Mini-Drama 6
DIE EINE
DIE ANDERE
(Schwestern? Mutter und Tochter?)
(Schwestern? Mutter und Tochter?)
VITA (aus dem OFF)
Zwei Frauen in Togen stehen links auf der Bühne,
Koffer in den Händen. Der Scheinwerfer leuchtet sie grell aus. Rechts stehen
Traumhäuser, Kunstbergwände, Tavernemobiliar und Strandkörbe als Kulissen
ungebraucht und abgerissen im Dunkel herum. Im Hintergrund ein
Gynäkologenstuhl, im Vordergrund am Boden das Fischernetz.
VITA (aus dem OFF)
Die Bewegung der Frau ist die Verstohlenheit. Sie
stiehlt sich davon. Im Fluge. Oder sie schifft sich ein.
DIE EINE (stellt ihren Koffer ab)
„Wir wussten nicht, was uns
widerfuhr, sage ich. Die Geschichte war bizarrer, als man glauben könnte. Wir
wirkten mit an unserer Versklavung und fesselten unsere Töchter mit
knöchelstarken Stricken.“
DIE ANDERE (ebenfalls den Koffer abstellend. Sie schauen
sich um.)
„Ihr ward schön und recktet
eure Glieder auf ihren Bildern. Sie beteten euch an, schien es. Wir wünschten
so zu sein wie ihr. Wir banden unsere Haare hoch und beugten unsere Nacken.“
VITA (aus dem OFF)
An den Anfängen sind unsere Unterschiedlichkeiten.
Die neue Liebe wagt das Andere, wünscht es, schwingt sich auf zu
schwindelerregenden Flügen zwischen Erkennen und Erfinden.
DIE EINE
„ich nahm dich an der Hand,
Geliebte, und brachte dich an Land. Ich bot dich dar und war stolz auf deine
sittsam gefalteten Hände, auf deinen zartroten Mund und den Schimmer auf deinen
niedergeschlagenen Lidern.“
DIE ANDERE
„Du lehrtest mich, die Füße zu
setzen. Ich war die Grazie. Du hülltest dich in Schweigen. Ich sehnte mich. Ich
wollte gesehen werden. Du zogst meinen Schleier enger um mich.“
DIE EINE
„Mit Sonnenzungen hatten
meine Frauen und ich deinen Körper geschaffen. Wir setzten all unser Können in
dein Verlangen.“
DIE ANDERE
„Ich war geboren. Ich konnte
empfangen. Ich legte mich zum Schlafen. Ich erwachte und war. Ich bog mich und
träumte von schmalen Hüften und breiten Schultern.“
DIE EINE
„Wir wollten dir die
irdische Liebe ersparen, indem wir dich opferten.“
DIE ANDERE
„Ich ahnte nichts von euren
blutigen Plänen. Ich war nicht unschuldig. Ich wollte gebären.“
DIE EINE (wendet sich ab und
bedeckt die Augen)
„Sie schrie danach wie eine
hungrige Löwin. Wir verschlossen unsere Ohren.“
DIE ANDERE (kniet nieder und
hebt die Arme flehend zur EINEN)
„Auch du blutetest doch wie
ich. Auch du wusstest, wozu du geschaffen warst. Auch du wurdest, was ich sein
wollte.“
VITA (aus dem OFF)
Sie werden ja nur vor Angst steif! Vor Angst um sich
selber! Sie müssen sich vor uns fürchten. Schau nur, wie die Perseuse zitternd
auf uns zusteuern mit Abwehramuletten bewehrt, rückwärts gehend! Hübsche
Rücken! Da ist keine Minute mehr zu verlieren. Nichts wie weg hier.
DIE EINE (reißt sich los)
„Ich brachte mein Blut zum Stocken.
Ich ließ mich mit dir nieder. Ich tat, was getan werden musste. Doch schwor ich
noch auf meinem schwarzen Laken, deine Wunde zu stillen.“
DIE ANDERE (hält sich am
Gewand der ANDEREN fest)
„Du willst die Gleichen
ungleich behandeln und die Ungleichen gleich. Es gibt kein schwereres Verbrechen.“
DIE EINE (dreht sich um,
sinkt nieder und umarmt die ANDERE)
„Ich halte dich umschlungen.
Wir werden still sein und leiden.“
DIE ANDERE (zieht sich an
der EINEN nach oben)
„So haben wir nicht
gewettet. Deine Küsse brennen auf meinen Lippen. Rauch steigt auf. Ich werde verbrennen.
Doch nicht ohne dich.“
DIE EINE (umarmt sie und zieht sie in die Kulissen.
Sie lässt sich in einen Strandkorb fallen. Die ANDERE zieht sie weiter.)
„Lass uns verschwinden.“
(Sie stehen, mit dem Rücken zum Publikum, vor dem
Gynäkologen-Stuhl. Es ist dunkel. Der Scheinwerfer dringt nicht durch das
Chaos.)
DIE ANDERE
„Hast du ihre Stimme gehört?
Deine Hände zittern. Gib mir eine Zigarette.“
DIE EINE
„Ich höre sie immer. Ein
Schiff wird kommen. Ich verspreche es dir.“
VITA
Eilen wir uns. Dieser Kontinent ist nicht von
undurchdringlichem Dunkel.
Sie treten vor das Gerümpel ins Licht und halten
Ausschau.
Abblende.
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Auch erschienen unter "Und was machen die Frauen?" in der "Lärmenden Akademie"
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