Gestern
Abend stellte Marlene Streeruwitz ihren Roman „Nachkommen.“ im Frankfurter
Literaturhaus vor. „Nachkommen.“,
wie schnell klar wurde, ist die erste Hälfte eines
Doppelroman-Projektes: Im Herbst wird ein Roman der Protagonistin Nelia Dehn aus „Nachkommen.“
erscheinen: „Die Reise einer jungen
Anarchistin in Griechenland“, geschrieben von Marlene Streeruwitz als Nelia
Fehn. „Nachkommen.“ ist auf jener Ebene, die der Literaturbetrieb überwiegend wahrnehmen wird, wie ich wage zu prophezeien, ein Roman über den
Literaturbetrieb. Wenn er allerdings nur das wäre, bliebe der Titel irreführend. Ich glaube allerdings, gestern Abend verstanden zu haben, dass es für Marlene Streeruwitz vor allem ein Familienroman ist, vielleicht einer, der sich in die neu entstehende Traditionslinie
der matrilinearen Familienromane einreiht.
Ich fange gerade an zu lesen, kenne also bisher nur
jene beiden Passagen, die Marlene Streeruwitz gestern Abend vorgetragen hat: Als erstes den brillant geschriebenen Anfang des Romans, der Nelia am Sarg
ihres Großvaters vorstellt, einen Bewusstseinstrom, in dem sich die Erinnerung
an die Beerdigung der früh verstorbenen Mutter mit den Empfindungen beim
Anblick des toten, alten Mannes verknüpfen. Die patriarchale Familie, aus der
„die Mami“ kam, erscheint als ein Gefüge, das einengt und unterdrückt, aber von dem
her doch die Einzelne wenigstens wahrgenommen wird: „Der Opi hatte ihr wenigstens zugesehen. Bei ihrer Trauer. Mit so einem
prüfenden Blick. Wie bei einem Experiment. Wenigstens. Den Blick vom Opi.
Diesen Blick hatte sie nun verloren. Das war ihr Verlust.“
Die
1950 geborene Streeruwitz schlüpft in „Nachkommen.“ nicht in die Rolle der 20jährigen Nelia
Fehn, sondern hockt dieser als Autorin sozusagen über der Schulter oder gar
hinter der Stirn, eine Beobachterin, die sich
nicht abschütteln lässt. Nelia steht in diesem
Roman, so scheint es mir nach den ersten Seiten, unter diesem strengen und
zugleich wohlwollenden, ich möchte beinahe sagen: mütterlichen Blick, der sie
begleitet auf ihrer, wie Streeruwitz gestern Abend sagte, „Odyssee“ durch den
Literaturbetrieb, auf dem sie die eigene Mutter, die verstorbene Schriftstellerin
Dora Fehn, nicht mehr begleiten kann.
Später
trug Marlene Streeruwitz dann noch jene Passage vor, an der sich „der
Literaturbetrieb“ wohl am meisten stößt und ergötzt: Jenes Kapitel nämlich, in
dem Nelia Fehn, die für ihren ersten Roman „Die Reise einer jungen Anarchistin
durch Griechenland“ für den Deutschen Buchpreis nominiert ist, an der
Preisverleihung teilnimmt. Das Hollywoods Oscar-Verleihung nachäffende
Prozedere ist lustig und entlarvend beschrieben. Der eine oder die andere wird
sich sicher auch wiedererkennen oder wiedererkannt werden. Mich, die ich die
„Betroffenen“ nicht kenne, muss das nicht weiter
interessieren. Mich interessiert, wie am Beispiel des Literaturbetriebs
Mechanismen einer patriarchalen und kapitalistischen Ordnung entlarvt werden,
die es auch in jedem anderen kommerziellen „Betrieb“ und jeder anderen
marktkonformen Branche gibt. Einziges Unterscheidungsmerkmal der Buchbranche
ist die groß- und bildungsbürgerliche Attitüde der Protagonisten, die ihre
Privilegienpflege, Macht- und Marktstrategien mit pseudophilosophischem und
–ästhetischem Gefasel aufpeppen. Das verleiht deren Stewardessen-Träumen und
Macho-Allüren halt noch einen zusätzlichen Ekelfaktor, sozusagen – in ihrer
eigenen schwülstigen Terminologie – eine „Ästhetik des Hässlichen“, deren
Pointe es ist, dass die Entstellten sich für besonders schön halten. Ein Redner
bei der Buchpreisverleihung in „Nachkommen.“: „Er schaute sich nach den Kandidaten um. Suchte sie und sagte ihre
Namen. Bei den Frauen. Er sagte weiter Kandidat. Sie war also der Kandidat
Nelia Fehn. Sie rief ´Kandidatin.´ Der Redner verstand sie nicht. Man rief ihm
zu, dass es sich um eine junge Frau handele. Um eine Kandidatin. Der Mann
schaute verärgert. Er verstand nicht, worum es ging. Dann begriff er und
lachte. Für ihn sei das eines dieser Ärgernisse. Dass man die männliche und
die weibliche Form verwenden müsse. Er fände das unästhetisch. Die junge Dame
solle das nicht gegen sich gerichtet sehen. Es ginge um die Ästhetik der
Rhetorik. Da habe das keinen Platz. Die Frauen seien ja doch immer mitgemeint.
Dann ging er. Er hatte sich aber gefangen und sich launisch und jovial an sie
gewandt.“
Die
Kaiser sind nackt. Sie merken es aber (noch) nicht (alle). Sie geben sich
weiterhin launisch und jovial. So auch gestern Abend - :
Es
war ein toller Abend mit einer klugen, schlagfertigen und schönen Königin Marlene
Streeruwitz, die vieles sagte, was zum Lachen, zum Nachdenken, zum
Kopfschütteln und zum Weitermachen anregte. Und mit einer Interviewerin Ina
Hartwig, die sich Mühe gab und Streeruwitz offensichtlich sehr schätzt, aber
gestern Abend vor allem daran mitwirkte, dass ein schaler Nachgeschmack blieb.
Denn da saßen sie eben, die nackten Kaiser des Betriebes und freuten sich und
gaben sich jovial. (In der ersten Reihe zum Beispiel Joachim Unseld.) Sie
lächelten großmütig, als Streeruwitz erzählte, dass es die Wut über einen Satz
von Adalbert Stifter gewesen sei, der sie zum Schreiben gebracht habe: „Nach
vier Jahren gebar sie ihm einen Sohn.“ Diese Wut, die diesem Schreiben
zugrunde liegt, ist noch spürbar, aber sie lief an diesem Abend weitgehend ins Leere.
Hartwig
wollte dem Erzeuger der Nelia Fehn, der offenbar auch im Roman auftritt, nicht
absprechen, dass er die Mutter doch „irgendwie“ geliebt habe, aber Streeruwitz
schmetterte das ab: „Manche Männer lieben
ja alle Frauen und man muss das dann auf sich beziehen.“ Und sie beharrte darauf, das
„Nachkommen.“ ein Frauenbuch sei, gerade weil die Protagonistin die Erbschaft des Erzeugers ablehne, indem sie bewusst das Erbe der Mutter wähle. Erst jetzt sei ein solches Schreiben,
sei eine solche Protagonistin möglich geworden, sagte Streeruwitz, weil erst
jetzt eine Generation herangewachsen sei, die die Wut der Mütter weiter trage,
ohne sich wieder und wieder in die Verantwortung für „Männer-Sachen“ nehmen zu lassen. Und sie klagt an: Die
Generation der 68er-Männer in ihrem „kleinlichen Desinteresse“ an der Wut der Frauen.
Streeruwitz
darf das alles sagen. Sie darf es nicht nur, es wird erwartet von ihr. Dafür
steht sie, das ist ihr„Markenkern“ im „Betrieb“, in dem sie eine Größe ist,
verdientermaßen. Sie bleibt Feministin und ist eine große Autorin, aber dieses
„und“ muss stets betont werden.
Dafür war gestern Abend Ina Hartwig zuständig: Für die Einordnung des
Streeruwitz´schen Werke in die Literaturgeschichte der Moderne, die
Großstadtliteratur, die Verknüpfungen mit der Kunstgeschichte und den Mythen
des Abendlandes (Griseldis). Ambiente, Tonfall und Vokabular schufen eben jene
gediegene Atmosphäre mit all den Anklängen an groß- und bildungsbürgerliche,
patriarchale Traditionen, in der Marlene Streeruwitz´ Anliegen, dem Niedergang dieser Welt nicht - im Verein mit den nackten
Kaisern - nachzutrauern, sondern auf das Neue, auf die erst zu begründende postpatriarchale Tradition zu hoffen, beinahe wirkungslos bleibt. Denn dort, in solchem Umfeld, fühlen sich die nackten Kaiser noch sicher genug, um Streeruwitz´ kalt vorgetragener Wut und ihrer
radikale Absage daran, sich als Frau zum Sprachrohr für „Männer-Sachen“ machen
zu lassen oder auch durch Männer „mitgemeint“ gesagt zu werden, nicht mal
zu widersprechen.
Die
lesen das, dachte ich, als Streeruwitz die Passage über die Buchpreisverleihung
vorlas, als Ironie. Das uneigentliche Sprechen ist jedoch genau jenes, das bei
Streeruwitz nicht vorkommt. Es ist ja nicht lustig, weil es nicht so gemeint
ist, sondern es ist lustig, dass es so ist und ernst genommen wird. Sie sei,
sagte Marlene Streeruwitz gestern Abend, eine Anti-Utopistin. Aus dieser
Haltung heraus verbietet sich ein geschlechtsneutrales Schreiben. Es gibt in
unserer Kultur, wo an den meisten Orten, an denen sich Macht und Geld versammeln,
noch immer nicht mit Frauen gerechnet wird, kein geschlechtsneutrales Erleben
(Vgl. z.B. hier: ) Wenn es die Aufgabe der Literatur ist, wie Marlene
Streeruwitz sagte, ein „Archiv der Gefühle“ bereitzustellen und zu erweitern,
dann fehlen in diesem Archiv, wie wir es kennen, noch immer vor allem die
Gefühle der Frauen, die nicht archiviert wurden, von denen es immer noch viel
zu wenige geschafft haben in den Kanon, der tradiert wird. Marlene Streeruwitz
gehört zu denjenigen, die es geschafft haben. Gestern Abend konnte ich
beobachten, was – solange das Patriarchat nur bröckelt, aber sich noch hält –
der Preis dafür ist.
***
Eine Buchbesprechung wird - hoffentlich - folgen.
Bis dahin - hier noch mal die Links zu meinen Rezensionen zu:
"Die Schmerzmacherin": Selbst-Los. Schmerz-Haft
und
"Das wird mir alles nicht passieren...Wie bleibe ich Feministin": "Es war nicht wegen..."
Bis dahin - hier noch mal die Links zu meinen Rezensionen zu:
"Die Schmerzmacherin": Selbst-Los. Schmerz-Haft
und
"Das wird mir alles nicht passieren...Wie bleibe ich Feministin": "Es war nicht wegen..."
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