Samstag, 23. November 2013

MODERN(D)E REVOLTE (ein Traum) (oder: REIN FIKTIV)

(Den Weg, den wir im Traum zurücklegten, habe ich direkt nach dem Erwachen auf einem Stadtplan mit schwarzen Edding eingetragen. Bestimmte Orte habe ich mit einem dicken roten Kreuz markiert, andere mit einem schwarzen. Du wirst mich verstehen.)

Dicht halte ich mich immerzu hinter deinem breiten Körper verborgen, so dass der modrige Duft aus deinem nass gewordenen Lodenmantel in meine Nase steigt. Niemand nimmt mich wahr, während ich dir auf deinem Weg durch die graue Stadt folge. Du schnaufst unter deinem schweren Mantel, halb bedeckt der grobe Schal dein Kinn, die Schiebermütze hast du tief in die Stirn geschoben. Ich hätte dir ja zu einem anderen Outfit geraten, wenn du mich gefragt hättest. Wie sollen dir die Leute trauen, an deren Türen du klingelst? Im Spion sehen sie einen Mann, der es nicht wagt, den Blick zu heben, wuchtig und keuchend. Ein Deal muss her, ich weiß, du brauchst eine kleine Finanzspritze für die nächste Aktion, eine lächerliche Summe, Peanuts für die. Jetzt hätte ich gerne eine Handvoll Erdnüsse. Davon werden die Finger immer so fettig. Ich schweife ab. Ich kann nicht bei der Sache bleiben. Mit fettigen Fingern kann man keinen Revolver halten und keine Revolution anfangen. Wir müssen heute mal ernst machen. Du fluchst so schön. Ich drücke mich näher an deinen Rücken. Auf diese Weise bleibt das rein fiktiv. Ich weiß, ich weiß: Die anderen wollen auch immer über alles schreiben, was sie aus der Zeitung oder dem Fernsehen kennen. Fluchende Kommissare, millionenschwere Monster, übergewichtige Coachpotatos, spindeldürre anorektische Opfer, Zwangsprostitution, böse Buben, stille Wasser, häusliche Gewalt,  alles Scheiße, der Kapitalismus ist schuld und die Lebensmittelspekulation am meisten, die Kunst ist tot und das Wetter trüb, alle sind geil und gut ist. Dann lassen wir noch ein Raumschiff landen, wegen der Magie, die über den Realismus siegen muss. Hihi. Jetzt muss ich doch kichern. (So was flüstere ich dir also ein. Dazu bin ich dabei.) Leg einfach mal los und hör auf, das Publikum und die Massen zu beschimpfen! Die Stadt ist groß und hat genügend Banken, die wir überfallen könnten. Wir stampfen weiter. Ich bin dir inzwischen unter den Mantel geschlüpft und sehne mich nach deiner feuchten Haut. Es ist nicht leicht, ein Systemgegner und Potentialterrorist zu sein mit einer kichernden Geliebten im Schritt. Verstehe. Verstehe. Befriedige jetzt erst mal mein Verlangen, dann sprengen wir was in die Luft. Wegen der Erdnüsse. Und der ganzen Spekulation. Am liebsten mag ich Erdnussflips, leicht abgestanden, so dass sie schon weich werden. Das Problem mit den fettigen Fingern bleibt. Ob ich trotzdem eine Bombe zünden kann? Jetzt mach mich erst mal fertig, in irgendeinem Hintereingang. Unterwegs in der grauen Stadt mit dir. Deine Flüche. Dein Geruch. Deine lächerliche Wut. Die Dummheit und der starke Mann. Die ganze Nacht. Schmuddelige Regenwasserpfützen, in denen aufgeweichte Lotto-Scheine dümpeln. Wir stampfen und dampfen. Du willst halt unbedingt berühmt werden. Wenn du nur ein anderes Outfit gewählt hättest...

(Wir landen immer wieder in dieser Stadt. Es gibt keine andere für uns, egal wie weit wir durch die Zeit reisen oder wie tief wir die Wälder erwandern. Wir müssen die Orte kennen, an denen wir uns im Traum begegnen, sonst können wir uns nicht glauben. In diesem Traum habe ich dich immer noch geliebt.)

2 Kommentare:

  1. Ui. Stalking? Du erschaffst eine literarische Gestalt und schreibst sie von dir Ausdenkerin ... umschmeichelt? Umworben. Dialog mit dem Animus, dem geschriebenen, dem ausgeschriebenen. Der Ausgesetzte. Der Phantasie seiner Ausdenkerin ausgesetzt. Lässt ihn sich durch ein Dickicht von Klischees schlängeln. Man muss schon eine Menge aushalten können so als literarische Gestalt. Und hat dann noch, wie hier, ein literarisches Du an der Backe, cheek to cheek, das leicht der Avatar deiner Ausdenkerin sein könnte, könn-teee, muss aber nicht. Mich Leser über euch gebeugt, das blasse Schimmern des Bildschirms kaum an meinen Lodenmantel und den Rand der Schiebermütze reichend. Ein Mittäter.
    ;)!

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    1. Im Traum. Es vermischen sich im im Traum das Erlebte, das Mediale und ein Drittes, undefinierbar, das die Mischungsverhältnisse ansetzt. Je mehr Medienschnipsel beigefügt sind, desto klischeehafter. Wie hier. Bücher aus Büchern, Filmen, Zeitungsbeiträgen. Verbalradikalismus. Über Orte schreiben, an denen eine nie war oder Menschen, wie sie eine noch nie getroffen hat, ödet. Die Leserin, die ich bin. Schreiben und träumen ist lügen. Blass. Bleibt es, solange nichts Eigenes eingeht. Der Stadtplan, der hier nicht offenbart wird. Deshalb kann so was auch zu keiner Literatur werden, die mich interessierte. Selbstironische Paradoxe. Ich lese nur Literatur, die verortet ist. Eigenartig das. Eine Treue, die mir heilig scheint. Wer nicht reist, soll über daheim schreiben. Künstlerisch aufgepumpte Schwarzweiß-Filme und scheinkluge Sprüche: Systemkritik und Melancholiewurmfortsatz. Mein Langweile-Nr.1-Programm. Davon ist das abgekupfert.
      Weiß jetzt selbst nicht mehr, wie ich draufkam. Schreib grad nicht, sondern lebe. :-) LG

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