Donnerstag, 2. Mai 2013

Neue Serie: SPÄTVORSTELLUNG, heute: FOREIGN CORRESPONDENT (1940)


Ein Beitrag von Morel


Wer die Filmgeschichte nicht kennt, darf sich über Remakes nicht beschweren. Unter dem Titel Spätvorstellung soll es um Filme gehen, die nur noch im Museum laufen.


Alfred Hitchock: Foreign Correspondent (1940)

Johnny Jones ist ein verkrachter Lokal- und Kriminalreporter, der kurz vor dem Rauswurf steht. Der Schauspieler Joel McCrea, ein athletischer, kantiger Typ, wenig subtil in seinem Minenspiel, muss sich kaum anstrengen, als Johnny Jones ratlos und verwirrt auf die Welt zu schauen. Er war genau der richtige für Komödien und Kriminalfilme und ein Jahr später in Sullivan´s Travels als Regisseur undercover in den USA unterwegs. Ein Kind der modernen Massenmedien. Jones wird in das Büro des Herausgebers gerufen. Der cholerische Geschäftsmann will wissen, ob es nun in Europa zum Krieg komme oder nicht. Die nichtssagenden Berichte seines Auslandskorrespondenten (wir lernen ihn später kennen, ein derangierter Alkoholiker und Frauenheld, der nur diplomatische Depeschen umformuliert) hülfen nicht weiter. Johnny Jones sei der richtige für diesen Auftrag, da ja ein Verbrechen aufzudecken sei. Dass er keine Ahnung von Politik habe, schade gar nichts,  ‚frische Perspektive’ sei gefragt. Unter einem absurden Decknamen, Huntley Haverstock, fliegt er als erstes nach London. Kurzer Auftritt von Hitchcock, im Gehen Zeitung lesend und daher blind für seine Umwelt. Zufällig begegnet der Reporter dem niederländischen Politiker van Meer (gespielt vom deutschen Stummfilmverteranen Albert Bassermann), den er befragen soll. Er versucht ihm etwas Berichtenswertes zu entlocken, aber van Meer plaudert nur leicht verwirrt über die armen Vögel und die kleinen Leute überall.  Die Liebesgeschichte des Films beginnt auf einem Empfang der vom eleganten Stephen Fisher geleiteten Friedenspartei (Hermann Marshall mein zweiter Lieblingsschauspieler in diesem Film, der das im 1. Weltkrieg verlorene Bein durch Mimik, Gestik und Sprachwitz ersetzen konnte, das intellektuelle Gegenstück zum ungestümen McCrea). Auf dem Empfang lernt Haverstock Carol (Laraine Day) kennen, die ihm als Pressesprecherin der von Stephen Fisher geleiteten Friedenspartei vorgestellt wird. Er tritt natürlich sofort ins Fettnäpfchen indem er sich über die sinnlosen politischen Bemühungen „wohlmeinender Amateure“ auslässt. Die Retourkutsche kommt, als Carol sich als Tochter von Stephen Fisher entpuppt und anstelle des urplötzlich verhinderten van Meer (ungläubiger Blick von Haverstock) eine Rede halten muss, selbstverständlich in Verteidigung von „wohlmeinenden Amateuren“. Das staunende und zunehmend verliebte Gesicht Joel McCreas bringt sie dann aus dem Konzept. Nach Journalistensatire und Liebeskomödie beginnt nun der Thriller. Van Meer soll bei einer Friedenskonferenz in Amsterdam sprechen. Es regnet in Strömen, als ihn Haverstock auf der Treppe inmitten einer Menge von Regenschirmträgern erwartet. Er erinnert an das Gespräch im Taxi, van Meer erkennt ihn aber nicht wieder, dann Schüsse, und ein Attentäter zieht eine Spur der Verwirrung durch das Meer der schwarzen Schirme. Zusammen mit Carol und einem anderen Journalisten verfolgt Haverstock den Mörder in einem Taxi. Lustige Szenen auf dem Land, die Holländer sprechen alle deutsch. Dann ist Haverstock allein in einer Windmühle, als ein Flugzeug in der Nähe landet. Wer Hitchcock kennt, denkt einen Moment an North by Northwest und Cary Grant. Haverstock versteckt sich und entdeckt van Meer, der ihn nun wieder erkennt, denn: an seiner Stelle wurde ein Double erschossen. In einem Schattenspiel an der Wand ist die Silhouette Hitlers zu erkennen,  Haverstock flieht. Als seine Freunde zurückkehren, findet sich in der Mühle nur ein Vagabund, keiner glaubt ihm. Auf dem Flug nach London macht er Carol inmitten eines Gewitters einen Heiratsantrag.

In London will Stephen Fisher Haverstock durch einen Detektiv schützen lassen. In Wirklichkeit heuert er einen Mörder an, denn natürlich ist der vermeintliche Altruist der Strippenzieher, der van Meer entführt hat, um ihm ein Geheimnis zu entlocken. Sein melancholischer Blick, als seine Tochter ihm von ihrer Liebe zu dem amerikanischen Journalisten erzählt, der bald sterben wird, zeigt aber, wie sehr er sie liebt. Haverstock  überlebt den Mordanschlag. Jetzt wollen er und sein journalistischer Freund mit dem seltsamen Nachnamen „Ffolliott“  Fischer unter Druck setzen: sie überreden Carol zu einer Landpartie, erwecken aber gegenüber ihren Vater den Eindruck, sie sei entführt. Ein Moment der Unsicherheit, dann kehrt die zutiefst beleidigte Carol wieder zurück, die Haverstock unlautere erotische Motive unterstellt. Trotzdem gelingt es den beiden Journalisten das Versteck van Meers zu entdecken, der dort gefoltert wird um irgendeine Klausel in einem Geheimvertrag zu verraten. Die Befreiung van Meers gelingt, aber Fisher und seine Helfershelfer entkommen. Wieder im Flugzeug, nachdem England und Frankreich Deutschland den Krieg erklärt haben, kommt es zur großen Auflösung zumindest der privaten Mißverständnisse: Fisher beichtet seiner Tochter sein Doppelleben, die macht Joel McCrea Vorwürfe. Bevor es zum ersten Familienkrach kommt (noch vor der Hochzeit) wird das Flugzeug vom Feind abgeschossen, Fisher, der immer sympathischer erscheint, opfert sich, die anderen werden gerettet. Durch einen Trick gelingt es, entgegen den strikten Zensurvorgaben eines amerikanischen Kapitäns, Haverstock endlich die wahre Geschichte dieses Kriegs an seine Zeitung durchzugeben. Der Film endet mit einer pathetischen und berührenden Radioanspruche von Jetzt-Wieder-Jones  in London, während im Hintergrund deutsche Fliegerbomben fallen.

Was als Journalistensatire beginnt entwickelt sich in der Folge zum Spionagethriller und schließlich zu einer Form von interessanter Propaganda. Dass mehr als ein halbes Dutzend Drehbuchautoren und auch eine Autorin (die unvergleichliche Joan Harrison, langjährige Mitarbeiterin Hitchcocks, eine der wenigen unabhängigen Produzentinnen in Hollywood, später mit dem Thrillerautoren Eric Ambler verheiratet) an Foreign Correspondent arbeiteten merkt man dem Film an. Er verwebt viele brillante Szenen zu einem seltsamen, wahrscheinlich nicht ganz gelungenen Ganzen. Mehr Tim und Struppi als James Bond. Sein Thema ist durch die schwierige Produktion vorgegeben – es geht im Kern um Zensur, Lüge, die Verfälschung der Wirklichkeit. Wer nur objektiv beobachten will, verfehlt die Wahrheit, die unter der Oberfläche verborgen liegt. Wer sich einmischt und unter die Oberfläche dringt, ergreift Partei und erkennt dann nur eine Seite der Wahrheit. Skeptisch warnt Foreign Correspondent vor Täuschung und Naivität, seine Hoffnung richtet er nicht auf die zu bequeme und konforme Gemeinschaft, sondern auf das Individuum. Die Politik des Liberalismus: nur Einzelne sind in der Lage, die Konformität der Gruppe zu durchbrechen. Goebbels lobte den Film für seine propagandistischen Effekte. Sie zielen auf eine Kritik der Appeasement-Politik der USA gegenüber Hitler, sind aber nicht billig. Der Bösewicht Fisher  bleibt auch in seiner Bosheit Mensch. Er wird für seine Überzeugungen und Konsequenz bewundert, kritischer gesehen werden die Schönredner der eigenen Seite. Im Krieg stirbt die Wahrheit nicht immer zuerst, sie vervielfältigt sich. Auch wenn Hitchcock für Spannung und Ambivalenz berühmt ist, sein Kino ist fast immer moralisch, das heißt es geht um die Unterscheidung von Gut und Böse. Das Böse ist der schöne Schein, man brauche sich nicht für eine Seite zu entscheiden. Es genüge für den Frieden zu sein. Das Gute ist dann die Entscheidung zum Handeln. Die aber, dieser moralischen Ambivalenz entgeht Hitchcock nicht, hat auch Stephen Fisher getroffen. Während in diesem Film die Guten sich die Finger nicht schmutzig machen müssen, wird das Böse ambivalent gezeichnet. Die Guten, entweder zynisch wie die Journalisten oder naiv wie van Meer, begeben sich in eine Schattenwelt, in der nichts so ist, wie es scheint. Die Entlarvung von Friedensaktivisten als Kriegstreibern, Journalisten als euphemistischen Propagandisten, Vätern als Mördern führt bei ihnen zu keinen Traumata: Hier schützt der Zynismus der Screwball-Comedy; wer nicht all zu viel von der Welt erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden.

2 Kommentare:

  1. Interessante und einigermaßen gute Filme laufen immer nur in Spätvorstellungen. Zumindest im Fernsehen scheint mir das eine Regel. Vergessene Filmperlen in Serie kritisch neu zu entdecken finde ich ausgezeichnet. Am Mittwoch abend sitze ich um 23:25 vor dem Bildschirm und sehe mir diesen Auslandskorrespondenten auf Sky Nostalgie an. Ohne Ihre Kritik hätte ich ihn wohl übersehen und sie wird mir ganz sicher eine Hilfe zum besseren Verständnis sein. Ich freue mich auf weitere Filmkritiken.

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  2. Lieber Bücherblogger,

    Dann viel Spass am Mittwoch Abend (das wäre für mich ja in der Regel schon zu spät oder zu früh, wenn der Film vorbei ist): stoppen Sie mal die Zeit, der Film wurde in der deutschen Fassung stark gekürzt. Ich habe ihn im Deutschen Filmmuseum gesehen. Kein Meisterwerk, aber interessant, weil Hitchcock immer für unpolitisch gehalten wird: dieser Film ist nicht nur lustig und spannend, er hat eine klare politische Agenda.

    Morel

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