Mittwoch, 6. Februar 2013

Sitzen oder liegen...

"Ich habe es sehr deutlich gemerkt: Ich habe oft eine andere Meinung, wenn ich liege und eine andere, wenn ich stehe. Zumal wenn ich gegessen habe und matt bin."


Georg Christoph Lichtenberg


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Manche müssen immer aufrecht sitzen, um zu lesen. Einige stehen sogar am Pult. Manche liegen, wie Lichtenberg und ich, sogar, wenn sie schreiben. Goethe stand immer oder ging umher. Sobald er es sich leisten konnte, hörte er auf zu schreiben und diktierte stattdessen. 

Manche glauben, abstrakte Gedanken oder "Texte" entstünden unabhängig vom Körper des Menschen, der sie produziert. Ich nicht. Vielleicht werde ich niemals ganz die Art und Weise verstehen, in der Menschen denken, die im Stehen lesen und vielleicht werden mir alle Texte, die an einem Stehpult geschrieben wurden, immer ein wenig fremd bleiben. 

4 Kommentare:

  1. ich glaube texte (und gedanken) entstehen generell nicht unabhängig vom körper. selbst das lesen, schreibt jan kuhlbrodt, ist ein körperlicher akt.

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    1. Ja. Die andere Annahme, es gebe quasi "körperlose" Gedanken oder Geschriebenes, das jenseits der schreibenden und lesenden Körper "Bedeutung" erlangt, erscheint mir geradezu wahnsinnig. Aber das sehen durchaus nicht alle so. Denn - wie Lichtenberg so schön feststellt - d.h. ja auch: Es gibt keine "Wahrheit" losgelöst von konkreter körperlicher Erfahrung. (Lichtenberg, der Physiker, meint, das gilt auch für die Naturwissenschaften, nur dass die Abweichungen durch den wahrnehmenden Körper dort in der Regel so gering sind, dass sie nicht ins Gewicht fallen.) Lichtenberg "studierte" übrigens immerzu Kant zu diesen Fragen und missverstand ihn ganz gründlich, aber produktiv. Er teilte aber eben gerade als Naturwissenschaftler die Verachtung gegenüber dem angelsächsischen Empirismus nicht.

      Vielen Dank für den Link! Das "Schreibzimmer" ist ein wunderbarer Gedichtband, zu dem ich auch gerne noch etwas schreiben möchte. Aber ich tu mich schwer mit Lyrik - nicht beim Lesen, sondern beim Schreiben :-). Vielleicht sollte ich mich doch mal hinsetzen, statt halb zu liegen ;-).

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    2. liebe melusine!

      ein lichtenstein-zitat, bei dem ich einfach zuschlagen mußte! (und vielen dank für die absicht, die ja schon die halbe tat ist, im richtigen moment);-))

      BONSAI 23

      liegend Geschriebenes liegt hier nicht herum.
      Niemand diktiert, die Stimme immer
      eine innere, eine Art Schweben, auch Brummen,
      das sich nicht abstellt, keineswegs auszublenden ist.
      Im Stehen schreiben – nichts ging voran.
      Rebellion der Füße, hielten nicht still, versackten.
      Keine Wortmassage kam an den Beinen zustand,
      als ob der Körper sich selbst in diesem Bereich
      unter keinen Umständen hilfreich sein könnte.
      Magen und Darm hingegen taktgebende Einheit:
      so also Essen und Flüssigkeitszuführung
      als Struktur der Gedankenerzeugung, deren Tätigkeit
      sich sofort vermischt mit dem flackernden Augensinn:
      perspektivisch ins Dunkel gehalten der Bonsai,
      sein Schatten, der nun nicht mehr blendet.
      Die Lampe ihr eigener Spektralschatten,
      der an der Wand zugleich lockt und droht.
      Ich nun der Seßhafte, der im Liegen nur schläft;
      Schläfer, der vom liegend Geschriebenen
      vielleicht träumt, sich erwachend erhebt,
      mit einem digitalen Leuchtfinger an der Hand

      (Mittwoch, 6.2.1013, 22.44 Uhr)

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    3. Seßhaft verlegen... ach, schön! Und: Danke!
      Morel und ich tauschten uns heute über Ihr "Schreibzimmer", das uns beiden gefällt, aus. Ich lese oft darin. Nur wie ich darüber schreibe kann, darüber grübele ich noch. Die Erfahrung zeigt aber, dass das Grübeln nicht hilft. Vor allen Dingen nicht im Sitzen, gar an einem Schreibtisch. Um schreiben zu können, muss ich laufen. Aber schreiben selbst kann ich nur im Liegen...meistens, gelegentlich sitzend. Aber immer muss dem ein Traum vorausgehen, der "sich erwachend erhebt, mit einem digitialen Leuchtfinger an der Hand."

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