Ein Beitrag von Morel
Wer die Filmgeschichte
nicht kennt, darf sich über Remakes nicht beschweren. Unter dem Titel Spätvorstellung
soll es um Filme gehen, die nur noch im Museum laufen.
Alfred Hitchock: Foreign Correspondent (1940) |
Johnny Jones ist ein verkrachter Lokal- und Kriminalreporter,
der kurz vor dem Rauswurf steht. Der Schauspieler Joel McCrea, ein
athletischer, kantiger Typ, wenig subtil in seinem Minenspiel, muss sich kaum
anstrengen, als Johnny Jones ratlos und verwirrt auf die Welt zu schauen. Er
war genau der richtige für Komödien und Kriminalfilme und ein Jahr später in Sullivan´s Travels als Regisseur
undercover in den USA unterwegs. Ein Kind der modernen Massenmedien. Jones wird
in das Büro des Herausgebers gerufen. Der cholerische Geschäftsmann will
wissen, ob es nun in Europa zum Krieg komme oder nicht. Die nichtssagenden
Berichte seines Auslandskorrespondenten (wir lernen ihn später kennen, ein
derangierter Alkoholiker und Frauenheld, der nur diplomatische Depeschen
umformuliert) hülfen nicht weiter. Johnny Jones sei der richtige für diesen
Auftrag, da ja ein Verbrechen aufzudecken sei. Dass er keine Ahnung von Politik
habe, schade gar nichts, ‚frische
Perspektive’ sei gefragt. Unter einem absurden Decknamen, Huntley Haverstock,
fliegt er als erstes nach London. Kurzer Auftritt von Hitchcock, im Gehen
Zeitung lesend und daher blind für seine Umwelt. Zufällig begegnet der Reporter
dem niederländischen Politiker van Meer (gespielt vom deutschen
Stummfilmverteranen Albert Bassermann), den er befragen soll. Er versucht ihm
etwas Berichtenswertes zu entlocken, aber van Meer plaudert nur leicht verwirrt
über die armen Vögel und die kleinen Leute überall. Die Liebesgeschichte des Films beginnt auf einem Empfang der
vom eleganten Stephen Fisher geleiteten Friedenspartei (Hermann Marshall mein
zweiter Lieblingsschauspieler in diesem Film, der das im 1. Weltkrieg verlorene
Bein durch Mimik, Gestik und Sprachwitz ersetzen konnte, das intellektuelle
Gegenstück zum ungestümen McCrea). Auf dem Empfang lernt Haverstock Carol (Laraine
Day) kennen, die ihm als Pressesprecherin der von Stephen Fisher geleiteten
Friedenspartei vorgestellt wird. Er tritt natürlich sofort ins Fettnäpfchen
indem er sich über die sinnlosen politischen Bemühungen „wohlmeinender Amateure“
auslässt. Die Retourkutsche kommt, als Carol sich als Tochter von Stephen
Fisher entpuppt und anstelle des urplötzlich verhinderten van Meer (ungläubiger
Blick von Haverstock) eine Rede halten muss, selbstverständlich in Verteidigung
von „wohlmeinenden Amateuren“. Das staunende und zunehmend verliebte Gesicht
Joel McCreas bringt sie dann aus dem Konzept. Nach Journalistensatire und
Liebeskomödie beginnt nun der Thriller. Van Meer soll bei einer
Friedenskonferenz in Amsterdam sprechen. Es regnet in Strömen, als ihn Haverstock
auf der Treppe inmitten einer Menge von Regenschirmträgern erwartet. Er
erinnert an das Gespräch im Taxi, van Meer erkennt ihn aber nicht wieder, dann
Schüsse, und ein Attentäter zieht eine Spur der Verwirrung durch das Meer der
schwarzen Schirme. Zusammen mit Carol und einem anderen Journalisten verfolgt
Haverstock den Mörder in einem Taxi. Lustige Szenen auf dem Land, die Holländer
sprechen alle deutsch. Dann ist Haverstock allein in einer Windmühle, als ein
Flugzeug in der Nähe landet. Wer Hitchcock kennt, denkt einen Moment an North by Northwest und Cary Grant.
Haverstock versteckt sich und entdeckt van Meer, der ihn nun wieder erkennt,
denn: an seiner Stelle wurde ein Double erschossen. In einem Schattenspiel an
der Wand ist die Silhouette Hitlers zu erkennen, Haverstock flieht. Als seine Freunde zurückkehren, findet
sich in der Mühle nur ein Vagabund, keiner glaubt ihm. Auf dem Flug nach London
macht er Carol inmitten eines Gewitters einen Heiratsantrag.
In London will Stephen Fisher Haverstock durch einen
Detektiv schützen lassen. In Wirklichkeit heuert er einen Mörder an, denn natürlich
ist der vermeintliche Altruist der Strippenzieher, der van Meer entführt hat,
um ihm ein Geheimnis zu entlocken. Sein melancholischer Blick, als seine
Tochter ihm von ihrer Liebe zu dem amerikanischen Journalisten erzählt, der
bald sterben wird, zeigt aber, wie sehr er sie liebt. Haverstock überlebt den Mordanschlag. Jetzt wollen
er und sein journalistischer Freund mit dem seltsamen Nachnamen „Ffolliott“ Fischer unter Druck setzen: sie überreden
Carol zu einer Landpartie, erwecken aber gegenüber ihren Vater den Eindruck,
sie sei entführt. Ein Moment der Unsicherheit, dann kehrt die zutiefst
beleidigte Carol wieder zurück, die Haverstock unlautere erotische Motive unterstellt.
Trotzdem gelingt es den beiden Journalisten das Versteck van Meers zu
entdecken, der dort gefoltert wird um irgendeine Klausel in einem Geheimvertrag
zu verraten. Die Befreiung van Meers gelingt, aber Fisher und seine
Helfershelfer entkommen. Wieder im Flugzeug, nachdem England und Frankreich
Deutschland den Krieg erklärt haben, kommt es zur großen Auflösung zumindest
der privaten Mißverständnisse: Fisher beichtet seiner Tochter sein Doppelleben,
die macht Joel McCrea Vorwürfe. Bevor es zum ersten Familienkrach kommt (noch
vor der Hochzeit) wird das Flugzeug vom Feind abgeschossen, Fisher, der immer
sympathischer erscheint, opfert sich, die anderen werden gerettet. Durch einen
Trick gelingt es, entgegen den strikten Zensurvorgaben eines amerikanischen
Kapitäns, Haverstock endlich die wahre Geschichte dieses Kriegs an seine
Zeitung durchzugeben. Der Film endet mit einer pathetischen und berührenden
Radioanspruche von Jetzt-Wieder-Jones
in London, während im Hintergrund deutsche Fliegerbomben fallen.
Was als Journalistensatire beginnt entwickelt sich in der
Folge zum Spionagethriller und schließlich zu einer Form von interessanter
Propaganda. Dass mehr als ein halbes Dutzend Drehbuchautoren und auch eine
Autorin (die unvergleichliche Joan Harrison, langjährige Mitarbeiterin
Hitchcocks, eine der wenigen unabhängigen Produzentinnen in Hollywood, später
mit dem Thrillerautoren Eric Ambler verheiratet) an Foreign Correspondent arbeiteten merkt man dem Film an. Er verwebt
viele brillante Szenen zu einem seltsamen, wahrscheinlich nicht ganz gelungenen
Ganzen. Mehr Tim und Struppi als James Bond. Sein Thema ist durch die
schwierige Produktion vorgegeben – es geht im Kern um Zensur, Lüge, die Verfälschung
der Wirklichkeit. Wer nur objektiv beobachten will, verfehlt die Wahrheit, die
unter der Oberfläche verborgen liegt. Wer sich einmischt und unter die Oberfläche
dringt, ergreift Partei und erkennt dann nur eine Seite der Wahrheit. Skeptisch
warnt Foreign Correspondent vor Täuschung
und Naivität, seine Hoffnung richtet er nicht auf die zu bequeme und konforme
Gemeinschaft, sondern auf das Individuum. Die Politik des Liberalismus: nur
Einzelne sind in der Lage, die Konformität der Gruppe zu durchbrechen. Goebbels
lobte den Film für seine propagandistischen Effekte. Sie zielen auf eine Kritik
der Appeasement-Politik der USA gegenüber Hitler, sind aber nicht billig. Der Bösewicht
Fisher bleibt auch in seiner
Bosheit Mensch. Er wird für seine Überzeugungen und Konsequenz bewundert,
kritischer gesehen werden die Schönredner der eigenen Seite. Im Krieg stirbt
die Wahrheit nicht immer zuerst, sie vervielfältigt sich. Auch wenn Hitchcock für
Spannung und Ambivalenz berühmt ist, sein Kino ist fast immer moralisch, das
heißt es geht um die Unterscheidung von Gut und Böse. Das Böse ist der schöne
Schein, man brauche sich nicht für eine Seite zu entscheiden. Es genüge für den
Frieden zu sein. Das Gute ist dann die Entscheidung zum Handeln. Die aber,
dieser moralischen Ambivalenz entgeht Hitchcock nicht, hat auch Stephen Fisher
getroffen. Während in diesem Film die Guten sich die Finger nicht schmutzig
machen müssen, wird das Böse ambivalent gezeichnet. Die Guten, entweder zynisch
wie die Journalisten oder naiv wie van Meer, begeben sich in eine Schattenwelt,
in der nichts so ist, wie es scheint. Die Entlarvung von Friedensaktivisten als
Kriegstreibern, Journalisten als euphemistischen Propagandisten, Vätern als Mördern
führt bei ihnen zu keinen Traumata: Hier schützt der Zynismus der
Screwball-Comedy; wer nicht all zu viel von der Welt erwartet, kann auch nicht
enttäuscht werden.
Interessante und einigermaßen gute Filme laufen immer nur in Spätvorstellungen. Zumindest im Fernsehen scheint mir das eine Regel. Vergessene Filmperlen in Serie kritisch neu zu entdecken finde ich ausgezeichnet. Am Mittwoch abend sitze ich um 23:25 vor dem Bildschirm und sehe mir diesen Auslandskorrespondenten auf Sky Nostalgie an. Ohne Ihre Kritik hätte ich ihn wohl übersehen und sie wird mir ganz sicher eine Hilfe zum besseren Verständnis sein. Ich freue mich auf weitere Filmkritiken.
AntwortenLöschenLieber Bücherblogger,
AntwortenLöschenDann viel Spass am Mittwoch Abend (das wäre für mich ja in der Regel schon zu spät oder zu früh, wenn der Film vorbei ist): stoppen Sie mal die Zeit, der Film wurde in der deutschen Fassung stark gekürzt. Ich habe ihn im Deutschen Filmmuseum gesehen. Kein Meisterwerk, aber interessant, weil Hitchcock immer für unpolitisch gehalten wird: dieser Film ist nicht nur lustig und spannend, er hat eine klare politische Agenda.
Morel