Donnerstag, 6. Dezember 2012

HÜFTSPECK ("Zu schwer, um davon zu fliegen") Entwurf


Die B. hatte sich in letzter Zeit kooperativ verhalten. Einerseits. Andererseits, allerdings,  waren sie keinen Schritt weitergekommen. Den Besuch des alten Vogels hatten sie ihr verschwiegen. Es war  eine schwierige Phase gewesen für die B. und sie hatten in der Teamsitzung  beschlossen, ihr weitere Belastungen zu ersparen. Gerade an dem besagten Tag, erinnerte er sich, war die B. nicht gut drauf gewesen. Es hatte an jenem Tag Erbseneintopf gegeben und der S. war er nicht gut bekommen. Er unterdrückte das Gefühl der Übelkeit, das in ihm aufstieg, wenn er an die herzhaften Speckstücke im gelblichgrünen Erbsenbrei dachte. Die S. hatte, als er später, nachdem der Vogel sich davon gemacht hatte, nach ihr schaute, schwach nach Erbrochenem gerochen. Aber sie hatte gelächelt, zum allerersten Mal, seit er ihre Behandlung übernommen hatte. Er hatte Hoffnung geschöpft. Dr. K. seuftze. Die B. war nicht sein einziger schwerer Fall, daran musste er sich manchmal erinnern.
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Ich habe zugenommen. Die Fettaugen auf den Suppen habe ich absichtlich aufgefischt und  mir in den Mund geschoben. Über meinen Hüften kann ich ein Röllchen Speck zusammen schieben. Meine Brüste hängen ein wenig. Das wird ihnen missfallen. Wenn sie jemals davon erfahren. (Sie wissen alles. Es erregt sie. Sie werden mir in den prallen Hintern kneifen.) Ich sehne mich danach inwendig zu trocknen. Um dann auf einen glühenden Sand zu pissen. Wie der heiße Urin unter meinem Bauch hervorquillt, stelle ich mir vor. Werde ich jemals wieder das Meer sehen? Manchmal bilde ich mir ein, die Wellen zu hören. Doch dieses Institut liegt zu weit entfernt von der Küste. Eine Windbraut wie ich sollte davon fliegen können, doch er hat meine Flügel gestützt. Ein Geschöpf wie Du, hatte er gesagt, muss sich entscheiden: zwischen Vogel und Echse. Ich hatte keinen Augenblick gezögert. Aber ich konnte doch nicht ahnen, welches Terrarium du für mich zu schaffen gedachtest. Immer noch kann ich nicht glauben, dass es dein Wille ist, mich hier einzusperren. Er wollte mich holen, hast du davon gehört? Vielleicht hast du recht und dies ist der einzig sichere Ort. Immerhin kann ich den Himmel sehen und im Park gibt es einen flachen Teich. Sie wollen mich hier am Schreiben hindern. Ich soll reden. Manchmal gelingt es mir, einen Fetzen Papier zu stehlen und einen Stift. Wenn sie mich erwischen, schauen sie mich aus triefenden Augen betrübt an. Alles geht ums Vertrauen. Ich muss sehr stark sein dann, um nicht zu lachen. Wir dachten doch, wir seien vorsichtig gewesen. Diskret, dein Lieblingswort. Sie müssen dennoch etwas gefunden haben. Sie fragen mich nie direkt nach meinen Taten. Soll ich eine Liste für sie machen mit allen, die ich beglückte? Ich stecke das in eine Ritze zwischen den Fensterbögen. Sie werden dich dennoch finden, eines Tages, aber was können sie schon verstehen?
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Patient G. war ein weniger komplizierter Fall, auf den ersten Blick zumindest. Dennoch war es G., mit dem sich Dr. K. am wenigsten gern befasste. Immer wenn er an G.s Entscheidung dachte, brannte es in seinem Schritt. Er hätte längst einmal wieder einen Supervisionstermin wahrnehmen sollen. Diese Suggestionen waren unprofessionell. Dennoch, er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein Mann anders empfinden konnte. Die B. und der G. saßen bei den Mahlzeiten nebeneinander. Doch noch nie hatte jemand sie miteinander sprechen hören. Sie reichten sich das Brot, schweigend. Aber er hatte beobachtet, wie sie sich tief in die Augen sahen, einmal beim Nachtisch. Ihn schauderte. Genug für heute. Dr. K. schlug die Akte des G. zu. 

Verwandte Beiträge (Serie: "Fabelwesen" *):
Das Ende der Handschrift
Pernis und Armur


*FABELWESEN ist mein nächstes Romanprojekt. Jenseits der unendlichen Geschichte von "Melusine featuring Armgard". Es hat noch keinen Plot. Aber viele Figuren. Und Bilder. Ich kenne sie alle und sehe vieles klar vor meinen Augen. Aber ich weiß ,wie immer an Anfang, nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen. Das ist der Preis für die Schärfe dieser Bilder, den ich gern zahle. 

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