18. Fortsetzung von "´Ich küsse mein Leben in dich.´ Die Martenehen"
Das
Schiff tanzte besinnungslos über den Wellen. Heilmann und Melusine waren längst
nicht mehr an Bord. Während des Untergangs der Sentosa saßen sie rittlings auf ihren
Hockern in jenem Pub in London, den sie niemals verließen. 52 Seeleute
philippinischer Herkunft, so meldete es Radio Singapore wenige Tage später,
ertranken im Indischen Ozean als die Sentosa kenterte. Die Melusine fühlte
keine Reue. Mögen sie in Frieden ruhen, dachte sie. Gerettet wurden 25
messerlose Matrosen, unter ihnen der Kapitän aus Bremerhaven, und verbracht auf
die Insel der Toten vor Singapore, damit sie weiterlebten und fuhren.
„Du
konntest niemandes Frau werden, am wenigsten die meine, Kopfgeburt.“, stöhnte
Heilmann. Sie grinste. Die Grimasse entstellte ihr meerjungfräuliches Antlitz.
„Bin ich blond?“, fragte sie höhnisch. Und: „Du kannst mir alles vorwerfen,
aber nicht androgyn zu sein.“ Heilmann antwortete nicht. Sie rutschte von ihrem
Sitz hinunter und griff nach Heilmanns Glas. „Dann eben Nachschub.“ Heilmann rührte
sich nicht, auch nicht, als sie ihm das nächste Ale vor die Nase stellte. „Ich
dachte“, näselte sie, „die Barrier sei gebrochen und London geflutet.“ Sie
schnippte mit ihren Fingern unter seiner Nase herum. „Wann immer du willst,
wird es geschehen sein.“, flüsterte er. „Mein Sohn stirbt nicht. Das war es mir
wert.“ Die Melusine nickte, aber es wirkte nicht wie Zustimmung. „Zumindest war
es ein sauberer Schnitt.“ „Ich hatte vergessen, wie golden ihre Augen
glitzerten, wenn sie mich hinterging.“ „Almuth kannte sich aus und war doch
schon immer verloren.“ „Sie ist alt geworden“, sagte Heilmann, „in
Wirklichkeit.“ „Daran kann der Teufel nichts ändern.“
Sie
schwiegen wieder eine Weile. „Erinnerst du dich an Rom?“, fragte sie dann. „Wie
könnte ich das jemals vergessen? Du gabst dich jungfräulich dort, unmütterlich
und rosafleischig.“ Sie kicherte. „Das ist gelogen. Ich hinterlasse überall
meine Söhne, denn ihr könnt keine Göttin lieben, die die Erde vergisst, aus der
sie geboren ward.“ Heilmann kamen die Tränen. „Und fühlst doch keine Sehnsucht
nach ihnen.“ Sie schlug ihn mit ihren kleinen Fäusten gegen die Brust und
schüttete ihm dann den Rest seines Ales ins Gesicht. Er zuckte kaum: „Ich habe
dir Gewalt angetan, wie einer jeden. Meinem Auftrag entsprechend: Die Illusion
erweckend, ihr könntet euch wehren.“ Sie glitt zu seinen Füßen. Er sah, wie ihr
Fischschwanz über den Dielenboden strich. Sie verzehrte sich nach den Flügeln,
um diesem Gespräch zu entkommen. „So schnaubst du, Drachenweib, und kannst sie
doch nicht mehr wachsen lassen, weil du nur Männer der Tat erwähltest.“ „Ich
habe nie etwas über mich vermocht, nur über die Willoughbys.“, keuchte sie
gegen die Bretter. „Ich weiß. Und dass er mein Sohn war, werde ich dir nie verzeihen.“,
sprach Heilmann von oben herab. Darauf gab es keine Antwort. Er wusste ja, wie
wenig sie dafür konnte. Und alles. „Wenn ich nur einem einzigen beim Aufwachsen
zusehen dürfte...“, schluchzte sie unten. Heilmann strich mit dem Finger über
den Rand seines Glases. Eine schauerliche Melodie. „Ich verachte dich, wenn du
diese Maske aufsetzt.“
Heilmann
trank. Viel zu viel. „Du gehst fort und schwimmst, tauchst und singst.“ „Ich
versinke, Heilmann, jedes Mal tiefer. Und bin doch immer ich. Almuth kann ich
nicht werden. Alt, tot und verwesend.“ „Sie hatte unser Kind. Ich schnitt in
ihr Auge, damit er lebe.“ „Ein Fehler, Heilmann, und keiner. Du änderst den
Lauf der Welt nicht. Wenn du wüsstest, wie es sich anfühlt, zu gebären...“ „Ein
jeder weiß, wie es ist, geboren zu werden.“ Die Melusine verkniff sich ein
Lächeln. Was er sich einbildete. Heilmann eben. Der Dichter. Fürst der Finsternis: „Dein Fleisch ein wabernder Sumpf, ein Moor
der Säfte.“ (Kein Mann. Nirgends.)
Er
kippte vom Stuhl. Gerade eben hatte er noch unverrückbar gewirkt. Aber genug
war eben doch genug. Selbst für Heilmann. Sie nahm ihm die Brille ab und roch
an seinem Mund. Eklige Säure bereitete sich zur Eruption vor. Die Melusine
legte Abstand zwischen sich und den Bewusstlosen. Sie schwamm. Durch die
Themse, dem Nordmeer entgegen.
Er hätte mir eine Tochter schenken
sollen. Diese quälende Lust weitergeben, in welcher meiner Körper das Leben
hält: Europa.
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