Barbara Pym hat vor ihrem viel zu frühen Tod
1980 drei Werke geschrieben, die sich durchaus als ein Alterswerk von
ihrem Schaffen abheben. Pym verändert ihr Setting (die englische Mittelklasse
in London und der Provinz) nicht, doch sind ihre
Figuren – quasi mit ihr - gealtert und in ihren Ton, so spröde-komisch wie je,
hat sich eine unüberhörbare Melancholie, eine dunkle Note eingeschlichen. So entsteht ein tieferes Verständnis für diese endlichen Leben im unspektakulären, "mittleren" Zwischenbereich: ohne existenzielle Not, ohne Glamour und Reichtum, ohne hohes Pathos und tiefes Ethos. Lächerlich bisweilen, armselig, versteift, beschränkt, aber nicht hoffnungslos können
Menschen sein, solange sie leben. Solche „mittleren“ Menschen eben, deren „Trotz
allem“-Leben in seiner Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit ohne Überhöhung von
Barbara Pym ein Denkmal gesetzt wird, eines das dank ihrer erzählerischen Kunst ebenso sehr anrühren kann wie der tiefste Fall einer mythischen Gestalt. Pym
gelingt - entgegen dem Vorurteil gegen alternde Autor_innen - in ihren späten Werken eine bis dahin nicht gekannte Geschlossenheit und Schlüssigkeit
der Komposition, auf die ihre früheren Werke bisweilen um des einen oder anderen
Wortwitzes oder einer Handlungspointe noch verzichtet hatten.
Quartet in Autumn (1977)
gilt vielen Rezensentinnen als Pyms Meisterwerk. „Four people
on the verge of retirement, each one of us living alone, and with no close
relative near – that´s us.“, so fasst Edwin das erzählte „Quartett“
zusammen, um dessen Umgang mit Ruhestand, Alter, Einsamkeit und Krankheit es in
diesem Roman geht. Sie arbeiten seit Jahren in einem Büro als Angestellte
zusammen: Edwin, der verwitwete Kirchgänger, Norman, der Zyniker und
Eigenbrötler, Marcia, die sich zunehmend isoliert und Letty, eine
leidenschaftliche Romanleserin. Sie alle sind „alleinstehend“, ihr Tag wird
strukturiert durch die Arbeit im Büro, die selbst seltsam konturlos bleibt.
Obwohl die vier schon so lange miteinander arbeiten, stehen sie einander nicht
nahe und obwohl sie – ein jedes auf seine Weise – einsam sind, streben sie mehr
Nähe auch nicht an. Als Marcia und Letty pensioniert werden, verändert sich ihr
schlichtes Leben radikaler als erwartet: Marcia, die eine Brustamputation wegen
Krebs hinter sich hat, lässt sich vollkommen gehen und hört auf zu essen. Es
gelingt ihr, die Hilfsangebote der Sozialdienste abzuwehren und auch Lettys
zögerliche Einladung, sich öfter zu treffen, kann sie nicht davon abhalten, sich
zu Tode zu hungern. Letty dagegen entschließt sich zum Umzug, weil das Haus, in
dem sie ein möbliertes Zimmer bewohnt, von einem schwarzen Geistlichen gekauft
wird. Die lautstarke Frömmigkeit unter ihr meint sie nicht ertragen zu können,
aber das Zusammenleben mit einer alten, vermögenden Witwe, der Kirchgänger
Edwin sie als Mieterin empfohlen hat, erweist sich nicht weniger als
Herausforderung. Der über Jahre gehegte Plan, im Ruhestand mit einer Freundin
in ein Cottage auf dem Land zu ziehen, zerschlägt sich für Letty, als die
Freundin ihr ankündigt, dass sie einen wesentlich jüngeren Geistlichen heiraten
werde.
Pym wechselt immer wieder die personale
Perspektive, so dass die von außen verschrobenen wirkenden Motive Marcias,
Letty, Edwins und Normans der Leserin ganz einsichtig erscheinen. Schon ganz
zum Beginn kann sie vermitteln, mit welcher Scheu und Achtsamkeit die
Protagonisten Nähe vermeiden, indem sie eine typische Mittagspause im Büro erzählt,
bei der Edwin, Norman, Marcia und Letty viel gedankliche Energie darauf
verwenden, einander nicht in dem Londoner Viertel zu begegnen, in dessen Parks,
Bibliotheken und Cafés sie zur Mittagszeit ausschwärmen. Während Norman und Marcia
beide Misanthropen sind und den Kontakt mit anderen Menschen gewollt vermeiden,
verzweifelt Letty häufig an ihrem Unvermögen, sich in Gruppen einzufügen. Als
sie eine Einladung von Mr. Olatunde, dem neuen Hausbesitzer annimmt, endet es
im Desaster: „Letty withdrew, embarrassed by the crowd of smiling faces that
seemed to be pressing in on her. We are not the same, she thought hopelessly.
She wondered what Edwin and Norman and Marcia would have done in the
cirumstances, but came to no conclusions. Other people´s reactions were
unpredictable and while she could imagine Edwin entering into the religious
aspect of the evening and even taking part in the service, it might well be
that Norman and Marcia, usually so set in their isolation would in some
surprising way have been drawn into the friendly group. Only Letty remained
outside.“
Aber Letty bemüht sich dennoch um Anpassung
an die neuen Lebensumstände, während Marcia ihre Isolation gezielt vorantreibt.
Sie drückt einer jungen Sozialarbeiterin, die sie besuchen will, die Tür vor
der Nase zu: „Marcia watched her getting into
her car and driving away. Young people couldn´t walk a step these days,
she thought. And what was all that about hairdressers? ...Marcia didn´t like
going to the hairdresser, anyway, she hadn´t been for years. Not like Letty,
who went every week. Not doubt she would be taking advantage of the reduced
charges for pensioners...Marcia stood in the hall, a feeling of dissatisfaction
creeping over her at the idea of Letty. It was that business of the milk
bottle, chiefly, but there was something else too. Letty had sent her a
postcard, suggesting that they might meet sometime – as if she would want to do
that! There was no knowing what Letty might foist on her, given the chance. She
was certainly going to ignore the card.“ Pyms Wechsel der Perspektiven lässt
die Leserin sehr nahe an jede der Figuren heranrücken: Marcias
Wahnvorstellungen, die sie leere Milchflaschen horten lässt, ihre romantischen
Phantasien über den Arzt, der ihre OP durchgeführt hat und den sie stalkt,
Lettys Schamgefühle und ihre oft hilflosen Versuche, sich gegen stärkere Persönlichkeiten
zu behaupten, Edwins Besessenheit von rituellen Terminen im Kirchenkalender,
Normans einsamer Trip im Bus und seine verstohlene Beobachtung von Marcias
Haus, alle diesen eigentümlichen, gar grotesken Verhaltensweisen werden so erzählt,
dass die Leserin den Figuren folgt, ihre Motive nachvollzieht und doch immer
ein wenig auf Distanz bleibt. Um diese Haltung geht es in Pyms Altersromanen:
um einen distanzierten Respekt, der die Armseligkeit, die Verlorenheit und
vielleicht auch die Verrücktheit des Anderen nicht kommentiert, beklagt oder
durch sozialfürsorgliches Mitleid entwürdigt, sondern wie ein stiller Beobachter
draußen vor dem Fenster steht, ein wenig neugierig, aber ohne den Impuls
eingreifen zu wollen oder zu müssen. Pyms Roman leuchtet den Raum aus, den der
europäische Sozialstaat dem (alternden) Individuum (noch?) lässt und erzählt
von Selbstbehauptung im Kleinen, im Beharren gerade auf der Eigenart, auf den
Neurosen und den Ängsten. Das Ende ist nicht versöhnlich, sondern
hoffnungsvoll: Marcia hat ihr Häuschen an Norman vererbt und Letty hat zum
ersten Mal wirklich die Wahl. Die geplante Hochzeit ihrer Freundin Marjorie ist
nicht zustande gekommen. Sie muss entscheiden, ob sie bei der Witwe wohnen
bleibt oder doch aufs Land ziehen wird. Sie lädt Edwin und Norman ein, sie zu
einem Besuch ihrer Freundin zu begleiten: „Any new interest that might take
Marjorie´s mind off her disappointment was to be encouraged, Letty felt, though
it was difficult to think of Edwin and Norman as objects of romantic
speculation, and two less country-loving people could hardly be imagined. But
at least it made one realise that life still held infinite possibilties for
change.“
1978 erschien der Roman The Sweet Dove
Died. Es ist für mich das traurigste, in gewisser Weise aber auch das schönste
Buch Barbara Pyms. Im Zentrum steht Leonora Eyre, eine alleinstehende,
wohlhabende, elegante Dame in mittleren Jahren. Sie lernt den
Antiquitätenhändler Humphrey Boyce und dessen Neffen James bei einer Auktion
kennen. Humphrey, der etwa gleichaltrig ist, bemüht sich um Leonora, aber sie
ist angetan von dem jungen James. Eine sonderbare, platonische Liebe entwickelt
sich zwischen den beiden, während James heimlich seine sexuelle Orientierung
sucht, eine Affäre mit der jungen Phoebe beginnt, aber schließlich seine
Homosexualität mit dem Amerikaner Ned entdeckt. Dem Buch vorangestellt sind
diese Zeilen aus dem Gedicht von John Keats
„I had a dove, and the sweet dove died;
And I have thought it died of grieving;
O, what could it grieve for? Its feet were
tied
With a single thread of my ohn hand´s
weaving...“
Leonoras Welt besteht aus „what one ´s
doing“-Überlegungen, denen sie sich hingibt. Sie umgibt sich mit schönen
Dingen, sie kleidet sich exquisit, sie sehnt sich nach Beziehungen, die durch keinerlei
körperliche oder seelische Disharmonien geprägt sind. „Leonora liked to
think of her life as calm of mind, all passion spent, or, more rarely, as
emotion recollected in tranquillity. But had there ever really been
passion, or even emotion? One or two tearful scences in bed – for she never
enjoyed that kind of thing – and now it was such a relief thant one
didn´t have to worry anymore.“ Doch Leonora irrt sich. Auch ihr
steht eine Passion bevor: Ihre Liebe zu James, um derentwillen sie sich demütigen
wird. Sie wird den sanften, unentschiedenen James zum Lügen zwingen und zu
hässlichen Aktionen, um sich von ihr zu distanzieren. Als sie ihn am Ende,
nachdem ihn Ned verlassen hat, zurück haben kann, ist er in ihren Augen
beschädigt. Sie liebt die Perfektion oder die Illusion der Perfektion, die er
nicht mehr erzeugen kann: „...the sight of such large and faultless blooms,
so exquisite in colour, so absolutely correct in all their finer points, was a
comfort and satisfaction to one who loved perfection as she did. Yet, when one
came to think of it, the only flowers that were really perfect were those, like
the peonies that went so well with one´s charming room, that possesed the added
grace of having been presented to oneself.“
Der letzte Roman, den Barbara Pym schrieb, trägt
den Titel A Few Green Leaves. Er erschien in dem Jahr (1980),
indem sie starb. Auch in diesem Roman ist die Hauptfigur eine alternde Frau,
die Anthropologin Emma Howick, die sich in das Cottage ihrer Mutter auf dem
Land zurück zieht. Pym spielt hier offensichtlich mit dem Genre des englischen
Kriminalromans, enttäuscht aber die Erwartungen permanent. Nie liegt eine
Leiche im Gras, wenn sich Emma durch das Gestrüpp kämpft oder findet sich im
alten Gemäuer, das die Wandergesellschaft besichtigt, ein Gerippe. Es geschieht
: nichts. Außer: dem Besuch eines verflossenen Liebhabers, Spannungen zwischen
dem Pfarrer und seiner Schwester, die ihn versorgt, ein paar Abendessen, viel
Unentschlossenheit, eine zögerliche Annäherung Emmas an den ein wenig
eingerosteten Pfarrer. Es ist die Umgebung, in der die großen englischen
Gesellschaftsromane spielen: eine Ortschaft auf dem Land, dominiert von einem
Herrenhaus, alte verschrobene Damen, eigenbrötlerische Herren, das Pfarrhaus.
Aber hierhin ist die Moderne mit ihren Errungenschaften vorgerückt: Frauen sind
inzwischen berufstätig, selbst Mütter, während ihre Männer noch immer
Schwierigkeiten haben, sich das Essen selbst aufzuwärmen; das Herrenhaus ist
verlassen, das Pfarrhaus heruntergekommen und schlecht beheizbar; die
Sozialsiedlungen und Reihenhäuser wachsen rundherum wie Pilze aus dem Boden;
ein Autofriedhof stört die Idylle und fügt ihr zugleich ein melancholisches
Element hinzu. Doch die Sehnsucht nach Liebe vergeht nicht, auch nicht mit dem
Alter: „Emma sitting between her mother and Isobel, found herself wishing
that she had a man with her...Some nebulous, comfortable – even handsome –
figure suggested itself, which made her realize that even the most cynical and
sophisticated woman is not, at times, altogether out of sympathy with the ideas
of the romantic novelist.“ Das Ende bleibt offen. Vielleicht wird es was
mit dem Pfarrer. Vielleicht ist er auch nicht nebulös, nicht bequem genug. Wie
ein Mann sein sollte...
Barbara Pym hat ihr Leben lang über jene
Gesellschaftsschicht, jene Berufsgruppen und Verhältnisse geschrieben, die sie
genau kannte und beobachtete hatte. In ihren Romanen beschränkte sie sich auf
dieses eng umrissene Gebiet, darin einer Jane Austen gleich, die für einen
Roman nicht mehr brauchte als „3 or 4 families in a country village“.
Diese Selbst-Beschränkung erst eröffnete den Spielraum für Figuren, die ohne
bedeutsame Ereignisse erleben und ohne auffällige Handlungen begehen zu müssen,
zeitlose Gültigkeit erlangen können. Gerade weil Barbara Pyms Figuren so fest
in ihrer kleinen Welt und in einer ganz bestimmten Zeit verankert sind, gelingt
es ihr, ihre Menschlichkeit, ihre Eigenheit herauszuarbeiten, dasjenige, was
nicht „der Gesellschaft“ oder den Umständen geschuldet ist, sondern bleibt,
wiederkehrt, in anderen Umständen und aus einer anderen Position heraus wieder
verstanden werden kann.
Immer wieder steht in Pyms
Romanen auch das Geschlechterverhältnis im Zentrum. Hier und nur hier bleibt
Pyms Perspektive einseitig: Sie sieht die Welt aus der Perspektive einer
alleinstehenden Frau, die den patriarchalen Ritualen mit ethnologischem
Interesse, aber gelegentlich auch Tränen in den Augen zusieht, manchmal vor
Lachen, manchmal vor Weinen.
LESEN SIE BARBARA PYM!
Barbara Pym: Quartett im Herbst (deutsch), antiquarisch ab € 0,01
Barbara Pym: Quartet in Autumn (englisch), € 12,99
Barbara Pym: The Sweet Dove Died (englisch), € 13,99
Barbara Pym: A Few Green Leaves (englisch), € 18,99
Zum Gesamtwerk von Barbara Pym:
BLESSED. Barbara Pym lesen! (1) - Das Frühwerk
ROMANE AUS DER SCHUBLADE. Barbara Pym lesen! (2) - Die unveröffentlichen Romane
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ROMANE AUS DER SCHUBLADE. Barbara Pym lesen! (2) - Die unveröffentlichen Romane
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