Das Mädchen Wadjda |
Dieser
Film ist ein Glück – für uns, die wir Einblicke gewinnen können in ein Land,
eine Kultur, eine Gesellschaft, die uns fremd sind und für jenes Land selbst, für die
Frauen (und Männer) in diesem Land, deren Alltagssorgen und –freuden, deren
Bedrückungen und Sehnsüchten er Ausdruck verleiht. „Das Mädchen Wadjda“ von Haifaa al Mansour ist der erste
saudiarabische Film.
Al
Mansour erzählt die Geschichte des Mädchen Wadjda, das mit seiner Mutter in einem geräumigen Haus lebt. Im Inneren des Hauses trägt die Mutter
bunte, schicke Blusen und Jeans, singt mit einer schönen, tiefen Stimme für
ihre Tochter Lieder. Der Ehemann und Vater taucht in dieser Wohnung nur
gelegentlich auf, nach und nach erfährt die Zuschauerin, dass er offenbar noch
einen Wohnsitz bei seiner Mutter hat, die nach einer Zweitfrau für ihn sucht,
weil Wadjdas Mutter keine weiteren Kinder mehr bekommen kann. Im Wohnzimmer hängt
ein Stammbaum der väterlichen Familie, an den Ästen, die seine Brüder
darstellen hängen grüne Zweige. „Da kommst du nicht dran“, sagt die Mutter zu
Wadjda. „An diesem stolzen Baum hängen nur Jungen.“ Wadjda wird trotzig einen
Zettel mit ihrem Namen an den Ast ihres Vaters hängen und ihn später zerknüllt am Boden finden.
Dabei
ist der Ehemann und Vater, der Frau und Tochter so viel Schmerz und Missachtung
zumutet, im Film von al Mansour nicht als Tyrann gezeichnet. Er liebt seine schöne
Frau und seine kluge Tochter offenbar aufrichtig. Es ist die gesellschaftliche
Geschlechterordnung, die sein Verhältnis zu beiden korrumpiert und der er
nichts entgegensetzt, weil sie für ihn, den Mann, scheinbar mit mehr
Privilegien als Leidensdruck verbunden ist. Wenn er Besuch in der Wohnung
seiner Frau empfängt, müssen Frau und Tochter leise sein, denn die Männer dürfen
die Frauen nicht hören. Sie bereiten das Essen zu und stellen es vor der Tür
des Zimmers ab, in dem die Männer miteinander palavern. Wadjdas Vater lobt
seine Frau für ihr Kochkünste, ihr Aussehen, ihre Stimme, ihren Geschmack. Aber
sie fragt ihn: „Wird es mir etwas nützen?“ Kein Kompliment des geliebten Mannes
kann in diesem Herrschaftsverhältnis einfach freudig angenommen oder erwidert
werden. In ihrer Abhängigkeit von ihm und ihrer Hilflosigkeit gegenüber seinen
Plänen, sich wieder zu verheiraten, ist all das ein Einsatz, dessen Wert er
allein bestimmt. Am Ende wird es ihr nichts nützen. Er entscheidet sich,
vielleicht auf Druck seiner Familie, zu einer zweiten Ehe.
Al
Mansours Film zeigt in einfachen und doch sehr poetischen Bildern ein streng
reglementiertes Mädchen- und Frauenleben, aber auch die vielfachen Möglichkeiten,
sich im Kleinen Freiräume zu erobern, Eigensinn zu entwickeln. Wadjda will ein
Fahrrad, obwohl Fahrrad fahren „anständigen“ Mädchen verboten ist. Die Mutter,
die versucht, allen Geboten zu gehorchen, nirgends anzuecken, will ihr kein
Geld dafür geben. Wadjda verkauft selbstgeflochtene Armbänder, aber der Profit
ist gering. Schließlich meldet sie sich für ein Koran-Rezitations-Wettbewerb
an, für den ein hohes Preisgeld ausgeschrieben ist.
Das
Schönste an diesem Film ist, wie Al Mansour in der geglückten Beziehung zwischen Wadjda
und ihrem Freund, dem Nachbarsjungen Abdullah, zeigt, welcher Gewinn, auch für Männer,
darin läge, die strenge Geschlechtertrennung, die Sexualisierung jeder Handlung
zwischen Männern und Frauen, die hierarchische Ordnung aufzugeben. Abdullah und Wadjda verhalten sich zueinander zu jeder Zeit auf Augenhöhe.
Abdullah nimmt ihr Begehren nach dem Fahrrad selbstverständlich ernst, ebenso
wie die Herausforderung, gegen ihn ein Wettrennen zu fahren. Was er dafür
bekommt, dass er das zulässt, ist eine Beziehung, in der er aufrichtig geschätzt
wird und Wadjda ihm gegenüber (anders als in vielen anderen Szenen, in denen
sie durchaus mit Kalkül agiert und sicht verstellt) aufrichtig sein kann. Abdullah
sagt an einer Stelle im Film zu Wadjda: „Du weiß schon, dass ich dich einmal
heiraten werde.“ Sie lacht dazu. Das ist der utopische Gehalt des Films: Eine
Beziehung wie die zwischen Wadjda und Abdullah ins Erwachsenenleben zu
transformieren.
Es
ist eine fremde Welt, die Al Mansours Film uns vorführt, eine Einschränkung
weiblicher Freiheiten, die hierzulande kaum vorstellbar scheint und oft auch
komisch wirkt. Und doch: Zuletzt ist sie weniger fremd, als es scheint. Denn
auch in unserer Kultur sind die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen noch
immer korrumpiert durch das patriarchale Denken, durch die Wahrnehmung und
Darstellung des Körpers der Frau als pures Sexualobjekt in Werbung, Literatur
und Kunst, durch Alltagssexismus und stereotype Vorstellungen von Männlichkeit.
Auch für uns ist eine spannungsreiche und aufrichtige Beziehung zwischen den Geschlechtern wie die in Al
Mansours Film zwischen den Kindern Wadjda und Abdullah daher immer noch utopisch.
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