorgetan, in ihrer Verachtung gegenüber den sogenannten "Massen", deren Freizeitbeschäftigungen und Lebensweisen.) "Aufsteiger_Innen" wie ich haben immer Angst "etwas falsch zu machen" (beim Essen, bei der Aussprache von bestimmten Wörtern, bei Begrüßungsritualen). Andererseits gibt es den Impuls, sich die Herkunft zu bewahren (den Dialekt, die anderen Benimmregeln) usw. Und dann kommt noch hinzu, dass ich quer dazu natürlich ungeheuer privilegiert bin: als weiße Frau mit akademischen Abschluss in intakter Ehe mit zwei Kindern ohne Behinderung usw., usw. Vor allem begreife ich die Herkunft aus einer intakten Familie als ein Privileg, das enorme Schutzwirkung entfaltet. Was ich an Souveränität habe, beziehe ich daraus: aus der Gewissheit immer bedingungslos geliebt worden zu sein.
Ich glaube, für jeden Einzelnen/jede Einzelne setzt sich dieses Spannungsfeld aus Souveränität und Verunsicherung anders zusammen. Aber für das Produzieren von GÜTE, denke ich, bezogen auf Kunst, Literatur, Handwerk, Beziehungen, glaube ich, muss jede/r eine Quelle dafür finden. Was aus nur Hass und Unsicherheit (aus Verneinung) entsteht, dem fehlt diese Güte (im doppelten Wortsinn wieder).
der feste grund, der sichere ort, die gewissheit bedingungslos geliebt zu werden; ja das sind die wesentlichen dinge und erst aus dieser erfahrung heraus schaffen wir es frei zu entscheiden und zu handeln, daraus erwächst wirkliche souveränität und keine pseudo freiheit...
AntwortenLöschenja es gibt diese orte!
Das hoffe ich. Und wünsche es für eine/n jede/n, dass sie oder er den ihren/seinen findet. Obgleich es wohl ein Verunglücken geben kann, einen Entzug jenes Ortes, der alles untergräbt, den Boden unter den Füßen wegreißt und in eine finstere Hölle stürzen lässt. Ich denke gerade an Uwe Johnsons "Skizze eines Verunglückten". Die Paar-Beziehung allein wird es selten vermögen, einen solchen sicheren Ort zu stiften (Das mag es aber auch geben: Philemon und Baucis), viel zu sehr ist in unsere Kultur in ihr, was "Liebe" genannt wird, als Besitzverhältnis gedacht. Weil der "Ort" nur metaphorisch ein Ort ist, aber in Wahrheit immer die Beziehung(en) zu (einem) anderen Menschen, bleibt er gefährdet. Denn Menschen ändern sich und müssen sterben. Doch auch die Erinnerung an geglückte Beziehungen kann lange tragen.
LöschenIch bin ein wenig sentimental heute. Meine Eltern waren da, wie sie immer da sind und waren, wenn ich Hilfe brauche. Diesmal war es praktische Hilfe beim Umbau des verwaisten Zimmers meines Ältesten, der vor zwei Wochen ausgezogen ist. Morgen besuchen wir ihn in seiner neuen Bleibe. Wir sind eine laute und oft auch nervige Familie, aber die Bande sind stark und halten viel aus. Ich habe nie ohne sie leben müssen. Das hat mir viele Erfahrungen erspart, vielleicht mich auch um manche gebracht, an denen ich mich hätte beweisen müssen. Doch wünsche ich mir für meine Kinder nichts anderes, als ihnen diesen Halt und diese Sicherheit geben zu können. Um von da aus zu gehen... in Freiheit...
LG M.B.