„Wenn
es dir zur Last wird, dann lass es sein.“, sagt Schnuppe. Er hat nicht nur
recht und nicht immer, aber dieses Mal. Und dennoch. Was Schnuppe nicht
begreift, ist die Idee der Pflicht. Dass Sternchen von dieser Idee zehrt. Ein
Gericht, das sich niemals aufbraucht und doch immer als möglicher Spruch über
ihr schwebt. (Sternchen liebt „Teekesselchen“.) Schnuppe dagegen hat noch nie
an Pflichten geglaubt. Man tut was man kann, sagte Mama. Aber mehr nicht. „Was man auch lassen kann...“, ist Papas Credo. Sie leben nicht
mehr zusammen: Schnuppe, Sternchen, Mama und Papa. Ein jedes ist seiner Wege gegangen. Die
Tür stand immer offen. Sie rüttelten nie an den Gitterstäben. Es war, wie es
war und es war gut so. Sternchen wohnt nur eine halbe Stunde mit dem Fahrrad
von Schnuppe entfernt. Sie hängen eigentlich dauernd Eine in des Anderen
Wohnung herum. So verkraulen sie
die potentiellen Liebhaberinnen. Seit Jahren. Der Krieg, den sie nie
führten, hat überall Spuren in den
zwei mal Zwei-Zimmer-Wohnungen hinterlassen: Zettel an die Regalpfosten
geklemmt, gemischtes Geschirr („Dein Blau, mein Grün.“), die gemeinsame
Weinbestellung, zwiefache Unterstreichungen in den Büchern, seine Handschrift, ihr Gekrakel. Ihre Zufriedenheit
mit dem, was sie aneinander haben, wird ihnen dauernd übel genommen. „Es kommt nicht darauf an, was man hat,
sondern was man ist.“ Schnuppe hängt immer noch in der Fromm-Schleife. Sie
lacht: „Mir ist das schnuppe, Schnuppe.“
„Ich habe einen Kuchen gebacken.“ Warum sie das nicht
überrascht? Sternchen kann nicht backen. Das hat immer der große Bruder
gemacht. Dreilagige Torten, Sahneschnittchen, Eclairs, Schwanen-Windbeutel.
Sternchen ist ein wenig enttäuscht von dem einfachen Marmorkuchen, der auf dem
Küchentisch steht. „Noch warm?“, fragt sie. „Wie du ihn am liebsten hast.“
Schnuppe schneidet an. Mit der nächsten Frage schneidet er ihr mitten rein ins
Pflichtenfleisch: „Warum schaltest du das Ding nicht einfach ab?“ Sternchen
schaufelt Marmorkuchen ins lose Mundwerk, um es abzudichten. Sonst könnte dem
Brüderlein etwas um die Ohren fliegen. Nur kein Kuchen. „Deine Illusion über
freie Entscheidungen.“ „Ist ganz brauchbar.“ „Außer wenn man sie braucht.“ „Du
machst es für dich. Wenn es dir nichts mehr bringt, lässt
du es eben sein.“ „Es hat mir noch nie was gebracht. Ich musste es machen.“ „Müssen kommt von
Mus. In der Birne.“ „Aus Birne.“ „Ich kann dir ja den Stecker rausziehen. Wenn
du´s allein nicht schaffst.“ „Das läuft ziemlich lang auf Batterie.“ „Oder den
Router abklemmen.“ „Wag es nicht.“ Sternchen droht ihm mit der Kuchengabel. Es
wäre aber eine Möglichkeit. Sich mal vom Netz nehmen lassen. Schafft sie das
alleine wirklich nicht? Schnuppe schlägt seine Gabel an die ihre. Es klingt hohl. „Du machst
es, solange du Mus hast. Oder Muse. Später kommt was anderes.“ „Wenn, dann...“
„So fing mal ´ne Reihe von Gedichten an.“ „Erinnere mich bloß nicht.“
„Was
ganz anderes: Ich hab´ da einen Typ kennengelernt.“ „Bademeister?“ Sternchen
macht ein Fragezeichengesicht. „Hätte ich dir mal gegönnt. Einen
Bademeister-Typen. Oder Fitnesstrainer.“ „Die überlass ich dir.“ Schnuppe
pfeift. „Danke sehr. Ich mag vor allem, wenn sie nicht lesen.“ „Du bist
ein Drecksack, Schnuppe.“ „Wieso? Der ganze Stress. Das Gequatsche über
Literatur. Das hab ich schon mit dir. Das reicht mir.“ Sternchen lacht. „Er
liest. Aber ich glaub´ nicht, dass es was wird.“ Jetzt setzt Schnuppe sein
Fragezeichen auf. „Er liest so Sachen. Und er kennt Jane Austen
nicht.“ Schnuppe lacht. „Also, was: Liest Sachbücher über den tropischen
Regenwald, oder was?“ „Nee, der liest schon Literatur. Aber Austen nicht.“
„Ein Mann, der liest, aber nicht Austen liest. Nee, ehrlich, das geht gar nicht.“ „Außer er ist Bademeister oder
Fitnesstrainer oder noch ganz jung und niedlich, wie Tom in ´Metropolitan´.“
„Schnuckelig.“ "Das ist aber jetzt ein Insider-Joke." Sternchen droht Schnuppe mit dem Zeigefinger. Schnuppe zuckt mit den Achseln. "Ist ja sonst keine hier."„Sternchen winkt ab. „Weißt du,
ich habe mich noch nie in einen Typen verliebt, der Fitzwilliam Darcy nicht
zitieren kann. Und liest, meine ich. Wenn er Atomphysiker ist, isses egal.
Klar. Dann schon.“ „Du bist nicht sehr tolerant, mein Sternchen. Und Frauen?
Verzeihst du es Frauen?“ „Ich kenne keine.“ „Was meinst du?“ „Frauen, die
lesen, aber Austen nicht lesen und lieben.“ „Ach, komm schon.“ „Nee, echt.“
Schnuppe denkt nach. „Ich auch nicht. Wär´ auch irgendwie unattraktiv.“ „Wie
bei einem Mann. Genau. Eben.“ Schnuppe denkt schon wieder nach. „Stimmt.“ „Man
kann es akzeptieren, ignorieren, keine Frage. Aber es ist nicht sexy.“ „Kein bisschen.“
„Nimmst du noch ein
Stück?“ Sternchen lädt sich den Teller mit einem Monsterstück Marmorkuchen
voll. Der Schokoladenstrang ist noch ganz heiß und weich, gerade so, wie sie es
mag. Sie leckt die Gabel ab. „We all know him
to be a proud, unpleasant sort of man; but this would be nothing if you really
liked him.” Sie deutet mit der Gabel auf Schnuppe: „Lieber Bruder.“ „“I am excessively diverted, kleine Schwester.“
„Wir erklären hiermit die Lektüre aller Romane von Jane Austen zur
Menschenpflicht.“ Sie lassen ihre Gabeln aneinander klingen. „Aber nur für
Bademeister, Fitnesstrainer und süße Rothaarige.“
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