Donnerstag, 18. Oktober 2012

VORWAND: Das Belauschen einer Männerorgie

Romane, habe ich neulich in einem Interview gelesen, werden auch in China überwiegend von Frauen der Mittelklasse gelesen. Ein wenig schwang, so nahm ich es wahr, bei dieser Aussagen eines Professors Bedauern mit, weil diese Leserschaft halt nicht die Innovationen des erzählerischen Sprachgebrauchs schätze, sondern "unterhalten" werden wolle. Das ist eine Tragik, die der abendländische Autor kennt. Schon Goethe und Schiller wussten ein Liedlein davon zu singen. Fast nur dilettantische Weiber lasen und verehrten die Dichterfürsten. Freilich nimmt man, auch als genialischer Autor, was man an Anerkennung kriegen kann. Notfalls eben die der hysterischen Frauenzimmer. Aber im Grunde zählt nur das Lob der "Brüder im Geiste", der anderen Dichter und Denker. 

Im Mittelpunkt des Romans stehen seit der Empfindsamkeit häufig Frauenfiguren. Und Romane werden beinahe ausschließlich von Frauen und ein paar unterbeschäftigten,  meist sehr jungen, häufig blaßen Männern gelesen, wie auch Niklas Luhmann 200 Jahre später sachlich feststellte. Ein "echter" bürgerlicher Mann, in Saft und Kraft, werkelnd und handelnd, hat keine Zeit zu lesen. Der Dichter wirft sein Werk auf einen Markt, den er zutiefst verachtet, bedeutet das: Frauen, die er zwar als Musen und Verehrerinnen braucht, aber als Intellektuelle bestenfalls nervig, schlimmstenfalls völlig überfordert findet und labile Männer, denen man als gutwilliger Mensch nur wünschen kann, dass sie alsbald das Romanelesen aufgeben und sich ins wirkliche "feindliche Leben" da draußen stürzen.

Virginia Woolf hat gefragt: "Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bücher im Laufe eines Jahres über Frauen geschrieben werden? Haben Sie eine Vorstellung davon wie viele darunter von Männern geschrieben wurden? Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie vielleicht das am meisten diskutierte Lebewesen des Universums sind?" Das am meisten diskutierte, verehrte und verachtete  Wesen - von Männern. Was natürlich - bezogen auf die Literatur und die Literaten - nicht stimmt. Denn Männern schreiben nicht über Frauen, sondern sich über ihre fiktiven Frauen. Madame Bovary, wusste schon Baudelaire, war immer ein Mann. Die Funktion des Spiegels, der das Bild zurückwirft, das der schreibende Mann sich von sich selber macht, haben Frauen in beiden Rollen - als Fiktionen und als Leserinnen - zwei Jahrhunderte lang (über)erfüllt. Im Werk schufen sich die Romanschreiber Traumfrauen oder weibliche Alpträume, ein Abbild der eigenen Sehnsüchte und Schwächen, Ängste und Hoffnungen, als Leserinnen konnten sie ihnen Musen und vor allem Anbeterinnen werden, die die gesellschaftlich marginalisierten Künstler um so manches zu entschädigen wussten. Wenn sonst schon keiner zuhört, findet sich doch meist noch eine Frau, die dem geistreichen Erfinder ergeben lauscht.

Wird Ihnen nun die Antwort auf die Frage, die Viriginia Woolf vor langer Zeit schon stellte, klar: Warum schreibende Frauen sich nicht ganz so häufig (meistens eher gar nicht)  für Männer - fiktiv oder als potentielle  "Fans" - interessieren? Wenn nicht, dann denken Sie noch einmal nach. Gehen Sie hinaus in die Nacht. Lauschen Sie in die erleuchteten Häuser hinein. Was hoffen Sie zu sehen, wenn Sie ein Mann sind? Was sehen Sie wirklich? Was wünschen Sie sich vor Augen zu haben, wenn Sie eine Frau sind? Was sehen Sie wirklich? Welche Tür sollte sich öffnen? In welchem Blick können Sie sich erkennen? Was wird geschehen, wenn der Spiegel zuletzt blind bleibt? Wenn sie sich abwendet und geht, auf die Andere unter der Laterne zu und sie einander unterhaken und miteinander weitergehen, ohne sich umzudrehen? Was ist, wenn sie es aufgibt, zu verehren, was sie nicht unterhält und sie nicht versteht?

"Denn es bedeutet ... dass manche der besten Werke unserer größten lebenden Schriftsteller in taube Ohren fallen. Sie kann machen, was sie will, eine Frau kann in ihnen jene Quelle des ewigen Lebens nicht finden, von der der Kritiker ihr versichert, dass sie dort zu finden sei. Nicht nur, dass sie männliche Tugenden feiern, männliche Werte festigen und die Welt der Männer beschreiben; auch das Gefühl, von dem sie durchdrungen sind, ist für eine Frau unverständlich. ... - man errötet bei so vielen Großbuchstaben als wäre man beim Belauschen einer Männerorgie ertappt worden."

Virginia Woolf nennt Namen männlicher Autoren, u.a. Kipling. Ich kann auch welche nennen. Es fällt noch immer nicht leicht, zuzugeben, dass viele der ganz großen Werke männlicher Autoren mich völlig unberührt lassen: Thomas Manns "Dr. Faustus" etwa, das meiste von Brecht (außer den Gedichten), der ganze Beckett, Thomas Bernhard, Peter Handke, Tom Woolf...Ich erkenne, dass einiges davon "große Literatur" ist, aber es bleibt mir völlig gleichgültig. Mir fehlt etwas, vielleicht Güte. Oder etwas anderes. Wahrscheinlich hat es nicht einmal nur mit den Kategorien männlich/weiblich zu tun. Es gehört wohl vor allem zu meiner ganz persönlichen Charakterausstattung, dass der Ausdruck von Selbst- und/oder Weltverachtung in Texten und Bildern stets unangenehm und ermüdend auf mich wirkt. Auch Misogynie empfinde ich weder als lustig, noch als empörend, sondern immer einfach als dumm. Und was als dumm empfunden wird, langweilt, selbst wenn´s klug formuliert ist. 

Egal. Ich lese gern. Weiter. Etwas anderes.

2 Kommentare:

  1. Etwas anderes weiterlesen. Die andere Literatur. Wie: das "andere" Geschlecht? Die "Abweichung"? ;)

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    1. Ja :-). In dem Sinne vielleicht, wie Christa Bürger die "Abweichung" des weiblichen Schreibens beschrieben hat: Leben Schreiben. (Also: kein "Werk", keine autonome Autorschaft, eine "mittlere" Sphäre, in der es um Vermittlung geht, nicht um Setzungen). Ich meinte es aber auch ganz wörtlich. Ich lese immer. Sogar männliche Autoren, immer wieder ;-) Jetzt grade eben drei Bücher parallel: "Bringing up the bodies" von Hilary Mantel, die Briefe von Kurt an Mary Tucholsky und Barbara Beuys Buch über Hildegard von Bingen (Das hat gestern auch meine Mama sehr fasziniert). (Ich lese immer mehrere Bücher gleichzeitig. Neuerdings auch, weil man den Kindle nicht mit in die Badewanne nehmen kann ;-)).

      Das Schöne ist, dass ich in einer Lebensgemeinschaft lebe, in der die eine nicht die Lieblingsautoren des anderen bewundern muss oder der sich sehr interessieren für deren Lieblingsthemen und -schriftstellerinnen. Morel hat, glaube ich, alles von Thomas Bernhard gelesen und viel von Peter Handke. Thomas Mann dagegen ist auch nicht so sein Fall, Beckett fand er immer schon sehr langweilig, sogar als ich noch dachte, man müsse sich irgendwie damit "auseinandersetzen". Mir geht es nicht darum, die Qualität dieser Literatur zu bestreiten (oder überhaupt zu diskutieren; deshalb schreibe ich ja auch nicht über Werke, die mir nicht gefallen). Was ich bestreite ist die "Relevanz"-Behauptung, die oft dahinter steckt; dieses: den oder jenen musst du lesen/kennen, um überhaupt mitreden zu können. Die Idee des Kanon, die immer noch und immer wieder die Dominanz weißer männlicher Autoren reproduziert, erscheint mir heutzutage nur lächerlich Ich finde es ist völlig o.k., diese oder andere Autoren und Autorinnen zu lesen und für sich selbst deren Bedeutung zu bestimmen, störend wird es, wenn eine allgemeine Bedeutung behauptet wird. Das Gebaren ist sogar grotesk, weil kein Menschenleben hinreicht, alles zu lesen, was "gut" ist. Jede/r trifft eine Auswahl, aber manche meinen eben, die ihre sei "zwingend".

      (Im Seminar konnte ich über die o.g. Autoren ohne Weiteres mit "sehr gut" bewertete Hausarbeiten schreiben; Diese Texte haben mich nur nicht "berührt" - wie andere, z.B. Peter Weiss oder Uwe Johnson - also habe ich von diesen Autoren später nie mehr "freiwillig" etwas gelesen nach der Studienzeit. Dafür konnte ich dann vieles "anderes" entdecken. Zum Beispiel Bettina von Arnim, deren Bücher, vor allem "Die Günderrode" und "Goethes Briefwechsel mit einem Kind" für mich sehr bedeutsam wurden. Oder die mittelalterlichen Mystikerinnen, über die eine Freundin promovierte. Oder Ford Maddox Ford, Jean Rhys, Barbara Pym, Janet Frame, Iris Murdoch, Alban Nikolai Herbst...Ich könnte die Liste noch lange fortsetzen, aber ich muss los.:-) )

      Herzliche Grüße

      M.

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