Ein Beitrag von Morel
Ach, die Siebziger Jahre. Als schlechte Laune
noch ein Song von Leonard Cohen war. Gespielt in einer Villa am Meer, dazu
tanzen Frauen in Dauerwellen und androgyne Männer mit langen Haaren den Blues,
also engumschlungen, die Hände am Po. Jetzt brüllt aber jemand, die Buchhaltung
sei noch zu erledigen, das Licht fällt auf ein Gemälde von einem Hahnenkampf,
eine Bar voller Spiegel, im Schlafzimmer des Hotels ist die Tür zur Toilette
offen. Männer, deren Frauen sie herumkommandieren. Frauen, die sich gerne
herumkommandieren lassen würden. Ein junger Marquard Bohm, der so aussieht wie
der junge Mick Jagger, eine Diva, die nur für Geld mit dem Regisseur ins Bett
steigt. Die Spanier werden von den Deutschen herumkommandiert und gedemütigt,
verstehen es aber nicht und verrichten weiter würdevoll ihre Arbeit. Während
die Schauspielertruppe immer nur ihren Gefühlen nachsinnt und sich von den
Ober- und Unterbossen anschreien lässt, ein wenig dazu weinend. Es wird viel
getrunken und viele Gläser werden zertrümmert in Warnung vor einer heiligen Nutte. Purer Pop, weit wegen von
Deutschland. Nur Fassbinder, der teutonische Tyrann in seinem weißen Zuhälter-Anzug,
kann Deutschland nie vergessen.
In einem ziemlich aufschlussreichen Text blätterte
Diedrich Diederichsen vor einigen Jahren die Parallelen und Unterschiede
zwischen Fassbinder und Warhol auf. Die müssen schon ziemlich augenscheinlich
sein, denn sie fielen mir, vor Lektüre des Diederichsen-Aufsatzes, in den
ersten Minuten von Warnung vor einer
heiligen Nutte auf. Und natürlich kannte Fassbinder, wie Diederichsen unter
Berufung auf den Filmkritiker Manny Farber schreibt, auch Warhol nicht. Oder
seine Filme. Aber die Filme der beiden kannten sich anscheinend. Die Filme aus
der Warhol-Factory und die Filme der Fassbinder-Familie waren unterschiedliche
Reaktionen auf den postrevolutionären Frühstückskater. Die große Gemeinschaft
zerfiel in Ausbeutungsverhältnisse und Familienmief. Während Warhol in seiner
Fabrik die kapitalistische Produktionsweise von Hollywood travestierte und
handlungslose Filme mit unbekannten Stars lancierte, missbrauchte Fassbinder
seine oft staatlich subventionierten Produktionsmittel für ein Kino als
Familienaufstellung, das sich (zumindest bis zu seiner Wende zu Douglas Sirk
und der Melodramatik) weigerte, an ein Ende zu kommen.
Fassbinder gilt als schwer, deutsch, ein
Berserker und Workaholic. Doch Warnung
vor einer heiligen Nutte ist überraschend leicht anzuschauen, weil er
nichts voraussetzt, sondern es auf die Beziehungen zwischen körperlich
anwesenden Menschen ankommt. Fast ausschließlich in einer Villa gedreht,
atemraubend von einem experimentierfreudigen Michael Ballhaus. Die Geschichte
ist egal, die Zukunft unsicher, aber um die Gegenwart wird gekämpft. Es beginnt
ja alles erst einmal als Theater, Anti-Theater, in dem alle mitreden sollen und
dann wird gefilmt, wie sich im herrschaftsfreien Abhängen auf der Theaterbühne
plötzlich die Macht einschleicht. Und auf Widerstände stößt. Wie aus Liebe Demütigung
wird.
Warnung
vor einer heiligen Nutte ist Teil eines Genres,
das für das europäische Kunstkino der 60er und 70er Jahre typisch war: der
selbstreflexive Film, der erzählt wie ein Film entsteht. Le Mepris von Jean Luc Godard und La nuit americaine von Francois Truffaut sind Beispiele. Godard
zeigt wie das Geld die Bilder zersetzt, ein melancholischer, bitterer Abgesang
in tragischer Schönheit. Truffaut feiert dagegen das Kino als Utopie – im
Prozess des Drehens kommt zusammen, was im Alltag, aber auch im fertigen
Produkt dann wieder zerfällt. Eine Komödie der verpassten Gelegenheiten. Godard
hat ihn in seiner materialistischen Phase für diesen Idealismus verachtet, auch
wenn seine Klage kaum weniger idealistisch war. Und Fassbinder? Er zeigt den
Moment, in dem die Utopie der Gruppe zerfällt und die Individuen mit ihren
Neurosen wieder auftauchen. Der Film endet mit der Einblendung eines Zitats von
Thomas Mann aus Tonio Kröger: „Ich
sage Ihnen, dass ich es oft sterbensmüde bin, das Menschliche darzustellen,
ohne am Menschlichen teilzuhaben.“
Fassbinder verbindet die Komödie der Hysterie
(der Krankheit aller Schauspielerinnen), nahe am Klischee, mit der Tragödie des
Zerfalls (des Makels aller Machtmänner). Da wir nur den Zusammenstoß sehen und
die Vorgeschichte nicht kennen, kommen Gewalt und hysterische Verzweiflung
immer als Momente des Schocks. Es bereitet uns nichts auf die Ohrfeigen vor,
die der Regisseur der Schauspielerin versetzt. Erst nach und nach verstehen
wir, wer hier wen mit wem betrügt. Eine Entwicklung gibt es nicht: Fassbinder
ist näher an lebenden Bildern als an der Erzählung. Zusammengehalten wird das
alles – die Besäufnisse mit Cuba Libre, die Gewaltausbrüche, die Bettszenen,
der dauernde Aufschub der Dreharbeiten, die Langeweile des Wartens – durch die
Kamera, die durch die Villa streift und das Filmteam immer wieder in Posen
fixiert. Denn beweglich ist hier nur die Kamera, die Menschen erstarren, in dem
was sie tun – so wie zu Beginn des Films ein sich küssendes Paar, das immer
wieder im Hintergrund in derselben Haltung aufgespürt wird. Die Kamera versucht
am Menschlichen teilzuhaben, aber sie zeichnet nur auf, was davon übrig bleibt.
Diese negative Haltung war natürlich ein
Reflex auf die Utopien der 60er, denen Fassbinder aber nicht einfach
abgeschworen hat. Seine Utopie ist die des Scheitern: Er drehte einen Film nach
den andern, nicht weil er ein Workaholic war, sondern um immer wieder zu scheitern.
Im Unabgeschlossenen, auch das typisch für die 70er, zeigte sich die Hoffnung.
Der Versuch der voneinander enttäuschten Liebenden sich gegenseitig zu
vernichten ist die Form, in der er die Liebe zeigt. Düsterer Pop, ein Album von
Scott Walker, das sind diese Fassbinder-Filme der 70er jetzt.
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