Montag, 17. November 2014

Wortschatz: WISZBEGIERIG


Die Gier ist eine Sünde und unter den Gierigen sind die Wissbegierigen nicht die harmlosesten. Sie wollen wissen: Wieso, weshalb, warum? - Diese Fragen sind doch eher dumm. Wie? Wo? Was? Wozu? - könnten sie auch lauten, dann hätten sie Sinn, statt welchen zu machen. Oder? (Schweiz´risch zu sprechen mit lang gerolltem ´r´).

Die Anstalt des Lehrens und Lernens, eine Zwangsveranstaltung und über die Jahre ein Hort und Ort literarischer und tatsächlicher Demütigungen unwilliger und missbrauchter Zöglinge, namentlich in der humanistischen gymnasialen Form: schnarrender Offizierton, Gewaltformation, liederliche Bubenstreiche. Repression, Ressentiment und Regression. Gut dressiert oder wohlerzogen?

Gegen all das Wissen der Besserwisser und Kulturkenner besteht: Ich ging gerne hin, nicht nur um Freundinnen und Freunde zu treffen. Weil ich was wissen wollte. Wovon ich noch nichts wusste, nicht einmal wusste, oft, dass es sowas überhaupt zu wissen gab. Mich trieb weniger die Gier (oder: der Wille zum Wissen) als das Begehren. Nicht, "was die Welt im Innersten zusammen hält", fragte ich mich, sondern bloß: "Was es so alles gibt..." Und: "Wie das so geht? Wie die anderen was so ganz anders machen? Wie was ausschaut?" Das bloße Mehr. Meer. Weite. Horizont. 

Frau Otto, Latein, erzählte stundenlang spannend von Hannibals Zug über die Alpen. Elefanten verreckten im Schnee. Der Zimbo legte seine leere Aktentasche auf den Tisch, schnäuzte sich die Nase und sprach 90 Minuten druckreif über Platon. Manche schliefen ein. Ich lauschte gebannt. Catweazle schickte uns mit Mikrophonen zur Exorzistenjagd in die Fußgängerzone. Sein Bruder Manni bewarf uns mit Schlüsseln. Wir warfen im freien Fall Tennisbälle vom Schuldach und hobelten in der Werkstatt Bretter. Das Sprachlabor bewährte sich nicht.

Lauter Chancen, fand ich. Viele vertan. (Das will ich nicht wissen.) Wiszbegierig. Ich ging gerne hin. Meistens. War es mehr Vergnügen als Pflicht? Im Morgengrauen paukte ich die Vokabeln. Eine Welt, die größer, weiter und bunter wurde als das Dorf, als die Erzählungen der Männer im Zigarrenwinkel und der Frauen in der Waschküche. Die lernte ich in der Schule kennen. Später fand ich, dass Hanno Buddenbrook eine Heulsuse sei. Aber wahrscheinlich hatte das Sonntagskind, das ich blieb, einfach verdammt viel Glück. 

2 Kommentare:

  1. Ich erinnere mich auch gerne an die Schulzeit und an eben diese Typen von Lehrern, die in der Rückschau betrachtet die Unterrichtsstunde zur Chance gestalteten, den eigenen Kosmos zu erweitern und mit Bullaugen zu versehen - gute Erzähler, Frauen mit Esprit - Gegenwelten zu der eigenen Welt und den normalen Arbeiterfamilien zugänglichen Alternativen. Ich erkannte, dass mein Geist durstig - anders - und: +/- unabhängig zu halten war.

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    1. Ja. Diese Geschichten kommen ein wenig kurz im literarischen Kanon-Kosmos, oder? Den Bürger-Kindern scheint die Schule reine Qual gewesen zu sein, so klingt´s, mindestens denen, die später Schriftsteller_innen wurden. Lehrer_innen erscheinen als bloße Karikatur. Aus dem Fundus bedient sich noch bis in die Gegenwart eine mit Ressentiment geladene, aber arg unoriginelle wohlfeile Lehrerschelte. (Bisweilen wohl mit Recht.)

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