Die Vivipara schmiegte ihren Oberkörper
flach auf den leer geputzten Konferenztisch, nachdem alle den Raum verlassen
hatten. Auch das Gesäß hob sie
über die Tischplatte und ließ sich langsam über die glänzende Fläche gleiten.
Unter der zarten Bauchhaut vermeinte sie beim Scheuern über die Platte die
Eier zu spüren, die sie inwendig ausbrüten würde, wie es ihre Art war. Hinter ihrer
flachen Stirn züngelte gleich einer heißen Flamme der Triumph, den sie sich soeben gegönnt hatte. Zweimal ließ sie den geschuppten Schwanz auf den Tisch
schlagen, bis ihr auch wieder, so war sie neuerdings beschaffen, die Scham
ins Bewusstsein stieg. Sie sah sich gleichsam von oben dort liegen: der
Rocksaum, der sich bis zu den Backen hochgeschoben hatte, ihr Hinterteil, das sich vom Tisch hob, und wie sie die Spitzen der lederschuppigen
Stöckelschuhe, die sie sich nicht hatte versagen konnte, durch diese harten Schläge beschädigte.
Die Vivipara ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Wenn einer sie gesehen
hätte... Sie strich sich das Haar aus der Stirn. Dennoch konnte sie ein Lächeln
nicht unterdrücken. Wenn sie einer gesehen hätte, wäre er wiederum (wenn es ein
er gewesen wäre) erschrocken zusammengezuckt, sicherlich, doch ebenso sicher,
wusste sie, hatte sie sich ja nun sagen, bestätigen, geradezu beschwören
lassen, ebenso sicher hätte er ein Verlangen verspürt, eine Gier, wäre ein
Druck in ihm entstanden sich fortzupflanzen, unmittelbar, schutzlos, das ganze
Programm wie auf Knopfdruck ausgelöst, das die Zivilisation so aufwändig in
Bahnen gelenkt und mit Ritualen umstellt hatte. Diese Menschen in ihrer
Hilflosigkeit gegenüber ihrem Verlangen amüsierten und dauerten sie. Sie
machten sich alles so schwer. Aber gerade das machte sie interessant für die
Vivipara und ihre Auftraggeber.
Die Vivipara hatte es wie geplant bis
an die Spitze der Kommission geschafft, die gegründet worden war, um Kontakt aufzunehmen. Sie waren
willig und wissbegierig, diese eigenartigen Kreaturen, und auch, die Vivipara konnte
sich das inzwischen eingestehen, nicht vollkommen dumm. Immerhin hatten sie
bemerkt, dass etwas Eigentümliches vor sich ging. Sie hatten die Zeichen eben gedeutet,
wie sie es verstanden. Dass sie irre geführt wurden, gerade hier, inmitten
ihrer Bemühungen zu begreifen, konnte ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Am wenigsten (die Vivipara musste leise kichern) am wenigsten von ihr, die diese
Verwirrung nicht inszenierte, sondern geradezu war. Sie hatten zu zweifeln
begonnen, aufgewiegelt durch diesen Einsamen, der mehr noch
als die anderen die Sehnsucht spürte, die sie alle bestimmte, und sie, die
Vivipara, hatte sich diese Empörung, die sich gegen sie zu richten begann, zu
Nutze gemacht. „Wir gestehen es.“
Wir gestehen, wie sehr wir begehren. Wir gestehen unsere Lust. Wir können nicht an uns halten.
Die Vivipara lehnte sich zurück. Das war die größte Lüge von allen, zu der sie sie verführt hatte. Denn sie blieben selbstverständlich gezähmt. Sogar ihr war die Scham auferlegt worden, damit sie ihre Aufgaben erfüllen konnte. Was eine Schwäche gewesen wäre unter den Unmenschlichen, hätte man unter diesen von der Scham auch nur eine Ahnung gehabt, wurde ihr hier zur Instrument der Macht. Nur wer Scham fühlt, kann beschämen.
Wir gestehen, wie sehr wir begehren. Wir gestehen unsere Lust. Wir können nicht an uns halten.
Die Vivipara lehnte sich zurück. Das war die größte Lüge von allen, zu der sie sie verführt hatte. Denn sie blieben selbstverständlich gezähmt. Sogar ihr war die Scham auferlegt worden, damit sie ihre Aufgaben erfüllen konnte. Was eine Schwäche gewesen wäre unter den Unmenschlichen, hätte man unter diesen von der Scham auch nur eine Ahnung gehabt, wurde ihr hier zur Instrument der Macht. Nur wer Scham fühlt, kann beschämen.
Die Vivipara, in ihrer Eigenschaft als
Vorsitzende, stellte per Skype die Verbindung zu Dr. L. her. „Sie brauchen
Lob.“ Das hatte man ihr gleich zu Beginn ihrer Mission eingeschärft.
***
Dr.
L. fuhr den Bildschirm herunter. Es war ein gutes Gespräch gewesen, das sie
mit der Vorsitzenden per Skype geführt hatte. Ganz offensichtlich war man
zufrieden mit ihr. Kleine Öffnungen bei der Patientin. Ein fadenscheiniger
Kontakt. Das reichte denen schon. Sie grinste bitter. Sie war gut. Das wusste
sie, aber sie konnte nicht stolz darauf sein. Sie war gut darin, das zu
produzieren, was man sich eben so vorstellen konnte. Die Vorsitzende hatte sie
gelobt: „Es gelingt ihnen wie keinem ihrem
Vorgänger, die Psyche ihrer Patientinnen zu beschreiben, sie für uns
nachvollziehbar zu machen. Wir waren beeindruckt. Die ganze Kommission. Wir
konnten endlich gemeinsam ein tieferes Verständnis für die inneren Vorgänge gewinnen.“ Sie hatte schlicht „Danke“ gesagt. So war es immer gewesen.
Sie hatte diese Gabe, den Leserinnen ihrer Texte das zu geben, was sie wollten:
Geschichten, in denen geschah, was ihnen einleuchtete. Fremde Erfahrungen,
scheinbar, zum Nachvollzug vorgelegt: So sind die also, die Verrückten. Das
stellte fast alle zufrieden: die Kolleginnen, die Verlegerin und die
Käuferinnen jener Bücher über ihre Arbeit, die so erfolgreich waren
und sie reich gemacht hatten.
Ich
weiß nicht, dachte sie, was in meinen Patienten vorgeht. Aber ich weiß, was ihr
euch darüber dazu ausmalen könnt. Dafür liefere ich euch die Vorlagen. Malen
nach Zahlen. Damit euch das Fremde nah rückt und klar wird. Immer nach dem
Ursache-Wirkungs-Prinzip. Darauf kommt es euch an. Am Ende seid ihr beruhigt:
Wir sind doch alle gleich. Die Blinden und die Sehenden. Die Freier und die
Huren. Die Männer und die Frauen. Die Mörder und die
Ermordeten. Die Kranken und die Gesunden. Die Geschlagenen und die Schläger.
Alle ganz menschlich. Sie hasste sich für dieses Talent. Sie bediente sich geschickt
aus den klassischen und modernen Vorlagen in Bellestristik und Fachliteratur.
Sie gab die Klischees in Brüchen wieder, die sie originell wirken ließen,
bisweilen auch ironisch. Letzteres kam besonders gut bei denen an, die sich für
Durchblicker hielten. Kunstfertig. Verlogen. Sie schuf schreibend die Beunruhigung durch
das Andere aus der Welt, indem sie die Welt den Einbildungen über sie gehorchen
ließ. Nichts erscheint euch realer als eure Fiktionen. Wer die Macht hat,
definiert das Geschehen. Das stimmte ja auch. So tröstete sie sich über ihre
Machenschaften hinweg.
Der Bestseller "Die erfundene Frau" hatte sie berühmt und zur Koryphäe gemacht, gleichermaßen als Literarin und
Therapeutin. Selbstverständlich waren Neid und Missgunst nicht ausgeblieben. Man
hatte sie Dilettantin genannt und sie der Scharlatanerie bezichtigt. Dennoch
hatte es ihr diesen begehrten Posten eingebracht. Man hatte sie ausgewählt und
sie wusste auch warum. Sie konnte, was hier gebraucht wurde: Den Schock, das
Unbehagen, die andauernde Fremdheit weg erklären, weg schreiben, weg bilden
durch jene Art Therapie, die
weniger die Patientinnen therapierte als deren Umwelt, die das Ungeheuerliche
handhabbar machte, einnordete in all die bekannten Erzählungen und Traditionen,
was wir über uns zu wissen glauben und über alle anderen und vor allem, dass es
einen Überblick gibt, einen Standpunkt aus, von dem aus die Anderen zu beobachten sind, statt sich einzugestehen, das jede immer schon verbunden ist. So sorgte sie mit ihren Geschichten für jenes Gleichgewicht, das behaglich, aber nicht zu langweilig war, weil es bestätigte, was man zu wissen glaubte. Das nämlich ist die
Kunst (Oder: Was halt die Trottel für Kunst hielten und halten musste, die immer wieder die dämliche Frage wiederholten: Was ist Kunst?).
In ihrer Profession war die zentrale Frage der Dummies dagegen: Was ist der Mensch? Akzeptiert wurden freilich auch hier genau und ausschließlich jene Botschaften, die aus der Schizo-Haltung kamen: Darüber sprechen zu können als sei man kein Mensch. Als könne man sich entscheiden, ins Wasser zu springen, als werde man nicht aus ihm geboren. Und vor allem: Die Lüge von der Gleichheit. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie verachtete nichts mehr als dieses Denken, gerade weil sie an dieser Decke eifrig und erfolgreich mitwob, die alle Wahrheit zudeckte. Sie trat ans Fenster und warf den Kopf in den Nacken. Lachend. Die Befreiung durch das Lachen. „Brüderlichkeit“. Auf diese Weise kam sie heraus. Nur so. Nur mit einem Lachen. Dr L. stützte sich auf die Fensterbank und lehnte die Stirn gegen die kalte Scheibe.
In ihrer Profession war die zentrale Frage der Dummies dagegen: Was ist der Mensch? Akzeptiert wurden freilich auch hier genau und ausschließlich jene Botschaften, die aus der Schizo-Haltung kamen: Darüber sprechen zu können als sei man kein Mensch. Als könne man sich entscheiden, ins Wasser zu springen, als werde man nicht aus ihm geboren. Und vor allem: Die Lüge von der Gleichheit. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie verachtete nichts mehr als dieses Denken, gerade weil sie an dieser Decke eifrig und erfolgreich mitwob, die alle Wahrheit zudeckte. Sie trat ans Fenster und warf den Kopf in den Nacken. Lachend. Die Befreiung durch das Lachen. „Brüderlichkeit“. Auf diese Weise kam sie heraus. Nur so. Nur mit einem Lachen. Dr L. stützte sich auf die Fensterbank und lehnte die Stirn gegen die kalte Scheibe.
Sie dachte an die B. Sie dachte eigentlich immer an die B. „Schwäne können nicht tanzen.“ Wie würde die B. über die
Brüderlichkeit lachen. Wie könnten sich ihre Lachsalven vermischen. Und dann?
Sie presste ihre Lippen heiß gegen das kühle Glas. So könnte sie die B. küssen.
Sich mit ihrem Mund in die schöne Frau hineindrehen. Ihre Zunge in ihr
versenken. Erschrocken zuckte Dr. L. zusammen. Im Spiegel des Fensters sah sie
ihr eigenes verzerrtes Gesicht. Wie sich das Schöne entstellt, wenn es begehrt.
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KRYPTOZOOLOGISCHE ORDNUNGEN (Zum Gesamt -Aufbau des Erzählwerks über die Fabelwesen)
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