„SCHUBLADEN“ von She
She Pop – ein grandioses Theaterprojekt von und über Frauen aus Ost- und
Westdeutschland
Foto von Benjamin Krieg |
Gestern Abend im Mousonturm: „Schubladen“ von She She Pop mit Annett Gröschner, Fanni Halmburger, Alexandra Lachmann, Peggy Mädler, Ilia Papatheodorou und Nina Tecklenburg. Sechs Frauen aus West- und Ostdeutschland performen Wiedervereinigung als Beziehungsarbeit.
Begegnungen. Sechs
Frauen, zwischen 40 und 50, drei schmucklose Sitzungstische, Bürostühle mit
Rollen: 3 Paare sitzen sich gegenüber. Schubladen, vollgestopft mit Büchern und
Schallplatten am vorderen Bühnenrand, digitale Kameras und ein Plattenspieler
auf den Tischen. Im Hintergrund auf der Leinwand werden Sitzungsräume
überblendet: „runde Tische“, die in Wahrheit eckig sind, leere
Begegnungsstätten, Verhandlungsorte, wo nichts verhandelt wird.
Annett erzählt: Von
ihrer Mutter, die am 12. August 1961 auf einem Bahnsteig in Ostberlin steht, um
nach Leverkusen zu fahren, wo einige Freundinnen schon Arbeit in der
Chemieindustrie gefunden haben. Ein Mann eilt auf sie zu, mit 25 Rosen im Arm;
das ist Annetts zukünftiger Vater. Er macht einen Heiratsantrag. Die wartende
Frau bittet sich Bedenkzeit aus. Der Zug fährt ohne sie ab. Am nächsten Morgen
hat ihr die sozialistische Republik die Entscheidung abgenommen: Züge nach
Westen verkehren nicht mehr.
Jede hat etwas zu
erzählen. Es macht einen Unterschied, ob eine 1989 dreizehn oder vierundzwanzig
Jahre alt war, ehrgeizig oder verträumt, verliebt oder grade getrennt,
hoffnungsvoll oder enttäuscht, im Westen oder im Osten. Alles ist Unterschied –
und Klischee. Später im Gespräch mit den Performerinnen sagt eine: „Wir wollten
bewusst auch an den Klischees arbeiten, herausarbeiten, was daran wehtut.“
Es tut weh. Und es ist
lustig. Wiederkennen. Fremdschämen. Staunen. So war das also. Für die. Für die
anderen. In meinem Fall: die Ostfrauen. Aber auch: die jüngeren, die reicheren.
In Stuttgart, erzählt Ilia, hob die Mutter jede Woche vom Bankkonto 1000 DM ab.
Dividende. „STOP.“ Was ist Dividende? „Definiere ´Kapitalist`.“ Unangenehme
Figuren sind das. Kommunisten sind sexier. Im Schulbuch zumindest. Der
Kommunismus ist eine Utopie. Der Kapitalismus war immer schon überholt. Soso.
Es gibt Sprechformate: „Ich habe gelernt...“ „STOP.“ Der Tonfall ist rau. Alles
will sich eine ja auch nicht erzählen lassen. Themen: die Mütter, die Mütter;
Liebe und Sex, Schul- und andere Bildung, politische Initiationen, Popsongs.
„Wenn ich dich damals schon gekannt hätte, hättest du mich an dieses Lied erinnert.“ Peggy war eine ehrgeizige
Pionierin und hortet Urkunden. Nina hockte kuschelig auf dem Sofa mit ihrer
Mutter und guckte Schwarzwaldklinik. Beide waren mal verliebt in Kati Witt.
Alexandra hat alles als Kind schon gewusst und sich immer verstellt; aber Fanni
ging in einen Kinderladen, damit sich die Erwachsenen nicht vor ihr fürchten.
Annett war auf 10 Anfang 1990 auf einer Glückskala von 1-10, aber am Ende des
Jahres auf 1. Ilia kaufte Schallplatten mit ihrem Papa und wurde Pazifistin:
„Imagine there´s no heaven.“ Manche glauben an Gott, andere nicht. Alle sind
links (sonst wäre das nix´ geworden). Manche linker. Oder liberaler.
Lästernd werden
Fazite gezogen: „Ostfrauen sind overfucked und undersexed. Westfrauen sind underfucked
und oversexed.“ Oder: „Man könnte
sagen, Frauen aus dem Westen sind überbehütet und unterentwickelt...... während
Frauen aus dem Osten unterbehütet und überentwickelt sind.“ Die aus dem
Osten kippen Wodka, die aus dem Westen nippen Prosecco, alkoholfrei. Klischees sind lustig. Und tun trotzdem
oder deswegen weh. So war es und anders. Bei She She Pop wird etwas
preisgegeben: Eine jede bringt sich ein und gibt etwas her. Die Frauen bringen
Versatzstücke ihrer Biographien ein und wandeln sie in Material, stellen sich
einander zur Verfügung und aus. Das ist mutig. Sie bewahren sich aber auch
etwas. Die Bühnenfigur ist nicht die Person dahinter, die steht nur ein und
bürgt für das, was gesagt wird.
Auf die Bühne kommt bei
She She Pop kein Diskurs über „Ost-West-Probleme“, sondern ein Polylog. Es
wird gesprochen, unterbrochen, missverstanden, angebrüllt. Es wird gelacht,
getanzt und gesungen. Nichts wird verhandelt. Keine Manifeste erstellt. Einig
werden können sie sich nicht: „Hast du eine Ahnung, wie es mir geht,
weil wir wegen eurer Schwäche von einer ostdeutschen Pfarrerdynastie regiert
werden?“ oder „Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn man den
Kapitalismus als Zumutung empfindet, und es gibt keine Alternative mehr ...?“ Eine
Wiedervereinigung hat nicht stattgefunden. Aber wir leben jetzt alle in
Deutschland, zusammen.
She She Pop realisieren
mit diesem Bühnenstück, was in der Realität versäumt wurde. Denn genau das hat
es ja im „realen“ Leben kaum gegeben: Begegnungen von Frauen aus Ost und West
„auf Augenhöhe“, als Gegenüber, Wahrnehmung der anderen als andere ohne
Vereinheitlichungszwang. Die Frauen von She She Pop sitzen bewusst nicht an
einer langen Tafel oder einem runden Tisch. Der Polylog entsteht aus Dialogen.
Deshalb traue ich mich
am Ende doch von „Wir“ zu sprechen: Wir wollen die Einheit nicht. Wir wollen
die Differenz. VIVA!
Weitere Termine
3. und 4. Oktober in Mühlheim an der Ruhr (Ringlockschuppen)
Das werde ich am Samstag feiern: die Differenz! Danke für das Stichwort und die Beschreibung der Performance. Die hätte ich mir auch gerne angesehen.
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