Ein Beitrag von Morel
Jean Paul Richter |
Geboren am 21. März 1763 ist er ein Frühlingskind, ein früher
Popstar, beliebt an allen Höfen und Brecher zahlreicher Herzen. Dann wie immer
das Vergessen, verstiegene Romane, teilweise düstere Visionen, Alkohol und
Schweinebraten. Aber herbstlich wird das Werk Jean Pauls nie – es bleibt dem Frühling
treu, nur ist es nicht der Morgen, sondern die Nacht, aus der seine Sätze
kommen. Eine Nacht, von der niemals ganz klar ist, ob ihr ein Morgen folgt. Es
gibt viel Dunkles in Jean Pauls Romanen: Doppelgänger, extreme Spannungen, eine
Welt ohne Gott, Entfremdung von der Heimat. Aber das liegt verborgen unter
Witzen und Sentimentalität, Blumen und gemalten Bergen. Und dann eben doch der
Sonnenaufgang und das Aufgehen der Saat aus einer anderen Zeit. Nur für ihn,
seltsamerweise nicht. Im deutschen Literaturmuseum steht er im Kuriositätenkabinett:
ein skurriler Kauz, voller verschrobenem Witz, gleichzeitig sentimental und
zynisch. Seine Wirkung, bei einigen wenigen Eingeweihten, entsprang vor allem
seiner Sprache.
Zuerst war es der George-Kreis, der ihm aus dem
verschroben Provinziellen befreien wollte, ihm damit aber das Erdige und vor
allem den Witz nahm. Hieran schlossen sich dann Walter Benjamin oder Paul Celan
an, der Worte wie Sprachgitter aus den Jean Paulschen Sprachströmen in seine
Lyrik umleitete. Später die Korrektur durch Eckhart Henscheid oder Brigitte
Kronauer, die das Komische wieder zu rehabilitieren versuchten. Zuletzt mehr
oder weniger gelungene biographische Annäherungen und die Plünderung der
Zettelkästen. Es ist die Spannung zwischen Tag und Nacht in seinem Werk, die
Jean Pauls Werk auch in der Rezeption keine Ruhe finden lässt.
Es sind bis heute nicht die oft klischeehaften
Verwicklungen seiner Romane, die faszinieren, sondern die einzelnen Sätze und
die manchmal fantastischen Worterfindungen, aus denen diese sich bilden. Nur dürfen
diese funkelnden Diamanten der Sprache Jean Pauls nicht aus den Schluchten
ihres Romanbergwerks gehoben und geschliffen werden – dann werden sie zu
Modeschmuck. Aber wie Jean Paul lesen, wenn die Prinzessinnen und Dorfpastoren
uns fremd bleiben, das Dickicht seiner überbordenden Sprache für Schnellleser
nur aus Schwulst zu bestehen scheint? Der Buchmarkt und die Editionspraxis
setzten zuletzt auf Aphorismen und Sudelbücher, aber der Zauber Jean Pauls geht
verloren, wenn die Zettel nicht zum Werk zusammenschießen dürfen.
Öffnen wir einfach den ersten Roman, Die unsichtbare Loge, um einen Satz zu lesen, denn nur der
langsamen Leserin wird sich nach all den Jahren erschließen, worum es bei Jean
Paul geht. „Alles Große oder Wichtige
bewegt sich langsam… – die Wolken bei schönem Wetter“, wie es
darin heißt.
Die unsichtbare Loge, ein Fragment, versetzt Ideen
Rousseaus auf groteske und immer wieder vom Erzähler unterbrochene Weise in ein
Traumdeutschland voller Burgen, Wälder und Höhlen. In einer solchen wächst
Gustav begleitet von einem pädagogischen ‚Genius’ die ersten acht Jahre seines
Lebens auf (weil es seine Großmutter eben so will). An seinem achten Geburtstag
wird er „gegen die Schönheiten der Natur und die Verzerrungen der Menschen
zugleich“ abgehärtet ans Licht gebracht. Dabei leistet sich der „Genius“ einen
diabolischen oder himmlischen Scherz. Er macht nämlich Gustav weis, wenn er
eine weiße Lilie in der Höhle fände, müssten sie bald sterben. Nach dem Fund
von drei weißen Lilien entsprechend gespannt und auf den Tod vorbereitet, kommt
es am 1. Juni zum großen Moment, im gemeinsamen Gebet vor den bislang immer
geschlossenen Türen der Höhle:
Diese Türen ließ er in der
Nacht vor dem ersten Junius, als bloß die weiße Mondsichel am Horizonte stand
und wie ein altergraues Angesicht sich in der blauen Nacht nach der versteckten
Sonne wandte, mitten in einem Gebete unvermerkt aufziehen – – und nun
siehst du, Gustav, zum ersten Male in deinem Leben und auf den Knien in das
weite, 9 Millionen Quadratmeilen große Theater des menschlichen Leidens
und Tuns hinein; aber nur so wie wir in den nächtlichen Kindheitsjahren und
unter dem Flor, womit uns die Mutter gegen Mücken überhüllte, blickest du in
das Nachtmeer, das vor dir unermeßlich hinaussteht mit schwankenden Blüten und
schießenden Feuerkäfern, die sich neben den Sternen zu bewegen scheinen, und
mit dem ganzen Gedränge der Schöpfung!
In diesem Satz steckt der ganz Jean Paul: der Umschlag
vom Dunkel ins Licht, das Leben als Vorschein des Tods, der Tod als Abglanz des
Lebens, die Natur als großes Theater, die Wiederholung der strahlenden Sterne
in den „schießenden Feuerkäfern“. Wie überhaupt alles bei Jean Paul immer
gedoppelt sein muss. Auch die falschen Tode gibt es bei Jean Paul mehrfach – in
der Unsichtbaren Loge hat das einen pädagogischen Sinn: Gustav soll lernen das
menschliche Leiden und Tun als ein Theater wahrzunehmen, gesehen mit den Augen
eines Sterbenden, genau abgemessen aber mit den Instrumenten eines
Naturwissenschaftlers (denn nur der weiß, wie viele Quadratmeilen es umfasst).
Gleichzeitig, auch wenn nur die wenigsten Marxisten Jean Paul gelesen haben dürften,
ist die Erde schon das Paradies, auf das wir warten. Und natürlich ist alles
ein Schein: die Feuerkäfer neben den Sternen und der Flor, durch den wir als
Kinder in die Welt schauen. Offensichtlich wird hier mit Platons Höhlengleichnis
gespielt und ein fahler Lichtstrahl fällt aus dieser Höhle, die einem Kino
gleicht, auch auf die künstlichen Paradiese des 20. Jahrhunderts.
Das Licht seiner Theaterwelt erblickte er vor 250 Jahren.
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Ein Großteil des Gesamtwerkes für 0,00 € als ebook: Jean Paul
Nietzsche hatte ihn durchschaut. Machen Sie sich doch die Muehe und legen Sie Nietzsches Verhältnis zu diesem Schlafrock aus.
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Löschen(By the way: Nietzsche interessiert m i c h nur als Religionskritiker und unterhaltsamer Stilist. Wenn Sie sich für ihn anders und mehr interessieren, lesen Sie Heide Schlüpmann.)