Samstag, 27. Oktober 2012

(Un-)Perfekte-Paare (13): DER STRAND UND DAS MEER


 Jacques Demy und Agnès Varta

Ich sah einen Film und er machte mich glücklich: "Les Plages de Agnès" von Agnès Varda. „Ich will das Glück zeigen.“, sagt ein Filme machender Mann in diesem Film und ich glaube, die Frau, die diesen Film machte, wollte genau das auch. Sie wollte es, vielleicht, um diesen Mann, der ihr der „liebste Mensch“ gewesen war, zu ehren mit ihrem Film. Doch gab sie dem Film trotzdem nicht seinen Namen, sondern erzählt von sich aus, einer Frau, die Filme macht. Es war und ist außergewöhnlich, wie und dass den beiden dieses gemeinsame Leben und getrennte Arbeiten gelang, denn gewöhnlicher ist es, dass zwei Menschen, die auf demselben Gebiet tätig sind, einander als Konkurrenz empfinden und noch gewöhnlicher ist es, dass ein Mann mit einer Frau, die er als Konkurrenz betrachtet, nicht einmal befreundet, geschweige denn ihr in Liebe zugetan sein kann. 

Bei diesen beiden, offensichtlich, war es von Anfang an anders. Als sie einander kennenlernten, war sie nicht nur eine alleinerziehende Mutter, sondern auch schon eine Frau, die als Fotografin und Regisseurin ihre Ideen erfolgreich verwirklichte. Das hätte jedoch nichts bedeuten müssen, als sie sich ineinander verliebten; es gibt schließlich genügend Beispiele dafür, wie eine begabte Frau mit eigenem Einkommen sich dennoch einem männlichen „Genie“ und dessen Produktion willig unterwirft. In ihrem Film deutet sie nicht an, dass eine solche asymmetrische Beziehung zwischen ihm und ihr je möglich gewesen wäre. Er brauchte sie nicht als Spiegel. Es mag dabei eine Rolle gespielt haben, dass er ein Mann war, der Männlichkeit nicht auf traditionelle Weise interpretierte und dessen sexuelle Orientierung nicht eindeutig war.

Ob die Liebe zwischen zwei Menschen scheitert oder es gelingt, sie in eine gemeinsame Lebensform zu überführen, hängt von vielem ab und es kann kein Rezept dafür geben. Am Anfang ihres Films sagt Agnes Varda: „Könnte man in einen Menschen hineinblicken, sähe man Landschaften. Würde man in mich hineinsehen, wären es Strände.“ Und Jacques Demi, der Mann, den Agnès Varda liebte, sagt im Film über das Meer vor der Insel mit der Mühle, auf der Varda und er  viele schöne Tage verbrachten, es sei blau und grau, so wie er selbst. Vielleicht kommt es darauf an, dass sich zwei Menschen finden, deren innere Landschaften zueinander passen: der Strand und das Meer. Ein Mensch, der in sich die Strände fühlt, an die das Wasser brandet, wird auf Dauer nicht mit einem Menschen leben können, der sich auf einen schneebedeckten Berggipfel sehnt.

Agnès Varda wurde 1928 in Brüssel geboren, Jacques Demy (geboren 1931) wuchs in der Küstenstadt Nantes am französischen Atlantik auf. Sie heirateten 1962 und blieben bis zum Tod Demys, der 1990 an AIDS starb, zusammen. Sie erinnert sich an ihre Ferien als Kind an den Nordseestränden Belgiens. Vor den deutschen Truppen musste Vardas Familie fliehen, danach lebten sie auf einem Boot in einem Fischerort am Atlantik. Es war dasselbe Meer, an dem sie aufwuchsen, derselbe Salzgeschmack auf der Haut, dieselben Wolken, die in allen Grauschattierungen über den Himmel zogen. Es mag diese tief in beider Körperempfinden und Wahrnehmungsvermögen verankerte Liebe zu See und Sand, zu Wind und Wellen, zu Booten und Tauen dazu beigetragen haben, dass sie zueinander fanden. 

Varda und Demy waren der Nouvelle Vague des französischen Kinos über enge Freundschaften mit den großen Regisseur_innen und Schauspieler_innen dieser Epoche verbunden, bewegten sich mit ihren eigenen Filmen aber nicht im Zentrum dieser Bewegung. Ihrer beider Filme, so verschieden sie sind, wirken optimistischer, zärtlicher, fröhlicher und bunter, sind weniger fixiert auf die Autoren-Rolle des Regisseurs/der Regisseurin, bleiben stärker orientiert an der Idee des Filmemachens als Kollektiv und sind nicht so bemüht, sich gegen die Klischees und Traumwelten des Mainstream-Kinos abzusetzen.

Agnes Varda erzählt in ihrem Film „Die Strände von Agnès Varda“  davon, wie Jacques Demy nachdem er die Goldene Palme in Cannes für „Die Regenschirme von Cherbourg“ mit Catherine Deneuve (1964) erhalten hatte, nach Hollywood eingeladen wurde, um dort Filme zu machen. Sie ging mit ihm, „weil ich ihn liebte“, und deutet im film nur an, dass es in den Jahren in Hollywood nicht nur eine schöpferische Krise gab, sondern womöglich auch eine der Ehe. Sie gab einem Produzenten, der sie in die Wange kniff, eine Ohrfeige, danach hatte sie keine Chance mehr auf eine Finanzierung ihrer Filmprojekte durch amerikanisches Geld. Sie drehte mit Hilfe französischer Geldgeber einen Dokumentarfilm über die Graffitis in Los Angeles. Auch für Demy scheinen die Arbeitsverhältnisse an der Pazifikküste nicht ideal gewesen zu sein. Sein Film "The Model Shop" floppte. Vielleicht kam es in dieser Zeit zu einer Entfremdung des Paares. Vielleicht ging Jacques Demy dort Beziehungen ein, durch die er sich mit AIDS infizierte. Varda schweigt dazu; sie deutet nur an, dass beider Filme nach dieser Zeit düsterer und politischer wurden. An dieser Stelle ihres autobiographischen Filmes fügt sie unvermittelt die Wiederbegegnung mit einem amerikanischen Freundespaar ein, das seit mehr als 50 Jahren harmonisch miteinander lebt. Sie zeigt die beiden mit ihrer großen Familie in ihrem Gartenhaus in Kalifornien. Varda hat offenbar für die Erzählung von „Die Strände von Agnès Varda“ eine Entscheidung getroffen: Sie will die Möglichkeit des Glücks zeigen, eines gelingenden Lebens in Variationen, statt das Augenmerk auf  Misstrauen, Versagen und Zorn zu legen. Ob ein Leben gelingt, ist auch eine Frage der Perspektive, aus der es erzählt wird.

Ein Leben, in dem sich eine oder einer auf die Liebe einlässt, wird nicht von tiefer Traurigkeit verschont bleiben. Denn wer liebt, verliert. Agnès Vardas Film ist der Film einer alten Frau, die das Sterben und den Tod vieler enger Freunde und eben auch des ihr liebsten Menschen erleben musste. Der Trauer um diese geliebten Menschen wird in diesem Film viel Raum gegeben. Aber sie erzählt vor allem davon, wie ein Leben nur gelingen kann, wenn es sich auf die Liebe einlässt und damit eben auch auf die Gewissheit, dass der Abschied kommt und mit ihm die Trauer. Agnès Varda und Jacques Demy teilten einen schmalen Hofeingang in Paris, wo er rechts und sie links ihr Atelierbüro hatten, von wo aus sie ihre Filme erdachten und planten, sie verbrachten viele gemeinsame Tage mit Freunden und Familie auf einer Insel im Atlantik, wo sie gemeinsam den Wellen zuhörten, sie lebten getrennt voneinander und sie taten sich gegenseitig wohl auch sehr weh, sie zogen gemeinsam Agnes´ Tochter aus einer früheren Beziehung und ihrer beider Sohn auf, sie hatten einen großen Freundeskreis und ließen einander Spielraum. „Familie ist ein kompaktes Konzept“, sagt  Varda einmal im Film. Sie zeigt ihre Familie, die Lebensgefährten ihrer Kinder und ihre Enkelkinder, alle in weiß vor einem stilisierten Hintergrund. Es ist ein Traumbild der Liebe und es wird klar, dass die Liebe nicht darin besteht, den anderen zu „durchdringen“ und sich verfügbar zu machen. „Ich weiß nicht, wie gut ich diese Menschen kenne.“, sagt sie. Die Liebe lässt den anderen sein, sie hofft für ihn und wünscht ihm das Glück, wo er eben es findet. Der Film "Die Strände der Agnès" der 80jährigen Agnès Varda ist ein Film über Liebe, Familie, Freundschaft, Verlust und Trauer. Es ist ein Film über das gute Leben, das nur dem gelingen kann, der liebt, ohne sich absichern zu wollen gegen Verlust und Schmerz.

3 Kommentare:

  1. das meer ist immer am strand, sowie kein meer ohne strand.

    strandestendendesten meers

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  2. die formulierung "Vielleicht kommt es darauf an, dass sich zwei Menschen finden, deren innere Landschaften zueinander passen [...]"... finde ich sehr poetisch. gefaellt mir ausserordentlich.

    und der satz "Denn wer liebt, verliert." ist sehr gewagt in seiner radikalitaet, und wahr. und in diesem kontext sehr stimmig. klasse!

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    1. Die Landschaften. Ja, ich glaube daran, dass solche "irrationalen" Zusammenhänge gibt, die darüber entscheiden, wie und ob eine Liebe sich entwickelt. Man kann dann immer Ursachen suchen und Argumente finden, warum, wieso, weshalb und sich in Dispute verstricken oder eine Paar-Therapie machen. Vielleicht funktioniert das sogar, manchmal, bei manchen. Aber i c h glaube nicht daran. Meine Landschaft sind die welligen, grünen Hügel der Mittelgebirge. Extrembergsteiger oder Seefahrer wären wohl kein Gefährte/keine Gefährtin für mich :-).

      "Wer liebt, verliert." - auch davon bin ich überzeugt. Jede Liebe birgt Enttäuschungen in sich. Aber wer die Liebe vermeidet, der verfehlt das Leben. Dabei meine ich mit "Liebe" nicht jene pubertäre Anwandlung, die die eigenen Sehnsüchte auf eine/n andere/n projiziert und sich diesen als Spiegel des großen ICH imaginiert, sondern den Versuch, miteinander zu leben, füreinander zu sorgen und um des Anderen Glück besorgt zu sein, die Begegnung der zwei kleinen "ich" mit ihren Ängsten, Bedürfnissen, Differenzen zuzulassen.

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