Mittwoch, 27. März 2013

Endlich: Frühlingshaft, aber kalt in AMSTERDAM

Frühlingsgefühle
Ein letzter, halber Tag in Amsterdam. Noch einmal ein üppiges Hotel-Frühstück. Angeblich essen die Briten so am Morgen. Das stimmt natürlich nicht. Schon in Katherine Mansfields "In a German Pension" will keiner der deutschen Spießbürger in der Frühstückspension wissen, dass sich die Britin mit einer Scheibe Toast am Morgen zufrieden gibt. In der Familie, in der ich in den frühen 80ern zum Austausch war, gab es widerlichen Porridge. Sonst nix. Eine interessante kulturwissenschaftliche Studie wäre das: Wer hat sich diese Völlerei am frühen Morgen ausgedacht und sie den Angelsachsen als Volkstum angehängt?

Die Sonne, die in den vergangenen Tagen zwar die Türknäufe der Patrizierhäuser schimmern und die Möwen weiß  gegen einen blauen Himmel flimmern ließ, schaffte es endlich, die Luft ein bisschen zu erwärmen. Wir flüchteten dennoch vor der Kälte für eine halbe Stunde ins Theater Tuschinski, einen Art déco-Kinopalast, mit dem sich Abraham Icek Tuschinski 1921 einen Traum verwirklichte. Im herrlichen großen Saal mit den Balkonen und Logen ließe sich jeder - selbst ein öder Apokalyptiker-Film mit weiblichem nacktem Astral-Leib im silbernen Mondlicht -  ertragen, glaube ich. Morel ist sich da weniger sicher. Aber auch er bewunderte die Lust am Detail, am Prunk, genoss das Einsinken in die tiefen Teppiche und das rötliche Dämmerlicht des Foyers. Abraham Icek Tuschinski wurde 1944 in Auschwitz ermordet. 

Ähnlich wie Guggenheim nutzt auch die Petersburger Ermitage ihren Markenamen, um europaweit Dependancen zu eröffnen. In Amsterdam beherbergt die Hermitage im Amstelhof bis zur Wiedereröffnung des Van Gogh-Museums eine Schau zum Werk des Malers. Die Bilder und Zeichnungen sind sehenswert; das Konzept der Ausstellung aber ärgerte mich. Wie auch im Erweiterungsbau des  Städels (den sogenannten "Hertie-Gartenhallen") sind halbe Wände mit Label-Überschriften und aufdringlichen Schubladen-Erklärungen zugetextet: "Die Bedeutung der Farbe", "Das Geheimnis des Lichts" etc. ppp. Die Werke wirken auf diese Weise wie Illustrationen dieser Texte. Statt ein Angebot zur Vertiefung zu unterbreiten, wird hier den unerfahrenen Betrachterinnen jede Erfahrung verstellt. Es entstehen keine Fragen und keine Unsicherheiten, alles ist in einen Zusammenhang gestellt und wer das gesehen hat, kann sich einbilden, er habe "einen Überblick".  Das ist eine - offenbar die derzeit populäre  -Form von Museumspädagogik und -präsentation, die ich geradezu verwerflich finde, weil sie Neugier systematisch verhindert. 

Spannender war eine Ausstellung über "Peter den Großen", den brutalen und wissbegierigen Zaren, der eine gewaltsame Modernisierung des Großreichs vorantrieb. Faszinierende Biographien: ein Graf Ostermann, den es in Peters Umfeld trieb, nachdem er an seinem Studienort Jena einen Kommilitonen erstochen hatte oder der Sohn eines portugiesischen Judens, der es sogar unter zwei Zaren zum Polizeichef bringen sollte, die analphabetische Katherina aus einfachsten Verhältnissen, die zur engen Vertrauten Peters  und zu seiner Zarin wurde, die Einführung von Beförderungen nach "Meriten" und nicht nach Stammbaum, handwerkliches Können und kriegerischer Ehrgeiz, die geforderte Trinkfestigkeit und die Benimmregeln für einen versoffenen Haufen von Gefolgsleuten aus aller Welt, ein furchtbares Zusammenspiel von Grausamkeit und Fortschrittswillen. Ich habe mir gleich im Anschluss eine Biographie über Peter auf meinen Kindle geladen. Das will ich alles noch ein bisschen genauer wissen.

Zuletzt ein Besuch im Rembrandt-Haus, dem Sitz des "Unternehmens Rembrandt". Hier gefiel mir das Konzept der Präsentation. Für diejenigen, die mögen, wird ein einführender Film mit den wichtigsten Stationen von Rembrandts Leben gezeigt; in den Räumen gab es Einblicke in die Lebensweise im Familienunternehmen Rembrandt und in die Arbeitsweise des Meisters (der in eben diesem Sinne "Meister" war, nämlich als Leiter eines Handwerksunternehmens). Die Inventurliste nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Rembrandts ermöglicht eine genaue Rekonstruktion der Räumlichkeiten, wie sie zur Zeit Rembrandts eingerichtet waren. Wir konnten zuschauen, wie in Rembrandts Atelier Ölfarben hergestellt wurden und gewannen Einblicke in seine Produktionstechniken. Zum Schluss wird eine Auswahl der großartigen Druckgraphiken gezeigt. Wie schade, dass Svetlana Alpers bahnbrechende Studie  "Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt"  momentan nur antiquarisch zu haben ist. Ein Besuch im Rembrandt-Haus in Amsterdam eröffnet zumindest einen ersten Einblick in eine künstlerische Produktion, die weder durch höfische Aufträge noch durch das Modell des "autonomen Künstlers" konstituiert wird. Rembrandts Arbeiten sind meiner Auffassung nach nur von dieser unternehmerischen Position her zu begreifen. Ein Verständnis dagegen, das sie aus diesem sozialen Kontext löst und wie "autonome Kunstwerke" (und also z.B. die Kategorie der "Echtheit" am Pinselstrich oder Gravur des "Autors" festmacht) liest, verfehlt ihren Gehalt im Wesentlichen. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen