Montag, 31. März 2014

SPÄTVORSTELLUNG. Un Flic (1972)

Ein Beitrag von Morel

Jean-Pierre Melville ist vor allem durch Kriminalfilme bekannt geworden. Un Flic, zu übersetzen vielleicht als „ein Bulle“, heißt in Deutschland warum auch immer „Der Boss“. Ein Jahr später ist der Regisseur tot, der seine Filme gerne komplett im Griff hatte und auch den Schnitt übernahm. Das ist zu sehen in den ersten Szenen dieses Films. Es beginnt am Atlantik, Wellen wie auf dem berühmten japanischen Holzschnitt. Moderne Architektur. Eine Filiale der BNP, davor ein Auto mit vier Männern, die sich mit Gangsterhüten als Gangster verkleiden. So beginnt ein Banküberfall, bei dem ein Kassierer erschossen wird, weil er Held sein möchte. Das möchten die Protagonisten dieses Films nicht, darunter ein Barbesitzer und ein arbeitsloser Bankdirektor. Sie wollen Geld, um dem französischen Winter zu entkommen. Dann Paris. Alain Delon, heute Front-National-Anhänger und homophober Verteidiger der traditionellen Ehe, damals der gerade noch schöne, grazile, aber gefühlskalte Mann, der sich von seinen schwulen Verehrern gerne anhimmeln ließ, um sie dann stehen zu lassen, als Polizeiermittler in einer Limousine. Er bekommt einen Telefonhörer gereicht. Melville feiert in diesem Film die damalige Moderne: Telefonzentralen, Schnellzüge, Hubschrauber, Bürogebäude, die Verwandlung der poppig bunten Sechziger in die blau-grauen Siebziger. Delon spielt keinen Held, sein Ermittler ist ein Bürokrat der Staats-Gewalt, routiniert schlägt er Verdächtige und droht mit Folter, alles um effizient zu sein, die Akte schnell zu schließen. Danach entspannt er einmal beim Klavierspielen in einer Bar. Eine Szene kehrt immer wieder: er sitzt in seiner Limousine, bekommt einen Anruf und fährt zu einem Tatort. Der erste in einem Mietshaus, eine Prostituierte wurde ermordet. Die toten Augen der Frau, dann ein Gegenschnitt auf die noch nicht ganz toten Augen Alain Delons. Drei blonde Frauen gibt es in diesem Film, die eine aber ist ein Mann, ein Transvestit, der als Informant für die Polizei arbeitet. Das erfahren wir erst am Ende, wenn Delon sie demütigend outet, dann sehen wir auch ihr ins Gesicht, das als einziges noch nicht tot ist in diesem blaustichigen Film Noir, denn sie hatte die Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben noch nicht ganz verloren. Der Gegenschnitt auf Delon verdeutlicht, wie nah am Tod er ist. Ihr Hinweis auf einen Drogenschmuggel hatte zuvor zu der einzigen Actionszene in dieser Meditation über Frankreich im Winter geführt. Denn für die Drogen die in einem Nachtzug nach Lissabon geschmuggelt werden sollen, interessiert sich auch die Bande, die zu Beginn des Films die Bank überfallen hat. Ihr gehört Simon an, der Nachtclubbesitzer, vielleicht befreundet, zumindest aber bekannt mit dem von Delon gespielten Polizisten. Beide schlafen mit derselben Frau, was Simon wohl weiß, ihn sicher aber nicht stört. Es ist die dritte Blondine, gespielt in eine Pose der Unnahbarkeit von Catherine Deneuve. Sie ist Teil der Verbrecherbande und in einer grandiosen Szene, die Tarantino für Kill Bill geklaut hat, dringt sie als Krankenschwester verkleidet in das Zimmer eines verletzten Gangster ein, um ihn mit einer Giftspritze zu töten. Während Delon an einem Bahnhof in Bourdeaux die Übergabe der Drogen beobachtet, die Festnahme an der spanischen Grenze anordnet und nach Paris zurückfährt, fliegen die Gangster mit einem Hubschrauber über dem Zug (überdeutlich, beinahe schon komisch mit Kinderspielzeug gedreht) und Simon springt auf das Dach des Schlafwagens. Dort dringt er in das Abteil des Drogenschmugglers ein, der mit seiner platinblond gefärbten Frisur wie ein später Rocker oder früher Punker aussieht, betäubt ihn und stiehlt die Drogen. Das Ganze dauert endlose 20 Minuten, in denen nur wenige Worte mit einem Schaffner gewechselt werden. Zurück in Paris kommen die Polizisten den Bankräubern langsam auf die Spur (ohne zu wissen, dass sie auch die Drogen geklaut haben). Einer nach dem anderen fliegen die Gangster auf, bis der Polizist schließlich nur noch Simon festnehmen muss. Er weiß inzwischen auch, dass die Deneuve zur Bande gehört. Auf einer leeren Straße erschießt er Simon, als der in seine leere Anzugstasche greift (so wie vor 4 oder 5 Jahren Delon in der letzten Szene von Melvilles Samourai, wenn der Polizist rechtfertigend sagt, er glaube der Gangster wollte Selbstmord begehen, ist das auch eine Art metafiktionaler Insiderwitz). Dann blickt er kalt auf seine Ex-Geliebte, setzt sich in sein Auto, wo ihm der Hörer gereicht wird. In der zeitgenössischen Filmkritik waren Klagen über den kalten Formalismus dieses Films zu hören. Dabei sind Melvilles Filme nicht unlesbar, nur dürfen die Posen nicht übersehen werden, in denen sie sprechen. Die Gangster und Polizisten in diesem Film sind austauschbar, sie sind in ihr Leben eingefroren. Wie Kafkas Maus, die auf eine Katze zuläuft, könnten sie sich einfach umdrehen, um ein neues Leben anzufangen. Delon tut dies regelmäßig, dann allerdings blickt er nur in unsere Augen und er weiß, was wir von ihm erwarten. Also bleiben Posen aus Filmen und Büchern. Und nur in diesen vorgegebenen Bahnen gibt es die Freiheit zu handeln. Delon vor allem ist der Mann der Pose, der Narziss, der sich in den anderen spiegelt, und voller Wut reagiert, wenn sie ihre Rollen aufgeben wollen: der Mann, der Frau sein will, die Geliebte, die fliehen will, der Freund, der kein Voyeur mehr sein möchte. Er garantiert mit seiner Leere, dem Tod schon vor dem Sterben, die normative Ordnung, alle anderen bezahlen für ihre Rollen mit dem Leben.

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