Mittwoch, 12. Dezember 2012

Steile These: GELD UND KASTRATION

"Der andere Faktor, der das Christentum zu einem günstigen kulturellen Nährboden für das Geld werden ließ, waren vor allem seine Opfer- und Inkarnationslehren, in denen sich die Ursprungsgeschichte des Geldes widerspiegelt. Sie zeigen sich an dem Symbol des Christentums, nämlich dem christlichen Kreuz, das sowohl Tod/Opfer als auch Auferstehung bedeutet. Das ist das sogenannte ´Kreuzesparadox´. Damit deutet das Symbol auch auf den engen Zusammenhang zwischen Kastration und ´geistiger Potenz´. In seinem Buch Sexuality of Christ hat der Kunsthistoriker Leo Steinberg auf die vielen phallischen Darstellungen des Gekreuzigten hingewiesen, an denen er den Zusammenhang zwischen Erektion und Resurrektion festmacht. DasGegenstück dazu ist die ikonologische Darstellung Gott-Vaters. Auf manchen Bildern ist der Vater zu sehen: auf seinem Schoß der hingeschiedene sohn in einer Pose, die ihn wie das Geschlecht Gottes erscheinen lässt, aber in kastrierter, geopferter Gestalt. Die Darstellungen enthalten die beiden Aspekte des Kreuzesparadoxes, erklären die ungeheure Macht dieses Glaubenssymbols - und sie sind wie ein Spiegelbild der Beglaubigung des Geldes: Eine am männlichen Körper exerzierte Kastration wird zur Voraussetzung für geistige Zeugungsfähigkeit.

Die intime Nähe zwischen christlicher Theologie und Geldwirtschaft erklärt, warum das monetäre Vokabular mit seinem Kredit und seinem Fiatgeld so theologisch klingt. Warum Hostie und Münze dieselbe Form haben. Und vor allem erklärt sie auch, warum moderne Geldwirtschaft im christlichen Kulturraum entstand und sich hier der Kapitalismus zuerst durchsetzte."

Christina von Braun: Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, 2012

5 Kommentare:

  1. Aber erklärt sie, diese intime Nähe, auch die Wertform des Geldes?
    Darauf käme es an.
    Der einfache Analogieschluß wird zum Profil der Methode.

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    1. Welcher Methode? Derjenigen Christina von Brauns? Um das zu überprüfen müsste ich vielleicht mehr referieren aus dem Buch, das ich faszinierend finde - und im Vergleich und als Ergänzung zu David Graebers "Schulden. Die ersten 5000 Jahre". Für einen längeren Text zu beiden für mich sehr interessanten Büchern fehlt mir gerade die Zeit (da ich an anderem arbeite). Die Textstellen könnten ja auch einfach Neugier wecken. Das ist meine Absicht. Aber ich bin ohnehin eher eine affirmativer Leserin, die sich einfach mal öffnet für eine neue Sichtweise.

      (Analogien halte ich -übrigens - mit Lichtenberg für die Methode des Denkens, die am innovativsten ist und am meisten Erfindungen ermöglicht hat.)

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  2. Wieso fragen Sie, um welche Methode es mir gehen koenne? Es kommt doch nur diejenige von Frau Braun in Frage. Sie hatten keinen anderen Text oben eingestellt.

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    1. Ich war nicht sicher, ob Sie an so einem knappen Ausschnitt eine "Methode" ableiten können, die sogar zum Profil wird. Aber vielleicht kennen Sie ja das ganze Buch. (Hätte sich ja z.B. auch auf die Überschrift, die auf meine Kappe geht, beziehen können.) Dann ist Ihre Einlassung allerdings ein bisschen knapp. Aber das bin ich von Ihnen ja schon gewohnt. Sorry, dass ich so schwer von Begriff bin.

      Ich schätze Christina von Braun sehr und habe noch jedes Buch von ihr mit viel Gewinn gelesen. Wenn´s Ihnen anders geht, macht das ja nichts. Sie müssen´s ja nicht lesen.

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  3. Es kann in der Tat sein, dass der hier eingestellte Textausschnitt für eine Bestimmung der methodologischen Vorgehensweise der Autorin hinsichtlich des gesamten Buches unzureichend ist. Ich gebe dies allerdings zu.

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