Der
Körper einer Frau, die schwanger ist, ändert sich radikal. Sie wird zwei und
sie nimmt die Doppelung wahr: Was sie ist, wird zur Hülle für ein neues,
wachsendes Lebewesen, das zugleich immer noch sie ist, an ihrem Blutkreislauf
hängt, von ihr ernährt wird. Das kann als schön empfunden werden oder als
beunruhigend. In jedem Fall ist es neu. Die Frau muss diesen neuen und anderen
Körper, der sie ist, kennenlernen. Viele Frauen erleben ihre Schwangerschaft
als wunderbare Erfahrung. Für andere ist es ein Schock. Manche können ihr
gewohntes Alltagsleben bis kurz vor der Geburt fortführen, andere müssen sich
auf völlig neue Abläufe und Gewohnheiten einstellen. Viele Faktoren können eine
Rolle dabei spielen, wie eine Schwangerschaft verläuft und wie sie empfunden
wird: genetische Voraussetzungen, Vorerkrankungen, das soziale und berufliche
Umfeld, die psychische Verfassung. Die Frau kann aus der Schwangerschaft neues
Selbstbewusstsein entwickeln oder völlig das Vertrauen in sich und ihren Körper
verlieren.
Mir
passierte während meiner ersten Schwangerschaft das letztere. Die Freude über
diese Schwangerschaft war groß, denn wir hatten uns ein Kind sehr gewünscht.
Vielleicht trug diese Nervosität dazu bei, dass die Schwangerschaft von Anfang
an schwierig war. Ausschlaggebender war wahrscheinlich eine körperliche,
genetisch bedingte Disposition, eine Schwäche des Bindegewebes, die dazu
führte, dass der Muttermund sich früh, viel zu früh, öffnete. Nach einer
Untersuchung bei der Frauenärztin wurde ich direkt aus ihrem Sprechzimmer ins
Krankenhaus transportiert. Wochen folgten, in denen ich verängstigt, panisch,
manchmal auch fast parallelisiert jeden Tag hoffte, dass das Kind nicht kommen
würde. Ich erhielt Infusionen mit Wehenhemmern, musste durchgängig liegen und dagegen
wiederum ein Mittel gegen Thrombose nehmen. An meinem Bett brüllten sich
Assistenzärzte und Chefarzt deswegen an, weil offenbar das verabreichte
Thrombosemittel das Kind schädigen konnte. Mit mir sprachen sie nicht,
erklärten nichts, fragen nach nichts. Manchmal musste ich mit Valium still
gestellt werden, so sehr raste wegen des Wehenhemmers mein Herz. Niemals in all
diesen Wochen verspürte ich eine Wehe. Doch das Wehenmessgerät, das zweimal
täglich um meinen Bauch gelegt wurde, schlug jeden Tag zuverlässig aus,
manchmal heftiger, manchmal weniger heftig. Ich lernte, meiner eigenen
Wahrnehmung nicht mehr zu trauen. Ganz offensichtlich bekam ich gar nichts mit
von dem, was in meinem Körper vorging, war die Botschaft, die ich von
Pflegepersonal und Ärzteschaft empfing. Als die Fruchtblase platzte, begannen –
immer noch viel zu früh – jene heftigen Wehen, die ich zum ersten Mal spürte.
Ich versuchte den Ärzten zu sagen, dass nach meinem Empfinden die Geburt
unmittelbar bevorstand. Niemand hörte mir zu. Als schließlich jemand den Muttermund überprüfte, nachdem ich einen
hysterischen Anfall produzierte hatte, stellte sich heraus, dass der Kopf des
Kindes schon im Geburtskanal feststeckte. Hektik breitete sich aus, die
Herztöne des Kindes blieben aus, zuletzt musste mit es mit einer Zange geholt
werden. Dabei kam es zu einem tiefen Dammriss.
Das
zu früh geborene Kind kam im Erdgeschoss auf die Frühchenstation; ich wurde
zurück in den 12. Stock gebracht. Der Blutverlust war groß und wegen des Risses
konnte ich nicht laufen. Mein Kind sah ich den ersten Tagen nur, wenn jemand
mich im Rollstuhl vom 12. Stock ins Erdgeschoss bringen konnte. Stillen, hieß
es, sei unter diesen Umständen kaum möglich. Man ließ mich aber abpumpen. Mein
Kind hat diese Milch, wie ich später erfuhr, nie bekommen. Die Ärzte sahen sich
einmal täglich mit besorgter Miene meinen Riss an; meine Mutter versuchte als
Einzige, sie zu einer Stellungnahme zu bewegen, denn ihr war sofort klar, was
eine mangelhafte Heilung für mich bedeuten könnte: lebenslange Probleme beim
Urinlassen und beim Stuhlgang. Man müsse abwarten, sagte man ihr. Sonst könne
man nichts tun. Später solle ich dann Beckenbodengymnastik machen. Wie das
gehe, erklärte mir eine Schwester (als ich es noch gar nicht durchführen
durfte) etwa 3 Minuten lang.
Eine
junge Frau im Nachbarbett, die zum dritten Mal entband, hörte sich das kopfschüttelnd
an. Als die Krankenschwester das Zimmer verließ, sagte sie mir: „Sobald du hier
aus bist, rufst du eine Hebamme an. Du brauchst Hilfe. Vielleicht klappt es
sogar noch mit dem Stillen.“ Sie schrieb mir die Nummer auf. Zu jenem Zeitpunkt
war ich völlig zerschlagen. Ich fühlte mich falsch, schuldig, unfähig. Die
monatelangen Wehen hatte ich nicht gespürt und als ich Wehen gefühlt hatte,
hatte mir niemand geglaubt, mein Kind hatte während der Geburt einen
Sauerstoffmangel erlitten, war zu früh gekommen und durfte jetzt nicht mal bei
mir sein, ich war unfähig zu stillen. Eine Schwangerschaftsdepression
kündigte sich an.
Als
wir aus der Klinik entlassen wurden, hatte ich große Angst, dass eine so
inkompetente und gefühllose Person wie ich als Mutter vollständig versagen
würde. Dann kam die Hebamme. Zum ersten Mal seit Monaten wurden mir Fragen
gestellt: Lag mir daran zu stillen? Hatte ich Angst? Wollte ich das Kind im
Bett bei mir schlafen lassen oder nicht? Wie fühlte ich mich „unten rum“? Hatte
ich mir den Riss schon einmal angeschaut? Die Hebamme schenkte mir Zuversicht.
Ich hatte geglaubt, dass mein Wunsch das Kind zu stillen, nicht mehr erfüllbar
sei. Sie meinte: „Lass es uns probieren.“ Ich hatte zu meiner Verletzung eine
fatalistische Haltung eingenommen. Sie sagte: „Die Wunde ist nass. Und so kann
sie nicht heilen. Du musst sie möglichst viel an der Luft lassen, ohne
Unterwäsche, ohne Binde. Du kannst
auch einen Fön benutzen, um sie zu trocknen.“ Es war unglaublich, wie schnell
das half. Mein Sohn, der in der Klinik so zierlich gewirkt hatte, entwickelte
sich zu einem gierigen Trinker, dem es leicht gelang, die Milchproduktion
wieder anzuregen. Mit Hilfe der Hebamme richtete ich mir mein neues Leben als
Mutter ein, lernte wieder, meinen eigenen Empfindungen zu trauen und meinen
neuen Körper mit seinen neuen Rundungen zu schätzen. Beckenbodengymnastik
machte ich unter Anleitung der Hebamme regelmäßig, bis ich selbst wusste,
worauf zu achten war und wie ich das regelmäßige Training in meinen Alltag
integrieren konnte. Die Hebamme maß uns, das Kind und mich, nie an einer Norm,
die wir erfüllen sollten, sondern beobachtete unsere Entwicklung und
unterstützte uns dabei. Zum Beispiel stellte sie gleich am ersten Tag die
Handschuhe und das Desinfektionsmittel beiseite, die ich im Krankenhaus stets
benutzen sollte, wenn ich meinen Sohn anfasste. Und sie riet davon ab, das Kind
täglich zweimal zu wiegen und zuzufüttern, wenn die Waage nicht regelmäßige
Gewichtszunahmen anzeigte. Sie lehrte mich, meinen eigenen Beobachtungen zu
vertrauen und eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, in der ich mich sicher
fühlte und Sicherheit geben konnte.
Neun
Monate später war ich erneut schwanger. Und panisch. Denn ich fürchte bei
meiner Veranlagung wieder monatelang in der Klinik liegen zu müssen. Wieder
enteignet zu werden von meinem Körper, meinen Empfindungen, meinen
Selbstbewusstsein. Ich rief die Hebamme an. Gemeinsam mit ihr und meiner
Frauenärztin besprach ich das Risiko, zu Hause zu bleiben. Liegen musste ich.
Regelmäßige Untersuchungen waren notwendig. Es wurde vereinbart, dass die
Hebamme zweimal wöchentlich kommen sollte, zur Not auch öfter, wenn es
erforderlich sei. Mit ihrer Hilfe konnte ich mit meiner Angst umgehen, das
zweite Kind zu verlieren oder viel zu früh zu gebären. Ich brauchte keine
Wehenhemmer, kein Valium, keine Mittel gegen Thrombose. Gymnastik im Liegen,
Ruhe, regelmäßige Gespräche mit der Hebamme und das Gefühl, gut betreut zu
werden, sorgten dafür, dass mein zweites Kind, obwohl sich auch in dieser
Schwangerschaft der Muttermund früh öffnete, erst nach neun Monaten geboren
wurde. Ich entschied mich nach Rücksprache mit meiner Hebamme erneut wegen des bestehenden Risikos für eine Geburt im Krankenhaus, allerdings in einem anderen als dem ersten, das ich traumatisiert verlassen hatte. Unter anderen Umständen hätte ich eine Geburt zu Hause bevorzugt. Sechs Stunden nach der Geburt verließ ich mit meinem zweiten Kind die Klinik. Zu Hause
wartete die Hebamme auf uns.
Ohne
sie, ohne ihre Unterstützung, ihr Eingehen auf meine Wahrnehmungen und
Empfindungen, ihre praktischen Tipps und ihr beherztes Handeln hätte mein
Körper sich nicht regenerieren können, hätte ich meine Kinder nicht gestillt,
wäre ich heute vielleicht gezwungen Windeln zu tragen, wäre ich vielleicht in
eine Schwangerschaftsdepression verfallen, wäre die zweite Geburt kaum so
harmonisch verlaufen. Ich verdanke dieser freischaffenden Hebamme so viel!
Die
wertvolle Arbeit freischaffender Hebammen ist noch nie angemessen bezahlt
worden. Jetzt ist der Berufsstand in Deutschland in seiner Existenz gefährdet. Denn
Hebammen erhalten von den Versicherungen keine Haftpflichtversicherungen mehr.
Nachdem die Prämien in den letzten Jahren exorbitant gestiegen sind, wird es ab
2015 nach derzeitigem Stand gar keine Versicherung mehr geben, die eine
Haftpflichtversicherung für Hebammen anbietet. Ohne Haftpflicht aber auch keine freischaffenden Hebammen mehr, die Geburtshilfe leisten. Die Versicherungsprämien
sind nicht etwa deshalb so gestiegen, weil Hebammen in den letzten Jahren
mehr Fehler machen, sondern wegen des eigentlich sehr erfreulichen medizinischen Fortschritts, durch den behinderte
Kinder länger leben. Die Gesellschaft ist deshalb gefordert, eine Regelung für Hebammen
zu finden, die das Fortbestehen des Berufsstandes ermöglicht. Bezeichnend ist
allerdings, dass dieses Thema es nur in die Randspalten der „Qualitätspresse“
schafft und auch im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat. Es geht darum,
welche Unterstützung Frauen während der Schwangerschaft und bei der Geburt
erhalten, wie sie und ihr Kind nach der Geburt versorgt und betreut werden, um
die Erhaltung der psychischen und physischen Gesundheit von Müttern und Kindern und
damit – wenn es denn auch um eine ökonomische Perspektive gehen soll – um
die Vermeidung von Folgekosten durch Versäumnisse in der Vor- und Nachsorge. Wenig, denke ich, kann mehr "Relevanz" für sich beanspruchen.
Die
Verhältnisse in der Klinik, in der ich mein erstes Kind gebar, sind – so hoffe
ich – heutzutage nicht mehr typisch. Die Station war geprägt durch das
Wertesystem eines autoritären Chefarztes, dem hierarchische Strukturen,
Demütigung der Assitenzärzte und des Pflegepersonals zur Sicherung seiner
persönlichen Macht offenbar deutlich mehr am Herzen lagen als die werdenden
Mütter, mit denen er selten bis nie direkt sprach. Vor- und Nachsorge wurden
möglichst schnell „abgehandelt“; die Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen
spielten keine Rolle. Der Mann ist inzwischen sicher im Ruhestand. Anderswo
wird mit Sicherheit anders gearbeitet. Dennoch kann die Arbeit der
freiberuflichen Hebammen nicht durch Kliniken und Frauenärztinnen ersetzt
werden. Denn jede werdende Mutter erlebt ihre Schwangerschaft anders, ist
anderen Umständen ausgesetzt, hat mit anderen Problemen im häuslichen Umfeld zu
kämpfen. Dort, zu Hause, wachsen Mutter und Kind (und eventuell der Kindsvater)
zusammen, lernen miteinander umzugehen und das neue Leben als Familie zu
gestalten. Dort brauchen sie Unterstützung, jemanden der auf die ganz
speziellen Bedingungen eingeht, Fragen stellt und seine Interventionen auf die
individuellen Bedürfnisse abstimmt. Hebammen. Sie werden gebraucht!
Deshalb
müssen wir den Druck auf Politikerinnen und Politiker erhöhen, das Thema in der
öffentlichen Diskussion halten, um die Existenz des Hebammenberufes in
Deutschland dauerhaft zu sichern.
http://www.hebammenverband.de
https://www.change.org/de/Petitionen/lieber-herr-gröhe-retten-sie-unsere-hebammen
Danke!
AntwortenLöschenIch habe Tränen in den Augen. Vielen Dank für diesen Text!
AntwortenLöschenToller Bericht!
AntwortenLöschenDeswegen lieben wir unsere Hebammen!
Vielen Dank für das Teilen Deiner/eurer Erfahrungen. Das hat mich tief berührt!
AntwortenLöschenViele Grüße
wow, vielen Dank für ein Öffnen und beschreiben deiner Ängste und Sorgen. Wenn du Lust hast, kannst du ja auch mal auf meinem Blog vorbei schauen, habe die letzten Tage das Thema auch aufgegriffen, jedoch nicht ganz so ausführlich wie du ;-)
AntwortenLöschendas Thema liegt mir auch schon sehr lange am Herzen, daher freue ich mich, über jede Frau (und vielleicht auch emal einen Mann) der die Arbeit der Hebammn in die Öffetnlichkeit bringt und die Relevanz dieses Berufsstandes auch den Menschen aufzeigt, die vielleicht noch nie Kontakt zu einer Hebamme hatten.
Viele Grüße!
DANKE!!!! für den Text! <3
AntwortenLöschenMir steht noch dieses Jahr die Wöchnerinnenstation bevor. Ach, ich würde es mir gerne schenken, Mel. Mir reicht schon die Erinnerung an eine Mutter, die sich, nur wenige Stunden nach der Geburt, kaum auf den Beinen halten könnend, allein von Klinik zu Klinik bis zur Frühchen- und Neugeborenenstation, auf der ich zu der Zeit arbeitete, durchgeschlagen hat. Grausam. Und dafür wurde sie noch schief angeschaut. Völlig traumatisiert. Kinderzimmer gibt es heute (Gott sei Dank!) nicht mehr aber viele Schwestern verhalten sich noch immer so. Zum kotzen ist das! Aber ich will mich nicht schon wieder in Rage schreiben. Und obwohl ich in all dem mittlerweile selbst ausgebildet bin, werde ich mir gut überlegen welchen Weg ich wähle. Ja, die Hebammen machen einen guten und wichtigen Job.
AntwortenLöschenNachtrag: Kinderzimmer gibt es noch. Aber nicht mehr die, in denen ausschließlich die Schwestern das Kind versorgen.
AntwortenLöschenAuf eine Frühgeburt ist keine Frau vorbereitet. Es bleibt einfach etwas offen, ist nicht vollendet. Schon die frühzeitigen Wehen haben der Frau einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn dann noch eine unüberwindbare räumliche Trennung dazu kommt, denke ich, das kommt einer Ohnmacht gleich. Weil alles, was das Kind betrifft, ohne daran in irgendeiner Weise teilnehmen zu können oder zumindest Einblick zu haben, von Fremden übernommen wird. Das muss heftig sein, vor allem dann, wenn man zuvor schon so einen Kampf führen musste, um andere zum Handeln zu bewegen. Ich weiß das, wenn auch nicht aus selbiger Perspektive. Vielleicht schreibe ich mich doch noch in Rage.
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