Ein Beitrag von Morel
Jean-Pierre Melville ist vor allem durch
Kriminalfilme bekannt geworden. Un Flic, zu übersetzen vielleicht als „ein
Bulle“, heißt in Deutschland warum auch immer „Der Boss“. Ein Jahr später ist
der Regisseur tot, der seine Filme gerne komplett im Griff hatte und auch den
Schnitt übernahm. Das ist zu sehen in den ersten Szenen dieses Films. Es
beginnt am Atlantik, Wellen wie auf dem berühmten japanischen Holzschnitt.
Moderne Architektur. Eine Filiale der BNP, davor ein Auto mit vier Männern, die
sich mit Gangsterhüten als Gangster verkleiden. So beginnt ein Banküberfall,
bei dem ein Kassierer erschossen wird, weil er Held sein möchte. Das möchten
die Protagonisten dieses Films nicht, darunter ein Barbesitzer und ein
arbeitsloser Bankdirektor. Sie wollen Geld, um dem französischen Winter zu
entkommen. Dann Paris. Alain Delon, heute Front-National-Anhänger und
homophober Verteidiger der traditionellen Ehe, damals der gerade noch schöne,
grazile, aber gefühlskalte Mann, der sich von seinen schwulen Verehrern gerne
anhimmeln ließ, um sie dann stehen zu lassen, als Polizeiermittler in einer
Limousine. Er bekommt einen Telefonhörer gereicht. Melville feiert in diesem
Film die damalige Moderne: Telefonzentralen, Schnellzüge, Hubschrauber, Bürogebäude,
die Verwandlung der poppig bunten Sechziger in die blau-grauen Siebziger. Delon
spielt keinen Held, sein Ermittler ist ein Bürokrat der Staats-Gewalt,
routiniert schlägt er Verdächtige und droht mit Folter, alles um effizient zu
sein, die Akte schnell zu schließen. Danach entspannt er einmal beim
Klavierspielen in einer Bar. Eine Szene kehrt immer wieder: er sitzt in seiner
Limousine, bekommt einen Anruf und fährt zu einem Tatort. Der erste in einem
Mietshaus, eine Prostituierte wurde ermordet. Die toten Augen der Frau, dann
ein Gegenschnitt auf die noch nicht ganz toten Augen Alain Delons. Drei blonde
Frauen gibt es in diesem Film, die eine aber ist ein Mann, ein Transvestit, der
als Informant für die Polizei arbeitet. Das erfahren wir erst am Ende, wenn
Delon sie demütigend outet, dann sehen wir auch ihr ins Gesicht, das als
einziges noch nicht tot ist in diesem blaustichigen Film Noir, denn sie hatte
die Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben noch nicht ganz verloren. Der
Gegenschnitt auf Delon verdeutlicht, wie nah am Tod er ist. Ihr Hinweis auf
einen Drogenschmuggel hatte zuvor zu der einzigen Actionszene in dieser
Meditation über Frankreich im Winter geführt. Denn für die Drogen die in einem
Nachtzug nach Lissabon geschmuggelt werden sollen, interessiert sich auch die
Bande, die zu Beginn des Films die Bank überfallen hat. Ihr gehört Simon an,
der Nachtclubbesitzer, vielleicht befreundet, zumindest aber bekannt mit dem
von Delon gespielten Polizisten. Beide schlafen mit derselben Frau, was Simon
wohl weiß, ihn sicher aber nicht stört. Es ist die dritte Blondine, gespielt in
eine Pose der Unnahbarkeit von Catherine Deneuve. Sie ist Teil der
Verbrecherbande und in einer grandiosen Szene, die Tarantino für Kill Bill
geklaut hat, dringt sie als Krankenschwester verkleidet in das Zimmer eines
verletzten Gangster ein, um ihn mit einer Giftspritze zu töten. Während Delon
an einem Bahnhof in Bourdeaux die Übergabe der Drogen beobachtet, die Festnahme
an der spanischen Grenze anordnet und nach Paris zurückfährt, fliegen die
Gangster mit einem Hubschrauber über dem Zug (überdeutlich, beinahe schon
komisch mit Kinderspielzeug gedreht) und Simon springt auf das Dach des
Schlafwagens. Dort dringt er in das Abteil des Drogenschmugglers ein, der mit
seiner platinblond gefärbten Frisur wie ein später Rocker oder früher Punker
aussieht, betäubt ihn und stiehlt die Drogen. Das Ganze dauert endlose 20
Minuten, in denen nur wenige Worte mit einem Schaffner gewechselt werden. Zurück
in Paris kommen die Polizisten den Bankräubern langsam auf die Spur (ohne zu
wissen, dass sie auch die Drogen geklaut haben). Einer nach dem anderen fliegen
die Gangster auf, bis der Polizist schließlich nur noch Simon festnehmen muss.
Er weiß inzwischen auch, dass die Deneuve zur Bande gehört. Auf einer leeren
Straße erschießt er Simon, als der in seine leere Anzugstasche greift (so wie
vor 4 oder 5 Jahren Delon in der letzten Szene von Melvilles Samourai, wenn der
Polizist rechtfertigend sagt, er glaube der Gangster wollte Selbstmord begehen,
ist das auch eine Art metafiktionaler Insiderwitz). Dann blickt er kalt auf
seine Ex-Geliebte, setzt sich in sein Auto, wo ihm der Hörer gereicht wird. In
der zeitgenössischen Filmkritik waren Klagen über den kalten Formalismus dieses
Films zu hören. Dabei sind Melvilles Filme nicht unlesbar, nur dürfen die Posen
nicht übersehen werden, in denen sie sprechen. Die Gangster und Polizisten in
diesem Film sind austauschbar, sie sind in ihr Leben eingefroren. Wie Kafkas
Maus, die auf eine Katze zuläuft, könnten sie sich einfach umdrehen, um ein
neues Leben anzufangen. Delon tut dies regelmäßig, dann allerdings blickt er
nur in unsere Augen und er weiß, was wir von ihm erwarten. Also bleiben Posen
aus Filmen und Büchern. Und nur in diesen vorgegebenen Bahnen gibt es die
Freiheit zu handeln. Delon vor allem ist der Mann der Pose, der Narziss, der
sich in den anderen spiegelt, und voller Wut reagiert, wenn sie ihre Rollen
aufgeben wollen: der Mann, der Frau sein will, die Geliebte, die fliehen will,
der Freund, der kein Voyeur mehr sein möchte. Er garantiert mit seiner Leere,
dem Tod schon vor dem Sterben, die normative Ordnung, alle anderen bezahlen für
ihre Rollen mit dem Leben.
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