Samstag, 15. Februar 2014

Wir brauchen HEBAMMEN!

Der Körper einer Frau, die schwanger ist, ändert sich radikal. Sie wird zwei und sie nimmt die Doppelung wahr: Was sie ist, wird zur Hülle für ein neues, wachsendes Lebewesen, das zugleich immer noch sie ist, an ihrem Blutkreislauf hängt, von ihr ernährt wird. Das kann als schön empfunden werden oder als beunruhigend. In jedem Fall ist es neu. Die Frau muss diesen neuen und anderen Körper, der sie ist, kennenlernen. Viele Frauen erleben ihre Schwangerschaft als wunderbare Erfahrung. Für andere ist es ein Schock. Manche können ihr gewohntes Alltagsleben bis kurz vor der Geburt fortführen, andere müssen sich auf völlig neue Abläufe und Gewohnheiten einstellen. Viele Faktoren können eine Rolle dabei spielen, wie eine Schwangerschaft verläuft und wie sie empfunden wird: genetische Voraussetzungen, Vorerkrankungen, das soziale und berufliche Umfeld, die psychische Verfassung. Die Frau kann aus der Schwangerschaft neues Selbstbewusstsein entwickeln oder völlig das Vertrauen in sich und ihren Körper verlieren.

Mir passierte während meiner ersten Schwangerschaft das letztere. Die Freude über diese Schwangerschaft war groß, denn wir hatten uns ein Kind sehr gewünscht. Vielleicht trug diese Nervosität dazu bei, dass die Schwangerschaft von Anfang an schwierig war. Ausschlaggebender war wahrscheinlich eine körperliche, genetisch bedingte Disposition, eine Schwäche des Bindegewebes, die dazu führte, dass der Muttermund sich früh, viel zu früh, öffnete. Nach einer Untersuchung bei der Frauenärztin wurde ich direkt aus ihrem Sprechzimmer ins Krankenhaus transportiert. Wochen folgten, in denen ich verängstigt, panisch, manchmal auch fast parallelisiert jeden Tag hoffte, dass das Kind nicht kommen würde. Ich erhielt Infusionen mit Wehenhemmern, musste durchgängig liegen und dagegen wiederum ein Mittel gegen Thrombose nehmen. An meinem Bett brüllten sich Assistenzärzte und Chefarzt deswegen an, weil offenbar das verabreichte Thrombosemittel das Kind schädigen konnte. Mit mir sprachen sie nicht, erklärten nichts, fragen nach nichts. Manchmal musste ich mit Valium still gestellt werden, so sehr raste wegen des Wehenhemmers mein Herz. Niemals in all diesen Wochen verspürte ich eine Wehe. Doch das Wehenmessgerät, das zweimal täglich um meinen Bauch gelegt wurde, schlug jeden Tag zuverlässig aus, manchmal heftiger, manchmal weniger heftig. Ich lernte, meiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr zu trauen. Ganz offensichtlich bekam ich gar nichts mit von dem, was in meinem Körper vorging, war die Botschaft, die ich von Pflegepersonal und Ärzteschaft empfing. Als die Fruchtblase platzte, begannen – immer noch viel zu früh – jene heftigen Wehen, die ich zum ersten Mal spürte. Ich versuchte den Ärzten zu sagen, dass nach meinem Empfinden die Geburt unmittelbar bevorstand. Niemand hörte mir zu. Als schließlich jemand den Muttermund überprüfte, nachdem ich einen hysterischen Anfall produzierte hatte, stellte sich heraus, dass der Kopf des Kindes schon im Geburtskanal feststeckte. Hektik breitete sich aus, die Herztöne des Kindes blieben aus, zuletzt musste mit es mit einer Zange geholt werden. Dabei kam es zu einem tiefen Dammriss.

Das zu früh geborene Kind kam im Erdgeschoss auf die Frühchenstation; ich wurde zurück in den 12. Stock gebracht. Der Blutverlust war groß und wegen des Risses konnte ich nicht laufen. Mein Kind sah ich den ersten Tagen nur, wenn jemand mich im Rollstuhl vom 12. Stock ins Erdgeschoss bringen konnte. Stillen, hieß es, sei unter diesen Umständen kaum möglich. Man ließ mich aber abpumpen. Mein Kind hat diese Milch, wie ich später erfuhr, nie bekommen. Die Ärzte sahen sich einmal täglich mit besorgter Miene meinen Riss an; meine Mutter versuchte als Einzige, sie zu einer Stellungnahme zu bewegen, denn ihr war sofort klar, was eine mangelhafte Heilung für mich bedeuten könnte: lebenslange Probleme beim Urinlassen und beim Stuhlgang. Man müsse abwarten, sagte man ihr. Sonst könne man nichts tun. Später solle ich dann Beckenbodengymnastik machen. Wie das gehe, erklärte mir eine Schwester (als ich es noch gar nicht durchführen durfte) etwa 3 Minuten lang.

Eine junge Frau im Nachbarbett, die zum dritten Mal entband, hörte sich das kopfschüttelnd an. Als die Krankenschwester das Zimmer verließ, sagte sie mir: „Sobald du hier aus bist, rufst du eine Hebamme an. Du brauchst Hilfe. Vielleicht klappt es sogar noch mit dem Stillen.“ Sie schrieb mir die Nummer auf. Zu jenem Zeitpunkt war ich völlig zerschlagen. Ich fühlte mich falsch, schuldig, unfähig. Die monatelangen Wehen hatte ich nicht gespürt und als ich Wehen gefühlt hatte, hatte mir niemand geglaubt, mein Kind hatte während der Geburt einen Sauerstoffmangel erlitten, war zu früh gekommen und durfte jetzt nicht mal bei mir sein, ich war unfähig zu stillen. Eine Schwangerschaftsdepression kündigte sich an.

Als wir aus der Klinik entlassen wurden, hatte ich große Angst, dass eine so inkompetente und gefühllose Person wie ich als Mutter vollständig versagen würde. Dann kam die Hebamme. Zum ersten Mal seit Monaten wurden mir Fragen gestellt: Lag mir daran zu stillen? Hatte ich Angst? Wollte ich das Kind im Bett bei mir schlafen lassen oder nicht? Wie fühlte ich mich „unten rum“? Hatte ich mir den Riss schon einmal angeschaut? Die Hebamme schenkte mir Zuversicht. Ich hatte geglaubt, dass mein Wunsch das Kind zu stillen, nicht mehr erfüllbar sei. Sie meinte: „Lass es uns probieren.“ Ich hatte zu meiner Verletzung eine fatalistische Haltung eingenommen. Sie sagte: „Die Wunde ist nass. Und so kann sie nicht heilen. Du musst sie möglichst viel an der Luft lassen, ohne Unterwäsche, ohne  Binde. Du kannst auch einen Fön benutzen, um sie zu trocknen.“ Es war unglaublich, wie schnell das half. Mein Sohn, der in der Klinik so zierlich gewirkt hatte, entwickelte sich zu einem gierigen Trinker, dem es leicht gelang, die Milchproduktion wieder anzuregen. Mit Hilfe der Hebamme richtete ich mir mein neues Leben als Mutter ein, lernte wieder, meinen eigenen Empfindungen zu trauen und meinen neuen Körper mit seinen neuen Rundungen zu schätzen. Beckenbodengymnastik machte ich unter Anleitung der Hebamme regelmäßig, bis ich selbst wusste, worauf zu achten war und wie ich das regelmäßige Training in meinen Alltag integrieren konnte. Die Hebamme maß uns, das Kind und mich, nie an einer Norm, die wir erfüllen sollten, sondern beobachtete unsere Entwicklung und unterstützte uns dabei. Zum Beispiel stellte sie gleich am ersten Tag die Handschuhe und das Desinfektionsmittel beiseite, die ich im Krankenhaus stets benutzen sollte, wenn ich meinen Sohn anfasste. Und sie riet davon ab, das Kind täglich zweimal zu wiegen und zuzufüttern, wenn die Waage nicht regelmäßige Gewichtszunahmen anzeigte. Sie lehrte mich, meinen eigenen Beobachtungen zu vertrauen und eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, in der ich mich sicher fühlte und Sicherheit geben konnte.

Neun Monate später war ich erneut schwanger. Und panisch. Denn ich fürchte bei meiner Veranlagung wieder monatelang in der Klinik liegen zu müssen. Wieder enteignet zu werden von meinem Körper, meinen Empfindungen, meinen Selbstbewusstsein. Ich rief die Hebamme an. Gemeinsam mit ihr und meiner Frauenärztin besprach ich das Risiko, zu Hause zu bleiben. Liegen musste ich. Regelmäßige Untersuchungen waren notwendig. Es wurde vereinbart, dass die Hebamme zweimal wöchentlich kommen sollte, zur Not auch öfter, wenn es erforderlich sei. Mit ihrer Hilfe konnte ich mit meiner Angst umgehen, das zweite Kind zu verlieren oder viel zu früh zu gebären. Ich brauchte keine Wehenhemmer, kein Valium, keine Mittel gegen Thrombose. Gymnastik im Liegen, Ruhe, regelmäßige Gespräche mit der Hebamme und das Gefühl, gut betreut zu werden, sorgten dafür, dass mein zweites Kind, obwohl sich auch in dieser Schwangerschaft der Muttermund früh öffnete, erst nach neun Monaten geboren wurde. Ich entschied mich nach Rücksprache mit meiner Hebamme erneut wegen des bestehenden Risikos für eine Geburt im Krankenhaus, allerdings in einem anderen als dem ersten, das ich traumatisiert verlassen hatte. Unter anderen Umständen hätte ich eine Geburt zu Hause bevorzugt. Sechs Stunden nach der Geburt verließ ich mit meinem zweiten Kind die Klinik. Zu Hause wartete die Hebamme auf uns.

Ohne sie, ohne ihre Unterstützung, ihr Eingehen auf meine Wahrnehmungen und Empfindungen, ihre praktischen Tipps und ihr beherztes Handeln hätte mein Körper sich nicht regenerieren können, hätte ich meine Kinder nicht gestillt, wäre ich heute vielleicht gezwungen Windeln zu tragen, wäre ich vielleicht in eine Schwangerschaftsdepression verfallen, wäre die zweite Geburt kaum so harmonisch verlaufen. Ich verdanke dieser freischaffenden Hebamme so viel!

Die wertvolle Arbeit freischaffender Hebammen ist noch nie angemessen bezahlt worden. Jetzt ist der Berufsstand in Deutschland in seiner Existenz gefährdet. Denn Hebammen erhalten von den Versicherungen keine Haftpflichtversicherungen mehr. Nachdem die Prämien in den letzten Jahren exorbitant gestiegen sind, wird es ab 2015 nach derzeitigem Stand gar keine Versicherung mehr geben, die eine Haftpflichtversicherung für Hebammen anbietet. Ohne Haftpflicht aber auch keine freischaffenden Hebammen mehr, die Geburtshilfe leisten. Die  Versicherungsprämien sind nicht etwa deshalb so gestiegen, weil Hebammen in den letzten Jahren mehr  Fehler machen, sondern wegen des eigentlich sehr erfreulichen medizinischen Fortschritts, durch den behinderte Kinder länger leben. Die Gesellschaft ist deshalb gefordert, eine Regelung für Hebammen zu finden, die das Fortbestehen des Berufsstandes ermöglicht. Bezeichnend ist allerdings, dass dieses Thema es nur in die Randspalten der „Qualitätspresse“ schafft und auch im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat. Es geht darum, welche Unterstützung Frauen während der Schwangerschaft und bei der Geburt erhalten, wie sie und ihr Kind nach der Geburt versorgt und betreut werden, um die Erhaltung der psychischen und physischen Gesundheit von Müttern und Kindern und damit – wenn es denn auch um eine ökonomische Perspektive gehen soll – um die Vermeidung von Folgekosten durch Versäumnisse in der Vor- und Nachsorge. Wenig, denke ich, kann mehr "Relevanz" für sich beanspruchen.

Die Verhältnisse in der Klinik, in der ich mein erstes Kind gebar, sind – so hoffe ich – heutzutage nicht mehr typisch. Die Station war geprägt durch das Wertesystem eines autoritären Chefarztes, dem hierarchische Strukturen, Demütigung der Assitenzärzte und des Pflegepersonals zur Sicherung seiner persönlichen Macht offenbar deutlich mehr am Herzen lagen als die werdenden Mütter, mit denen er selten bis nie direkt sprach. Vor- und Nachsorge wurden möglichst schnell „abgehandelt“; die Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen spielten keine Rolle. Der Mann ist inzwischen sicher im Ruhestand. Anderswo wird mit Sicherheit anders gearbeitet. Dennoch kann die Arbeit der freiberuflichen Hebammen nicht durch Kliniken und Frauenärztinnen ersetzt werden. Denn jede werdende Mutter erlebt ihre Schwangerschaft anders, ist anderen Umständen ausgesetzt, hat mit anderen Problemen im häuslichen Umfeld zu kämpfen. Dort, zu Hause, wachsen Mutter und Kind (und eventuell der Kindsvater) zusammen, lernen miteinander umzugehen und das neue Leben als Familie zu gestalten. Dort brauchen sie Unterstützung, jemanden der auf die ganz speziellen Bedingungen eingeht, Fragen stellt und seine Interventionen auf die individuellen Bedürfnisse abstimmt. Hebammen. Sie werden gebraucht!

Deshalb müssen wir den Druck auf Politikerinnen und Politiker erhöhen, das Thema in der öffentlichen Diskussion halten, um die Existenz des Hebammenberufes in Deutschland dauerhaft zu sichern.

Helfen Sie mit!

http://www.hebammenfuerdeutschland.de
http://www.hebammenverband.de

Und hier können Sie eine Petition an den Bundesgesundheitminister unterschreiben:
https://www.change.org/de/Petitionen/lieber-herr-gröhe-retten-sie-unsere-hebammen

9 Kommentare:

  1. Ich habe Tränen in den Augen. Vielen Dank für diesen Text!

    AntwortenLöschen
  2. Toller Bericht!
    Deswegen lieben wir unsere Hebammen!

    AntwortenLöschen
  3. Vielen Dank für das Teilen Deiner/eurer Erfahrungen. Das hat mich tief berührt!
    Viele Grüße

    AntwortenLöschen
  4. wow, vielen Dank für ein Öffnen und beschreiben deiner Ängste und Sorgen. Wenn du Lust hast, kannst du ja auch mal auf meinem Blog vorbei schauen, habe die letzten Tage das Thema auch aufgegriffen, jedoch nicht ganz so ausführlich wie du ;-)
    das Thema liegt mir auch schon sehr lange am Herzen, daher freue ich mich, über jede Frau (und vielleicht auch emal einen Mann) der die Arbeit der Hebammn in die Öffetnlichkeit bringt und die Relevanz dieses Berufsstandes auch den Menschen aufzeigt, die vielleicht noch nie Kontakt zu einer Hebamme hatten.
    Viele Grüße!

    AntwortenLöschen
  5. Mir steht noch dieses Jahr die Wöchnerinnenstation bevor. Ach, ich würde es mir gerne schenken, Mel. Mir reicht schon die Erinnerung an eine Mutter, die sich, nur wenige Stunden nach der Geburt, kaum auf den Beinen halten könnend, allein von Klinik zu Klinik bis zur Frühchen- und Neugeborenenstation, auf der ich zu der Zeit arbeitete, durchgeschlagen hat. Grausam. Und dafür wurde sie noch schief angeschaut. Völlig traumatisiert. Kinderzimmer gibt es heute (Gott sei Dank!) nicht mehr aber viele Schwestern verhalten sich noch immer so. Zum kotzen ist das! Aber ich will mich nicht schon wieder in Rage schreiben. Und obwohl ich in all dem mittlerweile selbst ausgebildet bin, werde ich mir gut überlegen welchen Weg ich wähle. Ja, die Hebammen machen einen guten und wichtigen Job.

    AntwortenLöschen
  6. Nachtrag: Kinderzimmer gibt es noch. Aber nicht mehr die, in denen ausschließlich die Schwestern das Kind versorgen.


    AntwortenLöschen
  7. Auf eine Frühgeburt ist keine Frau vorbereitet. Es bleibt einfach etwas offen, ist nicht vollendet. Schon die frühzeitigen Wehen haben der Frau einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn dann noch eine unüberwindbare räumliche Trennung dazu kommt, denke ich, das kommt einer Ohnmacht gleich. Weil alles, was das Kind betrifft, ohne daran in irgendeiner Weise teilnehmen zu können oder zumindest Einblick zu haben, von Fremden übernommen wird. Das muss heftig sein, vor allem dann, wenn man zuvor schon so einen Kampf führen musste, um andere zum Handeln zu bewegen. Ich weiß das, wenn auch nicht aus selbiger Perspektive. Vielleicht schreibe ich mich doch noch in Rage.

    AntwortenLöschen