Sonntag, 27. September 2015

Hart kämpft (3): "Only date Gentlemen." (Aus: DREI SABINEN *)

Sie konnte dem Pianisten nichts vorwerfen. Er hatte sie gewarnt, im Grunde schon bevor sie ihn kennenlernte. Er hatte, das sprach er nicht ungern an, eine Reputation. Ein Mann, der die Frauen liebte. Im Plural. Und also: keine. Sie hatte es gewusst und ihn gerade deshalb, nur deshalb, gewollt. Sie schämte sich auch dafür, vor allem aber, zumindest wenn und solange es gut lief, amüsierte sie sich. Mit denen, mit diesem: dem Liebhaber der Frauen. Er bestätige alles, ein für alle mal, hatte er lachend gleich bei ihrer ersten Begegnung gesagt und ihre Hand geküsst. Er konnte das: Handküsse verteilen, ohne lächerlich zu wirken. Weder sich noch die Frau, die er beehrte, setzte er mit diesen altmodischen Gesten der Ironie aus. Das war sonderbar. Der Zug zur Boshaftigkeit, der seinen Mundwinkeln so tief eingegraben war, hinderte ihn nicht daran, ein echter Gentleman zu sein. Und sie hatte ihm erwidert: "Das trifft sich gut, denn ich kann nicht treu sein."

"Only date Gentlemen." Sie hatte diesen Ratschlag der Englischlehrerin auf dem Schweizer Internat, in das ihr Vater sie danach abgeschoben hatte, damals beinahe überhört. Dem hässlichen, bebrillten Entlein, das sie gewesen war, galten diese Worte nicht. Sie hätte vorher auf jeden Fall ein "Make over" gebraucht - und hatte es ja dann auch bekommen. Sie lächelte in Erinnerung an Markus, der so aufrichtig jedes Klischee über den schwulen Friseurs bedient hatte und dabei wahrhaftig ihre erste (...und einzige, und einzige...) große Liebe gewesen war. Er hatte sie schön gemacht und für ihn war sie zum ersten Mal schön gewesen. Lauter Streicheleinheiten, keine Gier. Durch seine Augen im Spiegel hatte sie sich lieben gelernt. Das war von Dauer. Never ending love story. 

Aber er fickte André. Sie warf sich das vor, dass sie an seine Liebhaber immer nur, auch damals schon, denken konnte als Sexmaschinen. Sie weigerte sich, die ernst zu nehmen, als Lebensgefährten. Es tat einfach zu weh, sich vorzustellen, wie er mit denen bei einem Glas Wein saß und über sie redete: "Meine Freundin Sabia." Eine Wirklichkeit war: Sie war von keinem Mann je betrogen worden, nicht einmal von ihrem Vater. Ein jeder war in dieser Hinsicht ehrlich gewesen, weil er gewusst hatte, noch bevor etwas begann, dass er es sein konnte und musste mit ihr. Und doch, dachte Sabia, als sie damals die Turmtreppe hinaufstieg, hatten alle, alle sie verraten. Selbst Markus, vor allem Markus. Sie blieb ihnen, den Männern, denen sie willig verfiel, nämlich doch treu, selbstverständlich, und viel länger als es währte, für immer und immer und immer. Von keinem kam sie je los. Es hatte mit Markus angefangen. (Das stimmte nicht. Es war ja eben Markus gewesen, weil es keinen Anfang geben konnte.) Alle ihre Männer hatten ihr zu Füßen gelegen und sie war, nachdem Markus sie auf die Beine gestellt hatte, mit hohen Absätzen über sie hinweg getänzelt. Sie suchte sie aus. Mit Fleiß, Geschick und Gespür. Der Eifersucht hatten sie, so bestätigten sie einander immer von Beginn an, abgeschworen, den albernen Geheimnisse und exklusiven Schwüren. Auch sie, glaubte sie, musste sich nichts vorwerfen, auch sie hatte jeden gewarnt (Außer Markus, das war nicht nötig gewesen.) Und doch, und doch...

Es schien zunächst nichts Besonderes um den Pianisten zu sein. Ein Mann aus einer anderen Sphäre, Fernflüge, Begegnungen in teuren Hotels. Short term relationship. In ihren Erinnerungen wohnten sie alle, der Reigen schöner Männer, für immer und ewig. Er aber, der Pianist, war der erste, der ihr gewachsen war. Böse. Böse. Der sich einfach nicht in eine Erinnerung verwandeln ließ. Ein wahrhaft düsterer Pseudo-Darcy. Die perfekte Fassade. Die unbestechlichen Manieren und verwegenen Manierismen. Der Hochmut, der nicht fiel, denn - das war sein Geheimnis - : Hinter der Fassade war Nichts. Eine Leere, die ihm alle Macht verlieh. Über sie. Das hatte sie gesucht. Nicht die Tiefe. Kein Brüten. Die vollendete Unfruchtbarkeit eines Mannes, der nur sich selbst liebt - und: die Frauen. Sie war wie betrunken von ihm, nicht nur in der ersten Zeit, sondern bleibend. Er ließ sie schwanken und sich vergessen. Ängstlich fragte sie sich schon nach wenigen Monaten, ob er ihre Sucht nach ihm so sehr brauchte, wie sie seine Gemeinheiten. Sie hoffte es, aber sie ahnte, dass er noch etwas anderes suchte. Etwas in ihm lauerte hinter der Leere und wollte...Sie zitterte, wenn sie daran dachte, denn das konnte sie ihm niemals geben oder vergeben. 

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DREI SABINEN ist der (Arbeits?-)Titel eines Romanprojektes. Sein Ausgang nimmt es von hier:
- einer Wanderung durch den Märchenwald: KEIN STEG UND KEINE BRÜCKE
und hier:
und hier:
Wie alle meine Erzählungen hat auch diese vom Anfang her keinen "Plot". Mir erscheinen Bilder. Und Figuren. Drei Sabinen: die Bohnenstangen-Sabine, die kleine Sabine, die Rapunzel-Sabine. Und was aus ihnen wurde. Kinder in den 70er Jahren, die Rollschuh fahren und Brause schlecken. Ein Wehr. Disco. Der politische Claus mit C., der einmal ganz anders war, mopsig fast, bevor er gefährlich wurde. Ein paar Szenen. Unterhaltungen zumeist. Mittelgebirgslandschaft. Ein blutiger Finger, abgerissen, am Straßenrand. Der schöne Klaus mit K. Wiederbegegnungen in der Gegenwart. Unserer.
Ich erzähle diese Roman-Episoden aus der Perspektive eines "Wir". Ich weiß nicht, ob das durchzuhalten ist. Und warum es so sein muss. Noch nicht. 

Bisher:


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