Donnerstag, 28. März 2013

MASKE, PORTRÄT, GESICHT (Zu: FACES. Eine Geschichte des Gesichtes von Hans Belting)


Sie sind die drei großen „B“ unter den gegenwärtig lebenden deutschsprachigen Kunsthistorikern: Gottfried Böhm, Horst Bredekamp, Hans Belting. Dabei vertreten die drei höchst unterschiedliche Zugänge zur bildenden Kunst, die einander zwar nicht feindlich und ausschließend (für eine solche Haltung sind alle drei zu klug) gegenüber stehen, aber doch bisweilen zu widersprüchlichen Deutungen einzelner Bildfindungen und visueller Darstellungen gelangen. Das spricht weder für noch gegen den einen oder anderen Ansatz, sondern für die Vielfalt und Vieldeutigkeit der sichtbaren Gestaltung der Welt, die unsere Kultur hervorbringt. Bei Gottfried Böhm, einem Schüler Gadamers, habe ich einige Semester studiert; Horst Bredekamps sozialgeschichtlich geprägter Zugang, vor allem seine Studie „Antikensehnsucht und Maschinenglauben“ mit dem Schlussteil zur Zukunft der Kunstgeschichte hat meine Arbeiten zu Vermeer, Hogarth und Goya beeinflusst, Hans Beltings kulturwissenschaftlicher Horizont stellte den Zusammenhang zu einer die verschiedenen Künste umfassenden Medientheorie her. Alle drei waren beteiligt an einer Ausweitung der Kunstgeschichte zur „Bildwissenschaft“, einem immer noch schillernden, vieldeutigen und auch missverständlichen Begriff. Allen dreien ging und geht es hierbei um die Überwindung der starren Grenzen des Kunstbegriffs (vor allem auch der Dichotomie von „hoher" und "niederer" Kunst) und im Rückgriff auf vorbürgerliche Epochen um die Rekonstruktion von Bezügen zwischen Kunst und Handwerk, Kunst und Technik, Kunst und Wissenschaft. Während Gottfried Böhm in diesem Zusammenhang immer wieder die Eigenständigkeit des Bildes als Form der Selbst- und Weltverständigung betont hat, die sich der Dominanz der Sprache (und der Schrift!) verweigert, haben Bredekamp und Belting auf je eigene Weise die Bezüge der bildlichen Praxis zu anderen Formen sozialer Praxis und medialer Vermittlung hergestellt.

Nachdem Hans Belting 2008 eine faszinierende, zur Überprüfung und Kritik von westlich geprägter Wahrnehmungsweise und Welt-Anschauung anregende Studie zum Dialog zwischen Okzident und Orient über die Perspektive vorlegte (zu meiner Lektüre des Buches habe ich hier im Blog ausführlich geschrieben: FLORENZ UND BAGDAD), veröffentlicht er nun ein neues beeindruckendes Werk: „FACES. Eine Geschichte des Gesichtes“. Belting, der Kunsthistoriker, hat hier nicht einen weiteren Text zur Geschichte des Porträts geschrieben, sondern sich als Kulturwissenschaftler der Aufgabe gestellt, den Bedeutungswandel des Gesichts in der Geschichte der Menschheit nachzuzeichnen. Jedoch grenzt er einleitend den Umfang seiner Darstellung ein, indem er darlegt, wie „das Gesicht“ selbst Ergebnis eines evolutionären Prozesses ist, durch den erst die Ausdrucksfähigkeit – und damit auch die „Lesbarkeit“ des Gesichtes – entstand. Die Geschichte des Gesichts, von der Belting erzählt, begreift er als Geschichte der Repräsentation, „um ein Selbst zu zeigen oder zu verbergen. Der Mensch betreibt Repräsentation mit dem eigenen Gesicht. Er repräsentiert eine Rolle im Leben.“

Für mich ist in diesem Zusammenhang besonders interessant gewesen, wie Belting den Begriff der Repräsentation verwendet. Bei Belting hat Repräsentation drei Ebenen: Darstellung (die Dimension des Zeichens), Ausdruck (die intentionale Dimension) und Mitteilung (die soziale Dimension). Sie ist also bezogen auf das Objekt der Darstellung (das Zeichen, das das Darzustellende repräsentieren soll), auf die Intentionen des Darstellenden (den Ausdruck) und auf ein Publikum (den Eindruck). Diese drei Ebenen gelangen nicht zwingend miteinander zur Deckung, sondern können individuell, kulturell, historisch bedingt miteinander in Widerstreit geraten. (Damit unterscheidet sich die Bedeutung von „Repräsentation“ bei Belting von einer, wie sie beispielsweise Foucault - oder in dessen Nachfolge Judith Butler - vorgeschlagen hat, einer "reine" Repräsentation, die ohne Referenz auf die "Wirklichkeit" auskommt). In "Faces" geht es um die Repräsentation des "Ich", der Person, durch, mit und im Gesicht(sausdruck).

Auch die Wiederkehr der Maske im Cyber-Face der digitalen Welt hebele, beharrt Belting aber, die Intention des Darstellenden und die Sehnsucht des Betrachtenden nach dem Moment des "Wiedererkennens" nicht aus: „Das Kultbild, das hier in einer unerwarteten, nur in Technik und Medium veränderten Erscheinung, einer virtuellen ´Epiphanie´, zurückkehrt, bedient einen alten Blick. (...) In der digitalen Welt kehren alte Archetypen in Artefakten zurück, die im gleichen Intervall zwischen Traum und Beweis leben. Wenn wir das ´echte´ Bild sehen, sehen wir nie das echte Gesicht, sondern einen Stellvertreter, wenn man will, eine Maske.“

Belting analysiert die Geschichte des Gesichts in drei großen Kapiteln: „Gesicht und Maske“, „Porträt und Maske“, „Medien und Masken“. Die Maske fixiert das Gesicht zu einer feststehenden „Miene“, einem symbolischen Gesicht. Dieses „Maskenhafte“ können wir unserem eigenen Gesicht „aufsetzen“, in dem wir ihm einen bestimmten und von den Betrachtern nach Regeln zu entschlüsselnden Ausdruck verleihen. Die Maske als überlieferte Form, die vor das „Gesicht“ gehalten wird, entsteht durch den Kult und wird in dessen Verlängerung, in der religiösen bildenden Kunst zur Ikone, schreibt Belting. Als sie, die Maske, aber im bürgerlichen Zeitalter abgenommen und der Anspruch erhoben wurde, das Selbst im Bild zu repräsentieren, enthüllte sich mitnichten das „wahre Gesicht“ des Porträtierten. Der Gesichtsträger wandelte sich vielmehr zum Selbstdarsteller, der das eigene Gesicht in immer wieder neue, angemessene Masken zu formatieren hatte, die der Maler oder die Malerin dann abbilden, ja gleichsam "herstellen" sollten, um das authentische „Ich“ zu repräsentieren. Dieser europäischen Tradition des Porträts ist der Mittelteil des Bandes gewidmet. Statt sich zu maskieren, sollte sich nun im Bild und als Bild   das "echte" Gesicht zeigen. Die lebendige Mimik des Gesichts wird im Bild jedoch zu einer bloßen Erinnerung an das Gesicht fixiert, in der sich schließlich sogar mehr abbilden soll, als der lebendige Gesichtsträger in einem Augenblick des Lebens je darzustellen und zu zeigen vermag: sein „Selbst“ als beständige Identität. Das Porträt setzt gegen die Vergänglichkeit des Körpers und den Tod die Beständigkeit einer im Bild – und nur durch das Bild vom Gesicht – behaupteten Dauerhaftigkeit. (Die geschlechtlichen Implikationen und Differenzen dieser neuen Form der Repräsentation geraten leider nicht in Beltings Blick.  Hierzu: "Die andere Diana oder: Die öffentliche Frau" und "Wenn der Meister liebt, erscheint das Werk..." )

Belting zeigt an vielen Beispielen, wie diese Behauptung durch die Künstler und in ihren Werken immer wieder dem Zweifel unterzogen, im Bild die „Echtheit“ des Porträtierten durch Spiegeleffekte, Bild-im-Bild-Darstellungen, durch die „Sprengung der Leinwand“ und die Auflösung des Gesichts thematisiert und unterlaufen wurde. Die Vielfalt der Belege und Bezüge, die Belting beiführt und herstellt, ist beeindruckend. Nicht immer muss eine Leserin seiner Deutung folgen, nicht immer sind die zum Teil assoziativ hergestellten Zusammenhänge zwingend. Das Verdienst Beltings liegt hier weniger in der luziden  Einzelstudie als eben darin, unerwartete Einsichten zu vermitteln, die sich durch die Zusammenschau bisher getrennt wahrgenommener Phänomene eröffnen. So stellen sich viele, neue überraschende Fragen und wird Neugier geweckt, die über Beltings Studie hinaus wirkt. Beim Lesen dieses Buches bin ich immer wieder aufgestanden, um in Bildbänden zu blättern oder kontrastierende Darstellungen zu einzelnen Werken z.B. bei Svetlana Alpers oder Gottfried Böhm nachzulesen.

Ich werde nach der Lektüre dieses Buches Gesichter anders und neu sehen. Ich werde genauer hinschauen, wie die Darstellung von Gesichtern in den unterschiedlichen Medien mich als Betrachterin ins Bild rückt und auf welche Weise dies meine Wahrnehmung und meine Bereitschaft, an das Gesicht zu  „glauben“, beeinflusst.

Die Krise des Gesichts besteht darin, dass man es nicht mehr eins zu eins reproduzieren kann, weil die Malerei im Zeitalter der technischen Medien die Kompetenz dafür zurückweist. Der einstige Blick des Malers auf ein Gesicht wird durch ein neutrales technisches Verfahren ersetzt, das für das Bild des Gesichts als Resultat einsteht. Und doch bleibt auch hier das Gesicht als eine unverfügbare Größe zurück und stellt sich jenseits aller Reproduktionsverfahren wieder her, wenn wir es in den Blick nehmen und also als Betrachter ´im Bild sind´.“  Im Zeitalter von Facebook braucht niemand mehr eine Malerin, die uns ein Gesicht verleiht. Wir sind alle Produzentinnen unserer eigenen Gesichtsmasken und mithin im Besitz jenes Wissens, durch das sich die Maske in ein Gesicht und das Gesicht zurück zur Maske verwandeln lässt. Wir stehen in diesem Sinne längst jenseits des Glaubens an das Gesicht als Ausdruck des Selbst.

Aber, so schrieb Vilém Flusser: Mit der Geste des Maskenwendens geht aller Sinn der Geschichte verloren; jedoch nicht notwendigerweise der Sinn des Lebens. Im Gegenteil kann das Spielen mit der Geschichte selbst zur Sinngebung werden. Zwar ist in den Ministerien, welche den Karneval programmieren, von dieser Sinngebung häufig nicht viel zu merken. Aber die Geste des Maskenwendens erlaubt, genau betrachtet, dahinter die Geste der Sinngebung zu erkennen.“ Nichts mutet vor diesem Befund lächerlicher an, als das Beharren auf der Maske (das Versteckspiel hinter der Maske) und die Fortsetzung des Karnevals (der Maskenparade zur Täuschung der anderen). Und nichts ist zugleich alberner als die Fortsetzung der Suche nach dem „authentischen“ Gesicht. Wir schneiden viele Gesichter mit dem einen, einzigen, das wir haben.

Hans Beltings „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“ war für mich eine spannende, herausfordernde, neugierig machende Lektüre. Ich kann den Band jeder und jedem empfehlen, die sich für Bilder und Blickweisen, für Kulturgeschichte und für das menschliche Gesicht, für dessen Repräsentation im Bild und vor dem Bild interessieren. (Hans Belting verdiente – nebenbei – auch einen Preis für Wissenschaftsprosa, weil er ohne Jargon und ausgedehnten Fußnotenapparat auskommt, um seine Thesen zu vermitteln. So ist dies ein Buch, das eine mit viel Gewinn lesen kann, auch ohne Kunstgeschichte studiert zu haben.)

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