Samstag, 22. November 2014

ZURÜCK AUF ANFANG ("Du kannst niemandes Heimstatt sein.")




"Dass du dir diese Gestalt gibst, Heilmann, macht dich nicht glaubwürdiger." Sie klang härter, metallischer, ihre Stimme, als sie beabsichtigt hatte. Heilmann war aus seinem Suff erwacht und blinzelte hinter der Brille, die sie ihm auf die Nase gesetzt hatte. Er wollte sie mit der Hand wegwischen, dieses Gestell einer demonstrativen Intellektualität, mit dem sie ihn ausgestattet hatte, absichtlich, um den Blick abzulenken, nicht nur den ihren. Bei Almuth hatte er nie eine Brille getragen. Seine Lider wie weggeschnitten, so hatte er Almut gesehen, kein Zwinkern hatte seine Augen auch nur für Sekundenbruchteil von ihrem Antlitz verschont. Almuth, der er zuletzt die Augäpfel ausgeschnitten hatte, um den Teufel zu befriedigen. "Doch nur im Traum." "Between grief and nothing."

Sie saß auf seiner Bettkante, die Melusine, sah hold und demütig aus wie eine gütige Mutter und schob ihr Knie unter seinen Kopf. Er wollte nicht ruhen, sich nicht an sie lehnen. Er gab ihr noch immer an allem die Schuld. Aber sein Körper gehorchte ihm nicht. "You took nothing." Sie sprach es ohne jeden Vorwurf aus. Er war noch nie ein alter Mann gewesen. Der Teufel hatte ihm einen Deal angeboten und er hatte ihm die Mutter geopfert für den Sohn. Um diesen Preis: Dein Sohn wird leben, wenn du dich ergibst. "Kann nicht kapitulieren", hatte aber die Melusine einmal über ihn gesagt. Das musste im 20. Jahrhundert gewesen sein, nach einem der großen Kriege. Sie lächelte müde auf ihn herab: "Da liegst du nun."

Er wollte sich erheben. Standhaft bleiben. Ihr Lachen perlte in seiner Erinnerung. "Du gibst keinen Helden ab mit deinem Stohhütchen und deinem gestreiften Sommeranzug, Heilmann. Zierlich wie du bist und weich." Das war 1913. Da waren die Härchen auf seinem Handrücken blond gewesen, die sich aufrichteten, ihren Fingern entgegen. Der Wind strich über das kaspische Meer, Turkmenbasi hieß der Hafen, in dem ihr Schiff anlegte. Das war jedoch ohne Bedeutung. Ihrem Schicksal begegneten sie dort nicht. Sie verbrachten nur wenige ruhige Tage unter Deck. Als wenn Almuth nicht werden würde und keine Willoughbys, nirgends. Als habe die Zukunft sich verzogen, gelegentlich, doch währte es niemals lang. Wie damals am See.

"Heilmann. erinnerst du dich?" Er schwieg. So leicht konnte er ihr nicht vergeben. Und sich. Sie ergriff seine Hand. "Sieh, wie die Adern hervortreten." Er kniff die Augen absichtsvoll zu wie ein störrisches Kind. "Du wirst nun runzlig, Heilmann. Für ein einziges Leben des Willoughbys hast du dich hergegeben." "Mein Sohn..." Heilmann wollte sich rechtfertigen mit weiter geschlossenen Augen. "Pscht..." Sie fuhr ihm mit den Fingern über die Lippen. "Ich weiß. Ich verstehe es nicht. Du hättest doch wissen müssen...Au." Er hatte sie in den Daumen gebissen. Sie beugte sich über sein Gesicht: "Mein Kind." Heilmann war wie gelähmt. Er hätte sie schlagen müssen, sie unter das Bett treten wie zuvor, um dem vorzubeugen. 

"Du weißt, du kannst niemandes Heimstatt sein." "Mein Sohn.." wiederholte er trotzig. Sie stand auf. "...bist du.", setzte sie den Satz fort. "Du dachtest wahrhaftig, du könntest mir entkommen, Heilmann." 

Sie hatte ihre Drachengestalt angenommen, ihn schauderte vor ihrer schuppigen Haut. Wie gewaltig sie über seinem Bett lungerte, wie sie ihn anfauchte aus ihrem riesigen, feurigen Maul, wie sie die Flügel ausbreitete in der winzigen Kammer und die Wände fortsprengte und flog. Als ein kraftloser Greis hielt er den Himmel in Armen. Um ihn lichteten die Flammen, verglühte das Holz, verkohlte sein knochiger Körper. Asche stob auf  und fiel grau in sich zusammen. 

Dann.

Da war mir als sey ich entsprungen
Dem innersten Leben der Mutter,
Und habe getaumelt
In den Räumen des Äthers
Ein irrendes Kind.

Heilmann weinte in seiner Wiege: "Maman."

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