„Du zweifeltest. Ich begriff
es als dein Verbrechen.“
Sie schwieg. Es lohnte nicht,
darauf zu antworten. Es konnte keine Antwort mehr geben. Oder hätte sie jetzt
sagen sollen: „Wer zweifelt nie?“
Sie hatte nicht gewusst,
dass es auf diese Frage ein „Ja“ geben konnte, sein „Ja“. Sie war die niemals
losgeworden, die kleine Frau auf ihrer Schulter, an ihrem Ohr, die zierliche
Einflüsterin, die Beobachterin, die die Augenbrauen hob, den Mund verzog, die
Hände zusammenschlug, sich die Mimik herausnahmen und die Gesten ausführte, die
sie sich versagte, in den Momenten, in denen eine ganz sein soll und ganz da.
Die aber war immer dabei gewesen und geblieben: im Stadion, auf den Wiesen,
unter den Brücken, am Strand, im Bett, zwischen den Laken. Manchmal war sie
zusammengezuckt, weil sie sich einbildete, über die zu rollen, die zu zerquetschen
in ihrer Hast, ihrer Gier, ihrer Leidenschaft. Aber schon flüsterte die wieder
mit zärtlichen Lippen an ihrem Ohr: „So? Willst du es so?“
Die Strafe war verdient. Sie
hätte das nicht bestritten. Sie bestritt nichts mehr. Sie ließ es geschehen:
die Diagnose, die Gefangennahme,
die Medikamentation. Sie hatte einen Unmenschlichen geliebt. Hatte ihn nicht genug
geliebt. Konnte man das so zusammenfassen?
Sie schwieg. Dieses
Schweigen schnitt ihn in Streifen. Er starrte mit seinen unschließbaren Augen.
Sie hatte ihm gehört. In jeder Weise. War sie sein gewesen. Und niemals da.
Etwas von ihr blieb immer abwesend. Ließ sich nicht unterwerfen. War ihm
verborgen, obwohl sie ihm nichts mehr verheimlichte.
„Sieh her“, sagte sie und
öffnete ihre Bluse.
Er riss. Das war es. So war
es nicht. Das wollte er doch nicht. Hatte er sie so gewollt?
„Ich zweifele an mir. Nicht
an dir. Warum kannst du das nicht verstehen?“
Auch hierauf war jede
Antwort längst vergebens. „Weil ich kein Mensch bin.“, hätte er sagen können.
Aber wer würde das noch glauben? Nach all den Jahren, in den er sich bemüht
hatte, die Spuren zu tilgen, seine Bewegungen anzupassen, seinen Augen Lider zu
verleihen. „Mein Tarnung. Für dich ließ ich sie fallen.“ Er sprach es nicht
aus.
Stumm tauschten sie sich
aus.
„Dich wollte ich.“
„Mich konntest du nie haben.“
„Ich gab mich zu erkennen.“
„Ich kenne niemanden, am
wenigsten mich selbst.“
Sie schloss die Augen.
Er starrte.
Flügel schlagen schattig über
das Gelände. Stille. Am Morgen dann der grausige Fund. Sie war nicht mehr zu retten. „Sie wollte
sich nicht retten lassen.“, sagte Dr. H als er langsam Schrittes zurück in die Klinik ging. Hanna legte ihm die Hand auf den Arm.
Sie wusste nicht, wie lange sie ihn schon liebte. Aber in diesem Moment wurde
ihr klar, dass es so war.
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