Bein
zeigen? Bin ich dafür. Meine Knie
sind ein bisschen knubbelig, nicht so schön spitz und elegant, wie es (m)einem
Schönheitsideal entspricht. Aber die Waden sind ok. Und darauf kommt´s an, wie
Barbara Vinken weiß. Bein zeigen ist vor allem eine Frage des Beinkleides. Denn
es ist das eng bekleidete Bein, das viel erotischer wirkt, als das bloße. Also: Bein zeigen. Mit engen, „endlos langen (tja, ausgeschieden, Frau Barby!),
blickdicht bestrumpften oder behosten Beinen“, so zeigt Barbara Vinken in
„Angezogen. Das Geheimnis der Mode“, greift die zeitgenössische Damenmode auf
Muster der Herrenmode vor 1789 zurück, als noch die Männer „das schöne
Geschlecht waren“ und das Spiel ihrer Wadenmuskeln in bunten, engen Strümpfen
der geneigten Betrachterin vorführten. Seither indes, so weist Vinken nach,
sind die Männer auf eine normierte Silhouette festgelegt, die nur noch
geringfügige Variationen erlaubt. Rien ne va plus: Der Mann der Moderne zeigt
weder Bein noch Glied. Keine Schleifen, keine Polster, keine „knallig
aufgestylte Lustbeule“ mehr. Alles glattgebügelt.
Die
weibliche Silhouette dagegen kann das: Sich unentwegt transformieren. Während
die Herrenmode seit 200 Jahren im Wesentlichen ein und demselben Muster folgt,
verfügt die Damenmode über einen „unendlichen Zitatenfundus“. Während der moderne Mann (seit etwa 1800) festgelegt
ist auf eine „klassische“ Zeit- und Farblosigkeit, kann die weibliche Mode aus
dem Vollen schöpfen. Der bekleidete Mann, stellt Vinken fest, ist „modern“, die
bekleidete Frau dagegen „anachronistisch“, denn ihr Auftreten erinnert immer
und gerade weil und wenn es „modisch“ ist, an vorbürgerliche, an vormoderne
Zeiten. Die Revivals jagen sich in der Damenmode. Sie ist körperbetont oder
kokett verhüllend, sie drückt Individualität aus oder Nutzlosigkeit. Rüschen,
Spitzen, Schleier, Farben, Formen, Stoffe: Frauenmode ist vielseitig und
beliebig. Der moderne Mann dagegen bedeckt seinen Körper vollständig (bloß
nicht die Haut zwischen Socken und Hosensaum aufblitzen lassen). Nur Gesicht
und Hände bleiben frei. Denn der moderne Mann ist Geist und Werk. Männliche
Kleidung uniformiert die Leistungsträger und schmilzt den arbeitenden Mann in
den „Kollektivkörper“ ein. Dazu gehören: kurzer Haarschnitt und glattrasiertes
Gesicht. (Heißt auch: Männer können schon mit geringfügigen Abweichungen im Berufsleben
„Zeichen“ setzen: kleiner Brilli im Ohr, bisschen Gel in die Haare). Ein Mann, der stärker vom Modell
abweicht, etwa einen farbigen, gemusterten Sakko trägt, enge bunte Beinkleider oder Strümpfe erregt Aufsehen, ist ein Hingucker. Aber kein
Vorstandsvorsitzender. Oder Schalterangestellter.
Die
Frauenmode dagen widersetzt sich dieser Uniformierung des modernen bürgerlichen
Menschen. „Kollektiv zeigen die Frauen ganz individuell das ihnen eigene
individuelle Allgemeine: dass sie nicht wie die Männer Teil eines Kollektivs
und keinesfalls Teil der uniformierten, arbeitenden Bevölkerung sind.“ Die
zeitgenössische Frau, die trotzdem berufstätig ist und sein will, so erläutert
Vinken, eignet sich hierzu männliche Elemente aus allen Epochen und Schichten
der Mode an: bürgerlich, adelig, Arbeiter. Sie spielt mit diesen und verleiht
ihnen einen ausgeprägten „körperlichen Touch“: die Marlene-Hose,
der Overall, Jeans. Die modische Frau der Moderne ist damit geistlos und gefährlich zu
gleich. Sie ist präokkupiert mit Tand und Geschmäcklerei, statt sich der puren
Vernunft oder dem reinen Zweck zu verschreiben und gleichzeitig stellt sie den
Einbruch oder vielmehr die Unbesiegbarkeit der Unvernunft, der Tändelei und des
Unfugs in die geordnete Bürgerwelt an ihrem Körper aus. Sie tut das, so
erläutert Vinken, gerade auch eingekleidet in jene Modeerscheinungen, die sich
oberflächlich am männlichen Modell orientieren. „Während der Mann seine
spezifische Geschlechtlichkeit in der Moderne im Menschlichen aufheben kann und
muss, um zivil zu werden, heißt Frau sein in der Moderne einen ...Körper...zu
inszenieren.“
Vehement
richtet sich Barbara Vinken in der Geschichte der Mode der Moderne, die sie
erzählt, gegen die Mär vom „Unisex“ in der zeitgenössischen Mode: „Am Grunde
der schlicht unhaltbaren These vom Unisex scheint mir eine Verleugnung der
sogenannten ´erotischen Probleme´ der Kleidung zu liegen. Und des
Anachronismus, der die Mode zum Anderen der Moderne macht. Die These vom Unisex
verkennt das Phänomen der Mode. Sie leugnet, worum es in der Mode geht.“ Vinken
erzählt daher eine geschlechterdifferenzierte Geschichte der Mode. Dabei
besticht ihr Buch gleichermaßen durch Interesse für modische Phänomene und die daraus abgeleiteten
Detailkenntnisse wie durch die Fähigkeit, diese Phänomene in historischen und
gesellschaftlichen Zusammenhängen zu erklären. Der männliche Körper, so Vinken,
wird in der Moderne seiner Konkretheit beraubt, weil er nicht mehr als Ausweis
einer höheren Ordnung begriffen und somit transzendiert werden könne. Jetzt
muss der Männerkörper stattdessen sublimiert werden, aufgehoben werden im
Kollektivkörper. Aus dem Mann wird ein Bild von Männlichkeit. Die Männermode
der Moderne, schreibt Vinken, will sich selbst unsichtbar machen, sie
garantiert „überpersönliche Kontinuität“ der Amts- und Würdenträger, der
Erwerbs- und Tätigen. Der dunkle,
gedeckte Anzug kombiniert zum hellen Hemd ist seit einem Jahrhundert Standard.
Er repräsentiert nicht Individualität, sondern Macht und Autorität und
verkörpert die bürgerlichen Tugenden: Selbstbeherrschung, Bescheidenheit,
Enthaltsamkeit. „Nicht schön, sondern richtig, korrekt, passend und seiner
Funktion gemäß“, darauf kommt es für den Mann der Moderne an.
Die
Frauenmode dagegen geht derweil radikal andere Wege. Frauen werden aus jener
republikanischen Öffentlichkeit, die der Anzugträger prägt, ausgeschlossen. Die
Zurschaustellung, die dem Adel zum Vorwurf gemacht wurde, wird nach der
Revolution zu Privileg oder Bürde (je nach Blickwinkel) der bürgerlichen Frau:
„Während der Männerkörper in der Mode der Moderne seine Geschlechtlichkeit
unmarkiert lässt, geht es in der weiblichen Mode ausschließlich um die
Markierung von Geschlechtlichkeit.“ Zugleich scheint es aber den Modernen um
eine Überwindung all dessen, was seit 1800 als Weiblich-Weibisch begriffen wird,
zu gehen. Daher, so meint Vinken, werde die Übertragung des Männlichen in die
weibliche Mode zu einem Prinzip der modernen Mode. Es gehe dabei allerdings
eben nicht um Unisex, sondern um Crossdressing. Vinken zeigt diese Übertragung
eindrücklich am Beispiel Coco Chanels. Frauen gewinnen durch das Crossdressing
Beinfreiheit, können Radfahren und Rennen, Tennisspielen und Skifahren. Vinken
aber kritisiert dieses Narrativ der Mode der Moderne. Sie hält es schlicht für
falsch. Vielmehr lasse sich zeigen, dass es immer wieder zu „Rückschlägen“
gekommen sei, also das „Weibliche“, das Unnütze, Verzierte, Unpraktische sich
zurück in die Mode gedrängt habe.
Wesentlicher aber sei: „dass die scheinbar pragmatische ´Befreiung´
einer bisher unerreichten Erotisierung des weiblichen und nur des weiblichen
Körpers diente....So bleibt die weibliche Mode gerade im Übernehmen der
männlichen Mode der Moderne das, was eben diese Mode hinter sich ließ:
ostentativ.“ Die Geschichte der weiblichen Mode erzähle daher weniger davon,
wie die Frau die „Erfolggeschichte der Subjektwerdung“ nach männlichem Muster
nachvollziehen, sondern vielmehr vom „Objektwerden des Weiblichen“. Frausein werde zum Spektakel. „In
dieser Perspektive bekräftigt Mode hemmungslos die sinnliche Erscheinung, der
jedes transzendente, ideale Element fehlt.“ Das heißt auch: Weiblichkeit wird
zur Ware.
Aber
Vinkens Ansatz ist es, „die Geschichte etwas anders (zu) erzählen“, nämlich die
weibliche Mode als eine Inszenierung des Verhältnisses von Körper und Zeit zu
begreifen. Aus dieser Perspektive hält die weibliche Mode den Körper „im
Spiel“, inszeniert an ihm die Spannung zwischen zeitloser Schönheit und
Vergänglichkeit. Die weibliche Mode wird zum Stachel im Fleisch der sich als
körperlos vorstellenden republikanischen Ideologie, die jedes Begehren leugnet.
Während männliche Mode in diesem Raum Klassenmode bleibt („blue collar“ gegen
„white collar“) wird Frauenmode prinzipiell klassenlos. Stattdessen wird im 19.
Jahrhundert in der Frauenmode die sexualmoralische Differenz zwischen „Dame“
und „Hure“ aufgemacht. Einen kennntisreichen Durchgang durch die Epochen seit
1800 beschließt Barbara Vinken mit dem amerikanischen Präsidentenehepaar
unserer Tage: „er funktional in ins Kollektiv zurückgenommener, uniformer
Männlichkeit klassisch a-modisch modern, sie individuell spektakulär modisch.“
Unisex
sei deshalb, schreibt Vinken, „vielleicht eine Wunschvorstellung oder ein Horrorszenario, aber sicher eines nicht: Realität.“ Aber: Die Zeiten ändern
sich, wie niemand besser weiß als die Modeexpertin. Vielleicht bringen die
Männer ihren Körper gerade zurück ins Spiel. „Mehr Bein zeigen,Männer“, möchte
ich ihnen zurufen. Denn wie Barbara Vinken glaube ich: „Unsere politische
Ordnung wäre anders verfasst, Frauen und Männer würden sich anders ins Verhältnis
setzen“, wenn der modebewusste Mann vom randständigen Dandytum zum Mainstream
würde. Männer wären nicht länger geschlechtlich unmarkiert, Frauen nicht mehr
Waren. Die Differenzen wären nicht nur sichtbar, sondern Gegenstände der
Inszenierungen, der Übertragungen und des Crossdressings in beide Richtungen.
Schluss also mit der männlichen Entsagung! Wir wollen schöne Männer sehen!
Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode, Kindle-Ediition € 15,99
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