Ein Beitrag von Morel
Deutsche Soldaten im russischen Winter - eine Linie am Horizont. Es werden Freiwillige für ein Erschiessungskommando erst gesucht, dann bestimmt. Die Hand eines Soldaten zittert. Eine der angeblichen Partisaninnen beschimpft die Deutschen. Daneben zu schießen helfe niemandem, erklärt ein Soldat dem anderen. Dann werde eben ein zweites Mal geschossen. Schuldig mache man sich auf jeden Fall.
Mit
dieser Szene beginnt der von Douglas Sirk, geboren als Detlef Sierck, nach
einem Roman von Erich Maria Remarque gedrehte Film A Time To Love And A Time To Die. Auf Deutsch hieß der Film so wie der Roman Zeit zu leben und Zeit zu sterben (natürlich nach einem Bibelzitat).
Das Leben durch die Liebe zu ersetzen ist der dramaturgische Kniff in jedem
Melodram. Die Liebe wird hier immer absolut gesetzt und muss daher notwendig
tragisch enden. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum das Melodram von
allen großen
Filmgenres das heute am tiefsten in den Brunnen der peinlich gewordenen
Vergangenheit gefallene ist. In unserem Relativismus, der immer schon mit der
Zukunft rechnet, schämen wir uns der Unendlichkeit der Gegenwart - nicht so Sirk
in seinen Filmen, die zuerst Kitsch (an Limonade fühlte sich der Spiegel 1958
erinnert und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass dieser Hollywood-Verfälscher ein Emigrant sei) und
später
Kunst waren. Beides trifft es nicht.
Auch in A Time To Love geht es um die Liebe und
warum sie nicht möglich
ist. Zumindest nicht im Faschismus. Aber Sirk enthält sich jeder politischen
Rhetorik, seine Sprache ist die der Bilder. Zu Beginn des Films wird ein Motiv
eingeführt,
das niemals ganz in Vergessenheit gerät: der verfrühte, falsche Frühling. Als die Soldaten etwas aus dem Schnee ragen sehen, vergleichen
sie es zynisch mit dem Frühling. Es sind aber keine ersten Krokusse, die das
Tauwetter freigibt, sondern die Hand eines Toten. Später wird Ernst Gräber, einer der Soldaten sich
auf dem Heimaturlaub in Elisabeth Kruse (Lieselotte Pulver), die Tochter des
ins Konzentrationslager geworfenen Arzt seiner Familie, verlieben. Ein erster
Spaziergang führt
das Paar zu einem Baum, der zu früh blüht - wegen der unnatürlichen Hitze nach einem Bombenabwurf, glaubt Elisabeth.
Die Liebenden versuchen in ihrer eigenen Welt zu leben, die aber immer wieder
zerbricht - von einer Einstellung zur nächsten. Als Ernst in seiner Heimatstadt ankommt steht er
vor einem Sattlergeschäft, das mit einem ausgestopften Pferd für seine Dienste wirbt. Nichts
habe sich seit seiner Kindheit geändert. Dann dreht er sich um, die Kamera zeigt uns ein Trümmerfeld dort, wo einmal sein
Elternhaus stand. Imitation of Life
heißt ein
berühmter
Film von Douglas Sirk - das Leben nachahmen, auch wenn es schon untergegangen
ist, diese Kunst müssen nun die durch ihre Anfangsbuchstaben füreinander bestimmten Ernst und
Elisabeth lernen. Seine berühmte Rezension in den Cahiers du Cinema beginnt Godard mit
einem Vergleich aus der Tierwelt. Seine Lieblingstiere, die Sträuße, seien Realisten. Sie glaubten
nur an das, was sie sehen. Wenn alles schiefgehe, würden sie die Augen schließen.
Der Film
von Sirk gewährt
dem Zuschauer nicht die Gnade wegzusehen. Jede Frühlingsblüte wird mit einem
Kameraschwenk zur Kulissendekoration. Jeder Versuch, sich Heimat und damit
Dauer zu schaffen wird unterbrochen: die einquartierte Nazifunktionärin achtet auf Sitte und
Ordnung, die ständigen
Fliegeralarme zwingen zurück in die schuldig gewordene Volksgemeinschaft, aber auch
die Unsicherheit der Liebenden selbst hemmt sie. Es gebe kein richtiges Leben
im falschen, so Adorno, ein Emigrant wie Sirk. Das ist nur halb oder gar nicht richtig, würde der Hollywood-Regisseur
antworten, und den Akzent anders setzen. Es gibt nämlich nur ein Leben, das sich
auch in einer falschen Welt nicht unterdrücken läßt.
Der Film
ist nicht nur im Titel zweigeteilt. Die warme Nachtwelt der Liebe (die Farben
der Blüten,
Elisabeths Kleider, das Kerzen- und Lampenlicht der Innenräume) wechselt sich immer mit
der kalten Tageswelt des Todes ab (weißer Schnee, graue Uniformen, ein blasser
Himmel über
Ruinen). In dieser Welt herrscht der Zynismus von Mitläufern und Sadisten, die Sirk
erbarmungslos vorführt. Der Film schließt in einem grausamen Paradox: die nächtliche Liebe von Ernst und
Elisabeth endet mit einem Happy-End, der Heirat und der Schwangerschaft von
Elisabeth. Das Leben geht weiter. Blick durch ein Fensterkreuz auf eine
deutsche Gartenlandschaft. Nächste Einstellung, beinahe eine Überblendung: ein Kreuz in der
winterlichen Weite Russlands. Die Verwicklungen Ernsts in die Tageswelt der
Schuld enden tragisch. Als wieder eine Erschießung ansteht, entscheidet er
sich zum Widerstand und erschießt einen anderen Soldaten, um die Gefangenen zu befreien.
Einer dieser Gefangenen nimmt sich ein Gewehr und erschießt ihn. "German
beast", sind die letzten Worte vor dem Abspann.
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