Mittwoch, 11. September 2013

"DAS MÄDCHEN WADJDA" - Der erste saudiarabische Film. Fremd und doch nicht fremd.


Das Mädchen Wadjda

Dieser Film ist ein Glück – für uns, die wir Einblicke gewinnen können in ein Land, eine Kultur, eine Gesellschaft, die uns fremd sind und für jenes Land selbst, für die Frauen (und Männer) in diesem Land, deren Alltagssorgen und –freuden, deren Bedrückungen und Sehnsüchten er Ausdruck verleiht. „Das Mädchen Wadjda“  von Haifaa al Mansour ist der erste saudiarabische Film.

Al Mansour erzählt die Geschichte des Mädchen Wadjda, das mit seiner Mutter in einem geräumigen Haus lebt. Im Inneren des Hauses trägt die Mutter bunte, schicke Blusen und Jeans, singt mit einer schönen, tiefen Stimme für ihre Tochter Lieder. Der Ehemann und Vater taucht in dieser Wohnung nur gelegentlich auf, nach und nach erfährt die Zuschauerin, dass er offenbar noch einen Wohnsitz bei seiner Mutter hat, die nach einer Zweitfrau für ihn sucht, weil Wadjdas Mutter keine weiteren Kinder mehr bekommen kann. Im Wohnzimmer hängt ein Stammbaum der väterlichen Familie, an den Ästen, die seine Brüder darstellen hängen grüne Zweige. „Da kommst du nicht dran“, sagt die Mutter zu Wadjda. „An diesem stolzen Baum hängen nur Jungen.“ Wadjda wird trotzig einen Zettel mit ihrem Namen an den Ast ihres Vaters hängen und ihn später zerknüllt am Boden finden.

Dabei ist der Ehemann und Vater, der Frau und Tochter so viel Schmerz und Missachtung zumutet, im Film von al Mansour nicht als Tyrann gezeichnet. Er liebt seine schöne Frau und seine kluge Tochter offenbar aufrichtig. Es ist die gesellschaftliche Geschlechterordnung, die sein Verhältnis zu beiden korrumpiert und der er nichts entgegensetzt, weil sie für ihn, den Mann, scheinbar mit mehr Privilegien als Leidensdruck verbunden ist. Wenn er Besuch in der Wohnung seiner Frau empfängt, müssen Frau und Tochter leise sein, denn die Männer dürfen die Frauen nicht hören. Sie bereiten das Essen zu und stellen es vor der Tür des Zimmers ab, in dem die Männer miteinander palavern. Wadjdas Vater lobt seine Frau für ihr Kochkünste, ihr Aussehen, ihre Stimme, ihren Geschmack. Aber sie fragt ihn: „Wird es mir etwas nützen?“ Kein Kompliment des geliebten Mannes kann in diesem Herrschaftsverhältnis einfach freudig angenommen oder erwidert werden. In ihrer Abhängigkeit von ihm und ihrer Hilflosigkeit gegenüber seinen Plänen, sich wieder zu verheiraten, ist all das ein Einsatz, dessen Wert er allein bestimmt. Am Ende wird es ihr nichts nützen. Er entscheidet sich, vielleicht auf Druck seiner Familie, zu einer zweiten Ehe.

Al Mansours Film zeigt in einfachen und doch sehr poetischen Bildern ein streng reglementiertes Mädchen- und Frauenleben, aber auch die vielfachen Möglichkeiten, sich im Kleinen Freiräume zu erobern, Eigensinn zu entwickeln. Wadjda will ein Fahrrad, obwohl Fahrrad fahren „anständigen“ Mädchen verboten ist. Die Mutter, die versucht, allen Geboten zu gehorchen, nirgends anzuecken, will ihr kein Geld dafür geben. Wadjda verkauft selbstgeflochtene Armbänder, aber der Profit ist gering. Schließlich meldet sie sich für ein Koran-Rezitations-Wettbewerb an, für den ein hohes Preisgeld ausgeschrieben ist.

Das Schönste an diesem Film ist, wie Al Mansour in der geglückten Beziehung zwischen Wadjda und ihrem Freund, dem Nachbarsjungen Abdullah, zeigt, welcher Gewinn, auch für Männer, darin läge, die strenge Geschlechtertrennung, die Sexualisierung jeder Handlung zwischen Männern und Frauen, die hierarchische Ordnung aufzugeben. Abdullah und Wadjda verhalten sich zueinander zu jeder Zeit auf Augenhöhe. Abdullah nimmt ihr Begehren nach dem Fahrrad selbstverständlich ernst, ebenso wie die Herausforderung, gegen ihn ein Wettrennen zu fahren. Was er dafür bekommt, dass er das zulässt, ist eine Beziehung, in der er aufrichtig geschätzt wird und Wadjda ihm gegenüber (anders als in vielen anderen Szenen, in denen sie durchaus mit Kalkül agiert und sicht verstellt) aufrichtig sein kann. Abdullah sagt an einer Stelle im Film zu Wadjda: „Du weiß schon, dass ich dich einmal heiraten werde.“ Sie lacht dazu. Das ist der utopische Gehalt des Films: Eine Beziehung wie die zwischen Wadjda und Abdullah ins Erwachsenenleben zu transformieren.

Es ist eine fremde Welt, die Al Mansours Film uns vorführt, eine Einschränkung weiblicher Freiheiten, die hierzulande kaum vorstellbar scheint und oft auch komisch wirkt. Und doch: Zuletzt ist sie weniger fremd, als es scheint. Denn auch in unserer Kultur sind die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen noch immer korrumpiert durch das patriarchale Denken, durch die Wahrnehmung und Darstellung des Körpers der Frau als pures Sexualobjekt in Werbung, Literatur und Kunst, durch Alltagssexismus und stereotype Vorstellungen von Männlichkeit. Auch für uns ist eine spannungsreiche und aufrichtige Beziehung zwischen den Geschlechtern wie die in Al Mansours Film zwischen den Kindern Wadjda und Abdullah daher immer noch utopisch.

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